„Du kannst deine Augen vor Dingen verschließen, die du nicht sehen willst, aber du kannst dein Herz nicht vor Dingen verschließen, die du nicht fühlen willst.“
Der siebzehn jährige Lochen und seine Schwester Maya müssen sich als die Ältesten ihrer Geschwister um diese kümmern, seitdem der Vater der fünf Kinder nach Australien umgezogen ist und dort eine neue Familie gegründet hat. Jeden Tag müssen sie neben der anstrengenden Schule und ihren Hausaufgaben auch noch alle Pflichten bewältigen, die Zuhause auf sie warten:
Sie müssen Kochen, Putzen, Aufgaben im Haushalt verteilen, die Kleinen unterhalten bis Schlafenszeit ist und sie anschließend zu Bett bringen, Aufpassen, dass alle ihre Hausaufgaben machen, ihnen zuhören, mit dem pubertären und rebellierenden Kit klarkommen und ständig mit ihrer Mutter, die immer öfter bei ihrem neuen Freund Dave ist und unter einem Alkoholproblem leidet, um das Geld für den Unterhalt und die sich häufenden Rechnungen streiten.
Die beiden Jugendlichen übernehmen mit der Zeit unbewusst immer mehr die Elternrolle, tun alles, damit ihre Geschwister möglichst normal aufwachsen und passen vor allem auf, dass das Jugendamt nichts von ihrer Situation mitbekommt, denn dann würden sie alle getrennt werden. Hinzu kommt, dass Lochen ein Außenseiter ist, da er überhaupt nicht mit fremden Leuten umgehen kann und Panikattacken bekommt, wenn er mit ihnen komunizieren soll. Dies belastet ihn sehr und die einzige Person, mit der er darüber reden kann und die ihn versteht, ist Maya.
Schon immer hatten die beiden einen besondern Draht zueinander gehabt, sich ohne Worte verstanden und sich gegenseitig unterstüzt und geströstet, weil niemand anderes es konnte. Doch dann entdecken sie füreinander Gefühle, die nicht sein dürfen und die ihnen Angst machen. Sie lieben sich und zwar mehr, als es für Geschwister erlaubt ist …
Ich schnappe nach Luft. „Geh einfach“, sage ich ruhig.
„Aber verstehst du denn nicht?“, fragte er noch einmal verzweifelt. „Ich will mit dir zusammen sein. Ich liebe dich – “
„Nicht genug.“
Wir schauen uns an. Seine Haare sind nass und zerzaust, seine grünen Augen in der Dunkelheit kaum zu erkennen, die schwarze Jacke ist bis zum Hals hoch geschlossen. Er schüttelt den Kopf, blickt auf dem dunklen Friedhof umher, als suche er nach Hilfe. Dann schaut er wieder mich an. „Maya, das ist nicht wahr!“, sagt er gepresst, fast krächzend.
„Du hast unsere Liebe krank und abstoßend genannt, Lochan“, erwiderte ich.
„Das hab ich doch nicht so gemeint!“ Sein Kinn fängt an zu zittern.
Ein scharfer Schmerz fährt durch mich hindurch, füllt meine Lungen, meine Kehle, meinen Kopf – so scharf, dass ich befürchte, davon gleich ohnmächtig zu werden. „Warum hast du es dann gesagt, Lochan? Du hast es so gemeint, und ich meine es jetzt auch so. Du hast recht, Lochan. Durch dich ist mir klar geworden, in was wir uns da verrannt haben. Wir haben uns selbst getäuscht. Wir sind beide einfach nur frustriert, einsam, verwirrt, gelangweilt – was auch immer. Das war nie wirklich Liebe zwischen uns – “
„Doch!“ Seine Stimme versagt ihm beinahe. Er schließt kurz die Augen und presst die Faust gegen den Mund, um einen Schluchzer zu ersticken. „Es ist Liebe!“
Dieses Buch greift ein Thema auf, das in unserer Gesellschaft so tabu ist, wie kein anderes: Liebe in der Familie, die über das rein geistliche hinausgeht – verbotene Liebe. Für die meisten ist das wohl unbegreiflich und abstoßend, aber trotzdem gelingt es Tabitha Suzuma mit ihren beiden Hauptcharakteren, aus deren Sicht abwechselnd die Geschichte erzählt wird, Verständnis zu schaffen und sogar mehr: Akzeptanz!
Die Zweifel, Ängste und Sorgen der beiden gehen einem wirklich äußerst nahe und ich habe sehr mit ihnen mitgelitten und trotz den ungewohnten und sehr komplizierte Umständen den ersten Kuss mit Spannung erwartet. Lochan und Maya sind zwei unterschiedliche, unglaublich lebensechte Personen, die einen in ihre chaotische Welt entführen und zu Tränen rühren.
Ein unglaublich umwerfendes Buch an dem das einzige schockierende die Erkenntnis ist, dass wenn sich etwas Falsches so richtig anfühlt, es doch nicht falsch sein kann … oder?