Interview

Interview mit Antje Babendererde

Im Oktober 2013 war Antje Babendererde zum Anlass der Veröffentlichung ihres neuen Romans „Isegrim“ auf der Frankfurter Buchmesse. Die Blaue Seite war ebenfalls dort und ergriff natürlich die Gelegenheit zu einem Interview.

Blaue Seite: Wie kam es dazu, dass Ihr neuester Roman „Isegrim“ nicht von Indianern handelt, sondern in Thüringen spielt?

Antje Babendererde: Das ist die große Frage, die jetzt immer wieder kommt, seit „Isegrim“ da ist. Beim Schreiben habe ich mich bisher immer auf meinen inneren Kompass verlassen. Die Indianer waren fast 20 Jahre lang mein Thema, in dem ich richtig aufgegangen bin, und das hatte nicht nur mit meiner Arbeit als Schriftstellerin zu tun. Wenn ich gefragt wurde, ob ich mein Leben lang über Indianer schreiben werde, war die Antwort: „Ich weiß es nicht.“ Ich sage niemals nie, sondern schaue einfach, was kommt. Ich habe 15 Indianerbücher für Erwachsene und Jugendliche geschrieben, und während der Recherche für „Julischatten“ gemerkt, dass mich das Leben der Lakota in Pine Ridge mit seiner dunklen Seite zu durchdringen beginnt und ich die Hoffnung verliere.

In meinen Büchern jedoch, soll Hoffnung mitschwingen, ich möchte Auswege aufzeigen. Als ich mich an das nächste Indianerbuch setzten wollte – eine Idee dafür hatte ich schon – habe ich gemerkt: Ich kann nicht mehr schreiben. Da wurde mir klar: Ich brauche Abstand. Vielleicht einen neuen Blickwinkel, um wieder über Indianer schreiben zu können. Aber jetzt muss ich erst einmal etwas Anderes machen.

Das Thema Natur ist mir natürlich weiterhin wichtig. Und die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland hat mich total interessiert. Seit zehn Jahren verfolge ich das schon. Also beschloss ich, etwas darüber zu schreiben.

Blaue Seite: Was ist für Sie an der Rückkehr der Wölfe so interessant?

Antje Babendererde: In Amerika bin ich viel in der Wildnis unterwegs gewesen. Dabei habe ich gespürt, wie nah mir die wilden Tiere sind, wie wichtig ihre Existenz ist. Als ich hörte, dass die Wölfe wieder nach Deutschland zurückkehren und was das für Schwierigkeiten mit der Bevölkerung gibt, wie sie auch in der Presse verteufelt werden, wollte ich herausfinden, ob es funktionieren kann: Wilde, freilebende Wölfe in unserer zersiedelten Kulturlandschaft. Schreiben bedeutet für mich vor allem: Neues lernen.

BS: Sie haben in Ihrem Roman auch die „Großen S der Jägerei“ erwähnt. Also: Schießen, Schaufeln, Schweigen. Haben Sie schon einmal von einem Fall gehört, in dem ein Wolf einfach erschossen wurde?

Antje Babendererde: Das gab es auf jeden Fall. Das sind zwar nur seltene Fälle, ich glaube 8 oder 9 in den letzten Jahren, und meist kommt es heraus. Falls der verantwortliche Jäger gefunden wird, kommt meist die Ausrede: „Ich dachte, es war ein wildernder Hund.“ Die „Drei S“ gibt es, die habe ich mir nicht ausgedacht. Aber der Wolf ist das meistgeschützte Tier in Deutschland. Und ich denke, es sollte weiterhin so sein, dass das Töten eines Wolfs kein Kavaliersdelikt ist, sondern strafrechtlich verfolgt wird. Ich habe von einem Fall gehört, bei dem jemand einen Wolf so lange durch den Wald gejagt hat, bis dieser kollabiert ist.

BS: Jola (Hauptfigur in „Isegrim“) weiß als Tochter eines Försters viel über dieNatur. Wie haben Sie sich Ihr Wissen angeeignet?

Antje Babendererde: Dass die Grundaussage oder der Charme der Geschichte verloren geht, weil sie jemand verfilmt, der sie ganz anders versteht als ich. Aber denen, die sich jetzt um die Verfilmung bemühen, vertraue ich voll und ganz. Es gab drei Drehbuchfassungen, bei denen ich ein Mitspracherecht hatte. Die dritte Fassung ist sehr nah am Buch und hat mir gut gefallen, sodass ich sie abgesegnet habe.

BS: Sie haben schon gesagt, dass in jeder Ihrer Figuren auch ein Teil von Ihnen steckt. Jetzt genau auf Ihre Hauptpersonen bezogen: Können Sie immer nachvollziehen, was diese tun, oder gibt es Dinge, die Sie selber so nie tun würden?

Antje Babendererde: Vermutlich steckt immer irgendetwas von einem selbst in den Figuren, die man als Autor erschafft – aber natürlich ist auch viel erdacht. Man muss eine Figur so anlegen, dass deren Reaktion für den Leser nachvollziehbar ist, wenn sie in eine schwierige Situation gerät. Das ist für mich das Wichtigste. Natürlich gibt es Figuren, bei denen ich sage: „Um Gottes Willen, ich würde das nie machen.“ Aber das wissen meine Leser hoffentlich …

BS: Sie schreiben auch über das so genannte „Hitlerfenster“: Im thüringischen Jonastal hat wirklich einmal jemand ein Bild von Adolf Hitler hinter einem Fenster mit Bauschaum an einem Felsen angebracht. Warum haben Sie diesen Vorfall für Ihr Buch verwendet?

