Interview mit Christoph Maria Herbst
Blaue Seite: Das Buch, aus dem Sie lesen, heißt „Miles und Niles“. Das haben wir recherchiert. Wir haben auch ein bisschen Ihren Lebenslauf recherchiert – wenn wir ehrlich sind, klingt „katholisch erzogen“ und „Bankausbildung und mal Jurastudium angefangen“ nicht unbedingt nach einem Trickser oder Streichespieler, oder täuscht das?
Christoph Maria Herbst: Das ist knallhart und richtig recherchiert. Nee, das stimmt schon. Ehrlicherweise diene ich ja jetzt als Schauspieler eher dem wahren Guten und Schönen, wie man so schön sagt. Wenn ich bei der Bank geblieben wäre und wenn ich dann eventuell tatsächlich noch ein Jurastudium gemacht hätte, dann hätte ich mich wohl eher zum Trickser entwickelt. Ich fürchte, das gehört in diesen Berufen dazu. In meinem Beruf fühle ich mich jetzt schon seit vielen Jahrzehnten so wohl, dass ich da nicht tricksen oder betrügen muss. Denn wenn du als Schauspieler eine Rolle spielst, einen Text vorträgst, bist du immer interessiert daran, möglichst wahrhaftig und authentisch zu sein. Das gelingt einem so hundertprozentig eigentlich nie, aber man kann den Horizont immer mehr erweitern. Das macht Spaß.
Blaue Seite: Ich habe gelesen, dass Sie nur Rollen übernehmen oder Bücher lesen, die Sie auch wirklich mögen. Warum dann dieses hier?
Christoph Maria Herbst: Weil ich das Buch total mag und ich das zweite Buch dazu ja auch schon eingelesen habe. Ich werde wahrscheinlich – das verrate ich nur euch und ihr dürft das auch nicht weitererzählen – dieses Jahr oder spätestens Anfang nächsten Jahres das dritte Buch von „Miles und Niles“ einlesen. Das ist irrsinnig witzig und hat eine tolle Botschaft. Es gibt hammer Dialoge und der Humor ist geradezu britisch. Ich wollte gar nicht glauben, dass das amerikanische Autoren sind. Es hat mir also sehr viel Freude gemacht, das Buch zu lesen und auch einzulesen. Solche Bücher schreien geradezu danach, vorgelesen und zum Hörbuch gemacht zu werden.
Blaue Seite: Sie haben gerade britischen Humor angesprochen. Die Serie „Stromberg“, in der Sie gespielt haben, ist ja angelehnt an die britische Serie „The Office“. Ehrlich gesagt: Leute in unserem Alter gucken ja wenig Fernsehen, es sei denn, es sind britische oder amerikanische Serien. Sie haben auch mal gesagt, dass sich die BBC da mehr traut als das deutsche Fernsehen. Was kann das deutsche Fernsehen Ihrer Meinung nach von der BBC lernen?
Christoph Maria Herbst: Schon mutiger zu sein, den Menschen mehr zuzutrauen, nicht so sehr auf Nummer sicher zu gehen, nicht andere erst mal machen zu lassen und dann nachzumachen (meistens schlechter). Aber mit aller Bescheidenheit muss ich sagen: Es ist uns mit „Stromberg“ damals gelungen, eine eigene Marke zu setzen. Es ist nur sehr schwer mit dem Original „The Office“ zu vergleichen. Die erste Staffel „Stromberg“ war noch recht nah dran an „The Office“, aber spätestens ab der zweiten Staffel haben wir uns dann wirklich von dem großen englischen Vorbild gelöst und emanzipiert. Da ist es dann gelungen, nicht nur blöde abzukupfern, sondern etwas für den deutschen Markt vergnüglich herzustellen. Das war aber einer der großen Ausnahmen. Ansonsten fallen mir sofort mehrere Beispiele ein, wo sowas furios in die Hose geht. Also: Ich würde mir mehr Mut wünschen und weniger Angst.
