Interview mit Conrad Wesselhoeft
Im Oktober 2013 hatte die Blaue Seite auf der Buchmesse in Frankfurt die Gelegenheit, Conrad Wesselhoeft zu interviewen. Er wurde mit „Adios, Nirvana“ von der Jugendjury für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Das Interview führte Estelle.
Blaue Seite: Meine erste Frage bezieht sich auf Ihr erstes Buch für junge Erwachsene, „Adios, Nirvana“. Es ist ja bereits für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2013 nominiert. Konnten Sie sich schon beim Schreiben des Buches vorstellen, dass es so erfolgreich sein würde?
Conrad Wesselhoeft : Nein! Ich konnte mir nicht einmal vorstellen, dass es veröffentlicht würde. Denn als Schriftsteller bin ich schon auf viel Ablehnung gestoßen. Ich habe als Journalist gearbeitet und das ist ein Teil meines Lebens. Aber einen Roman für junge Erwachsene zu schreiben, war schon immer mein Traum. Ich habe viele Jahre daraufhin gearbeitet, aber wie gesagt: Ich bin wirklich auf viel Ablehnung gestoßen. Also beschloss ich, mit „Adios Nirvana“ ein Buch zu schreiben, das ICH schreiben wollte – nicht ein Buch, das andere Leute wollten. Ein Buch, das keiner Mode, keinen Trends folgt. Als ich begann, dachte ich, eine Veröffentlichung wäre schon ein Riesenerfolg. Tatsächlich wurde es veröffentlicht. Und es hat eine Menge Aufmerksamkeit erhalten, vor allem in Deutschland. Das ist wirklich eine Ehre. In der Tat ist es in Deutschland besser angekommen als in den Vereinigten Staaten.
Blaue Seite: Wann haben Sie zum ersten Mal ein Buch geschrieben?
Conrad Wesselhoeft: Vor langer Zeit, im Jahr 1983. Da begann ich mein erstes Buch und es hat mich viel Zeit gekostet, es zu beenden. Es wurde nie veröffentlicht. Also begann ich ein zweites Buch. Dafür habe ich wieder lange gebraucht. Aber es sollte veröffentlicht werden. Aber dann änderte der Verlag plötzlich wieder seine Meinung und es wurde ebenfalls nicht veröffentlicht. „Adios, Nirvana“ ist jetzt mein drittes Buch für junge Erwachsene.
Blaue Seite: Ihr Buch ist jetzt veröffentlicht und hat sehr viel Erfolg. Planen Sie nun, Ihre ersten Bücher doch noch zu veröffentlichen?
Conrad Wesselhoeft: Wow! Schön, dass du fragst. Diese Bücher liegen mir sehr am Herzen. Ja, ich bin besonders daran interessiert, mein zweites Buch, einen historischen Roman, zu veröffentlichen. Aber mein erstes Buch ist praktisch wie mein eigenes Kind. Und ich bin sehr traurig, weil es sich anfühlt, als hätte ich meine Charaktere mitten in der Nacht an einem Flussufer ohne Abschied allein gelassen. Denn ich konnte ihnen keine Familie geben: die Leser. Ich fühle mich wirklich schlecht deswegen.
Ich habe ein anderes Buch, das kommenden April auf den Markt kommt. Danach werde ich an einem ganz neuen Roman arbeiten. Aber ich würde auch gerne auf mein zweites Buch zurückkommen. Mein Verleger möchte, dass ich moderne Romane für Erwachsene schreibe. Wenn ich davon einmal genug habe, dann kann ich mich wieder dieser Geschichte widmen.
BS: Um was geht es in dem Buch, an dem Sie gerade arbeiten?
Conrad Wesselhoeft: Es heißt „Dirt Bikes, Drones and Other Ways to Fly.“ (Motocrossräder, Drohnen und andere Möglichkeiten zu fliegen) Es geht um einen jungen 17-jährigen Mann namens Arlo Santiago. Er hat zwei Leidenschaften: Die eine ist Motocross und die andere sind Drohnen. Er ist Weltmeister in einem Videospiel namens „Drone Pilot“. Er ist so gut in dem Spiel, dass das US-Militär ihn engagiert hat, um von seinem Heimatstaat New Mexico aus Drohnen-Missionen in Pakistan zu fliegen. Er ist also in New Mexico und steuert seine Drohnen per Fernbedienung über Pakistan. Immer wieder wollen sie ihn zur Gewalt und Unterdrückung einer Nation bewegen. Doch er ist Pazifist. Er möchte niemanden verletzen. Aber er hat diese einzigartige Fähigkeit, die nicht einmal Militärpiloten haben. Das ist ein moralisches Dilemma: Soll er das Geld und die Hilfe der Regierung annehmen, die seine Familie dringend braucht, weil seine Schwester krank und sein Vater arbeitslos sind? Soll er also diese Mission ausführen und mit der Drohne einer Mafia morden? Oder soll er seinem Herzen folgen, seiner pazifistischen Überzeugung? Letztlichlehnt ab, sodass er all die Hilfe, die seine Familie so sehr braucht, nicht bekommt.
