Interview mit Adriana Popescu
Im Rahmen der Leipziger Buchmesse hatte die Blaue Seite- Redakteurin Anna die Möglichkeit, Adriana Popescu zu interviewen.
Blaue Seite: In einem Interview erwähnten Sie, dass Sie ohne „Star Wars“ nicht das tun würden, was Sie heute tun. Was meinten Sie damit?
Adriana Popescu: Ich bin ja in einer Kleinstadt aufgewachsen und wollte immer etwas Besonderes machen. Ich habe mit vier Jahren – und das sollte man vielleicht nicht nachmachen – angefangen, „Star Wars“ zu schauen und hatte den Eindruck, dass mein Kopf explodiert. Es war alles bunt und hell und ich habe mir damals gesagt: „Ich will auch so was machen.“ Ich wusste nicht genau, was „sowas“ war. Aber dieser Wunsch ist mit den Jahren immer stärker geworden. Ich habe später Drehbücher für das Fernsehen geschrieben und immer, wenn mich Leute gefragt haben: „Was willst du denn mal machen?“, habe ich gesagt: „Ich würde so gerne Bücher schreiben.“. Dann haben die Eltern von meinen Schulkameraden immer gelacht und gefragt: „Und was willst du wirklich machen?“
Aber auch George Lucas hat „Star Wars“ vielen Studios angeboten und wurde abgelehnt. Also hat meine Mutter gesagt: „Wenn einer nein sagt, dann denkst du an George Lucas, der hat alles selber gemacht.“ Mein allererstes Buch ist dann auch im „Self-publishing“ erschienen. Ich habe mir gesagt: „Wenn es keiner haben will, mache ich es eben selber.“ Im Hinterkopf hatte ich immer: Wenn es bei „Star Wars“ funktioniert hat, kann mir keiner erzählen, dass es unmöglich ist. Es gab genug Zweifler, die meinten: „Vom Schreiben wirst du nicht leben können. Es werden so viele Bücher im Jahr veröffentlicht, warum ausgerechnet deins?“ Dann habe ich immer gedacht: „George Lucas hat aber gesagt ...“ Deshalb hat „Star Wars“ für mich, wie auch in vielen meiner Bücher, immer einen besonderen Platz, weil es meine Ur-Inspiration ist.
Blaue Seite: Ich habe gelesen, dass Ihr Lieblingsreiseziel die italienische Region Largo di Garda ist. Warum gerade diese Region? Was ist das Besondere an ihr?
Adriana Popescu: Alles! Wir sind immer mit der Familie nach Italien ans Meer gefahren. Und dann kam irgendwann die Phase, in der meine Eltern gesagt haben: „Wir fahren an den Gardasee.“ Ich dachte, das klingt so gar nicht nach Pizza und Spagetti. Ich habe sogar gefragt, ob es da auch Pizza gibt und die da Italienisch sprechen. Weil Gardasee für mich wie Bodensee und Baggersee klang. Dann fuhren wir die Serpentinen hinunter und meine Eltern weckten mich und sagten: „Da! Der Gardasee.“ Verschlafen von der Reise, schaute ich hinunter und sah kein Ende. Seitdem ist es das Zuhause meines Herzens. Ich war damals elf und hatte eine stressige Zeit in der Schule und privat. Wir haben dort eine Woche Urlaub gemacht – ich hatte den Eindruck, es wären 15 Tage gewesen. Jedes Mal, wenn ich dorthin fahre, ist es, als würde ich nach Hause kommen. Am Gardasee werde ich hoffentlich irgendwann einmal ein Haus oder eine Wohnung haben, schreiben, bis ich alt bin und dann irgendwann dort einschlafen.
Blaue Seite: Ihr neues Buch spielt auf Rügen in einer Einrichtung der Jugendpsychatrie. Woher kam die Inspiration für dieses Thema?