Blaue Seite: Glauben Sie denn, der deutsche Markt braucht einen anderen Humor? Mehr Eigenmarken wie „Stromberg“? Muss man die Produktionen sozusagen „deutsch machen“?
Christoph Maria Herbst: Tja, was das denn auch heißen mag, „deutsch machen“ … Was soll das denn heißen?
Blaue Seite: Zum Beispiel Loriot: Der ist deutsch und würde woanders nicht funktionieren.
Christoph Maria Herbst: Absolut! Genau wie Otto Waalkes und viele andere Künstler, die in den letzten Jahrzehnten richtig groß waren, die jetzt auch nicht zwingend im Ausland funktionieren würden. Also „The Office“ beispielsweise war für die Engländer auch schon zu anspruchsvoll. Die Einschaltquoten dort waren nicht so toll. Der Ricky Gervais, der führende Kopf der Serie, hat damit alle internationalen Preise abgeräumt. Aber eben internationale Preise und Kritikerpreise. Diese Art Humor – das ist ja ein sehr bitterer, schwarzer Humor in „Stromberg“ und der funktioniert natürlich auch in Deutschland. Trotzdem gucken wir am liebsten, wenn es um schwarzen Humor geht, nach Österreich oder nach England. Weil sie dort auch so bitterböse sind und sich was trauen. Wir können das auch – man muss uns nur machen lassen! Und da sind oft zu viele „hemmschwul“.
Blaue Seite: Gleichzeitig haben Sie auch gesagt, wenn „Stromberg“ von mehr als zwei Millionen geguckt wird, haben Sie etwas falsch gemacht. Darf ich da auch nochmal nachfragen?
Christoph Maria Herbst: Stimmt, das habe ich gesagt. Weil ich dann befürchtet hätte, dass wir zu sehr in die Breite gegangen sind. Das ist schon sehr spitzer Humor, glaube ich. Also, „spitz“ nicht wertend im Bezug auf den Humor, sondern dass wir damit nur eine Spitze von Leuten erreicht haben. Der „strombergsche Humor“ war ein sehr spezieller. Damit sind wir nie in die Breite gegangen, wir haben uns nicht den Menschen aufgedrängt oder angedient oder aufgezwängt. Der Humor kam überwiegend auf sehr leisen Sohlen daher. In der Breite erreichst du die Leute natürlich eher mit hemdsärmeligem brachialerem Humor. Da gibt‘s ja nun auch genügend Beispiele von deutschen Sitcoms, die das gezeigt haben. Wo dann Millionen und Abermillionen Leute eingeschaltet haben. Bei „Stromberg“ ist es, Gott sei Dank, so, dass wir immer mehr Fans als Zuschauer hatten. Ich kenne auch genügend Leute – auch aus meinem Freundeskreis –, die sagen: „Ich weiß zwar, dass Du die Hauptrolle spielst, und Du machst das sicher ganz toll – aber ich kann das nicht gucken. Das hat so viel mit meinem eigenen Leben zu tun, ich ertrage das nicht.“ Wir haben also die Leute auch teilweise an der falschen Stelle abgeholt und wiederum andere haben nicht begriffen, dass wir da eigentlich etwas Lustiges machen. Für die war das wirklich eine ganz tragische Abbildung des realen Lebens. Nach Ausstrahlung der ersten Staffel wurde mir tatsächlich in einer deutschen Fußgängerzone Prügel angedroht. Sie haben gesagt, dass ich ein Arschloch sei und man so nicht mit seinen Angestellten umgeht. Es gab zu dem Zeitpunkt auch noch Leute, die gar nicht begriffen hatten, dass das ganze fiktional ist! Die dachten, das sei eine reale Doku in einem richtigen Versicherungsbetrieb. Das ist traurig.
Blaue Seite: Man braucht ein Publikum, das das dann auch in dem Maße aufnehmen kann.
