Interview mit C.J. Skuse
Kerrin und Kim haben auf der Leipziger Buchmesse C.J. Skuse interviewt. Eines ihrer Bücher ist Ziemlich krumme Dinger
Blaue Seite: Warum sind auf dem Buchcover nur Ihre Initialen gedruckt?
C.J. Skuse: Zum einen weil ich meinen Namen nicht mag. Ich heiße Claire und ich habe diesen Namen nie gemocht, ich finde ihn sehr langweilig. Als ich also den Vertrag für dieses Buch bekam, dachte ich, dass es besser wäre nur meine Initialen und nicht Claire zu schreiben. Und Claire Joanna wäre zu lang. Also wurde daraus ‚C. J.‘. Ein anderer Grund ist, dass Jungen das Buch vielleicht eher lesen, wenn nicht von vornherein klar ist, dass eine Frau es geschrieben hat.
Blaue Seite: Erinnern Sie sich daran, wann und wo Sie die Idee zu ‚Ziemlich krumme Dinger‘ hatten?
C.J. Skuse: Ja, das war während meiner Abschlussarbeit in einem Kreativ-Schreiben-Kurs. Ich habe zwei Kurzgeschichten geschrieben. Die eine war über zwei kleine Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen, die von zu Hause weglaufen, weil sie hören, wie ihre Eltern darüber streiten, dass sie sich keine zwei Kinder leisten können. Die zweite Kurzgeschichte war über zwei Teenagerzwillinge, die eine Tour nach Las Vegas machen, inspiriert durch einen Quentin-Tarantino-Film.
Ich habe einfach die beiden Geschichten zusammengefügt und daraus ein ganzes Buch gemacht.
Blaue Seite: Waren Sie schon einmal in Las Vegas?
C.J. Skuse: Ja, war ich. Als ich anfing, das Buch zu schreiben, habe ich eine Urlaubstour nach Los Angeles, Las Vegas und Vancouver gemacht. Also habe ich das Buch dort spielen lassen, außer in Vancouver. Ich habe vier Tage in Las Vegas damit verbracht, alles aufzuschreiben was ich getan, gesehen und erlebt habe. Alle Dinge, die sie in Las Vegas tun – Smoothies am Pool trinken, auf den Stratosphere Tower steigen, Achterbahn fahren – All das habe ich gemacht. Was sie essen, ist was ich gegessen habe. Das bin alles ich, die alle Informationen, die sie bekommen konnte in Las Vegas, aufgesogen hat.
Blaue Seite: Haben Sie auch all die kleinen Läden, die Paisley und Beau, ausrauben gesehen?
C.J Skuse: Ja, alle Hotels auf dem Strip haben Einkaufsmeilen, in denen Schokoladenläden, Süßigkeitenläden, eine kleine Bäckerei (in der man jede Sorte von Kuchen, die es auf der ganzen weiten Welt gibt, kaufen kann) und vieles mehr zu finden ist. Alles, was man sich vorstellen kann.
Was mich wirklich sehr schockiert hat, war, dass in den Bushaltestellen direkt vor diesen Hotels immer ein Mann schlief. Die Haltestelle war sein Zuhause und eine Minute davor ist man durch diese schillernde Einkaufsmeile gelaufen. Diese Trennlinie zwischen den sehr, sehr reichen und den sehr, sehr armen Menschen auf so einer kleinen Fläche war sehr schockierend. Das hat einen nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht, ich hatte das so nicht erwartet.
Blaue Seite: Finden sich im Buch also viele Ihrer eigenen Erfahrungen?
C.J Skuse: Naja, ich bin auch auf eine Privatschule, ein Internat gegangen, genau wie Paisley. Aber ich bin nicht rausgeschmissen worden. Ich war sehr gut, ich war das totale Gegenteil von Paisley. Aber ich habe Mädchen wie sie immer bewundert, Mädchen, die böse und frech waren, die alles sagten, was sie dachten, die Lehrer beschimpften. Ich weiß, dass es schlecht ist, aber ich habe solche Mädchen immer irgendwie bewundert. So ist Paisley entstanden.
Aber ich musste nicht erleben, wie es ist, seine Mutter auf so brutale Weise zu verlieren, mein Vater war nie im Gefängnis, ich habe keine Großmutter wie Koma und ich habe auch keinen Bruder wie Beau. Ich wollte immer gerne einen Zwillingsbruder haben, weil mein Bruder und meine Schwester sehr viel älter sind als ich. Mein Bruder ist 15 und meine Schwester 10 Jahre älter.
Das Buch entspringt also mehr meiner Vorstellung davon, wie ich mein Leben gern gehabt hätte, als wie es wirklich war.
Blaue Seite: Wird Ihr zweites Buch „Rockoholic“ auch auf Deutsch veröffentlicht werden? Können Sie uns etwas über die Handlung sagen?
