Interview mit Andreas Steinhöfel
Lone und Marie hatten im Rahmen des Bücherpiraten-Festivals im September 2014 die Gelegenheit, den Autoren Andreas Steinhöfel zu interviewen.
Blaue Seite: Was hat dich dazu inspiriert, das Buch ,,Die Mitte der Welt“ zu schreiben?
Andreas Steinhöfel: Es fing damit an, dass ich eine Kurzgeschichte zum Thema ,,Erste Liebe“ schreiben sollte. Mir fiel aber nur eine schwule Liebesgeschichte ein. Deshalb hab ich zu dem Verlag gesagt, dass ich entweder so etwas mache oder gar nichts. Sie haben sich schließlich darauf eingelassen. In der Geschichte gab es eine Szene, in der ein Junge seiner Mutter eine Frage stellt – und die zündet sich eine Zigarette an, versteckt sich praktisch hinter einem Schleier aus Rauch. Der Junge bekommt keine Antwort auf seine Frage und verzweifelt darüber. Das ist Teil dieser Kurzgeschichte, die damals entstanden ist. Aber dieses Bild, dass da ein Junge steht und etwas von seiner Mutter erfahren möchte, die die Antwort einfach verweigert, und dass der Sohn nicht weiß, warum: Das war das Bild, das mir im Kopf geblieben ist.
Deshalb kommt diese Szene in ,,Die Mitte der Welt“ vor. Um diesen Moment herum hat sich eigentlich das ganze Buch aufgebaut: nicht um eine Liebesgeschichte, sondern einfach nur um diese Szene.
Blaue Seite: Was hat dich auf die Idee gebracht, dass der Protagonist Phil schwul ist?
Andreas Steinhöfel: Das hing, wie gesagt, mit der Kurzgeschichte zusammen. Naja, es war damals vielleicht ein bisschen naiv von mir, zu denken: „Du schreibst eine schwule Liebesgeschichte, das ist das, womit du dich auskennst.“ Denn dann habe ich natürlich festgestellt, dass es total egal ist, in welcher Kombination man über Beziehungen schreibt. Das Gefühl ist ja immer dasselbe. Aber bei Phil kam noch dazu, dass die ganze Familie aus Außenseitern besteht. Da bot es sich einfach an, seinen Außenseiterstatus nochmal zu verstärken. Er selbst hat gar kein Problem damit, schwul zu sein. Das kommt alles eher von außen.
Blaue Seite: Hat die Geschichte einen realen Hintergrund?
Andreas Steinhöfel: Nein, die ist komplett ausgedacht. Warte, doch: Eine Sache gibt es da. Man glaubt es kaum, weil die Figur so witzig ist – Annie Glösser, das ist die Frau, die tänzelnderweise in einem Loch in der Straße verschwindet. Für die gab es tatsächlich ein reales Vorbild.
Das war eine Nachbarin, die leicht geistig behindert war und alleine lebte. Ich weiß gar nicht, ob es das heute in dieser Form noch gibt, aber die war ganz witzig. Die hat mich als Kind manchmal mit nach Hause genommen, hat mir eine Cola ausgegeben und dann musste ich mir irgendwelche Bildchen angucken. Meine Eltern hätten wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, aber das war eigentlich ziemlich harmlos. Die ist dann leider tatsächlich in ein Loch gefallen. Ja, und dann lacht man darüber, weil es in Wahrheit so schrecklich ist.
Blaue Seite: Wie bist du dazu gekommen, Autor zu werden?
Andreas Steinhöfel: Ich habe mich über ein Kinderbuch aufgeregt, das so schlecht war. Mein Bruder wollte Illustrator werden und der hatte einen Oberauftrag vom Carlsen-Verlag über ein Kinderbuch. Das gab er mir, weil ich ihm helfen sollte. Und das war so ein Pädagogikscheiß, ein „Mutmachbuch“ für Kinder. Ich habe solche Bücher immer gehasst, als Kind schon und als Erwachsener noch mehr.