Christoph Maria Herbst: Ja, man braucht auch eine gewisse Intelligenz.
Blaue Seite: Haben Sie nicht auch Jobangebote bekommen für Bernd Stromberg an Bernd Stromberg?
Christoph Maria Herbst: Meine Agentin wurde angerufen und es hieß wörtlich: „Wir würden gerne Bernd Stromberg buchen“ Dann hat sie gesagt das ist eine Rolle und dahinter ist ein Schauspieler. „Ach so, dann sind wir nicht interessiert.“ Und dann wurde aufgelegt.
Blaue Seite: Sie haben über ihren eigenen Humor gesagt, dass Sie ihn nicht als massenkompatibel empfinden.
Christoph Maria Herbst: Ach ja? Hab ich das gesagt? Na, dann wird das wohl stimmen.
Blaue Seite: Sie haben ja mal in einem Film mitgespielt mit Michael Bully Herbig, also „Hui Buh“ oder „Hände weg von Mississippi“, was in Deutschland ja mit das massenkompatibelste überhaupt ist.
Christoph Maria Herbst: Oder war.
Blaue Seite: Wir finden es immer noch lustig.
Christoph Maria Herbst: Ja, es war toll und dazu steh ich auch. Weißt du, du willst dann auch nicht immer nur in der Spitze arbeiten und so. Ich hab ja nichts gegen kommerzielle Erfolge, überhaupt nicht. Und „Stromberg“ war ja nun auch nicht unerfolgreich. Aber der Sender hätte es vermutlich schon gerne gesehen, wenn da eine andere Quote gestanden hätte. Der hat sich dann am Ende des Tages gefreut über die ganzen Preise und den unglaublichen Imagegewinn. Die Grimme-Preise und Fernsehpreise. Aber mich selbst in der Breite auch zu positionieren und mal mehr Menschen zu erreichen, das ist jetzt nicht zwingend ehrenrührig. ,Das muss ich dann leider bei so Filmen wie „Hui Buh“ und anderen Filmen in Kauf nehmen, dass das auf einmal sogar ganz viele Menschen gesehen haben. Aber das ist ein gutes Beispiel: „Hände weg von Mississippi“ und „Hui Buh“ und noch ein paar andere – das sind Filme, zu denen ich bis heute stehen kann. Die auch heute noch richtig Spaß machen, die fast ein bisschen zeitlos sind. Wie geil ist das denn? Wenn etwas zeitlos ist und du es auch noch nach Jahren angucken kannst ohne dich zu schämen, das ist immer ein schönes Gefühl.
Blaue Seite: Kommen wir zurück zum Hörbuch. Sie bezeichnen sich ja als Teamplayer und sagen, dass Sie im Team besser arbeiten als alleine. Als Sie ein Buch geschrieben haben, sagten Sie, es sei Ihnen schwergefallen. Finden Sie die Arbeit an einem Hörbuch denn einsam? Würden Sie vielleicht lieber Hörspiele machen, wo Sie mehr diese interaktive Komponente haben?