C.J Skuse: Ja, im Februar nächsten Jahres. Das Buch dreht sich um ein Mädchen, das total auf eine bestimmte Rockband steht und auf einem Konzert (hm, sie kippt um, verpasst also eigentlich das Konzert) schließlich den Frontsänger entführt und ihn mit nach Hause nimmt. Es geht darum, was du selber tun würdest, wenn du deinen Held in der Garage hättest. Was würdest du mit ihm tun, was mag er, entkommt er oder ist er ein schlechter Mensch? Es geht um ihre Beziehung zueinander und wie sie sich entwickelt.
Blaue Seite: War es immer schon Ihr Traum, Jugendbücher zu schreiben?
C.J Skuse: Ja, definitiv. Als ich etwa 15 oder 16 war, fing ich an zu schreiben. Mein wirklich großer Traum war es, mein Buch im Laden zu sehen. Heute habe ich es im Regal gesehen und jemand hat es genommen und gekauft. Und damit ist für mich ein Traum wahr geworden. Ich konnte es nicht glauben als ich das gesehen habe. Mein nächster Traum ist, dass das Buch verfilmt wird. Ich würde dieses Buch sehr gerne als Film sehen.
Blaue Seite: Was war Ihr Lieblingsbuch als Sie ein Teenager waren?
C.J Skuse: Das übliche, denke ich. Ich mag Kevin Brooks, ich lese sehr viele Jugendbücher. S.E. Hinton’s „The Outsiders“ ist eines meiner Lieblingsbücher.
Blaue Seite: Weshalb haben Paisley und Beau so gegensätzliche Charaktere?
C.J Skuse: Sie sind so unterschiedlich, weil ich wollte, dass Paisley absolut aufdringlich und anstrengend sein sollte. Sie sagt immer, was sie denkt, und ist sehr schnell und aggressiv. Und ich glaube, dass man davon irgendwann genervt ist. Ich denke, man wird davon nicht wirklich gelangweilt aber man hat dann auch mal genug davon, sie immer zu hören. Beau ist also ihr Gegensatz. Wenn man sehr viel aus Paisleys Sicht gelesen hat und das zu anstrengend wird, bekommt man ein bisschen von Beau. Er geht einen Schritt zurück, genießt den Augenblick. Mit Beau kann man ein wenig mehr poetisch sein. Und dann, wenn Beau einen langweilt, geht man zurück zu Paisley. Es ist schön, die beiden Sichtweisen zu hören, gerade weil sie für lange Zeit getrennt waren – Paisley in New Jersey und Beau in Los Angeles. Ich denke, man braucht diese beiden Standpunkte, um ihre Vergangenheit zu verstehen.
Blaue Seite: Haben Sie zu einem Ihrer Geschwister eine so enge Beziehung wie Paisley und Beau?
C.J Skuse: Ja, mit meiner Schwester, weil sie mir altersmäßig ein bisschen näher ist. Wir sind auf der Stufe, wo wir die Sätze der anderen beenden können und solche Sachen. Wenn wir ans Telefon gegangen sind haben wir die gleiche Stimme. Sie hat mich sehr beeinflusst in den Filmen, die ich geguckt habe, den Büchern, die ich gelesen habe, einfach wer ich heute bin.
Blaue Seite: Haben Sie reale Vorbilder für die Charaktere im Buch?
C.J Skuse: Ja, Gerard Way, der Sänger der Band „My Chemical Romance“ ist das Vorbild für Beau. So, wie ich ihn mir als 16-Jährigen vorstelle. Vielleicht weil er irgendwie mein Idol ist, er ist auch die Inspiration für den Leadsänger in „Rockoholic“. (lacht) Beau basiert auf ihm. Ich habe das mit all meinen Charakteren. Ich fange an zu schreiben und habe jemand Berühmten dabei im Kopf, und während ich schreibe, werden sie die Charaktere. Aber ich fange immer mit jemand Berühmten an.
Paisley hatte nie ein Gesicht. Sie war mir immer ähnlich: blond, blau-grünäugig, klein. Immer mit kurzen Röcken und großen Stiefeln bekleidet. Aber ich habe nie ihr Gesicht gesehen. Sie ist einer der wenigen Charaktere, die nicht auf einer berühmten Person basieren.
Blaue Seite: Wenn Sie genau wie Paisley und Beau vor ihrer Großmutter weglaufen würden, würden Sie dieselben Sachen einpacken wie Paisley?
C.J Skuse: Das ist eine gute Frage. Nein, weil ich kein Dieb bin. Ich hätte eventuell das Auto genommen, aber nicht ihre anderen Sachen. Ich hätte zu viel darüber nachgedacht und solche Sachen können sehr belastend sein. Und ich denke, dass je mehr man stiehlt, desto belastet es einen. Aber wenn ich wirklich, wirklich gemusst hätte, hätte ich versucht, nur das Geld zu nehmen. Ich hätte keine Sachen nehmen können.
Blaue Seite: Also hätten Sie die Waffe auch nicht genommen?
C.J Skuse: Nein, hätte ich nicht. Ich bin einfach nicht die Art von Mädchen. (lacht) Das ist mehr Paisley als ich.