Adriana Popescu: Es gab eine Zeit lang die Serie mit dem Namen „Club der roten Bänder“. In den Filmen oder Büchern geht es immer um todkranke Menschen, deren Krankheit man aber immer auf einem Röntgenbild oder im Ultraschall sieht. Ich habe das Gefühl, wenn sich jemand den Arm gebrochen hat, sagen alle: „Mach langsam und geh in Reha, damit du den Arm wieder richtig benutzten kannst.“ Aber sobald jemand sagt, dass er unter Depressionen oder Angststörungen leidet oder Bipolar ist, sagen alle: „Stell dich nicht so an!“ Oder wenn jemand traurig ist – viele setzen Depressionen mit Traurigkeit gleich – sagen sie: „Dann geh doch mal raus in die Sonne.“ Es gibt so viele junge Leute, die betroffen sind, aber niemand spricht darüber. Es klingt natürlich viel tragischer, wenn man sagt, dass jemand Krebs hat und am Ende des Buches sterben wird. Aber viele psychische Krankheiten sind auch unheilbar. Und viele, die zum Beispiel an Depressionen leiden, bringen sich um. Somit kann auch diese Krankheit tödlich sein. Ich wollte diesen Teufelskreis durchbrechen: „Darüber darf man nicht sprechen und wenn man darüber spricht, wird man als Irrer abgestempelt.“ Ich dachte, es ist Zeit für ein Buch, das Mut macht. Ein Buch, das zeigt, dass es nicht unbedingt tödlich enden muss, wenn man mit solchen Krankheiten zu kämpfen hat. Und so kam die Idee, dass es im nächsten Buch um kranke Jugendliche geht, deren Krankheit man nicht auf dem Röntgengerät sehen kann.
Blaue Seite: Wie genau haben Sie dafür recherchiert?
Adriana Popescu: Sehr genau. Ich recherchiere gerne, bei allen meinen Büchern. Ich bin nach Paris gefahren und habe mir die Orte angeguckt, an denen die Geschichte spielen sollte. Ich hatte dann das Glück mit einem Jugendzentrum zusammenzuarbeiten, in das Jugendliche mit ähnlichen Problemen gehen können. Und die waren sehr ehrlich bei der Beantwortung der Fragen. Insgesamt waren es zwölf Jugendliche, acht von ihnen habe ich immer wieder getroffen. Der Jüngste von ihnen war dreizehn und in Therapie seit er acht ist. Das war für mich der endgültige Augenöffner, weil man ja oft denkt, Depressionen kommen mit dem Alter, wenn man zu viel arbeitet. Dieses Klischeedenken hatte ich am Anfang auch. Aber der Junge ist bipolar, das hängt tatsächlich damit zusammen, dass im Gehirn etwas nicht richtig reguliert wird. Und dieser Junge wird sein Leben lang krank bleiben. Er braucht Therapie und Unterstützung. Dann habe ich mich mit Pflegern aus der Psychiatrie unterhalten. Wie und was funktioniert in einer Anstalt. Ich habe dabei extra nicht das Wort „Anstalt“, sondern „Therapiezentrum“ benutzt, da das ein bisschen offener ist. In einer Anstalt gibt es natürlich viel strengere Regeln. Deswegen geht es im Buch um ein relativ offenes Therapiezentrum. So etwas gibt es auch an der Ostsee, aber das im Buch ist natürlich ein fiktives Zentrum.
Ich habe auch die Krankheitsbilder sehr genau recherchiert und mit Betroffenen und Pflegern gesprochen. Ich bin selber seit über zehn Jahren Panikpatientin. Ich war nicht in stationärer, sondern in ambulanter Therapie. Ich weiß also leider viel zu gut, wie sich das anfühlt und wie lange der Weg dauert von „Ich kann nicht mal mehr einkaufen“ bis zu „Ich sitze jetzt mit euch auf der Buchmesse und unterhalte mich“. Vor drei Jahren wäre das nicht möglich gewesen. Da hätte ich diesen Termin nicht wahrnehmen können. Und ich hoffe, dass vielleicht einige Menschen, denen es momentan ähnlich geht, am Ende des Buches sagen: „Vielleicht geht es doch weiter, vielleicht ist am Ende des Tunnels ein Licht.“
Blaue Seite: Mit welcher Figur können Sie sich am besten identifizieren?
Adriana Popescu: Natürlich mit Fritzi, weil sie viele Eigenschaften mit mir gemeinsam hat. Gar nicht so diese Panik, sondern viele Verschrobenheiten. Das habe ich erst am Ende gemerkt, also nachdem ich das Buch nochmal gelesen habe. Es steckt aber in allen Figuren etwas von mir. Am allerliebsten habe ich Tim. Ich weiß nicht warum, aber er ist für mich mein persönlicher Severus Snape.
Blaue Seite: Schreiben Sie, wenn Sie die Inspiration dazu haben, oder setzen Sie sich täglich fest an Ihren Schreibtisch zum Schreiben?
