Interview

Interview mit Cornelia Funke 2010

Autor: Cornelia Funke

Datum des Interviews: 24.09.2010

Interviewer: Freya Schwachenwald, Marie Bender, Bona-Katharina Dommert (Kim Baschant, Léa Oltmanns, Lina-Marie Ostertag, Fee-Rose Strohschehn)

Bücher des Autoren: Reckless, Tintenherz, Tintenblut, Tintentod, Herr der Diebe, Drachenreiter, Die Wilden Hühner (u.a.)

Website zur Autorin und zu ihrem Buch "Reckless": www.funke-reckless.de

Nicht nur das Cover Ihres neuen Buches ist ganz anders, sondern auch die Atmosphäre ist wesentlich düsterer als gewohnt. Woran liegt das?

CF: Ich glaube nicht, dass Reckless düsterer ist. Tintentod ist in vieler Hinsicht düsterer. Aber Reckless spielt mit Märchenmotiven und vermutlich haben die meisten Leser schon lange kein Märchen mehr gelesen.
Da werden Füße abgeschnitten, Kinder gekocht und gegessen, in heißen Schuhen getanzt, bis die Füße verbrannt sind, den bösen Schwestern hacken Tauben die Augen aus … In dem Moment, in dem ich mich entschied, eine Welt zu schildern, in denen die Grimmschen Märchen Wirklichkeit sind, wusste ich, dass die Geschichte finster werden würde.

Im Gegensatz zu den Tintenweltbüchern, in denen die Kapitel sehr aufeinander aufbauen, bekommt der Leser bei Reckless anfangs nur Bruchstücke zugeworfen und muss diese dann selbst zusammensetzen, sodass er die Zusammenhänge erst später begreift. Ist das eine neue Technik?

CF: Ja, schon während meiner Arbeit an Tintentod spürte ich, dass ich mich nach einer sparsameren Sprache sehne. Aber auch mein Held brauchte eine andere Sprache, um seine Rastlosigkeit und seine fehlende Sentimentalität auszudrücken. Das zweite Kapitel, das gebe ich zu, macht es dem Leser nicht leicht, aber ich habe inzwischen zum Glück von vielen Kindern gehört, dass sie das Rätselraten und die nur bruchstückhaften Informationen sehr mögen. Ursprünglich wollte ich es dem Leser sogar noch schwerer machen, indem ich gleich mit Jacob als erwachsenem Helden anfange, aber Lionel, mit dem ich die Geschichte gesponnen habe, hat mich zum Glück davon überzeugt, mit Jacob, dem Kind, zu beginnen und dem Tag, an dem er den Spiegel entdeckt.

Also haben Sie den Charakter nicht verändert, sondern nur lieben gelernt?

CF: Der Charakter hat mir auf die Dauer klar gemacht, dass ich eigentlich ganz gerne ab und zu so bin wie er. Jacob hat in mir etwas hervor geholt, das ich fast vergessen hatte. Das heißt, er hat mich wieder viel abenteuerlustiger gemacht, verwegener. Oder vielleicht war er auch nur der Held, der sich in meinem Schreibhaus einstellte, weil etwas in mir seine Haut brauchte.

Wie würden Sie die Beziehung zwischen Jacob und Clara beschreiben? Ist sie etwas Ernstes oder doch eher ein Klischee?