Christoph Maria Herbst: Hörspiele machen unfassbar viel Spaß. Ich hab jetzt aber schon so viele Hörspiele aufgenommen und das ist genauso einsam, wie ein Hörbuch einzulesen. Du stehst mutterseelenallein da, das wird am Ende dann alles zusammengemischt. Und bei den „Hui Buh“-Hörbüchern denken die Leute: „Boah, das ist ja ein Riesenensemble. Die stehen alle um ein Mikrophon herum und reden gleichzeitig – nein! Ich mache das jetzt seit Jahren und ich habe die Kollegin, die Konstanzia spricht, und unseren Sohn nie kennengelernt. Ich weiß gar nicht, wie die aussehen. Irgendwann, wenn das Hörspiel fertig ist, krieg ich das nach Hause geschickt. Ich höre mir das an und wundere mich immer wieder, wie dialogisch das klingt. Wie da ein Wort das andere gibt, wie sich da auch Texte überlappen. Das kannst du heute digital alles ganz wunderbar machen, ohne dass man da gemeinsam am Mikrophon stand. Das ist traurig, aber eben auch die Realität. Insofern ist Hörspiel also nicht zwingend uneinsamer, also zwei-, drei-, viersamer. Ich kann der Arbeit an einem Hörbuch inzwischen sehr viel abgewinnen, das macht großen Spaß. Aber wenn ich nur das machen würde, müsste ich schwere Antidepressiva schlucken. Spätestens dann setzt wieder das ein, was ich wahrscheinlich mit Teamplayer meinte. Ich bin einfach so konditioniert, weil ich vom Theater komme. Also brauche ich auch ein Ensemble, andere Menschen um mich herum. Das hat dann auch immer was mit sich gegenseitig befruchten und gemeinsam eine Situation erarbeiten und proben, probieren, zu tun. Ich bin nicht der Typ, der vorne steht und um sich herum keinen anderen duldet. Ich bin eher so der Mitmacher. Und das macht sich dann bei etwas wie „Stromberg“ bezahlt, um noch einmal darauf zurückzukommen. Das war echt eine totale Ensemblearbeit. In der ich nur zufällig die Hauptfigur gespielt habe. Aber die Arbeit war geradezu basisdemokratisch. Richtig toll! Im Gegensatz dazu habe ich gerade gehört, das letzte Hörbuch, das ich eingelesen habe, geht über zehn CDs. Zehn CDs! Das längste Buch, das ich je eingelesen habe. Der neue Roman von Jonathan Safran Foer, ein New Yorker jüdisch-amerikanischer Autor. Das Buch heißt „Hier bin ich“, es ist ein sehr jüdischer Roman. Es geht um eine jüdische Familie, eine jüdische Dynastie. Und da saß ich die ganze Woche im Hörstudio, von morgens 10 bis abends 18 Uhr. Das war auch während der heißen Sommertage. Dann sitzt du in einem kleinen Kämmerchen, wo wirklich nur Wasser, Brot, ein Mikrophon und eine Scheibe drinnen ist. Durch die siehst du, wenn du Glück hast, den Regisseur. Außerdem waren in dem Raum um die 40°. Das ist heftig. Das ist richtig heftig. Abends hängt deine Zunge in Fetzen aus dem Mund und du bist zu nichts Sozialem mehr fähig. Das sind dann schon sehr spannende Momente, die muss man erst mal aushalten. Aber es macht Spaß und macht meinen Beruf auch bunt.
Blaue Seite: Gerade bei dem Buch ist uns aufgefallen, dass Sie ganz viele unterschiedliche Stimmen benutzen. Was ist geplant und was machen Sie spontan?
Christoph Maria Herbst: Super Frage! Die stelle ich mir ehrlicherweise auch oft. Denn ich habe festgestellt: Mich zu Hause hinzusetzen und mir das Hirn zu zermartern, ganz verkopft, „Wie könnte ich den denn sprechen und welche Stimme habe ich denn noch nie benutzt?“, das geht meistens in die Hose. Es ist eigentlich so, dass man die Figuren in dem Moment gebiert, wenn man anfängt, das Buch einzusprechen. Und viel geschieht auch in Absprache mit dem Regisseur oder der Regisseurin. Da sucht man und findet auch gemeinsam. Man will eine Stimme finden, die möglichst etwas über den Charakter erzählt und den Charakter, der ja eh schon angelegt ist, entsprechend unterstreicht. Also eigentlich ist es eine Mischung aus beidem. Natürlich mache ich vorher meine Hausaufgaben und lese das Buch ein, zwei, drei Mal. Aber ich muss mir dann wirklich nicht mehr überlegen, wie eine Figur jetzt sprechen könnte. Sondern ich höre beim Selberlesen – ich weiß, das klingt jetzt krank – schon Stimmen.
