Shi Yu -Die Unbezwingbare
Shi Yu -Die Unbezwingbare
06. April 2023
von Clara
5 Sterne
hat 5 Sterne vergeben

 

Mit neun Jahren wird das Waisenmädchen Yu von Piraten aus ihrer Heimatstadt Kanton, einem wichtigen Handelsstandort im China des beginnenden 19. Jahrhunderts, entführt. Doch anstatt in ihrer Entführung einen Nachteil zu sehen, betrachtet Yu sie Beinahe als Glücksfall. Schlimmer als ihr bisheriges Leben als ausgebeutete Arbeitskraft eines missbräuchlichen Gastwirts kann es sowieso nicht mehr werden. Und tatsächlich: Yus Geschicklichkeit und ihr scharfer Verstand lassen sie schon bald in den Rängen der Piraten aufsteigen und bereits mit 14 Jahren hat sie ihre eigene Dschunke samt Mannschaft. Jetzt kann ihr eigentlicher Plan erst richtig beginnen: Die Rache am Mörder ihres Meisters Peng, der sie vor ihrer Entführung in einer alten Piratenkampfkunst unterwies, dem „Wushu der Luft und des Wassers“.

Innerhalb weniger Jahre gelingt Shi Yu der Aufbau einer Piratenflotte, die ihresgleichen sucht und beinahe das komplette südchinesische Meer kontrolliert. Angeführt von ihr selbst, Fliegende Klinge, der Kriegerin, die über Wellen laufen und in der Luft schweben kann, lehnen sich die Piraten gegen den Kaiser, den Sohn des Himmels höchstpersönlich auf. Der setzt ihnen seinen gefürchtetsten Kommandanten entgegen, den Mann, der Yus Leben seit Jahren aus dem Schatten beeinflusst hat, und dem sie Schlimmeres wünscht als den Tod.

Ich habe alle 500 Seiten dieses Romans über zwei Tage verteilt in jeder freien Minute nur so verschlungen. Was mich vor allem davon abhielt, das Buch aus der Hand zu legen, war nicht nur die unglaublich packende Story an sich, sondern vor allem die Erzählweise des Autors. Morosinottos Art und Weise, eine Geschichte mit Ortsbeschreibungen einzufärben, mit Charaktereigenschaften und Gefühlen zu tränken und schließlich trotzdem mit einer so eleganten Schlichtheit zu überziehen, dass man die Welt und ihre Gerüche, Farben, Geräusche und Figuren förmlich einatmen kann, macht diese Geschichte so unglaublich genussvoll zu lesen. Obwohl es sich um einen Martial-Arts-Roman handelt, hat man an keiner Stelle das Gefühl, von extrem detaillierten und überladenen Kampfszenen überwältigt oder gar gelangweilt zu werden. Anstatt ganz genau auf Bewegungsabläufe einzugehen, beschreibt der Autor anhand von speziellen Bezeichnungen wie „Flamme, die den Wald verbrennt“ oder „Hagel, der die Ernte zerstört“, die wohl nur jemand verstehen kann, der die alte Piratenkampfkunst beherrscht, aber das ist alles andere als unangenehm – Ganz im Gegenteil kann man sich selbst ausmalen, wie eine solche Bewegung vielleicht aussehen könnte und man muss sich nicht damit abmühen, über fünf Seiten hinweg verzweifelt zu versuchen, im Kopf die Schritt- und Schlagfolgen der Figuren zu dechiffrieren.

Die Geschichte selbst und ihr Plot hatten außerdem eine Anziehungskraft, aus dessen Griff ich mich nur schwer befreien konnte. Es ist die Lebensgeschichte eines armen kleinen Waisenmädchens, dass sich unter Piraten ein Leben in Achtung, Respekt, aber auch Furcht aufbaut (Tatsächlich ist das Buch angelehnt an die Lebensgeschichte der Piratin Ching Shih). Yu ist eine unglaublich starke Hauptfigur, die weder davor zurückschreckt, sich die Hände schmutzig zu machen, noch lässt sie sich im Wettstreit um politische Macht, Verbündete oder Beute von irgendjemandem ausbooten. Sie ist schlau, willensstark, durchsetzungsfähig und eine ausgezeichnete Strategin und Anführerin. Meiner Meinung nach ist dieser Roman einer von wenigen, die den Kern von Emanzipation und Female Empowerment so ausgezeichnet treffen, obwohl das nicht einmal meine Motivation war, das Buch eigentlich zu lesen.

Was ich an dem Buch noch so faszinierend fand, war einerseits die Gestaltung in Altersabschnitte, die den Leser immer wieder ein paar Jahre nach vorn katapultiert, dabei jedoch keineswegs gehetzt oder lückenhaft erscheint, und andererseits die damit verbundene scheinbare Festigkeit der Charaktere. Trotz ihrer fantastischen und magischen Akzente sowie der einzigartigen Geschichte eines Niemands zur Piratenfürstin scheint kein einziges Wort unlogisch, unglaublich oder zu weit gegriffen. Jede Figur und ihr Hintergrund, jede Entscheidung, jede Handlung, jede Entwicklung haben den Anschein, sie müssen so und nicht anders sein und passieren. An wirklich keiner Stelle habe ich mir selbst gedacht, etwas wäre unpassend oder unglaubwürdig, denn der Roman liest sich so angenehm, dass man nirgendwo das Bedürfnis hat, etwas zu verändern.

Das Buch ist ein absolutes Must-Read und von der ersten bis zur allerletzten Seite durch und durch mitreißend – eines von diesen Büchern, bei denen man vor Trauer und Glück abwechselnd weinen kann. Ich bereue es aufrichtig, dass es bei mir so lange einfach nur im Bücherregal stand, bevor ich endlich die Zeit fand, es zu lesen und nicht mehr loszulassen.

 

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