Aus Wut auf diese völlig naive, blöde Mutmachgeschichte habe ich eine Kurzgeschichte geschrieben, die dann später auch in meinem allerersten Buch ,,Dirk und ich“ drin war. Diese Kurzgeschichte habe ich an Carlsen geschickt. Daraufhin haben sie mir einen Vertrag angeboten. Ich wollte eigentlich nie schreiben, ich habe auch vorher nie was geschrieben. Obwohl, das stimmt nicht: Ich habe vor Jahren auf dem Dachboden ein altes Schulheft gefunden. Da habe ich mal eine eineinhalbseitige ,,Lebendig begraben“-Geschichte geschrieben. An der Uni gab es eine Professorin für Essay-Writing, die mich fragte, ob ich nicht Autor werden möchte. Aber ich habe verneint, und jetzt hat sich das doch so ergeben. Das Gute bei mir ist: Da es kein Wunschtraum war, bin ich weniger erpressbar. Ich konnte immer sagen: „Ich muss das alles nicht machen! Ich hätte es gerne so, so und so, sonst mache ich es nicht! Ihr wollt doch, dass ich weiterschreibe.“ Ich habe nie den Drang, zu schreiben. Ich kann mir das gut verkneifen. Inzwischen kann ich allerdings auch nicht mehr sagen: ,,Ich kann auch Pommes verkaufen.“ Das glaubt mir keiner mehr. Ich würde es auch nicht mehr aushalten, aber früher war mir das echt egal.
Eigentlich wollte ich was mit Film machen und keine Bücher schreiben. Inzwischen schreibe ich Drehbücher, aber ich wollte Regisseur werden. Nun hat sich das alles etwas anders gefügt, und Bücher schreiben war dann doch eine ganz gute Lösung.
Blaue Seite: Woher bekommst du die Ideen für deine Bücher?
Andreas Steinhöfel: Donnerstags bei Aldi!
Nein, im Ernst: Die Idee als solche macht „plopp“, so doof das auch klingt. Aber die Ideen sind da. Es sind die Sachen, die hängenbleiben, aus denen sich dann Ideen entwickeln.
Blaue Seite: Wie findest du den neuen Film zu deinem Buch ,,Rico, Oscar und die Tieferschatten“?
Andreas Steinhöfel: Sehr schön. Ich war überrascht, wie gut der Film geworden ist.
Ich habe mich aber auch komplett herausgehalten. Ich hätte mich einmischen können, sogar stark. Aber es ist eben so, dass sehr, sehr viele Leute an so einem Film beteiligt sind und planen. Das sind alles kreative Menschen. Die zahlen dafür, dass sie die Rechte bekommen und diesen Film machen dürfen. Dann will ich mich als Autor nicht daneben stellen und sagen: ,,Ach nee, ich hätte ja gerne, dass er ein gelbes Hemd anhat, im Buch ist das Hemd ja gelb.“ So was wollte ich nicht machen.
Deshalb habe ich beschlossen, mich da einfach ganz rauszuhalten und mich überraschen zu lassen. Ich gebe aber zu, ich hatte echt Schiss. Ich dachte, die überraschen mich wirklich negativ, weil sie sich komplett auf das Geschriebene konzentrieren. Ich hatte Angst, dass das Emotionale – sprich: die Freundschaft und das Denken als Kind – einfach zu kurz kommt. Das ist aber nicht so. Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden. Das Einzige was mich stört, ist, dass der Kiesling keinen Porsche, sondern einen Mercedes fährt. Weil später der Hund nach dem Auto Porsche genannt wird.
Blaue Seite: Durftest du bei den Dreharbeiten dabei sein?
Andreas Steinhöfel: Wenn ich gewollt hätte, hätte ich dabei sein können. Aber bis ich mich mal berappelt oder meinen Zeitplan richtig organisiert hatte, waren die Dreharbeiten vorbei. Außerdem sind Dreharbeiten total langweilig. Ich habe echt Respekt vor den Schauspielern, weil die trotz der Langeweile am Set immer präsent sind.
Blaue Seite: Wie fühlt es sich an, Preise zu gewinnen?