Blaue Seite: Haben Sie das Gefühl, dass sich beim Schauspielern mehr spontane Änderungen ergeben? Sie meinten ja eben, man befruchtet sich im Team gegenseitig.
Christoph Maria Herbst: Man ist in der Ensemblearbeit eben auf die schönste Weise keine Insel. Du bist nicht alleine. Du spielst Situationen. Du kannst nicht einfach eine Figur spielen, sondern die Figur ergibt sich durch die anderen Figuren und durch die Situation, in die sie geworfen wird. Und eine Situation baut man immer mit anderen Kolleginnen und Kollegen. Da bringt jeder noch mal einen ganz anderen Impuls ein, eine andere Fantasie. Man probiert auch Dinge aus, die ganz peinlich sind. Auch, wenn man das wieder verwirft, bleibt immer etwas hängen. Das eröffnet dann natürlich noch mal einen sehr viel bunteren Kosmos. Und das ist toll: Du bist nicht nur in deinem eigenen Muspott, sondern andere Energien lassen eine noch viel größere Welt erstehen als deine eigene. Und ja, das ist dann ein noch kreativerer Akt, mit mehreren Menschen das zu schaffen. Umso konzentrierter ist natürlich eine Arbeit dann, wenn man so ein Hörbuch macht. Da bist du in dem Moment, wo das Mikro an ist, auf dich allein gestellt. Und machst eben alles mit Stimme und mit Sprache. Das ist eigentlich der Reiz, wenn man Hörbücher macht. Du musst alles auf die Stimme fokussieren, da darfst du gar nicht physisch werden. Weil dann sofort der Tontechniker sagt: „Das habe ich gehört, kannst du das mit der Hand an der Stelle bitte lassen?“ Oder wenn du selber so einen Tick hast und die ganze Zeit auf den Tisch trommeln musst, das geht natürlich nicht. Du musst dich eigentlich so verhalten, als hättest du ein Schleudertrauma gehabt. Man kennt das ja von Hunden, die so einen Trichter um den Kopf haben, damit die sich nicht groß bewegen können. Das ist eigentlich das Beste. Du müsstest dich in so eine mittelalterliche Korsage reinknoten lassen, dass du nur steif stehst. Das ist eine sehr spannende Erfahrung, sich so zu fokussieren.
Blaue Seite: Fällt Ihnen diese Fokussierung schwer?
Christoph Maria Herbst: Mittlerweile nicht mehr. Aber am Anfang war das sehr komisch, weil ich sehr körperlich und gestisch bin, mit den Händen rumfuchtle. Da musst du dir während des Einlesens dann halt auf die Finger hauen, bevor es der Tontechniker tut.
Blaue Seite: Hätten Sie gerne im Nachhinein etwas anders gemacht? Wenn Sie sich Ihren Werdegang anschauen, dass Sie heute sagen: „Das ist jetzt halt so, ist auch schön, aber eigentlich würde ich lieber was anders machen.“
Christoph Maria Herbst: Nee, nee. Ich glaube, das hätte ich mir damals gesagt, als ich 1985 die Banklehre machte. Bei einer großen deutschen Bank, die inzwischen zu den größten kriminellen Bankinstituten der Welt gehört und kurz vor der Abwicklung steht. Weil die ja wegen ihres betrügerischen Verhaltens unaufhörlich mit Millionenstrafen überzogen wird – zu Recht! Unfassbar, oder? Vor 35 Jahren war das mein Ausbilder und so schnell kann die Zeit vergehen. Und meine Eltern waren damals diejenigen, die gesagt haben: „Mach doch was Vernünftiges, geh zur Bank. Und bleib bei der Bank. Oh Gott, jetzt will der Junge Schauspieler werden, brotlose Kunst! Wie furchtbar! Er liegt uns auf der Tasche und es soll ihm doch mal besser gehen
als uns!“ Das sind so Sprüche, die werdet ihr sicherlich alle gar nicht kennen. Aber als ich in eurem Alter war, war das durchaus gang und gäbe. Ja, und dann kam alles anders ... Und diese Fragen, von denen du wissen wolltest, ob ich sie mir stelle: Die hätte ich mir gestellt, wenn ich jetzt noch bei dieser Bank wäre. Abgesehen davon, dass wir uns dann nie kennengelernt hätten, weil ich wäre jetzt Leiter der Außenkreditabteilung der Bank in Frankfurt.
