Tage des Verlassenwerdens
Tage des Verlassenwerdens
15. März 2020
von Kathrin
3 Sterne
Kathrin Jahrgang 2002 Redaktion Lübeck
hat 3 Sterne vergeben

„Tage des Verlassenwerdens“ ist ein Roman von Elena Ferrante. Sie schreibt darin über die 38- jährige Olga, deren Mann sie von einem Tag auf den anderen verlässt und mit ihren Gefühlen und den beiden gemeinsamen Kindern in der kleinen Wohnung zurücklässt. Ja, er hat eine andere - das hatte Olga bereits vermutet, er bestätigt es allerdings erst einige Wochen später. Zu Anfang macht sie sich wenig Sorgen – in ihren 15 Ehejahren kam es bereits vor, dass die „innere Leere“, wie er es im Nachhinein stets nannte, ihn überfiel und ihn Abstand vom gemeinsamen Eheleben nehmen ließ. Doch als ihr langsam klar wird, dass es diesmal anders ist, dass er diesmal nicht zurückkommen wird, stürzt sie in eine tiefe Krise, die von Paranoia und Depressionen gekennzeichnet ist. Später kommen auch erste Anzeichen einer Schizophrenie dazu und langsam rutscht Olga immer näher an den Rand des Wahnsinns...


Man könnte sagen, man müsste als Leser schon einmal eine solche Situation erlebt haben, um das volle Ausmaß verstehen zu können. Das ist wahrscheinlich richtig, allerdings schafft es Elena Ferrante die Gefühle dieser Frau – noch dazu in ich-Perspektive – so intensiv darzustellen, dass man sich während des Lesens schließlich selbst am Rand des Wahnsinns wähnt. Sicher bleibt einem immer der rettende Blick über den Buchdeckel hinaus auf den vertrauten, unordentlichen Schreibtisch und die Zeitungen daneben, dennoch wecken ihre Bücher immer Gefühle, die sich nicht so einfach wegblinzeln lassen.

Ich fand dieses Buch unfassbar interessant, da es indirekt zu einer Analyse der gesellschaftlichen Situation anregt. Man stellt sich unwillkürlich die Frage, weshalb Olga auf diese Art und Weise und - vor allem - so drastisch reagiert. Man stellt fest, es handelt sich bei ihr um eine Frau, die ihren Mann und ihre Kinder zum Gravitationszentrum sämtlicher Aufmerksamkeit und Grund aller Tätigkeiten gemacht hat. Und man kann nicht anders als sich zu freuen, als man erste Ansätze einer Emanzipation erkennt. Mir hat sich oft die Frage gestellt, ob sich eine solche Abhängigkeit von einem anderen Menschen nach 15 Jahren Ehe unweigerlich ergibt, oder ob Olga in diese Rolle gedrängt wurde – ob es ihre fehlende Individualität war, die sie in die Verzweiflung trieb.

Ich finde, das Buch ist spannend aufgebaut und nimmt einen schnell mit. Es ist durchaus eine leichte Lektüre, auch wenn es emotional sehr aufreibend sein kann. Die Sprache war zeitweise ziemlich direkt und unangenehm, sehr vulgär, wodurch einem schnell unwohl wurde, allerdings handelte es sich dabei meist um Situationen großer Wut. Mit dem Thema an sich konnte ich zwar wenig anfangen, allerdings fand ich es spannend, mich mit den Ursachen ihres Unglücks auseinanderzusetzen. Gleichzeitig war es wie eine Art Warnung, niemals den eigenen Weg wegen eines anderen Menschen aufzugeben.

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