Adriana Popescu: Ich versuche das. Wenn ich mich nur an meinen Schreibtisch setzen würde, wenn die Inspiration zu Besuch kommt, dann würde ich ein halbes Buch im Jahr schreiben. Mir hilft es, wenn ich mir vornehme, 1.700 Wörter am Tag zu schreiben. Egal, ob die gut oder schlecht sind. Überarbeiten kann man immer. Aber wenn man nicht anfängt, wird das Buch niemals fertig. Das sind nicht viele Wörter, aber es stellt eine Regelmäßigkeit her. Ich habe zum Beispiel jetzt gerade ein Projekt, das hatte 140 Seiten. Und ich habe nach diesen 140 Seiten gemerkt, dass das Käse war. Inzwischen habe ich es runtergekürzt auf 20 Seiten, die ich gut finde, und fange praktisch wieder bei null an. Und dann könnte man natürlich sagen: „Jetzt hast du 120 Seiten für die Tonne geschrieben.“ Das glaube ich allerdings nicht, denn ohne diese 120 Seiten hätte ich nicht gemerkt, dass ich mit der Geschichte auf dem falschen Weg war. Ich glaube also nicht, dass es schadet, wenn man diese Regelmäßigkeit hat. Ich habe natürlich auch Tage, an denen ich mal 5.000 Wörter schreibe. Da ist dann, Gott sei Dank, die Inspiration zu Besuch, die kann auch gerne bleiben – aber sie kommt und geht, wie sie will. Und so gibt es eben auch Tage, an denen man sich ermahnen muss, zumindest diese 1.700 Wörter zu schreiben
Blaue Seite: Wo schreiben Sie am liebsten?
Adriana Popescu: Ich schreibe am liebsten bei mir zu Hause. Ich habe ein eigenes „Kreativzimmer“. Da stehen alle meine Bücher und an der Wand hängen meine Poster und Postkarten von Lesern. Ich nenne es liebevoll „The Wall of Awesomeness“, wo dann immer Fotos von beispielweise der Buchmesse hängen. Daneben stehen meine Pappaufsteller von Benedict Cumberbatch und Doctor Who. Das ist ein Ort, an dem ich die Bücher, Serien und Filme sehe, die ich liebe. Das ist ein sehr kreativer Bereich für mich. Ich habe eine Zeit lang versucht in so einer Art Kreativwerkstatt zu schreiben. Das funktioniert immer dann, wenn ich das Gefühl habe, dass ich zu Hause die Zeit vertrödele. Wenn ich denke: „YouTube, ich habe schon lange nicht mehr «Best of: Soldaten kommen nach Hause» gesehen.“ – das sind traurige Videos –, dann merke ich, dass ich raus muss. Aber am liebsten schreibe ich zu Hause im Kreativbüro.
Blaue Seite: Wie haben Sie sich gefühlt als Sie das Buch geschrieben haben?
Adriana Popescu: Das Buch hat mich schon ein bisschen durchgeschüttelt und mich an sehr unschöne Situationen in meinem Leben erinnert. Teilweise dachte ich: „Jetzt bist du aber sehr nah an der Realität.“ Gerade, was Fritzi und Basti durchmachen. Aber ich musste auch einige Male lachen und ich hoffe, dass es den Lesern ebenso geht – nicht, dass danach alle von der Brücke springen wollen. Wir haben auch im Verlag besprochen, dass wir ein hoffnungsvolles Cover wollen. Es sollte nicht zu dunkel sein und ich glaube, dieses Hoffnungsvolle, das trifft es. Am Ende dieses Schreibprozesses dachte ich mir, das lesen vielleicht 200 Millionen. Und wenn vier Leute von diesen 200 Millionen danach sagen: „Danke für dieses Buch, das hat mir geholfen!“ oder „Ich habe mich wieder erkannt“, dann reicht mir das vollkommen. Dann bin ich glücklich.
Blaue Seite: Wie sind Sie auf den Verlag gekommen?
Adriana Popescu: Der Verlag ist auf mich gekommen. Weil ich nämlich vorher Erwachsenenromane veröffentlicht habe. Bei einem anderen Verlag, den ich nicht nenne. Piper und die vom cbj Verlag haben meine Bücher gelesen und gesagt: „Du hast Drehbücher für Kinder geschrieben und auch deine Erwachsenenromane sind recht jung. Möchtest du nicht mal ein Jugendbuch schreiben?“ Und ich sagte: „Nein, keine Zeit.“ Eine Weile später haben sie nochmal gefragt, ob ich es mir wirklich nicht vorstellen könne. Eigentlich finde ich Jugendbücher schon cool. Ich selbst lese wahnsinnig gerne Jugendbücher, also habe ich gedacht: „Da mal irgendwo neben den eigenen großen Helden stehen, wäre nicht verkehrt.“ Und jetzt liegen meine Bücher neben John Green im Buchhandel und ich zwicke mich jeden Tag aufs Neue. Da bedanke ich mich auch beim cbj Verlag, dass die damals nicht lockergelassen haben.
