Wild wüst weitergezaubert
Wild wüst weitergezaubert
03. März 2021
von Rina
3 Sterne
Rina Jahrgang 2003 Redaktion Lübeck
hat 3 Sterne vergeben

Alles beginnt, als Familie Strega-Borgia das Dach nahezu wortwörtlich über dem Kopf zusammenbricht. Titus, Pandora und die kleine Damp müssen mit ihren Eltern, dem Butler, der Nanny sowie den vier Tieren über Weihnachten ins Hotel ziehen, während Schloss Strega umfassend (und teuer) repariert wird. Diese Tragödie verblasst jedoch im Vergleich zu den folgenden Ereignissen, nämlich die versehentliche Schaffung von 500 Mini-Klonen. In der Farbe Pink.
Und natürlich gehen heimlich düstere Dinge vor sich.


„Wild wüst weitergezaubert“ ist die Fortsetzung von „Voll fies verzaubert“ und der zweite Teil der ersten Trilogie um die Familie Strega-Borgia.

Ich möchte damit anfangen, dass ich (wie bereits beim ersten Teil) weder Titel noch Cover mag. Keines fängt die Stimmung vom Buch ein oder passt sonderlich gut zum Inhalt.

Auch deshalb, weil das Zaubern hier keine Rolle spielt. Das nächste an Magie sind die Klontechnik und Existenz von Drache, Greif und Yeti. Das bedaure ich sehr, denn im Vorgängerband war gerade die Balance von Magie und Technik wunderbar gelungen, was ich hier nicht mehr erkennen kann.


Ich mag immer noch den Ton und Schreibstil sehr, sehr gerne. Ich vermisse allerdings den einzigartigen Ton für jede Figur wie im letzten Teil. Zwar gibt es auch hier Passagen aus der Sichtweise von diversen Figuren, aber die Auflockerung durch hervorstechende Perspektiven wie die von Baby Damp oder Tarantella der Spinne fehlen mir. Diese Perspektiven gibt es zwar, sie sind aber nicht so spaßig, sondern streckenweise anstrengend. 


Das ist etwas, das ich über das ganze Buch sagen kann: Vieles, was vorher Spaß gemacht hat, wurde jetzt zu etwas, das eher anstrengt. 

Die Tiere, meine Lieblingscharaktere, werden zu einer Gruppe, die gemeinsam handelt. Dadurch geht einiges vom Charme der einzelnen Kreaturen verloren ebenso wie die Freude an ihnen, da sie anstatt kleinerer Passagen zum Witz und zur Abwechslung nun eine Hauptrolle einnehmen.

Das ist ein Teil davon, dass sich der Fokus zwischen den Charakteren in diesem Buch deutlich verschoben hat: Von Damp, der Nanny und den Eltern zu den Tieren und Nicht-Strega-Borgia-Menschen hin. Das empfinde ich nicht als eine positive Entwicklung, zumal ich mich weniger mit diesen Figuren verbunden fühle. Mir fehlten in allen Figuren, auch den beiden Kindern, sowohl Tiefe in den Persönlichkeiten als auch persönliche Entwicklung und ich habe sie oft als langweilig oder nicht nachvollziehbar gesehen. Es fehlt übrigens auch Marie Bain, die Köchin. Sie ist im Urlaub, was sie effektiv aus der Geschichte entfernt. Kein großer Verlust, sie kam schon im ersten Teil kaum vor.


Der Roman wird oft als Schwarzer Humor beschrieben. Ich muss sagen, dass es definitiv mehr Schwarzer als Humor ist. Die Nonchalance, die hier dem Tod entgegengebracht wird, hat die Figuren moralisch mehr als nur fragwürdig gemacht, mich erschreckt und teilweise richtig angewidert. Den Umgang mit der Vergänglichkeit von menschlichen Leben finde ich für ein Kinderbuch vollkommen unangemessen und hat mir jegliche Sympathie zu den beiden Protagonisten im Alter von zehn und zwölf Jahren verdorben. Der größte Punkt dabei sind die Klone.


Spoiler-Warnung für die nächsten Absätze!

Die Klone sind das Problem, das ich mit diesem Buch habe. Es fängt mit 500 Klonen an, von denen einige Selbstmord begehen, andere von der Babyschwester versehentlich umgebracht werden; einige sterben an Elektroschocks und diverse an altersbedingten gesundheitlichen Problemen. Titus tritt sogar auf einen drauf. Und während die beiden Kinder den Klonen Kleidung improvisieren und sie wenigstens am ersten Abend zudecken und ins Bett bringen, lässt sie ihr Tod fast unberührt. Das finde ich nicht komisch und hat eine, sagen wir mal, schwierige Botschaft für Leser, die im Alter von Titus und Pandora oder sogar jünger sind. Ich hatte wirklich keine Freude daran.
Dazu kommt, dass die Klone zwar als quasi-menschliche Wesen, allerdings mit einer unsympathischen und nicht schlüssigen Persönlichkeit dargestellt werden. Zum Beispiel jagen sie für lange Zeit eine Katze, um aus ihrem orangen Fell schöne Kleidung für sich zu machen, weil sie ihre derzeitige so unmodisch finden. Dieser Mangel an Empathie und sonstigem menschlichen Gebaren ist nur bedingt nachvollziehbar.

