Harry Potter und der Halbblutprinz
Harry Potter und der Halbblutprinz
21. November 2020
von Rina
4 Sterne
Rina Jahrgang 2003 Redaktion Lübeck
hat 4 Sterne vergeben

Harry und seine Freunde beginnen ihr sechstes Schuljahr in Hogwarts. Das neue Gesicht im Kollegium: Professor Slughorn, der das Fach Zaubertränke übernimmt, das er vor vielen Jahren bereits unterrichtete. Der allseits verhasste Professor Snape bekommt dafür seinen ewigen Wunsch erfüllt – er darf Verteidigung gegen die dunklen Künste unterrichten. Slughorn sammelt einen neuen „Slug-Klub“ um sich, bestehend aus Schülern mit Verbindungen und Potenzial. Dazu gehören natürlich auch Harry und Hermine. Harry bekommt von Dumbledore Einzelstunden, in denen sie die Vergangenheit Voldemorts erforschen. Er hat derweil noch ein Privatprojekt: herauszufinden, was Malfoy tut, wenn er von der Karte des Rumtreibers verschwindet.

 

Mit diesem Band löst sich J.K. Rowling weiter vom Muster der vorigen Bände. Die ersten Kapitel sind zwei Begegnungen gewidmet, die außerhalb von Harrys Leben stattfinden, aber von großer Bedeutung für die Ausgangssituation des Buches (bei der ersten) und für die Geschichte (bei der zweiten) sind. Enden tut das Buch so pathetisch, dass die rituelle Heimfahrt direkt ausgelassen wird. Im Hauptteil allerdings wird eine ausgezeichnete Balance gefunden: zwischen der Action von „Harry Potter und der Feuerkelch“ und den Emotionen von „Harry Potter und der Orden des Phönix“. Wahrlich fantastisch gemacht gibt das ein bisschen dieses Gefühl von den ersten beiden Bänden zurück: Man kann es einfach lesen, sich darin verlieren, darauf verlassen und muss sich um nichts wirklich Sorgen machen oder drüber nachdenken – was das Buch betrifft jedenfalls. Die Elemente, die ich manchmal in den letzten Bänden vermisst habe, sind zurück und wir erleben wieder Quidditch, Zaubertrankunterricht und auch den Apparierlehrgang. Dieses „Normale“ ist wunderbar, wärmt die Seele und passt außerdem überhaupt nicht mit der Geschichte zusammen. 

Apropos Geschichte, der Hauptplot dieses Bandes ist theoretisch Harrys Unterricht bei Dumbledore und seine große Aufgabe dazu. Klar wurde mir das erst, als ich danach gesucht habe und am Ende des Buches fündig geworden bin. Denn: Es ist eindeutig, dass die Gespräche mit dem großen Zauberer durchaus die bedeutsamsten Stellen des Buches sind. Sie sind aber nicht gut mit dem Rest verbunden. Es kommen scheinbar zufällig Einladungen bei Harry an, dann erfährt er etwas und fängt nichts damit an. Die Stunden haben keine Auswirkungen auf sein Leben im Schloss. Erst als Dumbledore ihm die Aufgabe gibt, passiert tatsächlich etwas. Harry muss eine Erinnerung beschaffen, diese wird durch die folgenden Erklärungen Dumbledores ziemlich überflüssig und die (oft und deutlich betonte) Unumgänglichkeit ihrer Beschaffung wird aufgehoben. Der Aufgaben-Plot selbst ist gut gemacht, aber sein Sinn wird vollkommen ausgehebelt.
In Dumbledores Unterricht erlebt Harry die Vergangenheit seines Erzfeindes durch Erzählungen und besonders die Erinnerungen von verschiedensten Menschen im Denkarium. Das sind clever untergebrachte Rückblicke, die einigermaßen interessante Einblicke bieten und mich für sich stehend begeistern, dabei aber wenig zur Geschichte beitragen. Es sind schöne Szenen, die jeweils viel Platz in Anspruch nehmen und dabei nichts bewirken. Natürlich ist es faszinierend, mehr über den Hintergrund des Bösewichts zu erfahren und die einzelnen Parts sind so gut gemacht. Trotzdem ist Lord Voldemort nur ein semi-interessanter Charakter. Wie die meisten Bösen hatte er keine schöne Kindheit, aber das besondere an ihm ist, dass das nicht der Auslöser für seine Taten ist. Seine absolute Bosheit wird nie infrage gestellt. Als Kind ist er böse, als Jugendlicher böser, als Erwachsener der böseste von allen. Es gibt keine Ursache, keinen psychologischen Abgrund zu erforschen, er ist ein fast schon märchenhafter Fiesling. Dazu passt, dass er auch noch von Slytherin abstammt. Seine Geschichte liest sich gut, sagt aber rein gar nichts über ihn aus. Sie scheint keinen Einfluss gehabt zu haben und ist damit als Hauptplot völlig ungeeignet.