Antje Babendererde: Nun, die Geschichte spielt im Jonastal und ich konnte den Vorfall sehr gut gebrauchen, denn für die Figur des Tobias in „Isegrim“ musste es einen plausiblen Grund geben, weshalb er damals verschwand. Dafür hat sich der Vorfall gut geeignet und gleichzeitig verleiht er der Geschichte Lokalkolorit. Dass die Aktion, wie zunächst vermutet, der rechtsextremen Szene zugeordnet werden konnte, hat sich nicht bestätigt.

Beim Recherchieren bin ich natürlich auch die Straße durch das enge Jonastal gefahren und habe einmal an der Seite auf dem Randstreifen geparkt. Ich habe die Landschaft einfach auf mich wirken lassen: um später die Hänge beschreiben zu können, um zu sehen, wo die Stolleneingänge sind. Dabei habe ich gemerkt, dass mich vorbeifahrende Leute ganz merkwürdig anguckten. Das war ein sehr seltsames Gefühl für mich – als hätte ich dort irgendetwas Komisches vor. Diese Stimmung, die mich da befallen hat, war sehr intensiv, also beschloss ich, die Geschichte vom Hitlerfester in den Roman aufzunehmen.

BS: Sie beschreiben in „Isegrim“ eine Person, die erst nach vielen Jahren bereit ist, über ihre Erlebnisse im 2. Weltkrieg zu berichten. Kennen Sie selbst Personen, die überhaupt nicht bereit sind, über ihre Vergangenheit zu reden?

Antje Babendererde: Ja, auf jeden Fall! Meine Großeltern zum Beispiel, sie haben es bewusst oder unbewusst verdrängt. Aber ich habe gelesen – und auch in Gesprächen erfahren –, dass die Erinnerungen häufig hochkommen, wenn die alten Menschen merken, dass ihr Leben zu Ende geht. In Krankenhäusern oder Pflegeheimen zum Beispiel, sind Pfleger oft mit Situationen konfrontiert, in denen die Menschen anfangen, zu erzählen. Dabei passieren unglaubliche Dinge – wenn ein alter verkappter Nazi plötzlich die Pflegerin beschimpft, weil sie eine andere Hautfarbe hat.

BS: Finden Sie es richtig, dass manche Vorkommnisse aus dem 3. Reich verschwiegen werden? Oder denken Sie, dass alles aufgedeckt werden muss – vielleicht auch, um zukünftige Generationen zu warnen?

Antje Babendererde: Ich finde es auf jeden Fall wichtig, dass aufgedeckt wird. Wenn die Menschen erzählen wollen, dann sollen sie erzählen. Wenn sie ihre Erinnerungen mit ins Grab nehmen wollen, dann ist das ihre Sache. Es ist viel recherchiert und aufgedeckt worden. Wir wissen heute, was passiert ist, niemand kann sich mehr herausreden.

BS: Es gibt viele Jugendliche, die auch Autor oder Autorin werden wollen. Was würden Sie denen empfehlen?

Antje Babendererde: Lesen, lesen, lesen, lesen. Am besten querbeet. Es schadet nichts, wenn auch mal schlechte Bücher dabei sind. Aus schlechten Büchern lernt man. Wenn man selbst gelangweilt ist oder merkt: „Ich kann mir die Figuren nicht richtig vorstellen“, oder: „“Nun hat die das Wort schon zum siebten Mal auf dieser einen Seite verwendet“, kann man lernen, wie man es besser macht. Und natürlich: Schreiben! Denn viele schreiben wie ich in diesem Alter zwischen zehn und siebzehn. Dann hören sie plötzlich auf und das Schreiben kommt nie wieder. Es geht unter im Berufsleben. Wenn man wirklich Schreiben will, muss man es täglich tun. Wenn einem keine Geschichte einfällt, kann man immer noch Tagebuch schreiben, sich genau umgucken, Leute beobachten. Man kann versuchen, eine Person zu beschreiben, eine Szene, einen Raum oder eine Stimmung. Also: Lesen, lesen, lesen und schreiben, schreiben, schreiben.

BS: Bei der Recherche für Ihre Bücher sind Sie bisher viel gereist. Gibt es einen Ort, an dem Sie noch nie waren und zu dem Sie unbedingt reisen wollen?

Antje Babendererde: Ich würde gerne nach Neuseeland reisen. Aber es gibt auch in Deutschland viele Ecken, die ich noch nicht gesehen habe. Einen speziellen Sehnsuchtsort habe ich nicht, ich bin offen für alles und lasse mich überraschen, wohin mein Weg mich führt.

BS: An was denken Sie, wenn Sie „Die Blaue Seite“ hören?

Antje Babendererde: Die Blaue Seite! Die finde ich wirklich sehr schön. Es gibt so viele Bücher und die „Blaue Seite“ ist wie ein Wegweiser durch den Bücherdschungel, der Orientierung bietet. Dass auch Autoren vorgestellt werden, finde ich super.

BS: Dann bedanke ich mich ganz herzlich für das Interview.

 

RedakteurRedakteur: Estelle, Hanna
FotosFotos: Bjarne
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