Weiterhin werden zu ihnen sehr spezifische Zahlen gegeben, die ich sehr irritierend finde. Zum einen passen die Nummern von denen, die sterben, nicht. Es sterben ungefähr ein Dutzend von 500 und schon sind nur noch 404 da. Doch das größte und nervigste logische Problem mit den Klonen ist, dass ihre Lebensspanne mehrfach mit exakten Nummern benannt und betont wird – und dann dagegen verstoßen wird. Sie werden am 25./26. Dezember erschaffen und altern zwei Jahre am Tag mit einer daraus folgenden Lebensspanne von etwa einem Monat. Irgendwann vor dem 31. Dezember (den genauen Tag weiß ich nicht) sind sie so altersschwach, dass große Teile von ihnen daran versterben. Im Alter von maximal sechs Tagen, also zwölf Jahren. Das ergibt überhaupt keinen Sinn! Ich bin so verwirrt… Und es macht ihr Verhalten noch weniger nachvollziehbar, da man ihr Alter nicht zuverlässig einschätzen kann.

Spoiler-Warnung Ende


Im Übrigen sind die Klone nicht die einzigen Mini-Menschen, die in diesen Buch vorkommen, es gibt noch absolut unnötige Mini-Soldaten. Das ist zweimal dieselbe Idee und ich frage mich, wie es das ins Buch geschafft hat, um ehrlich zu sein.

Dem Buch fehlt außerdem der rote Faden, es gibt keine wirklich durchgehende Geschichte, um die es sich dreht. Der Plot der Kinder besteht aus den Klonen; die Nanny, der Butler und das Baby existieren vor sich hin; die Eltern erleben zwar das Leben im Hotel, aber sie sind hauptsächlich reaktiv, da sie am Dach des Schlosses nichts ändern können. Das will nicht heißen, dass es nicht unterhaltsam ist, aber da der Plot wenig vorangeht, wird es schon mal langweilig. 

„Wild wüst weitergezaubert“ ist zwar die zweite Geschichte um Familie Strega-Borgia, allerdings keine an den ersten Teil anschließende. Dabei haben die beiden sehr unterschiedliche Geschichten, das Konzept gleicht sich jedoch erstaunlich. Ein Auslöserereignis, die Geschichte der Kinder hat mit Mist zu tun, den Titus am Computer angerichtet hat, ohne dass er aktiv der Auslöser war, die Eltern haben wenig mit irgendwas zu tun, auch als aktive Eltern tauchen sie nicht viel auf und im Hintergrund läuft irgendetwas finsteres gegen die Familie. Und die Tiere haben ihre eigene Nebengeschichte. In diesem Buch hat mir der Spannungsbogen weniger gefallen, die Auflösung der bösen Pläne erfolgte in zwei Sätzen und insgesamt sind die Plotpunkte ziemlich deprimierend. Das Haus ist praktisch ruiniert. Das ist zwar nicht schlimmer als der verschwundene Vater im ersten Buch, aber es ist deprimierender, ebenso die sterbende Klone anstatt der verlorenen Schwester und die traurigen und abgeschobenen Tiere. Dazu passt auch, dass die Bösewicht statt skurril wie im ersten Teil hier sehr realistische und schlicht böse Persönlichkeiten sind und in Tarantellas Teil der Geschichte statt Humor Dinge wie Abweisung und Einsamkeit im Vordergrund stehen.


Spoiler vom Ende im nächsten Absatz!

Am Ende zieht die Familie wieder ins Schloss. Die Mini-Soldaten, die vom Dachdecken keine Ahnung haben, haben dieselben alten Dachschindeln ohne zusätzliche Materialien oder Werkzeuge auf beschädigten Dachbalken angebracht und das Schloss müsste weiterhin massive Wasserschäden haben. Mir scheint es nicht bewohnbar...

Spoiler-Warnung Ende

 

Alles in allem war das Buch im ersten Drittel ziemlich toll und ähnlich dem ersten Buch; als jedoch der Plot richtig anfängt, wird die Stimmung ungemütlich und unsympathisch. Die Tode sind brutal in der Art, Anzahl und Reaktion darauf und ich konnte mich mit keiner der Figuren identifizieren. Es fühlte sich an wie eine Version des ersten Buches mit ähnlichen Bausteinen in anderen Farben und sehr viel weniger Charme. Die zwei großen Plotpunkte sind das kaputte Dach (unbefriedigend und eher auf eine dumpfe Art deprimierend als ein lösbares Problem, worum die Personen sich kümmern könnten) und die Klone (die von der Idee her gut, von der Umsetzung für mich absolut misslungen sind).
Das Buch ist nicht schlecht; das würde ich nicht sagen. Aber ich hatte definitiv deutlich weniger Spaß daran als am ersten Teil. Die Balance, die ich da noch gelobt hatte, ist hier gestört, die Stimmung ist nicht gut getroffen und die Figuren sind flach und geben mir moralisch zu denken. Ich finde, man kann schon seinen Spaß dran haben und darüber lachen. Da endet es allerdings auch. Man kann nicht mitfiebern und über das Klonen oder die Behandlung der Tiere im Buch nachzudenken wird einen höchstens frustrieren. Ich denke über jedes Buch, das ich lese, viel nach und rege mich auch über Kleinigkeiten, die ich nicht gut fand, gerne mal auf. Aber das hier ist ein Buch, bei dem ein oberflächlicher, vielleicht auch kindlicher, Blick auf die Witze und das Geschehen eher angebracht wäre. Als Zeitvertreib ist „Wild wüst weitergezaubert“ schon geeignet, aber ich habe kein Bedürfnis, es noch einmal zu lesen. Vielen Jugendlichen und Erwachsenen wird es vermutlich an guten Charakteren, Witz, Stimmung und Stringenz fehlen. Als Kind hätte ich an diesem Buch definitiv meinen Spaß gehabt, viel mehr als jetzt. Jedoch hätte ich mich auch da schon an den Todeszahlen und moralischen Implikationen gestört.

 

Ich habe die deutsche Erstausgabe gelesen, erschienen 2003 im Cecilie Dressler-Verlag.

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