CF: Interessant. Ich glaube, dass die Liebe immer klischeehaft ist. In dem Moment, in dem wir uns verlieben, stolpern wir in jedes Klischee hinein, in das wir nur hinein stolpern können.
Ich glaube, dass etwas an diesem Verhältnis echt ist, dass es nicht nur das Lerchenwasser ist. Ich glaube, dass Clara eine ganz andere Art von Mädchen ist, als die, in die Jacob sich normalerweise verlieben würde. Was den Reiz ausmacht. Vermutlich wären die beiden furchtbar unglücklich miteinander. Vermutlich wäre jede Frau mit Jacob sehr unglücklich, aber mal sehen, was mir darüber der zweite Teil verrät.
Als wir (Cornelia Funke und Lionel Wigram) an der Geschichte gearbeitet haben, haben wir gedacht, dass irgendwann etwas zwischen Jacob und Clara geschehen wird.
Aber als wir dann an dieser Stelle waren, dachten wir uns: Das verzeihen wir unserem Helden doch nie, wenn der jetzt die Freundin seines Bruders küsst.
Und ich weiß noch, dass wir beide in London saßen und Lionel zu mir sagte: „Dann brauchen wir eben einen Zaubertrank!“ Und ich nur: „Wo soll ich denn jetzt ein Zaubertrank herkriegen?“ „Du bist doch in einem Zauberwald, das wird doch irgendwie gehen …“
Und daraufhin hab ich mich hingesetzt und die Idee mit dem Lerchenwasser gehabt. Sie gefiel mir sehr gut, denn ein Liebestrank wird ja oft so interpretiert, dass er denen, die ihn trinken, nur die Hemmung nimmt, ihre Liebe zu zeigen. Der Trank setzt alles außer Kraft, gleichzeitig ist er auch ein Bild über die Begierde und es stellt sich die Frage, mit welchem von beidem man es zu tun hat, mit der Liebe oder der Begierde? Und ist das ein Unterschied? Ist die große, wahre Liebe noch mit Begierde verhaftet? Natürlich macht es Spaß, mit solchen Motiven zu spielen. Ich glaube trotzdem, dass die Beziehung zwischen Jacob und Clara nicht wirklich wichtig ist. Fuchs spielt da sicher eine wesentlich gewichtigere Rolle. Mal sehen…bei einer Geschichte weiß man nie! Aber ich hatte das Lerchenwasser sehr gerne als Spielzeug. Die Geschichte zwischen Jacob und Clara hat sich übrigens von Fassung zu Fassung (ich schreibe immer mindestens vier) sehr verändert. Mal war es mehr, dann wurde es weniger.

Sie sagten, dass niemand mit Jacob glücklich werden würde. Und was ist mit Fuchs? Wäre sie nicht genau die Richtige für ihn?

CF: Ich weiß es noch nicht. Wir schreiben gerade den zweiten Teil, um das herauszufinden. Vielleicht wird es eine Liebesszene zwischen den beiden geben. Vielleicht, vielleicht. Es ist noch zu früh, darüber mehr zu sagen! ich bin sehr gespannt darauf, die Antwort zu erfahren und zu sehen, wie sehr Jacob sich verändern und sich wirklich auf die Liebe einlassen kann.

Sie haben sich, als Sie Tintenherz geschrieben haben, immer den Schauspieler Brendan Fraser als Mo vorgestellt. Gab es auch Schauspieler, die Sie beim Schreiben von Reckless im Kopf hatten?

CF: Nein. Das Einzige, was ich von Anfang an zu Lionel gesagt habe, war, dass ich nicht erlauben würde, dass Robert Pattinson gecastet wird (lacht). Ich hab von vielen Frauen gehört: Jacob könnte doch auch von Robert Pattinson gespielt werden… aber nein!
Also, es gibt überhaupt noch keinen, der für Jacobs Rolle infrage kommen würde.
Es ist sehr schwierig. Wir haben natürlich schon darüber geredet, weil Lionel nächstes Jahr anfangen wird, an dem Film zu arbeiten. Ich halte Will für leichter. Aber wer soll Jacob sein? Das kann schmerzhaft schwierig werden!

Reckless wirkt noch etwas dunkler als die Tintenweltbücher, werden ihre Bücher erwachsen?

CF: Das ist bestimmt in mancher Hinsicht wahr. Meine Kinder werden erwachsener. Ich werde älter. Also werden sicher auch Themen meiner Bücher erwachsener. Das liegt aber auch an Reaktionen, die ich von Kindern bekommen habe. Der Lieblingscharakter der Tintenbücher war Staubfinger. Deshalb hat Reckless auch keine Kindercharaktere. Die Reaktionen auf die Tintentrilogie haben mir beigebracht, dass Kinder nicht immer in Kinderhaut schlüpfen wollen. Sie möchten eigentlich eine Erwachsenenhaut haben. Und deshalb hab ich mich frei gefühlt, eine erwachsene Hauptperson zu wählen.

Wie würden Sie Ihren eigenen Schreibstil beschreiben?

CF:Ich hoffe, dass es für meinen Schreibstil keine Beschreibung gibt, da ich ihn weiter ändern werde. Ich versuche eigentlich, mit jeder Geschichte meinen Stil zu ändern und ich glaube, dass ich noch unendlich viel lernen muss. Mit Reckless habe ich einen Schritt weitergemacht. Und mal sehen, was ich so als nächstes versuche. Bei mir ist der größte Reiz die nächste Geschichte und das, was ich dabei als Schriftstellerin lerne!