Andreas Steinhöfel: Gut. Ich finde, man muss Preise früh bekommen, weil sie das Selbstbewusstsein stärken. Inzwischen sind die Preise zwar toll, aber nicht mehr so wichtig. Es ist ein sehr tolles Gefühl, und die Preise motivieren mich, weiter gute Sachen zu schreiben.
Blaue Seite: Was ist dein Lieblingsbuch?
Andreas Steinhöfel: Von einem meiner absoluten Lieblingsautoren Charles Dickens gibt es das Buch ,,David Copperfield“. Das ist für mich ein perfekt erzähltes Buch. Da trifft sich der Inhalt total mit der absoluten, perfekten Erzählung. Das ist so gut aufgebaut und es gibt immer so abgedrehte Figuren. Ich liebe das, wenn man in den Händen sicherer Erzähler ist.
Blaue Seite: Was ist dein Lieblingsfilm?
Andreas Steinhöfel: „Der unsichtbare Dritte“ von Alfred Hitchcock aus dem Jahr 1958. Der hat auch ein absolut perfektes Drehbuch, und es ist als Film perfekt umgesetzt.
Blaue Seite: Was isst du am liebsten, wenn du Bücher schreibst?
Andreas Steinhöfel: Schokolade, am liebsten Nougatschokolade. Und Junkfood, weil ich nie für mich alleine koche, das finde ich total deprimierend. Für mehrere Leute koche ich dann auch ordentlich, aber für mich alleine nicht.
Blaue Seite: Hast du ein Lieblingswort?
Andreas Steinhöfel: Nee. Ich habe aber ein Lieblingshasswort und zwar ,,irgendwie“. So viele Menschen benutzen das unüberlegt. Unsauberes Deutsch macht mich wahnsinnig, und das ist mein Lieblingshasswort, dicht gefolgt von ,,oder so“.
Blaue Seite: Gibt es einen Spruch oder ein Zitat, das du für total wahr hältst und das auf dich zutrifft?
Andreas Steinhöfel: Ja, da gibt es ein Zitat, das ist auch in ,,Die Mitte der Welt“ drin, das stammt von Friedrich Nietzsche. Es lautet: ,,Der denkende Mensch ändert seine Meinung.“ Wenn das alle Menschen täten, wäre es auf der Welt viel schöner.
Blaue Seite: Wie bist du auf die Titel deiner Bücher gekommen? Und war das eher am Ende, in der Mitte oder am Anfang des Buches?
Andreas Steinhöfel: Das ist unterschiedlich. Es gibt Titel, die ich selbst bestimmen durfte – beispielsweise ,,Die Mitte der Welt“. Dann gibt es andere, bei denen ich den Titel nicht aussuchen durfte. Bei »Rico, Oscar und die Tieferschatten« kam dazu, dass es das erste Buch einer Trilogie war. Die anderen beiden gab es noch nicht. Da meinten die vom Verlag: »Tieferschatten, was ist das denn für ein beklopptes Wort? Niemand weiß, was das bedeuten soll.« Aber dann habe ich gesagt: »Ja, aber es wird zwei weitere Bücher geben – die heißen genau so bekloppt und dann kann jeder sagen: »Na, du weißt schon, die drei bekloppten Bücher.« Darauf haben sie sich Gott sei Dank eingelassen und das hat funktioniert. Wenn ich keine tollen Einfälle hatte, hat der Vertrieb das umbenannt. Zum Beispiel bei ,,Es ist ein Elch entsprungen“. Das war ein Weihnachtsbuch. Ich bin mir nicht mehr sicher, aber das hieß bei mir wahrscheinlich nur ,,Mr. Moose und der kleine dumme Junge“ oder so. Aber der Titel, den der Vertrieb ausgesucht hat, hat mir echt gefallen. Es gibt auch welche, die ich nicht so gut fand, zum Beispiel bei meinem zweiten Buch. Das hatte ich erst »Paul Vier« genannt, so stand das auch im Vertrag. Plötzlich hieß es dann »Paul Vier und die Schröders«. Und ich dachte mir: „Wenn es ein zweites Buch gäbe, würde das dann »Paul Vier und das goldene Kamel« heißen oder was?“ Das hat mich sehr aufgeregt.
