Alle Menschen sind sterblich
Alle Menschen sind sterblich
23. April 2020
von Kathrin
4 Sterne
Kathrin Jahrgang 2002 Redaktion Lübeck
hat 4 Sterne vergeben

Regine ist 25 Jahre alt und strebt, voller Ehrgeiz und Missgunst ihren Mitstreiterinnen gegenüber, eine steile Karriere in der Schauspielerei an. Sie geht ganz und gar in den Gedanken an ihren zukünftigen Ruhm auf und in ihrem egozentrischen Mikrokosmos scheint kein Platz für die Bedürfnisse anderer Menschen zu sein.

Doch ein Gedanke lässt sie einfach nicht los:

Ihr Ruhm ist flüchtig und schon einige Jahre nach ihrem Tod wird sich vielleicht niemand mehr an sie erinnern.

und das macht sie verrückt.

Sie ist sterblich – alle Menschen sind sterblich!

Alle

bis auf Fosca


Fosca, den sie bei Wind und Wetter von morgens bis abends auf der Terrasse ihres Hotels sitzen sieht, der nie Essen zu sich nimmt und keine Regung zeigt. Fosca, den sie schließlich zu ihrem „Projekt“ erklärt, mit dem Ziel, ihm das Leben beizubringen. Zumindest, bis er ihr von seiner Unsterblichkeit erzählt. Danach ist ihr erklärtes Ziel, fest in seinem Gedächtnis verankert zu bleiben, denn wie könnte ihr Ruhm unsterblicher sein, als in den Gedanken eines Unsterblichen?

Ihr Plan scheint aufzugehen, doch dann beginnt Fosca zu erzählen.

Er berichtet von den knapp 650 Jahren, die er bereits in diesem Körper zubringt, der äußerlich keinesfalls älter als 30 Jahre zu sein scheint. Davon, wie das ganze Unheil zunächst mit einem Trank und unbeschreiblicher Euphorie begann, wie er der italienischen Stadt Carmona, seiner Heimatstadt, zweihundert Jahre lang als König zu neuem Ruhm und Reichtum verhalf, wie er später Karl den 5. aufzog, selbst an seiner Seite zum Herrscher über die ganze Welt werden wollte – und letztendlich scheiterte. Wie er sich verliebte und zusehen musste, wie erst seine Frau und später seine Kinder und Enkelkinder starben. Und schließlich... den Ekel, die Angst, die Begeisterung, den Unglauben – die Fremdheit – in den Augen der Personen, die von seinem Geheimnis erfuhren. Zunächst reagierten alle anders, doch schon bald erlosch der Lebenswille in ihren Augen, bis sie, nur durch seine bloße Anwesenheit, zu Grunde gingen.

Nach und nach muss Regine erkennen, wie tragisch und wenig erstrebenswert das unendliche Leben ist und letzten Endes ist es Fosca, der Regine beibringt, im Jetzt zu leben.

„Vielleicht war es das, was mich am unüberwindlichsten von ihr trennte: Sie lebte auf die Zukunft hin, in der sich ihre Bestrebungen endlich erfüllen würden. Für mich aber war die Zukunft eine fremde, verhasste Zeit: die Zeit, da Marianne tot sein würde und unser Leben, verschlungen vom Schlund der Jahrhunderte, nutzlos und verloren; und jene Zeit war wiederum dazu bestimmt, nutzlos und verloren ebenfalls unterzugehen.“

Schokolade, Sonnenschein und ein Buch über´s Sterben... Klingt absurd? Ist es auch. Trotzdem glaube ich, dass es beim Lesen dieses Buches wichtig ist, sich eine möglichst gemütliche Umgebung zu suchen. Die Stimmung, die einen beim Lesen unweigerlich ergreift, schwankt zwischen zwei Extremen. Einerseits sind die häufigen Vergleiche des menschlichen Lebens mit dem einer Eintagsfliege sehr ernüchternd und frustrierend. Andererseits ist die Geschichte als Ganzes bei genauer Betrachtung nicht deprimierend, sondern vielmehr eine Lobeshymne auf das Leben – und auf den Tod. Obwohl in den Erzählungen Foscas viele Menschen sterben und darunter auch einige viel zu jung und auf unschöne Weise, ist doch er die eigentlich tragische Person, weil er nach einigen Jahrhunderten selbst die Fähigkeit zum Unglücklichsein verliert. Er verkörpert die pure Langeweile und wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich sterben zu können.

„Ich träume, es gibt keine Menschen mehr. Sie sind alle tot. Die Erde ist weiß und starr. Es gibt noch den Mond am Himmel, er scheint auf die weiße Erde. Ich bin allein (...)“

Ich mochte diese Geschichte wirklich gerne, denn sie zeigt, wie viel Sinn der Tod unserem Leben verleiht. Nur wer etwas zu verlieren hat, kann Opfer bringen und sich selbst, dem Leben und anderen Menschen so Wert verleihen. Es ist also ganz klar zu empfehlen, wenn auch nicht unbedingt in der momentanen Zeit. 

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