Eselsohren
Eingerissene Buchrücken, befleckte Seiten und natürlich das Böse in seiner reinsten Form (Eselsohren) sind so ziemlich der schlimmste Albtraum eines jeden Bibliophilen. Und trotzdem sind sie gerade bei solchen Menschen nicht vermeidbar, die ihre Bücher so sehr lieben, dass sie diese nicht anständig im Regal lagern, sondern unter ihre Kopfkissen stecken, in sowieso schon volle Taschen stopfen und an Menschen verleihen, die noch viel weniger umsichtig damit sind als sie selbst
Und ohnehin ist es mit solchen Dingen eine verflixte Sache: Zum Beispiel sind ja gerade die Bücher, die einem so gut gefallen, dass man sie im Regal präsentieren möchte, auch diejenigen, die man besonders gerne an andere verleiht, also ein richtiger Teufelskreis..
Auch hat man manchmal das Gefühl, dass solche Probleme schon bei der Herstellung von Büchern verursacht werden. Der Reclam-Verlag in etwa produziert so kleine Exemplare, dass diese sogar in Hosentaschen passen. Bloß leider stecken sich vor allem solche Leute Bücher in die Hosentaschen, die sich ohnehin so wenig ums Lesen scheren, dass man glaubt, ein A3-Wimmelbuch aus Pappe wäre für sie eine viel passendere Lektüre als der schwer verdauliche Stoff aus den gelben Heftchen. Umgekehrt wäre dieser genau das richtige für Leute vom Schlag „verrückter Professor“, die ihre frisch gekauften Reclams in den Untiefen ihrer Taschen zwischen der Dickens-Gesamtausgabe und dem Fluxkompensator hervorkramen und schon vier Eselsohren und eine angerissene Seite beweinen müssen.
Und dann gibt es ja auch noch die ganzen Verrückten, die sogenannte „Taschenbücher“ herstellen. Denn diese „Taschenbücher“ sind natürlich keinesfalls Bücher, die sich dafür eignen, sie in die Tasche zu stecken und damit herumzureisen, denn das wäre ja zu einfach. Vielmehr sind es Bücher, die man sich zwar in die Tasche stecken kann, wenn man denn muss und sie unbedingt töten will, die sich aber noch viel besser ins Regal stellen lassen, wo sie zwar hässlich aussehen, aber immerhin nicht nass oder gar gelesen werden.
Bei Arztromanen, die man sowieso nur besonders langsam sterben sehen will, mag sowas ja noch in Ordnung sein. Aber diejenigen, die im Urlaub gerne lesen, müssen entweder gebundene Bücher mitschleppen (was quasi Wackersteinen gleichkommt), oder aber ihr potentielles neues Lieblingsbuch schon beim ersten Lesen vollkommen zerstören. Eine Alternative gibt es nicht.
Ja, was war das gerade für ein Zwischenruf aus der letzten Reihe? Bitte was?! Ein E-book-reader?!?!
Also wirklich, wenn ich einen E-book-reader mit in den Urlaub nähme, wo wäre denn dann das Gewicht der Tasche, an dem ich merke, dass ich eine ganze Welt mitschleppe, hm? Was ist mit Sachen wie dem Espressofleck auf Seite 41 in meinem Lieblingsbuch, durch den ich mich immer an unseren Urlaub in Italien erinnern werde? Wird so ein Ding jemals so zerfleddert sein, dass man ihm seine Lebenserfahrung ansieht? Natürlich nicht! Und sein wir ehrlich, eigentlich sind es doch gerade diese kleinen Unperfektheiten, die mein Lieblingsbuch zu etwas wirklich besonderem machen.
Clara Schütze