Sind Sie traurig, wenn Sie ein Buch beenden?

CF: Oh nein, überhaupt nicht! Ich freu mich, wenn ich die nächste Geschichte schreiben kann. Bei der Tintenwelt habe ich am Ende gedacht: Jetzt ist auch gut. In der Welt war ich nun lange genug. Ich wäre nie so geduldig wie Joanne K. Rowling.

Müssen Sie sich nach einem langen Schreibprozess entspannen oder ist das Schreiben selbst die Entspannung?

CF: Das Schreiben ist die Entspannung. Wenn ich eine Geschichte beende, habe ich die nächste schon im Kopf. Es gibt im Augenblick in meinem Schreibhaus ein Regal, in dem 6 Projekte liegen, die ich vorbereite. Wenn ich vor diesem Regal stehe, denke ich: Wann mach ich denn das? Nein, das kannst du noch nicht machen … Ich muss mir also immer verbieten, von einer Geschichte in die nächste zu springen.

Würden Sie an einem Ihrer Bücher im Nachhinein gerne etwas verändern?

CF: An allen. Ganz schlimm war es bei Igraine Ohnefurcht. Das Buch wurde ins Englische übersetzt und ich habe es zu diesem Anlass noch einmal gelesen. Und dann fängt man an, an einer Stelle etwas zu ändern und zu polieren. Das hättest du anders gemacht! Schließlich hat man seitdem dazugelernt.
Ich habe dieses Problem immer, wenn ältere Geschichten von mir übersetzt werden. Bei Reckless würde ich schon sagen, dass alles so ist, wie ich es haben möchte. Aber ich bin sicher in ein, zwei Jahren werd ich sagen: Da hätte ich etwas anders gemacht…
Aber es ist nicht so, dass es schmerzhaft ist. Sondern eher: Ach guck mal das, das könntest du jetzt besser!

Sie sind eine der renommiertesten Autorinnen der ganzen Welt. Wo bewahren Sie denn Ihre Preise auf?

CF: Ganz viele sind in meinem Büro. Also bei meiner wunderbaren kubanischer Assistentin, die ein ganz quietsch buntes Büro in der Mitte unseres Haus hat. Da hängen wir immer die ganzen Preise auf. Doch ich hab so einige Preise, Preise, die ich von Kindern verliehen bekommen habe, wie die Kalbacher Klapperschlangen, die sind alle bei mir im Schreibhaus. Und jetzt der Jacob Grimm Preis, mit Jacob drauf, den habe ich auch dort.

Wie sehen Sie sich beruflich in 10 Jahren?

CF: Also falls ich dann noch schreibe, hoffe ich, dass ich besser schreibe als heute. Und ich hoffe, dass ich bis dahin meinen Pilotenschein gemacht habe.

Die schnellen sechs Fragen:

Was ist Ihre Lieblingsmarmelade?

CF: Rote Johannisbeere

Was war der beste Film, den Sie im letzten Jahr gesehen haben?

CF: Ein spanischer Film „El Secreto De Sus Ojos“ – Das Geheimnis ihrer Augen.

Auf ihrem Schreibtisch steht neben der Tastatur immer ….?

CF: Stehen tausende von Sachen. Ich schreibe auch nicht am Schreibtisch sondern in einem Sessel. Eine Kaffeetasse, fürchte ich…

Welchen Song hören Sie zurzeit am liebsten?

CF: Ein Lied von Damien Rice – 9 Crimes.

Wie wird Ihr Name in Amerika ausgesprochen?

CF: Da gibt es viele. Einige sagen Fank oder Fanky, was ich ja liebe. Aber leider sind die Amerikaner sehr ehrgeizig und wollen meinen Namen immer richtig aussprechen.

Was hat für Sie eine blaue Seite?

CF: Eine Blaue Seite erinnert mich an die blaue Blume der Romantik und verrät mir, dass ihr alle hoffnungslose Romantikerinnen seid.

Lina-Marie Ostertag
Freya Schwachenwald

RedakteurRedakteur: Freya, Marie B. , Bona, Kim, Léa, Lina, Fee
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