Wenn ich Glück habe, wird der Roman im April in den Vereinigten Staaten veröffentlicht.
BS: Ihr neues Buch hat mit Krieg und Gewalt zu tun. Wurden Sie bei der Themenwahl von Ihrer Vergangenheit im Friedenskorps beeinflusst?
Conrad Wesselhoeft: Ja, das neue Buch „Dirt Bikes, Drones and Other Ways to Fly “ beschäftigt sich mit Krieg. Der wahre Grund, warum ich über den Krieg schreibe, ist aber, dass es um Trauer geht. Und um die Bedeutung von Freunden und Familie, die in Zeiten der Trauer helfen. Das sind Themen, die meine beiden Bücher „Dirt Bikes“ und „Adios, Nirvana“ gemeinsam haben und die mir sehr wichtig sind.
Im Friedenskorps war ich als sehr junger Mensch, ich war 22 bis 25 Jahre alt. Ich tat das, wenn ich ehrlich bin, weil ich Abenteuer erleben wollte.
BS: Lassen Sie uns jetzt über Musik sprechen. In Ihrem Buch schreiben Sie viel über Musik. Spielen Sie ein Instrument?
Conrad Wesselhoeft: Ja, ich spiele Gitarre. Und ich liebe es, Gitarre zu spielen. Ich bin kein großer Gitarrist, aber ich spiele, seit ich ein Teenager war. Wir haben eine Menge Gitarren im Haus. Ich brauche Gitarren zur Meditation. Wenn ich Schreibblockaden habe, mir Sorgen über etwas mache oder etwas verwirrt bin, greife ich mir eine Gitarre und fange einfach an zu spielen. Es hilft wirklich. Musik ist ein gutes Heilmittel. Meiner Meinung nach sollte jeder ein Musikinstrument besitzen. Dein Herzschlag ist ein Schlagzeug. Jeder von uns ist also schon ein Drummer.
BS: Was macht für Sie einen perfekten Song aus?
Conrad Wesselhoeft: Ein perfekter Song ist ein Song, der mein Herz und mich mit Freude erfüllt, vielleicht aber auch einen traurigen Ort meines Herzens berührt. Denn Melancholie und Traurigkeit existieren in uns allen. Nehmen wir also den Song „Here comes the sun“ von den Beatles. Er beginnt mit: „Little darling, it was a long, cold, lonely winter“ (Liebling, es war ein langer, kalter, einsamer Winter). Für mich ist das ein perfektes Beispiel für einen großartigen Song. Denn er beginnt mit jemandem – vielleicht einem Vater –, der sich mit seiner Tochter unterhält und ihr von dem Leid erzählt, durch das sie gegangen sind. Aber dann kommt: „Here comes the sun“. (Jetzt scheint die Sonne.) So wirkt der Song intim durch die ersten beiden Worte und er erzählt von der Dunkelheit, gefolgt von einem Ausdruck der Freude. Für mich hat er mit seiner schönen Melodie fast etwas Spirituelles.
BS: Meine Lieblingszeilen in Ihrem Buch sind: „ Leben heißt, zum Licht zu schwimmen, zu sterben heißt, es nie zu versuchen.“ Haben Sie auch eine Lieblingsstelle in Ihrem Roman?
Conrad Wesselhoeft: Ja, ich war heute in einer Schule und ich habe eine Stelle gelesen, die mir sehr gefällt. Es ist die Stelle, an der die Zwillingsbrüder und Eddie Vedder – der berühmte Gitarrist – zusammensitzen. Ein Bruder spielt mit Eddie Gitarre, während der andere Bruder, Jonathan, zu schüchtern dazu ist. Ich liebe diese Passage. Ich liebe auch die Momente zwischen Jonathan und dem alten Mann David, denn mein Vater lebte die letzten Tage seines Lebens, als ich das Buch schrieb. Er war ein Leutnant der US-Navy. So sitzt Jonathan neben dem alten David, so wie ich mit meinem Vater zusammensaß. Eine meiner Lieblingsstellen ist auch die letzte Nacht vor Jonathans Auftritt, als er und seine Freunde zusammen im Zimmer sitzen und sehr intensiv und laut Gitarre spielen. Es war wie mit meinem Sohn und seinen Freunden.