Der „zweitwichtigste“ Plot ist Harrys Versuch, Malfoys Machenschaften zu durchschauen und zu verhindern. Generell ist das spannend angedacht und hätte die fesselnden Aspekte von Rätseln, Geheimnissen und Hinweisen aus früheren Bänden wiederholen können. Das Ganze stolpert aber auf halbem Weg, da sich die Hälfte dieser Geschichte darum dreht, dass Harry versucht, seine Freunde davon zu überzeugen, dass sie mithelfen. Das wirkt eher ermüdend und Rons und Hermines Zögerlichkeit bei dieser Unternehmung untergräbt weiter den Trio-Charakter der drei. Verschwendetes Potenzial, finde ich, hätte es doch ein tolles Projekt für Dumbledores Armee werden können, die in diesem Band vollkommen in der Versenkung verschwindet. Besonders schade, da die DA noch viele Möglichkeiten hatte und ausgezeichnet angelegt war – in allen Aspekten. Sie hat Harry und den anderen viel Platz für Charakterentwicklung gegeben und die Grundlage für Aktionen in Eigenregie der Schüler unter Harrys Leitung gelegt. Ich finde es traurig, dass das hier gar nicht genutzt wurde und Harrys persönliches Projekt stattdessen in den meisten Momenten lahm bis nervig rüberkommt.
Vielleicht sollte die DA durch den Slug-Klub ersetzt werden: mit vollkommen anderer Organisation, Zielen und Besetzung, aber ebenfalls ein Zusammenschluss voller Schüler. Harry vermeidet ihn allerdings und er spielt in nur einer Szene eine Rolle. Und in der hätte er durch jedwede Feier der Schule ersetzt werden können. Vom Konzept her nicht schlecht, insgesamt aber nicht erinnerungswürdig. Ich hatte ihn auf jeden Fall vergessen.


Genau wie der Höhepunkt folgt meine Meinung dazu ohne jegliche Verbindung zum Vorhergegangenen: Er ist famos. Ich werde nicht dazu spoilern, aber er legt den Grundstein für das Ende der Reihe. Er ist dramatisch ohne übertriebene Action, emotional anspruchsvoll ohne zu belasten und mit deutlicher Sogwirkung. Einfach gut eben.

Spoiler-Warnung für den nächsten Absatz! (schlimmstmöglich für dieses Buch)

Zum Ende: Dumbledore hat seine Vaterrolle erfüllt. Er hat Harry gerettet, war sein Mentor, hat ihn enttäuscht; Harry hat rebelliert, Dumbledore geholfen und sein Wissen erlernt. Und jetzt ist es Zeit zu gehen. Daher ergibt es nur zu viel Sinn, dass Dumbledore ein letztes großes Opfer erbringt und dann stirbt. Er muss gehen, damit Harry den Kampf gegen Voldemort führen kann. Der Schüler muss seinen Meister überholen. Er wird nicht mehr gebraucht. Harry ist auf sich gestellt. Da muss natürlich jeder treue Harry-Potter-Leser weinen. Die erste Stelle seit Sirius‘ Tod (bei mir), was beweist, wie verbunden man mit diesen Figuren und vielleicht auch Harrys Verlust ist. Dazu ist diese Szene unfassbar gut geschrieben. Harry ist gelähmt, aber als Dumbledore stirbt, stehen die Herzen der Leser still. Das ist J.K. Rowlings Meisterwerk. Dieser Moment ist vielleicht der dramatischste der gesamten Reihe und dass Harry hierbei keinen Muskel bewegen muss, ist bezeichnend für die schmerzliche Wirkung dieser Buchstaben.