Blaue Seite: Gibt es eine Person aus einem deiner Bücher, der du gerne mal in der Realität begegnen würdest?
Andreas Steinhöfel: Im neuen Buch ist einer drin, aber der ist eh so wie ich – und sich selber zu treffen ist schon gruselig. Also nein.
Blaue Seite: Wo schreibst du am liebsten deine Bücher?
Andreas Steinhöfel: Am Schreibtisch. Ganz klassisch. Naja, es gibt ja Leute, die sitzen dabei am Strand. Aber ich habe bemerkt, dass jeder Versuch, irgendwo anders als an meinem Schreibtisch zu arbeiten, einfach nicht funktioniert. Ich habe sogar die Fensterläden geschlossen.
Blaue Seite: An welchem Ort aus einem deiner Bücher wärst du gerne mal?
Andreas Steinhöfel: An dem Teich von ,,Die Mitte der Welt“. In der Hoffnung, am Grund anzukommen, wenn ich tauche.
Blaue Seite: Hörst du Musik, wenn du deine Bücher schreibst?
Andreas Steinhöfel: Nein. Beim Entwerfen der Story und dem Vorabschreiben kleiner Dialoge allerdings schon. Filmmusik und klassische Musik, aber nur instrumentale. Wenn ich dann schreibe, muss aber Ruhe sein. Da bin ich auch ein bisschen empfindlich.
Blaue Seite: Hast du einen Traum?
Andreas Steinhöfel: Eher einen Wunsch. Ich habe ja meinen Freund verloren. Der ist gestorben und danach wurde einer meiner Brüder sehr krank. Es sah so aus, als würde er auch sterben. Das hat sich zum Glück erledigt, aber das war echt die schlimmste Zeit meines Lebens. Mein Wunsch wäre, dass die Menschen, die ich liebe, von mir aus auch die ganze Welt, aber vor allem die, die mir nahestehen, alle gesund alt werden und irgendwann als alte Menschen sterben, aber nicht zu früh oder durch irgendwelche Krankheiten.
Blaue Seite: Welche drei Dinge würdest du mit auf eine einsame Insel nehmen?
Andreas Steinhöfel: Diese Frage wollte ich immer mal gestellt bekommen, aber nie hat sie mir einer gestellt. Jetzt wird sie gestellt und ich kann mich nicht mehr an die Antwort erinnern!
Also passt auf: Ich würde ,,David Copperfield“, ach nee, lieber ,,Bleak House“ mitnehmen – das ist schwieriger und ich mag es nicht ganz so sehr, aber deshalb würde ich es mitnehmen. Ich würde auf jeden Fall einen Werkzeugkasten mitnehmen, und ein gutes Kopfkissen. Das ist es immer, was ich in Hotels so vermisse: wenn da diese komischen Kissen mit Plastikfüllungen sind. Inzwischen nehme ich immer mein eigenes Kissen mit.
Blaue Seite: Wie lange brauchst du ungefähr, um ein Buch zu schreiben?
Andreas Steinhöfel: Das ist abhängig von der Länge. Sagen wir mal, für das Buch ,,Rico, Oscar und die Tieferschatten“, das hat 220 Seiten, habe ich knapp ein halbes Jahr gebraucht. ,,Die Mitte der Welt“ hat zwei, drei Jahre gedauert.
Blaue Seite: Was würdest du dir für die Welt wünschen?
Andreas Steinhöfel: Das klingt immer so komisch, aber ich fände es schon schön, wenn die Menschen friedlicher miteinander umgehen würden. Ich fände es auch schön wenn man weniger Wert auf materielle Dinge legen würde.
Blaue Seite: Was stellst du dir unter einer ,,Blauen Seite“ vor?
Andreas Steinhöfel: Ganz ehrlich: Ich würde dabei zuerst an Toilettenpapier denken. Toilettenpapier ist bei mir im Kopf immer blau verpackt. Ich habe keine Ahnung, warum. Nach einer Weile würde mir vielleicht noch ein Poesiealbum einfallen, aber erst nach einer Weile.
Blaue Seite: Vielen Dank für das Interview.