„Ja (...), wir machen uns immer viel zu viele Sorgen. Wir machen uns Sorgen, wenn der Bäcker morgens irgendwie blöd geguckt hat. Wir machen uns Sorgen, dass irgendwas an oder in uns ersetzt oder ausgeschält werden muss, dass wir den Bus verpassen, dass sich eine Wunde infiziert oder dass der Herd an ist, oder der Wasserhahn läuft oder dass wir auf einen Brief die falsche Adresse geschrieben oder den falschen Brief in den Umschlag mit der richtigen Adresse getan haben, wir machen uns Sorgen, dass wir für den der hinter uns Fahrrad fährt, zu langsam Fahrrad fahren, wir machen uns Sorgen, dass unsere Eltern, die wir heute wieder nicht angerufen haben, morgen sterben könnten, dass irgendwer nicht wieder anruft oder dass irgendwer wieder anruft, wir sorgen uns im Sommer wegen der Sonne und im Winter wegen dem Eis, wir sorgen uns am Tag, dass wir in der Nacht nicht schlafen können und in der Nacht, dass wir am Tag müde sein werden. Und dann machen wir uns auch noch Sorgen, dass du denken könntest, wir machen uns zu viele Sorgen.“
Der Roman „Erste Hilfe“ von Mariana Leky ist ein Buch über Angststörungen Es geht darin um drei Freunde, die sich erstmalig mit ihren eigenen Ängsten auseinandersetzen müssen, als eine von ihnen - Matilda - die Panik vor dem Verrücktwerden befällt. Sie kann die Straße nicht mehr überqueren und bald schon nichts mehr eigenständig unternehmen. Es geht sogar so weit, dass Sylvester und die Erzählerin sie an Weihnachten zu ihren Eltern begleiten, um sie nicht im Stich zu lassen. Danach beginnt die Suche nach den richtigen Therapeuten – solchen ohne Spinnweben auf den Schultern oder fleischpressenden Pflanzen im Behandlungsraum...
Dieses Buch strahlt Mut und Selbstreflektion aus. Man merkt der Autorin an, dass das Thema Angst ihr nicht unbekannt ist und ihren offenen, humorvollen Umgang mit diesem - sonst so oft verschwiegenen - Thema, fand ich wirklich beeindruckend. Immer mehr Menschen leiden heutzutage unter Angststörungen und gerade deshalb finde ich es so schwierig, dass dieses Problem kaum thematisiert wird. Niemand bereitet einen darauf vor, dass es auch unbegründete und vollkommen irrationale Ängste gibt, die einen trotzdem nicht loslassen wollen. Der Gedanke, man könne nun wirklich verrückt werden, scheint in solchen Momenten gar nicht mehr so weit hergeholt. Mariana Lekys Schreibstil besticht vor allem durch seine Ruhe und Emotionslosigkeit. Der Roman wirkt dadurch wie eine schlichte Darstellung, die nicht um Mitleid oder Aufmerksamkeit buhlt. Die humorvollen Einschübe verleihen der Geschichte eine Leichtigkeit, die sie auch für diejenigen Leser interssant macht, für die Angst nie ein großes Problem war. Ganz besonders liebenswürdig sind allerdings die drei Freunde, um die es letztendlich geht. Ihre Charaktere sind charmant und teilen alle einen Hang zur Absurdität, wodurch Mariana Lekys Roman ganz ohne steile Spannungskurven auskommt. In gewissem Sinne folgt die Geschichte plätschernd dem Lauf der Dinge, während man selbst als Leser gebannt, fasziniert und ein wenig verwundert den Protagonisten bei ihren tagtäglichen Besorgungen zusieht. Alles in allem kann ich dieses Buch definitiv empfehlen!