Die 1848 veröffentlichten Kurzgeschichte „Der ehrliche Dieb“ von Fjodor M. Dostojewski ist eine in eine Rahmenhandlung eingebettete Binnenerzählung. In der Hinführung zur eigentlichen Geschichte wird ein Herr von seiner schweigsamen Haushälterin Agrawina gebeten, eine Kammer des Hauses für einen Untermieter bereitzustellen. Dieser neue Mitbewohner entpuppt sich nicht nur als guter Bekannter von Agrawina, sondern auch als herausragender Erzähler, der seine Vermieter mit mancher guten Geschichte unterhält. Anlass für die Erzählung des ehrlichen Diebes ist ein Vorfall, bei welchem ein Fremder einen Pelzrock aus der Wohnung stiehlt.
Den Hauptcharakter dieser Kurzgeschichte stellt der Untermieter Astafi selbst dar. Er beginnt diese mit der Information, dass er vor einigen Jahren entschied, eigens einen Mitbewohner aufzunehmen. Dabei geriet er an Jemelian Iljitsch, einen armen Taugenichts und Trunkenbold, der zwar keine Arbeit annahm, dafür aber umso anhänglicher war, woraufhin Astafi begann, ihn zu versorgen. Nach einigen gescheiterten Versuchen, den Unglücklichen loszuwerden, fand er sich schließlich damit ab und entwickelte sogar Mitleid mit ihm, bis eines Tages eine wertvolle Reithose verschwand. Er beschuldigte Jemelian, diese gestohlen zu haben. Jemelian stritt die Vorwürfe ab, verschwand drei Tage lang und kehrte schließlich ausgehungert und mit einer schweren Krankheit zurück, an der er schließlich auch verstarb. Allerdings erst, nachdem er seinem besorgten Freund den Diebstahl gebeichtet hatte.
Diese Kurzgeschichte behandelt ein beliebtes Motiv von Fjodor M. Dostojewski. Wie auch in dem einige Jahre später veröffentlichten Roman „Schuld und Sühne“ geht es hierin um die Abgründe der menschlichen Seele, die selbst bei einem ursprünglich guten und ehrlichen Menschen in einer Notsituation und zu Tage treten und ihn dazu bewegen können, die eigenen moralischen Maßstäbe zu verraten. Auch die menschliche Willensschwäche ist ein zentrales Element dieser Erzählungen. Die Schuld belastet und beschämt die Personen in der Folge meist so sehr, dass ihre psychischen Beschwerden auch bald die physische Befindlichkeit beeinflussen. In diesem Fall führt das Geheimnis und die Schuld sogar zum Tod des armen Jemelian.
„Der ehrliche Dieb“ ist eine sehr schöne Kurzgeschichte über die Grenzen der menschlichen Tugendhaftigkeit und regt dabei durchaus zum Nachdenken an. Ich kann sie jedem empfehlen, der sich gerne damit auseinandersetzt, warum ein Mensch zu bestimmten Handlungen fähig ist. Wer sich lieber auf 800 Seiten voller wunderbarer Formulierungen und scharfsinniger Betrachtungen stürzen möchte, dem lege ich auch „Schuld und Sühne“ wärmstens ans Herz.