Bevor Harry, Ron und Hermine ihr viertes Schuljahr in Hogwarts, einem Internat für Zauberei, beginnen, steht das Finale der Quidditch-Weltmeisterschaft an. Nach dem Spiel geschehen unheimliche Dinge: Eine Gruppe maskierter Zauberer verwüstet den Zeltplatz und das Dunkle Mal, das Zeichen Lord Voldemorts, erscheint am Himmel. Trotzdem geht die Schule los und bald treibt die drei Freunde und ihre Mitschüler ein neues Thema um: Nach vielen Jahren soll wieder das Trimagische Turnier stattfinden – ein Wettkampf mit drei Aufgaben, bei dem je ein Champion von den Schulen Hogwarts, Beauxbatons und Durmstrang seine oder ihre magischen Fähigkeiten unter Beweis stellen muss. Dieses Jahr aber spuckt der Feuerkelch, der die Champions auswählt, vier Namen aus. Der vierte lautet Harry Potter.
Zuerst einmal: Den Titel finde ich schlecht gewählt. Das Markante an diesem Buch ist das Turnier und nicht der Feuerkelch. Der wird zwar nach allen Kräften als ach so mystisch und mächtig dargestellt, spielt aber tatsächlich absolut keine Rolle.
In „Harry Potter und der Feuerkelch“ passiert unfassbar viel. Eine so vollständige Zusammenfassung wie für die vorigen Bände würde wohl mehrere Seiten in Anspruch nehmen. Aber: Man kommt mit und das ist ein ganz wichtiger Punkt. Es werden zwei neue Zaubererschulen samt Schulleitern und Champions, Barty Crouch und Ludo Bagman aus dem Ministerium und noch diverse andere Figuren eingeführt, erstaunlicherweise ohne dass man durcheinander kommt. All diese Charaktere sind von ihrem Verhalten, ihren Rollen und selbst dem Aussehen deutlich zu unterscheiden und bis in die Feinheiten ausgearbeitet.
Das Buch ist 767 Seiten lang. Das ist lang, jedenfalls für ein Buch in dem viele komplexe, relevante Dinge passieren. Ab Seite 600 wäre ich trotz aller Spannung und Faszination bereit gewesen, das Buch zu beenden und den Rest der Handlung und des Turniers auf das nächste Buch zu verlagern (was natürlich weder von Logik noch vom Spannungsbogen her Sinn ergäbe). Und das war schlicht, weil es so viele Handlungsstränge gab, die zwar ineinander verschlungen waren, aber einfach von der Anzahl her zu viele wurden. Hagrid, Hermine, Viktor Krum, Barty Crouch und viele andere haben ihre eigenen Handlungsstränge. Und keiner von ihnen ist überflüssig oder uninteressant, aber die Gesamtheit ist sehr viel. Ich glaube, es hätte dem Buch gut getan, ein oder zwei dieser Stränge herauszunehmen, obwohl sie so verwoben sind. Denn so passiert es, dass man irgendwann im Buch mal wieder auf Hagrid oder Krum trifft und denkt: „Ach ja, die gibt es auch noch.“ Es ist bei dieser Fülle an Charakteren und Plotsträngen nicht mehr möglich, allen genügend Platz einräumen. Durch diese Masse gibt es aber auch ein großes Repertoire, auf das Rowling jederzeit zurückgreifen kann, ohne dass es langweilig wird, um in der Geschichte voranzukommen, sich mit einem bestimmten Thema zu beschäftigen oder eine Figur näher zu betrachten. Wenn Harry bei einem Rätsel nicht weiterkommt, gibt es eben einen Menschen, der ihm plausibel einen Tipp geben kann. Wenn alles ein wenig zu harmonisch scheint, erscheint ein fieser, erlogener Artikel im Tagespropheten und schon streiten sich wieder alle. Für jedes Problem, für jede Situation und Emotion gibt es mittlerweile so viel Möglichkeiten, dass das Geschehen zuweilen ein wenig wahllos erscheinen kann.
Wie bereits bei Hagrid erwähnt, sind auch Ron und Hermine ein wenig abgedriftet in diesem Harry Potter-Band. Sie kommen natürlich vor, aber sind ziemlich irrelevant für den Haupt-Plot, das Turnier, das Harry eben alleine bestreiten muss. Daher wurde für beide je ein geschickter aber irgendwie auch unnötiger Nebenplot geschaffen.
Spoiler-Warnung für die nächsten beiden Absätze!
Der größte Pluspunkt, für den ich dieses Werk auch sehr bewundere: Es ist alles durchdacht und passt perfekt zusammen.