Spoiler-Warnung Ende


Auch der Anfang, das allererste Kapitel, ist vorzüglich gelungen. Der Muggel-Premierminister wird vom neuen Zaubereiminister besucht. Das illustriert schnell und effektiv, wie sehr die Situation eskaliert ist: Dutzende Todesopfer, „Natur“-Katastrophen, grausame Morde. Es sind aufgezählte Beispiele, die mit dem Leser bekannten Namen versehen sind. Statt der einzelnen Unglücksfälle ist das Niveau jetzt auf Hurrikans und zusammenstürzende Brücken gestiegen. Der Ton des Buches ist gesetzt, ohne dass die Gegebenheiten später groß betont oder aufwändig dargestellt werden müssen. Die Atmosphäre ist deutlich und die Ereignisse in der Schülerschaft sorgen dafür, dass sie nicht vergessen wird. Die Abgrenzung von der schon grausigen Situation im letzten Buch ist erstaunlich scharf gelungen.


Es zieht sich eine unglückliche Sache durch diesen Band wie schon durch die letzten: Es ist zu viel. Weder das Buch an sich noch die Geschichte sind überladen, sondern die Zauberwelt. Es gibt unfassbar viele Charaktere, besondere Gegenstände und so weiter, die alle eine Rolle spielten und nicht plausibel einfach verschwinden können. Hagrid kommt zwar vor, hat aber (wie in den letzten Bänden) seine abgetrennte Geschichte und kaum noch eine Beziehung zu den Schülern. Die Karte des Rumtreibers wird teilweise in den simpelsten Situationen als Lösung nicht aufgebracht, taucht dann aber plötzlich doch auf. Es wirkt fast, als seien diese Dinge vergessen worden. Das sind sie aber nicht, weder von der Autorin noch von mir. Es gab immer wieder Momente, in denen ich gewartet habe: Jetzt müsste doch mal wieder zum Beispiel der Orden auftauchen. Und noch viel mehr Momente, in denen ich dachte: Ach ja, der/die/das gibt es auch noch. Dazu trägt bei, dass sowohl die Treffen mit Dumbledore als auch der Slug-Klub unregelmäßig sind und immer dann angebracht werden (können), wenn man gerade vielleicht nichts anderes spannendes zur Hand hat. All diese Dinge können mit Bedacht eingesetzt werden, aber es wirkte oft fast willkürlich auf mich. Schon in meiner Rezension zu „Harry Potter und der Feuerkelch“ habe ich erwähnt, dass der Handwerkskasten an Charakteren, Situationen, Beziehungen zu groß geworden ist. Und wenn etwas davon nach zu langer Zeit wieder auftaucht, kann es zerstören statt verbinden. Das Buch hat vermutlich auch dadurch Phasen; Slughorn-Phasen, Hagrid-Phasen, Quidditch-Phasen. Die können sehr abgetrennt voneinander wirken und machen es schwer, sich auf den Verlauf der tatsächlichen Geschichte zu konzentrieren.


Spoiler-Warnung für den nächsten Absatz! (leicht)

Und meine Güte, diese Liebesgeschichte mit Ginny. Harry und Cho Chang waren ja länger aufgebaut worden und ergaben insoweit absolut Sinn. Ein bisschen nervig, ein bisschen unnötig, aber okay, um zu zeigen, dass Harry ein normaler Teenager ist. Das mit Ginny wurde am Anfang der Reihe angedeutet, ist dann verloren gegangen und jetzt ist Harry plötzlich in sie verliebt?! Einer der unglaubwürdigsten Liebesgeschichten, die ich je gelesen habe. Von beiden Seiten sehr plötzlich, Gefühle werden nicht weiter als die Oberfläche erläutert und von jetzt auf gleich sind die beiden ein gemütlich eingerichtetes Paar. Ich weiß nicht, wie das schieflaufen konnte, aber das ist es. Ich finde Ginny toll, aber sie bringt der Gruppe an Protagonisten nicht viel und als Harrys Freundin ist sie unnötig. Zumal es keine großen Konflikte gibt, um die beiden zusammenzubringen oder als sie zusammen sind. Ginny hatte ihre große Einführung am Ende des zweiten Bandes – und danach hätte man sie auch als Teil der Hauptgruppe einarbeiten können. Stattdessen blieb sie am Rand, tauchte später zwar ein wenig öfter auf, übernahm aber keine wichtige oder richtige Rolle. Das hat sich nicht geändert durch diese Entwicklung.