Blaue Seite: Vielleicht hätten Sie ja auch ein Buch geschrieben, wer weiß?
Christoph Maria Herbst: Ja, über meinen Ausstieg bei der Bank. Wäre vielleicht jetzt drogenabhängig oder zum dritten Mal geschieden und hätte so ein Büchlein und keine Ahnung ... Nee, ich bin schon ganz glücklich, wie es gelaufen ist. Der liebe Gott hat es schon sehr gut mit mir gemeint, ich hatte viel Glück. Ich bin allerdings auch nicht unfleißig, das muss ich dazusagen. Das ist mir nicht alles in die Wiege gelegt worden. Ich arbeite auch mit meinen Talenten und sorge dafür, dass mein Instrument gestimmt ist und gestimmt bleibt, das ich als Schauspieler brauche.
Blaue Seite: Sie lesen und spielen sowohl für Kinder als auch für Erwachsene. Gibt es da Unterschiede? Machen Sie vor beide Zielgruppen Dinge anders? Ist eines von beiden vielleicht schwerer?
Christoph Maria Herbst: Schwerer könnte ich jetzt nicht sagen, Unterschiede gibt es natürlich. Ich habe ja auch viel Kinder- und Jugendtheater gespielt und Kinder sind sehr ehrlich. Die können schamlos ehrlich sein. Ich habe Vorstellungen erlebt, wo mit Nüsschen und Popcorn geworfen wurde. Nicht nach dem Motto: „Der soll mal was essen!“, sondern da wurde durchaus Unmut bekundet.
Blaue Seite: Gegenüber der Rolle oder dem Schauspieler? Es könnte ja auch sein, dass beispielsweise der böse Zauberer mit Nüssen beworfen wird ...
Christoph Maria Herbst: Ich weiß jetzt gar nicht, ob mit Nüssen geworfen wurde, als ich auf der Bühne stand. Aber es war in einer Inszenierung, in der ich mitspielte. Und das erlebst du natürlich bei einem Abopublikum nicht. Die haben andere Mittel. Die schlafen ein und stören die Vorstellung durch ihr Schnarchen. Da finde ich Nüsschenwerfen oder Unmut bekunden, indem man unruhig und laut wird, schon besser. Und: Kinder lassen sich nicht verarschen! Ich habe bestimmt 750 Mal Pippi Langstrumpf gespielt – also, nicht die Hauptfigur, aber eine andere Rolle. Mit einem Kollegen haben wir die Polizisten gespielt und so Slapstick-Szenen eingebaut, mit Stolpern und Hinfallen. Wenn die in bestimmten Vorstellungen nicht funktionierten, weil das Timing nicht stimmte, oder ich gestolpert bin, das aber zu schlecht gespielt war, dann war das natürlich auch kein Lacher. Da wird nicht aus Höflichkeit gelacht, nach dem Motto: „Er hat sich ja bemüht.“ Da ist dann Schweigen im Wald. Das tut richtig weh. Da machen Kinder keinen Hehl draus. Find ich super.
Blaue Seite: Beim Film oder Hörbuch bekommt man nicht diese direkte Rückmeldung. Macht man da technisch auch etwas anders? Spricht man zum Beispiel langsamer oder übertreibt mehr?
