Es beginnt alles mit einigen merkwürdigen Ereignissen: Immer mehr Ratten kriechen aus ihren Schlupflöchern und sterben auf den Straßen der Stadt Oran. Doch dabei bleibt es nicht. Schon bald sind die ersten menschlichen Opfer eines heimtückischen Fiebers zu beklagen. Vermehrt suchen Menschen wegen Schmerzen am Hals, in den Achselhöhlen und in den Leisten den Arzt auf. Kurz darauf breiten sich schwarze Flecken auf der Haut aus, die typischen Beulen bilden sich und ein inneres Feuer scheint die Betroffenen zu versengen. Dann dauert es gewöhnlich nicht mehr lange, bis die Augen starr und die Gliedmaßen kalt werden.
Die Pest hat in Oran Einzug gehalten und die Stadt wird abgeriegelt.
In diesem Buch geht es um Gefangenschaft, um das Bewusstsein, dass man vermutlich sterben wird, um ein Leben, in dem man ständig den Tod vor Augen hat und darum, dass man trotzdem weitermacht. Die Geschichte wird aus der Sicht eines Arztes erzählt und zeigt so das ganze Ausmaß der Situation. Hilflosigkeit ist das Gefühl, das dieses Buch dominiert. Die Traurigkeit, wenn schon wieder jemand nicht gerettet werden konnte und die Angst davor, dass es dem nächsten Patienten genauso ergehen wird. In dieser Stadt, in der die Straßen immer leerer werden, sind sich alle bewusst, dass sie ihre Lieben auf der anderen Seite des Stadttores vermutlich nie wiedersehen werden und wenn doch, dann werden sie sich so verändert haben, dass das Weitermachen unmöglich ist. Das Leben in dieser Stadt erinnert an einen Krieg. Einen Krieg gegen den Tod, der nicht besiegt werden kann.
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Schaut man sich gerade auf den Seiten einiger Radiosender oder Zeitungen um, fallen ungewöhnlich viele Beiträge zu dem Klassiker „Die Pest“ des französischen Autors und Philosophen Albert Camus auf. Von 30 Stunden langen Marathon-Lesungen bis zu vielen neuen Rezensionen ist alles zu finden, und das hat seinen Grund: Was Camus da fiktives beschreibt, ist unserer aktuellen realen Situation gar nicht mal so unähnlich.
Schauplatz der Handlung ist die algerische Stadt Oran, die von einer überraschenden Pestepidemie heimgesucht wird. Langsam begreifen die Behörden das potenzielle Ausmaß der lebensgefährlichen Seuche und riegeln die Stadt komplett ab. Persönliche Beziehungen mit der Außenwelt sind von einem Tag auf den anderen nicht mehr möglich. Auch innerhalb der Stadt stirbt das öffentliche Leben langsam weg. Die Oraner sehen sich mit einem Gefühl der Isolation, des Exils in ihrer eigenen Stadt konfrontiert. In diesen schwierigen Zeiten versucht der Arzt Bernard Rieux trotz ständiger Ermüdung und der omnipräsenten vermeintlichen Hoffungslosigkeit und Resignation seine Arbeit gegen die Krankheit fortzusetzen. Dabei begegnet er vielen verschiedenen Menschen und damit ihren Ansichten zur Pest im Spezifischen und zur Absurdität des Lebens im Allgemeinen.
Camus schafft es, in einem erstaunlich simplen Szenario mit einer stringenten Handlung psychologisch sehr interessante Personen und vor allem ihre Entwicklung sowie deren Einfluss auf ihr Umfeld darzustellen. Er schreibt so, dass man die Atmosphäre der Peststadt geradezu fühlen lässt und gestaltet seine Figuren so, dass man sie und ihren Antrieb gut begreifen kann. Gerade sie sind es, die es einem ermöglichen, das Geschehen aus vielen Perspektiven zu betrachten und darin Differenzen aufkommen lassen, die zum Nachdenken anregen.
Dazu gibt es noch tonnenweise Interpretationsansätze, die einen Erklärungsversuch wagen, was der Autor uns als Leser*innen auf einer allegorischen Ebene mitteilen möchte. Als Element in einem Nachkriegsbuch kann man die Pest zum Beispiel als unumgängliches Übel in Form der deutschen Besetzungsmacht sehen, oder, abstrakter, als generellen Ausdruck der Absurdität des menschlichen Lebens. Bei beiden gilt es laut Camus, genauso wie bei der Pest, die Situation als unumgänglich zu erkennen und zu akzeptieren und trotzdem mit Solidarität und einem menschlichen Ziel vor Augen Widerstand zu leisten – im Kern lässt sich hier also seine Philosophie des Absurden erkennen.
Man kann das Buch aus vielen Perspektiven lesen. Muss man aber nicht. Als Geschichte an sich bietet es schon vieles und gestaltet sich vor allem in diesen Zeiten als interessante Lektüre.