Spoiler-Warnung Ende

 

Insgesamt gebe ich „Harry Potter und der Halbblutprinz“ vier Sterne. Ich habe Gründe, warum es nicht perfekt ist, keinen spezifischen jedoch, um zu erklären, warum dieses Buch keine fünf Sterne verdient hat – vermutlich hat es das. Doch ich kann mich nicht für dieses Buch begeistern. Für die Szenen am Anfang: ja; für den Höhepunkt und die da getroffenen Entscheidungen: absolut; der Pathos und das Drama am Ende: auch dafür. Das Buch als Ganzes dagegen hat wenig in mir bewegt. Das hat mit vielem zu tun. Einer der Hauptgründe ist die Tatsache, dass der Hauptplot schwach ist. Es wird viel erlebt, aber wenig getan und der Höhepunkt des Buches passiert wohl bloß, weil das Schuljahr sich dem Ende neigt. Dumbledore hätte die nicht weiter erläuterte Entdeckung, die das auslöst, zu jeder Zeit machen können. Es wird (von Harrys Seite, die wir ja als einzige kennen) in keinster Weise darauf hingearbeitet, wir erfahren nichts vom Prozess, es passiert einfach. Außerdem ist die Balance zwischen sozusagen entspannten Dingen, wie Quidditch und Apparierunterricht, und dem Hauptplot, der in diesem Fall stark mit dem Gesamtplot korreliert, schwierig. Der Plot ist das Wichtige, das andere das „Spaßige“. Ersteres ist schwach in diesem Band, zweiteres dagegen wieder erstarkt. Dabei müsste der Fokus jetzt immer stärker auf dem Kampf gegen Voldemort liegen. Die Situation ist drängend und bedrückend, es muss doch etwas passieren, auch vom Spannungsbogen her.
Mein Fazit zum Fazit ist: Ich habe das Buch in wenigen Tagen durchgelesen. Ich mochte es und finde es ehrlich gut. Aber ich habe die „aber“s satt. Bis jetzt habe ich in dieser Rezension dieses kleine Wörtchen 20mal benutzt, weil es viel verschwendetes Potenzial, gute Ansätze und Dinge, bei denen ich gespalten bin, gibt. Der Band hat mich nicht so verzweifelt gemacht, die Rezension online zu stellen, damit ich den nächsten Band lesen kann, wie die zwei Bücher davor. Er reicht nicht an seine Vorgänger heran und das macht es schwer, es zu lieben.

 

 

Kleine Anmerkungen zum Schluss:

Ich weiß, ich habe den Halbblutprinzen aus dem Titel nicht einmal erwähnt. Im Buch ist das anders, der Prinz ist nämlich der frühere Besitzer von Harrys Zaubertrankbuch und Autor von zahlreichen hilfreichen Bemerkungen. Es soll wohl ein Mysterium sein, wer das wohl ist, aber mich persönlich fesselt es nicht. Eine große Rolle nimmt das Buch und damit der Prinz zwar in Harrys Leben, jedoch nicht in der Geschichte ein. Außerdem ist es ein wenig nahe zu „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“. Nicht zu nahe allerdings und ich kann sehr gut verstehen, warum beide Bücher es in die Bücher geschafft haben. Die Auflösung ist schön, aber nicht brillant.

Der Nur-Harry-Trend wird fortgeführt. Waren es einst Harry, Ron und Hermine, die gemeinsam das Leben im Schloss meistern mussten, ist es nicht nur so, dass sich Ron und Hermine annähern, Harry entfernt sich auch. Ich frage mich, ob das eine bewusste Entscheidung war. Jetzt ist es wahrlich „Harry Potter und …“ statt „Harry Potter und seine treuen und engen Freunde und …“. Es reflektiert zu einem gewissen Grad das Erwachsenwerden, dennoch habe ich nicht das Gefühl, dass die drei faktisch weniger Zeit gemeinsam verbringen, sondern die Zeit wird weniger genutzt.

Der Übergang zum Kapitel „Die Höhle“ (bei mir Seite 559) beweist wieder einmal, wie viel Wirkung ein Kapitelübergang haben kann. Eindrucksvoll genug, dass ich ihm hier extra Platz einräume.

Und wir lernen nach über hundert Seiten dieses Buches und wer weiß wie vielen des letzten endlich Fred und Georges Laden kennen! Darauf hatte ich so gewartet, ich liebe die beiden einfach.

 

Ich habe die deutsche (Erst-)Ausgabe vom Carlsen-Verlag aus dem Jahr 2005 gelesen.

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