Interview

Interview mit Christoph Wortberg

Autor: Christoph Wortberg

Datum des Interviews: 27. Januar 2011

Interviewer: Lina-Marie Ostertag, Kerrin Kiesbye

Bücher des Autoren: Novembernacht, Dieser eine Moment

Wie stellen Sie sich einen Wortberg vor?

Ehrlich gesagt gar nicht. Ich habe keine Vorstellung davon. Einen  Berg von Worten – vielleicht eine Pyramide.  Aber eine Pyramide, die man  nicht anfassen kann, durch die man sozusagen hindurch greifen kann.  Quasi eine virtuelle Pyramide. Vielleicht sind die einzelnen Worte an  dünnen Fäden aufgehängt. Wo sie befestigt sind oben im Himmel, kann ich  aber nicht sagen. 

Hat denn ihr Nachname irgendetwas damit zu tun, dass Sie Autor geworden sind?

Nein. Aber ich werde oft gefragt, ob mein Nachname ein Pseudonym sei. (lacht) Ich heiß halt einfach so. Das ist ein Zufall.

Wie sind Sie denn dann  dazu gekommen, Autor zu werden, wenn nicht durch Ihren Namen?

Ursprünglich war ich Schauspieler und habe dann auch lange als  Schauspieler gearbeitet. Irgendwann hatte ich aber keine Lust mehr und  ich wollte eigentlich schon immer schreiben.

Als Junge hatte ich die merkwürdige Idee,  Germanistikprofessor in Rom zu werden.
Jetzt fragt man sich, wie wird man Germanistikprofessor in Rom? Muss man  überhaupt Professor sein? Wenn ja, muss man unbedingt in Rom sein?  Keine Ahnung – das war damals meine Idee. 

Als ich als Schauspieler aufgehörte, begann ich Regieassistenzen zu  machen. Da hatte ich die Gelegenheit, mal eine Drehbuchbearbeitung zu  übernehmen. Und so bin ich zum Schreiben gekommen.

Mir war aber irgendwie schon klar, dass ich das so machen wollte. Woher das kommt, weiß ich aber nicht.
Und dann kam irgendwann das Angebot, einen Roman zu machen. Natürlich  ist das Schreiben von Romanen etwas ganz anderes als das Schreiben von  Drehbüchern – eigentlich auch viel schöner. Aber es geht auch um den  Brotlohn. Man muss ja von irgendetwas leben.

Wird Ihr nächstes Buch auch ein Liebesroman sein?

In dem nächsten Roman wird es um Selbstmord gehen. Ein junger Mann,  ein Student, fragt sich, warum sein jüngerer Bruder sich umgebracht hat  und stellt Nachforschungen an. Es wird darin aber auch eine  Liebesgeschichte geben, klar! Warum auch nicht?

Hat die Geschichte ein Happy End?

Ich würde es als ein Happy End bezeichnen. Es ist ja auch immer die Frage, was man unter Happy End versteht.

Sind Sie schon fertig oder sind sie noch mitten im Schreibprozess?

Ich habe noch überhaupt gar nicht angefangen.

War das auch so eine Badewannenidee?

Ja, in gewisser Weise schon. Der Verlag hat angefragt, ob ich mir  vorstellen könnte, etwas über Suizid zu schreiben. Da hab ich erstmal  gedacht: ‚Puh!‘. 

Aber vorstellen kann ich mir alles. Dazu muss einem natürlich eine  Geschichte einfallen. Und die Geschichte ist mir eingefallen. Sie  gefällt mir nicht, weil es um Suizid geht, sondern weil es eigentlich um  etwas ganz anderes geht. Der Junge versucht herauszufinden, warum sein  Bruder das getan hat. 

Dabei stößt er sozusagen auf die verschiedenen Rollenmuster, die er  lebt, die er in der Familie hat. Das kennt jeder von uns. In einer  Familie hat jeder seine Rolle, und manchmal hat man sich diese Rolle gar  nicht ausgesucht und fragt sich, warum man jetzt gerade diese Rolle  spielt und die Schwester oder der Bruder eine andere Rolle. Es soll in  dem Buch vor allem darum gehen, dass verschiedene Leute unterschiedliche  Rollen in Familien spielen und warum.

Die Leute müssen sie doch auch komisch angeguckt haben, oder?

Ja, die waren tatsächlich ein bisschen irritiert, fanden es aber auch  gut. Ich habe ja nichts davon, wenn drei oder vier Leser tatsächlich  aus Wolfsburg kommen und sagen: ‚Guck mal, der blöde Wortberg schreibt,  die Sessel sind blau, dabei sind die doch in Wahrheit rot.‘.
Mich kostet es nur einen Anruf, und es stimmt dann halt.

Nun zum Schreiben: Wie sieht denn ihr Schreibzimmer aus, haben Sie da eine besondere Atmosphäre?

Ja, ich habe eine besondere Atmosphäre.
Ich gehöre zu den Autoren, die nicht in der Lage sind, im Zug zu  schreiben, die nicht in der Lage sind, im Hotelzimmer zu schreiben, die  nicht in der Lage sind, auf Reisen zu schreiben. Ich gehöre zu denen,  die tatsächlich ihr verdammtes Zimmer brauchen, das immer gleich ist. 