Blaue Seite: Haben Sie jemals darüber nachgedacht, von zuhause wegzulaufen als Sie jünger waren?
C.J Skuse: Ja, ein paar Mal. Als ich noch sehr klein war, etwa neun Jahre alt. Meistens war der Grund, dass etwas nicht so lief, wie ich wollte. Ich habe dann meine Tasche gepackt. Aber sobald ich unten an der Treppe angelangt war, war z.B das Abendessen fertig und ich dachte, gut, dann lauf ich eben später weg. Aber das ist nie wirklich passiert.
Blaue Seite: Wie lange hat es gedauert, bis Sie zufrieden mit dem Buch waren? Waren Sie das jemals?
C.J Skuse: Es ist schwierig, weil man nie den Zeitpunkt erreicht, an dem man sagt: „Puh, es ist fertig.“. Es gibt immer irgendetwas, das verändert werden muss, das gemacht werden muss. Aber weil ich Deadlines habe, die mein Verlag festlegt, muss ich fertig werden. Also komme ich irgendwann an den Punkt, an dem ich es quasi schließe, von mir wegschiebe und versuche, nicht weiter darüber nachzudenken.
Ich könnte jetzt immer noch Dinge in diesem Buch ändern. Aber es ist hier draußen und ich muss es loslassen. Um eure Frage zu beantworten: Nichts fühlt sich jemals fertig an und ich würde das Buch für immer verändern, wenn man mich lassen würde. Aber es ist wahrscheinlich eine gute Sache, dass man mich nicht lässt.
Blaue Seite: Ist es schwierig für Sie, die Geschichte loszulassen?
C.J Skuse: Ja, ist es. Weil es, sobald es erschienen ist, auf einmal auch die Geschichte von vielen anderen wird. Wenn jemand das Buch kritisiert, muss ich immer einen Schritt zurücktreten und diese Kritik als die Meinung anderer Menschen akzeptieren. Das ist sehr schwierig, weil es für mich so ist, als ob er sagen würde, dass meine Kinder hässlich sind.
Ich muss also akzeptieren, dass dieses Buch jetzt kein Teil mehr von mir ist, dass ich gerade dabei bin mein zweites Buch zu schreiben. Es ist so eine Angst, wie ein Luftballon, den ich zuerst fest umklammert halte, aber dann muss ich meine Arme öffnen und ihn fliegen lassen. Aber ich halte ihn immer noch an einem dünnen Faden fest.
Blaue Seite: Woher haben Sie die Idee für die Namen der Zwillinge?
C.J Skuse: Ich wünschte, ich hätte eine bessere Geschichte zu erzählen! Ich war in der Dusche und hörte im Radio, wie jemand „Paisley“ sagte. Ich weiß nicht, ob die Menschen dort über den Ort in Schottland oder das Paisley-Muster geredet haben, ich habe einfach den Namen gehört und fand, dass er gut zu ihr passen würde.
Und für Beau wollte ich einfach einen schönen Namen. Weil er schön ist. Und er ist nicht nur äußerlich schön, er ist einfach schön, alles an ihm ist gut. Und ich dachte, dass ein bisschen Poesie nicht schaden kann und weil das französische Wort für schön „beau“ ist, habe ich ihn Beau genannt.
Blaue Seite: Schreiben Sie ihre Geschichten also, ohne von Anfang an Namen für die Charaktere zu haben?
C.J Skuse: Ich hatte verschiedene Namen am Anfang, aber ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern. Sie waren nicht gut, sie haben nicht gepasst.
Blaue Seite: Wie viel von der Geschichte kennen Sie, bevor Sie anfangen zu schreiben?
C.J Skuse: Ich wusste, wie es enden würde, ich wüsste, sie würden verloren auf einer Straße sein. Aber ich habe alles Weitere ausgefüllt, während ich geschrieben habe. Ich wusste, dass bestimmte Szenen vorkommen sollten. Eine, wo der Kopf von jemandem in einen Teller voller Essen gedrückt würde, immer und immer wieder. Ich weiß nicht warum, aber ich wollte schon immer so eine Szene schreiben. In einer anderen Szene würde die Waffe losgehen und auf jemanden schießen, aber ich wusste noch nicht, ob auf einen der Zwillinge, deren Vater, Koma oder auf sonst was.
Und ich wusste, dass da eine Szene sein würde, wo eine Popcornmaschine explodieren würde und ich wollte die Fans in Las Vegas haben. Und ich wollte eine Achterbahn.
All diese kleinen Sachen machten das Schreiben quasi wie Malen nach Zahlen.
Blaue Seite: Was stellen Sie sich unter einer blauen Seite vor, was hat für Sie eine blaue Seite?
C.J Skuse: Ach du meine Güte, das ist die schwierigste Frage, die mir jemals gestellt wurde! Ich stelle mir eine Stimmung darunter vor. Wenn ich mich schwermütig fühle, ist das meine blaue Seite.
Blaue Seite: Vielen Dank für ihre Zeit!
C.J Skuse: Bitte sehr!