Blaue Seite: Mögen Sie lieber E-Books oder richtige Bücher?
Adriana Popescu: Ich sehe das so: Wenn die Leute ein Buch als E-Book lesen wollen, sollen sie es als E-Book lesen. Viele sagen ja, E-Books seien keine richtigen Bücher, aber mir ist es egal. Ich bevorzuge die richtigen Bücher, es sei denn, ich fahre in den Urlaub. Ich bin jemand, der hauptsächlich im Urlaub liest. Und wenn ich dann an den Gardasee zehn Bücher mitnehmen müsste, bräuchte ich einen Extra-Koffer. Da bin ich wirklich froh über E-Books, weil man sich häufig denkt: „Von dem Buch gibt es noch einen zweiten Teil.“ Und dann muss man warten, bis man zurück in Deutschland ist. Das geht mit den E-Books einfach deutlich schneller. Man geht online, kauft es und sofort ist es da. Aber ich finde, dass nichts schöner ist, als wenn man irgendwo reinkommt und es stehen Bücher im Regal.
Blaue Seite: Sie leben ja in Stuttgart. Welchen Ort mögen Sie dort am liebsten?
Adriana Popescu: Gerade machen sie es uns sehr schwer mit diesen 37 Baustellen. Früher hätte ich gesagt: „Kommt nach Stuttgart, schaut euch Stuttgart an.“ Jetzt sage ich: „Wartet noch 15 Jahre, bis die Großbaustelle vorbei ist.“ Aber bei mir im Süden gibt es ein wunderschönes Naturschutzgebiet. Man ist von der Stadt aus in fünf Minuten dort. Es ist ruhig und man hört nichts mehr. Wenn man dort oben ist, hat man einen sehr schönen Blick auf Stuttgart. Besonders, wenn es einem mit dem Internet zu viel wird und der ganze „Internetmüll“ auf einen prasselt. Da mache ich dann häufig einen Spaziergang im Wald.
Blaue Seite: Mit welcher Art von Stift schreiben Sie am liebsten?
Adriana Popescu: Ich habe mal mit einem Kajalstift von einer Freundin eine Drehbuchidee auf einen Pizzakarton geschrieben, weil ich dachte: „Ich hab´s!“, und niemand einen Stift dabei hatte. Also das volle Klischee. Wenn man mir Stift und Papier wegnehmen würde, wüsste ich, wie sich Daniele Negroni gefühlt hat, als man ihm im Dschungelcamp die Zigaretten weggenommen hat. Ich schreibe natürlich meine Bücher am Rechner. Aber ich glaube, wenn mich jemand fragen würde, was ich eher abgeben könnte, würde ich eher auf die Tastatur verzichten als auf Stift und Papier. Ich brauche die Figurenskizzen. Ich habe für jede Geschichte ein eigenes Moleskin. Mir hat ein Freund einmal erzählt, dass Hemingway in eines geschrieben hat. Und ich dachte: Hemingway!! Und dann habe ich mir einen Lebensvorrat an Moleskin-Notizbüchern gekauft und jetzt gibt es für jede Geschichte ein eigenes Heftchen.
Blaue Seite: Haben Sie ein Lieblingszitat?
Adriana Popescu: Ja, habe ich. Aus „Doctor Who“. Dort heißt es: „We are all stories in the end, just make it a good one“. Und das finde ich wirklich stark, weil es einfach so ist. Am Ende sind wir alle eine Geschichte, und wenn wir uns nicht anstrengen, das Schönste daraus zu machen, wieso sind wir dann hier?
Blaue Seite: Was stellen Sie sich unter einer blauen Seite vor?
Adriana Popescu: Das wird gefährlich, weil ich in der Schule immer die war, die den blauen Brief bekommen hat. Versetzungsgefährdet. Deswegen befürchte ich, dass ich mit einer blauen Seite tatsächlich den blauen Brief aus der Schule assoziiere. Es könnte natürlich auch die blaue Seite der Tardis sein.