„Leben heißt, zum Licht zu schwimmen“ ist eine sehr starke Vorstellung davon, niemals aufzugeben. Und in der Geschichte gibt David nicht auf und überlebt. Für mich ist das wichtig. Er spricht über die Öffnung „des Käfigs, der die ganze Zeit geöffnet war“. Und das ist der entscheidende Punkt. Der Käfig ist die ganze Zeit entriegelt. Du denkst, dass du in einem Käfig eingesperrt bist, dabei bist du es in Wirklichkeit nicht. So empfand Jonathan, dass er in seiner Trauer gefangen war, weil sein Bruder gestorben ist, aber er war nicht wirklich gefangen. Er hatte eine Menge Leute, die sich um ihn gekümmert haben. Er war in der Lage, seine Trauer zu verarbeiten. Aber er brauchte seine Freunde. Und deswegen glaube ich, dass Familie und Freunde wichtig sind.
BS: Es war auch sehr emotional, als Jonathan mit seinen Freunden Gitarre spielt. Spielen Sie manchmal Musik mit Ihren Freunden?
Conrad Wesselhoeft: Oft, ich liebe es.
BS: Spielen Sie in einer Band?
Conrad Wesselhoeft: Ich mache Musik mit Freunden. Wir denken uns verschiedene Namen aus, aber ich bin nicht in einer fest bestehenden Band. Ich habe in verschiedenen Musikgruppen gespielt. Wir treffen uns einfach zum Jammen. Das macht wirklich Freude.
BS: Jonathan schläft oder isst nicht, wenn er schreibt. Er trinkt nur Energydrinks. Haben Sie schon mal so geschrieben?
Conrad Wesselhoeft: Nein, das könnte ich nicht. Jonathan hat viel mehr Kraft als ich. Er ist auch ein besserer Gitarrist als ich. Und Telly, sein Bruder, ist ein noch besserer Gitarrist. Ich habe Charaktere erschaffen, die das tun, was ich noch nie gemacht habe. Aber es gibt so viele Energydrinks in unserer Kultur, dass ich zeigen wollte: Die sind nicht gut für uns. Jonathan ist selbstmordgefährdet. Er denkt die ganze Zeit darüber nach, von einer Brücke zu springen. Er ist in keinem guten Zustand und die Tatsache, dass er nicht schläft, hilft ihm nicht gerade. Ich bin kein Fan von Energydrinks. Ich hoffe, dass Sie nicht für einen Energydrink-Konzern arbeiten! (lacht)
BS: Haben Sie beim Schreiben einen Lieblingsplatz?
Conrad Wesselhoeft: Ja, ich arbeite in meiner Küche. Denn da ist eine Theke, auf die ich meinen Laptop stellen kann, und der Kaffee ist in der Nähe. Und es ist irgendwie dunkel in der Küche. Ich arbeite auch im Obergeschoss in einem Büro mit viel Licht. Von dort kann ich das Wasser und die Berge sehen. Das ist wirklich inspirierend. Also habe ich zwei Plätze: Der eine ist irgendwie ein dunkler Ort und der andere ein heller.
BS: Haben hell und dunkel an Ihren Schreibplätzen etwas mit den Gefühlen in ihrem Roman zu tun? Schreiben Sie traurige Passagen eher am dunkleren Ort?
Conrad Wesselhoeft: Ich habe noch nie darüber nachgedacht. Da ist wahrscheinlich was dran. Vielleicht. Ich weiß nicht.
BS: Sie erzählen in Ihrem Buch viel von Hoffnung. Gibt es noch etwas anderes, was Sie Ihren Lesern mitgeben wollen?
Conrad Wesselhoeft: Ich möchte meinen Lesern sagen, dass sie niemals aufgeben sollen, besonders einen Traum. Wenn du keine großen Schritte zu deinem Ziel machen kannst, dann mach kleinere. Behalt nur immer deine Richtung und den Glauben an deinen Traum. Nur nicht anhalten. Viele Menschen leiden. Es ist hart, jung zu sein. Nicht jeder hat zwei Elternteile, liebevolle Eltern, finanzielle Stabilität, nicht jeder ist gesund. Niemand hat alles. Das Buch ist für die Menschen, die diese Leere in sich fühlen. Du musst aufstehen. Gib nicht auf! Mach weiter.
BS: Wir nennen uns „Die Blaue Seite“. Woran denken Sie, wenn Sie das hören?
Conrad Wesselhoeft: Zunächst einmal liebe ich Blau. Das ist meine Lieblingsfarbe. Und es ist eine universelle Farbe, es gab Studien darüber. Wenn Sie jemanden fragen, jeder Herkunft, jeden Alters, welches der schönste Ort der Welt ist, beginnt jeder, einen blauen Himmel zu beschreiben. Ich liebe die Tatsache, dass Blau universell ist.
Es bedeutet aber auch Traurigkeit, das macht es so interessant. To feel blue, to sing the blues, to play the blues (melancholisch sein, Blues singen, Blues spielen). Es ist ein Zustand der Melancholie oder Verzweiflung. Es ist also ein sehr vielfältiges Wort.
BS: Das war meine letzte Frage. Vielen Dank für das Interview.
Conrad Wesselhoeft: Es war mir eine Ehre und ein Vergnügen.