Christoph Maria Herbst: Das stimmt total: Beim Hörbuch, hast du nicht diese Rückmeldung. Da musst du den Text so sprechen, wie du es bei einem lustigen Buch selber lustig fändest. Und im günstigsten Fall überraschst du dich dann selbst. Was natürlich total paradox klingt – denn man hat das Buch ja schon dreißig Millionen Mal gelesen. Und jetzt, vor dem Mikro, musst du es zum dreißig Millionen und ersten Mal einlesen und du weißt ja schon, was jetzt auf der nächsten Seite kommt. Aber diese berühmte Jungfräulichkeit, die „Illusion des ersten
Mals“, wie das in Schauspielerkreisen heißt, die muss man immer wieder neu üben. Also dass ein Text niemals routiniert oder so „Dienst nach Vorschrift“-mäßig runtergeleiert wird, sondern es immer frisch klingt. Wenn du eine Vorstellung 700 Mal spielst, hat das Publikum, das da bei der 700. Vorstellung sitzt, verdammt noch mal das Recht, deine Performance genau so frisch und genau so jungfräulich zu erleben wie das Premierenpublikum. Das unterscheidet dann noch mal einen Profi von einem Amateur.
Blaue Seite: Haben oder hatten Sie eigentlich jemals Angst, zu scheitern?
Christoph Maria Herbst: Ja!
Blaue Seite: Weil Sie eben auch meinten, dass das nicht immer einfach war, dass Sie sich Ihren Erfolg auch erkämpft haben.
Christoph Maria Herbst: Ja, immer. Immer. Dieser Moment, in dem man glaubt: „Ich schaffe das nicht“,oder: „Welchen Streich spielt mir mein Lampenfieber diesmal?“ und so weiter – das ist immer dabei. Das konnte ich bislang aber immer in positive Energie umwandeln. Diese Angst macht mich ja wach. Biochemisch würde ich sagen, es wird in dem Moment einfach genügend Adrenalin ins Blut gepumpt, was natürlich dafür sorgt, dass alle Antennen ausfahren. Man ist ganz wach, ganz da, ganz präsent. Das ist sehr wichtig, auf der Bühne oder vor der Kamera oder auch vor dem Mikrofon. Ich müsste das mit zunehmendem Alter noch mal beobachten. Sprecht mich in 25 Jahren noch mal an. Dann bin ich 75. Ich könnte mir vorstellen, dass die Haut mit der Zeit immer dünner wird. Ich glaube nicht, dass man mit der Zeit immer abgefuckter wird und mit 60,70 dann sagt: „Ich habe schon so viel gemacht, ich habe überhaupt kein Lampenfieber mehr. Gebt mir irgendwas, ich mache das mal eben.“ Nee, das glaube ich nicht. Ich glaube, die Haut wird dünner. Wie sie bei alten Menschen ja auch tatsächlich dünner wird.
Blaue Seite: Müsste das dann nicht bedeuten, dass Sie jetzt schlechter damit umgehen können als vor 20 Jahren?
Christoph Maria Herbst: Berechtigte Frage. Noch geht es. Ich werde ja erst ab heute älter, noch bin ich's ja nicht. Ich bin jetzt 50 und ab jetzt werde ich langsam älter. Jetzt bin ich ja noch im besten Alter. Das ist ein Satz, den hätte auch Stromberg sagen können. Genau, ich bin ein halbes Jahrhundert alt, ich könnte euer Großvater sein.
Blaue Seite: Jetzt haben wir nur noch Zeit für eine Frage, und unsere letzte Frage ist immer: Was ist für Sie eine Blaue Seite?
Christoph Maria Herbst: Eure! Die eurige! Na, bei Blaue Seite denkt man natürlich erstmal an Blaupause und an etwas, wo eine Skizze drauf ist für irgend etwas anderes, was dann zur Realität wird. Aber die Blaue Seite selbst ... Anhand dieser Blauen Seite gucken wir mal, wie es denn werden könnte. Es ist also wie ein Versuch. Aber ich rede jetzt grade schon viel zu viel: Die Blaue Seite ist eure Seite, und mit der habe ich gerade gerne gesprochen.
Blaue Seite: Vielen Dank dafür.