Interview mit Anne-Laure Bondoux
Auf der Frankfurter Buchmesse wurde die französische Autorin Anne-Laure Bondoux von Ilka und Freya interviewt. Sie hat unter anderem den Roman „Die Zeit der Wunder” geschrieben, für den sie auch für den deutschen Jugendliteraturpreis nominiert war.
Blaue Seite: Warum ist das Thema Immigration, das in Ihrem Buch „Zeit der Wunder“ eine große Rolle spielt, besonders wichtig für die Jugend?
Anne-Laure Bondoux: Ich denke, es ist nicht nur ein wichtiges Thema für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene. Die Menschen heute wechseln ständig ihren Ort, sie sind ständig in Bewegung. Grenzen haben heute nicht mehr eine so große Bedeutung. Es gibt reiche und arme Menschen, es gibt Länder, in denen Frieden, und Länder, in denen Krieg herrscht. Wenn die Ungleichheit zu groß wird, kommt es zu Auswanderungen. Wir alle sind von diesen Problemen betroffen.
BS: Was wollen Sie mit Ihrem Buch „Zeit der Wunder“ aussagen?
Anne-Laure Bondoux: Ich weiß nicht, ob es da eine Nachricht gibt. Ich bin nicht Gandhi, ich bin keine Politikerin. Aber was ich sagen möchte, ist, dass wir alle denselben Planeten teilen und dass wir deshalb auf die anderen achten und versuchen müssen, Dinge zu teilen.
BS: Was war Ihre erste Idee zum Buch?
Anne-Laure Bondoux: Meine ersten Ideen waren die Charaktere von Gloria und Koumaïl. Ich wollte eine Geschichte über die Wahrheit erzählen und über meinen Traum. Das waren meine wichtigsten Ausgangspunkte.
BS: „Zeit der Wunder“ hat eine eigene Internetseite. Dort habe ich einen Punkt gefunden, der „l’atlas vert“ (der grüne Atlas) heißt. Was ist das?
Anne-Laure Bondoux: Als ich klein war, hatte ich einen grünen Atlas. Es war ein sehr altes Buch, deshalb durfte ich reinschreiben und malen. Ich habe imaginäre Reisen gemacht, ich habe gesagt, wenn ich groß bin, werde ich da, da und da hinfahren. Ich war wie Koumaïl: Ich habe die Namen der Berge, der Flüsse und der Städte auswendig gelernt.
BS: Wie haben Sie recherchiert, damit alles real wirkt?
Anne-Laure Bondoux: Ich habe viel im Internet und in Büchern recherchiert und habe mir auch viele Fotoreportagen angeschaut. Es ist wichtig, dass man erkennt, dass es ein Ort ist, den es tatsächlich gibt und an dem wirklich Krieg herrscht. Aber mein Buch ist keine Dokumentation, sondern ein Roman.
BS: Und warum ein historischer Roman?
Anne-Laure Bondoux: Nicht wirklich historisch, aber ich denke, der Leser sollte die Geschichte glauben. Deshalb muss es reale Elemente geben. Es sind die Charaktere, die mich interessieren, wie sie sich fühlen, wie sie wachsen.
BS: Werden Sie noch weitere Bücher schreiben?
Anne-Laure Bondoux: Ich hoffe doch. „Zeit der Wunder“ ist mein neuntes Buch. In Deutschland wird 2013 bei Carlsen ein neues erscheinen.
BS: Gestern Abend wurde der Deutsche Jugendliteraturpreis 2012 verliehen. Sie waren in der Sparte Jugendbuch nominiert. Kennen Sie die anderen Titel und den Gewinnertitel „Es war einmal Indianerland“ von Nils Mohl?
Anne-Laure Bondoux: Ich habe es nicht gelesen, ich weiß auch nicht, ob es auf Französisch übersetzt wurde. Aber ich kenne Nils Mohl ein bisschen. Wir haben uns auf einem Festival in München kennengelernt. Er ist sehr nett. Aber ich kenne das andere nominierte französische Buch „Vango“ von meinem Freund Timothée de Fombelle. Die anderen Bücher habe ich nicht gelesen.
BS: Warum sind Sie Autorin geworden?
Anne-Laure Bondoux: Das ist eine große Frage, sehr kompliziert. Ich habe angefangen zu schreiben, als ich 15 Jahre alt war. Damals war es mein Traum. Ich dachte, ich will schreiben, weil auch mein Vater es wollte, aber nie gemacht hat. Also dachte ich, mache ich seinen Traum zu meinem.
BS: Was mögen Sie lieber? Für Jugendliche oder für Erwachsene zu schreiben?
Anne-Laure Bondoux: Für mich ist es eigentlich das Gleiche, ob ich für Jugendliche oder Erwachsene schreibe. Es hat die gleichen Auswirkungen. Beides kostet viel Zeit und Energie. Ich mag beides. Manchmal schreibe ich Bücher für Jugendliche, manchmal für Erwachsene, und manchmal für Jugendliche und Erwachsene. „Zeit der Wunder“ ist ein Buch, welches sowohl von Jugendlichen als auch von Erwachsenen gelesen wird.
BS: Ist das Cover in Frankreich das Gleiche wie in Deutschland?
Anne-Laure Bondoux: Fast, denn in Frankreich gibt es zwei unterschiedliche Cover. Das Cover für Jugendliche sieht ein bisschen anders aus, dort gibt es über dem Bild noch so etwas wie eine Lichterkette. Das französische Cover für Erwachsene sieht genauso aus wie das deutsche.
BS: Welches finden Sie besser?
Anne-Laure Bondoux: Ich finde das Foto schöner, das auch auf dem deutschen Cover ist.
BS: Konnten Sie bei der Gestaltung des Covers mitreden?
Anne-Laure Bondoux: Ja, aber nur zum Teil. Wir waren zu zehnt am Tisch. Ich habe gesagt, dass ich ein Foto will, keine Zeichnung. Dann haben sie mir mehrere Fotos vorgeschlagen und ich durfte mir eins davon aussuchen.
BS: Und beim Titel?
Anne-Laure Bondoux: Ja, der stammt von mir. Er ist ein Teil des Buches. Ich bin sehr zufrieden mit ihm, weil ich finde, dass er dem Inhalt des Buches sehr entspricht. Außerdem mag ich das Wort „Wunder“.
BS: Sind Sie zum ersten Mal hier auf der Frankfurter Buchmesse?
Anne-Laure Bondoux: Ja. Aber es sind zu viele Menschen hier. Es ist zu warm, zu laut und es gibt zu viele Menschen. Das ist unglaublich. Ich bin sehr überrascht.
BS: Kommen Sie gerne nach Deutschland?
Anne-Laure Bondoux: Ja. Ich bin schon oft wegen meiner Bücher hier gewesen. Und im November [2012] werde ich nach Essen fahren, weil mir für „Zeit der Wunder“ der Gustav-Heinemann-Friedenspreis verliehen wird.
BS: Was hat für Sie eine blaue Seite?
Anne-Laure Bondoux: Das ist eine Seite zum Eintauchen und Schwimmen. Immer tiefer tauchen und dann zum Atmen wieder hochkommen.