Ich habe ein Büro, das liegt direkt neben unserer Wohnung, in der ich  mit meiner Frau und meiner Tochter lebe. Ich brauche das. Da sind alle  meine Bücher und ein Sofa und mein Schreibtisch. Es gibt sozusagen eine  ritualisierte Art, mit dem Schreiben umzugehen.

Wie sieht das denn bei Ihnen aus, wenn Sie schreiben?

Sehr früh morgens an, also um halb acht, fange ich an zu arbeiten und  schreibe dann ich den ganzen Tag. Ich kann auch nicht nachts schreiben.  Es gibt ja viele Autorinnen und Autoren, die nachts schreiben. Das  könnte ich überhaupt nicht, das wäre mir unmöglich.

Ich setze mich halt hin und stehe auf, wenn die Zeit um ist. Und dann hoffe ich, dass was dabei rausgekommen ist! (lacht) Manchmal schmeißt man ja auch vieles wieder weg.

Was steht rechts neben Ihrer Tastatur?

Rechts neben meiner Tastatur ist meine Maus. Und neben meiner Maus  ist das Telefon. Und links ist ein Kartei-Roller mit Adressen, Fotos von  meiner Tochter und von meiner Frau, eine Schreibtischlampe, zwei Gläser  mit Stiften und so Zeug und mein Kalender.

Sie haben ja gerade von den vielen Büchern gesprochen, die in  Ihrem Büro stehen, sind da nur Ihre Bücher oder welche, die Sie  inspirieren?

Alle Bücher, die ich besitze, stehen in meinem Büro.

Sind das viele?

Ja!

Schätzen Sie mal, wie viele!

Puh, ich weiß nicht. Vielleicht 4000. Alle Wände sind voll.

Welches Buchgenre ist Ihnen das liebste?

Genre kann ich gar nicht sagen. Ich kann aber sagen, was ich  unglaublich gerne lese: Ich liebe amerikanische Autoren. Allerdings in  deutscher Übersetzung.

Haben Sie denn ein Buch, bei dem Sie sagen, dass es wirklich Ihr Lieblingsbuch ist?

Ich liebe sehr ‚Oliver Twist‚ von Charles Dickens. Das liebe ich sehr, ich weiß nicht warum. Ich mag außerdem ‚Anna Karenina‚ von Leo Tolstoi. Ich liebe sehr Richard Yates, er ist ein amerikanischer Autor, der zum Beispiel ‚Zeiten des Aufruhrs‚ geschrieben hat. Und es gibt ein Buch von dem, das heißt ‚Easter Parade‚ also ‚Osterparade‚.  Es pielt in New York und ist eigentlich mein Lieblingsbuch. Sehr zu  empfehlen! Ach so, halt! Mein absolutes Lieblingsbuch, das Beste von  allen: Moby Dick!

Auf die Jugendbuchtage (‚einfach Schicksal‘) bezogen: Was ist denn Schicksal für Sie?

Ich glaube, Schicksal ist nicht etwas, was man bewusst erlebt.  Schicksal ist etwas, was sich erst im Nachhinein als solches  herauskristallisiert. 

Schicksal heißt für mich auch nicht, dass man nicht in der Lage wäre,  das zu beeinflussen, was einem geschieht. Ich glaube nicht daran, dass  die Dinge völlig unbeeinflusst sind, ich glaube aber wohl daran, dass  man das als Mensch möglicherweise nicht genau erkennen kann.

Ob jetzt Gott dahinter steht oder eine andere Macht, weiß ich nicht, kann ich nicht beurteilen.
Ich glaube aber tatsächlich, dass es irgendetwas gibt, was größer ist  als wir als Menschen und dass dieses irgendeine Form von Wirkmächtigkeit  hat, die ich als Mensch nicht bewerten oder begreifen kann. Der ich  mich sozusagen ausgesetzt sehe. 

Und wenn ich sie geschehen lasse, dann geschieht auch Gutes. So ist  es jedenfalls in meinem Buch. Und so würde ich es für mich auch sehen.  Obwohl ich mir das beim Schreiben so gar nicht überlegt habe. Aber  nachdem ich das Buch fertig hatte, habe ich gedacht, dass das doch sehr  genau dem entspricht, was ich mir selber vorgestellt habe.

Dann kommen wir zu unserer traditionellen Schlussfrage: Was hat oder ist für Sie eine ‚Blaue Seite‘?

Eine ‚Blaue Seite‘ wäre für mich sozusagen die Verbindung von Meer  und Himmel. Und ‚Blaue Seite‘ ist der Hintergrund meines Computers. Ein  tiefes, schönes, dunkles Blau. Ist auch meine Lieblingsfarbe.

Vielen Dank, dass Sie sich für uns die Zeit genommen haben!

Gerne!

RedakteurRedakteur: Lina, Kerrin
FotosFotos: Daria
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