Das merkt man besonders auf den letzten 100 Seiten, die den Höhepunkt und den epilogartigen Erklärungspart darstellen. Ich habe nachgezählt: Es sind etwa 6 Seiten durchgehenden Monologs von Voldemort dabei, in denen er die Hintergründe seines Erstarkens im Detail erklärt. Dadurch wird zwar deutlich, wie eindrucksvoll sich alle großen und kleinen Ereignisse der Geschichten zusammenfügen, aber es nimmt viel Luft aus dem Höhepunkt. Dieser Höhepunkt ist natürlich das Zusammentreffen von Voldemort mit Harry. Dabei gibt es so einige tolle Momente und fantastische Ideen, dennoch werden sie nicht voll „ausgekostet“. Hierbei merkt man, dass diese magische Welt sehr romantisiert ist. Der Tötungsfluch besteht aus einem grünen Blitz und dann ist das Opfer tot. Das soll vielleicht als Schockeffekt funktionieren, aber meistens wirkt es blutlos, nicht viel dramatischer als „Und dann war er tot.“ Generell bewegt sich dieses Buch vorsichtig, sehr vorsichtig, ähnlich dem zweiten und dritten, in eine Richtung, die für ein etwas älteres Publikum gedacht ist und daher auch mehr Gewalt und komplexere Themen erlaubt. Aber der Höhepunkt verfehlt durch Voldemorts Endlos-Monolog und die eindeutig immer noch verschleierte Gewalt an Schwung.
Als Harry zurückkehrt, erwartet man den Krankenflügel, ein paar Erklärungen und die Heimreise. Das Buch hat da noch über 60 Seiten. Und von diesen bin ich wirklich enttäuscht: Eine große Enthüllung, die nach dem Höhepunkt überhaupt nicht mehr ihre Wirkung entfalten kann, und gute elf Seiten pure Erklärungen. Elf. Seiten. Fast ununterbrochen. Ich wiederhole: Ja, es ist fantastisch und erstaunlich und wunderbar, dass alles bis ins kleinste Detail Sinn ergibt und auch miteinander verwoben ist. Aber das auf so eine wortreiche und auch einfallslose Weise durchzuerklären, zerstört viel vom Zauber.
Spoiler-Warnung Ende
„Harry Potter und der Feuerkelch“ ist der beste Band der Reihe. Von den ersten vier Bänden auf jeden Fall und, wenn meine Erinnerung nicht trügt, auch insgesamt. Es hat: eine komplizierte, aber plausible Handlung, Spannung, keine oder kaum Logikfehler (in einem Fantasy-Roman durchaus bemerkenswert), liebenswerte und deutlich gezeichnete Charaktere, eine fantastische und umfangreiche (Zauberer-)Welt. Es ist eines der besten Bücher, das ich je gelesen habe und übertrifft auch deutlich seine drei Vorgänger. Im Vergleich hat dieser Band einige Besonderheiten: Er beginnt mit einer leichtherzigen und neuen, daher interessanten, Situation, der Quidditch-Weltmeisterschaft. Dann ist da das Trimagische Turnier, das ganz neue Charaktere und Gefahren einführt, ohne es gezwungen klingen zu lassen. Allerdings hat es besonders am Ende auch seine Schwächen. Meiner Meinung nach sind die dadurch bedingt, dass dem Buch eine plotmäßige Schlankheitskur gut getan hätte. Ich wäre traurig um jeden Plotpunkt, der verschwindet, aber insgesamt hätte das Buch mit 100 oder 200 Seiten weniger und entsprechend weniger Inhalt noch besser funktioniert. Anders hätte man einige der Spannungen oder Rätsel früher auflösen können. Das hätte dem Aufbau vom Spannungsbogen nicht wehgetan, aber dem Höhepunkt und Abfall immens geholfen. Und: Ich weiß ja, dass Bösewichte sich unfassbar gerne reden hören, aber manchmal ist weniger mehr...
Kleine Anmerkungen zum Schluss:
Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was es mir sagen soll, wenn Harry in den unterschiedlichsten Situationen ständig gelangweilt „Jaah“ sagt. Ich glaube, tatsächlich soll das die Übersetzung für „Yeah“ aus dem Original sein. Wenn das stimmt: Super Idee vom Übersetzer, nur: funktionieren tut es nicht.
Auch in diesem Band: Harry hat ein bisschen zu viel Glück. Die Erklärung, durch seine Narbe sei ein Teil von Voldemorts Macht auf ihn übergegangen, finde ich schwach. Schließlich ist er im Unterricht ganz normal. Aber wenn es um scheinbar zufällig gewählte Herausforderungen wie den Imperius-Fluch geht, unter dessen Einfluss sehr mächtige Zauberer selbst für Jahre stehen können, kann er außergewöhnliche Fähigkeiten innerhalb von Minuten entwickeln? Bei Harry fehlt mir manchmal der Eindruck, er ist doch nur ein normaler Junge. Dabei macht das einen großen Teil seiner Faszination aus.
Außerdem habe ich in meiner Rezension zu „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ geschrieben, dass es sich so anfühlte als gäbe es das Buch nur, um Sirius als Figur einzuführen. Dafür hätte man Sirius aus diesem Buch ohne jegliche Konsequenzen rausstreichen können.
Ich habe die deutsche (Erst-)Ausgabe vom Carlsen-Verlag aus dem Jahr 2000 gelesen.
Und ich würde wirklich gerne eine neuere, hoffentlich überarbeitete, Ausgabe lesen.