Interview

Interview mit Cornelia Funke

Am 8.11.2016 hatten die Redakteure der Blauen Seite die Gelegenheit, die Autorin Cornelia Funke im Rahmen ihrer Lesereise zu „Die Feder eines Greifs“ über dieses Buch und viele andere zu interviewen.

Blaue Seite: Sind Sie jemand, der den Mut hat, „zu beschützen, zu behüten und zu erhalten“ [aus dem Vorwort von „Die Feder eines Greifs“, Anm. d. Red.]?

Cornelia Funke: Ich hoffe sehr! Ich kann Menschen wirklich nicht verstehen, die ihr ganzes Leben lang nur nach Geld und Erfolg streben. Das finde ich eine sehr absurde Art, sein Leben auszurichten. Ich bin, seit ich vierzehn bin, Mitglied bei Amnesty International und Greenpeace. Ich habe schon immer politisch gearbeitet und mich auch im Naturschutz engagiert. Ich glaube fest daran, dass sich die Welt in einem scheußlichen Zustand befindet und es unsere Verantwortung ist, sie besser zu machen. Auch wenn wir auf verlorenem Posten stehen.

Blaue Seite: Ist es dann eine neue Geschichte?

Cornelia Funke: Ja, noch haben wir nur einen Arbeitstitel „Das Vulkan-Abenteuer“,„The volcano-adventure“. Die Haupthelden sind Fliegenbein, Schwefelfell und Lola, also die kleineren Figuren. Es geht um das Verschwinden zahlloser Fabelwesen,  um Fliegenbeins verlorenen Bruder Freddie (ich bin ein Fan von Freddie Mercury, dem ehemaligen Sänger von „Queen“, also war er die Inspiration) und...mehr sollte ich wirklich noch nicht verraten!

Blaue Seite: Wie suchen Sie die Zitate zu den Büchern? Da gibt es sehr tiefgründige Zitate bis hin zu „Winnie Pu“. [Wobei wir Winnie Pu natürlich auch tiefgründig finden!, Anm. d. Red.]

Cornelia Funke: Ich habe erst gedacht: „So, ich suche ich mir einfach lauter Zitate von Naturschützern und so weiter.“ Das wurde mir aber zu trocken, ich wollte gerne eine Mischung von literarischen und Naturschutzzitaten, z.B. von Jane Goodall, David Attenborough – das sind alles Helden von mir. Die Suche nach den richtigen Zitaten hat großen Spaß gemacht, aber es ist auch immer sehr mühsam, wie ich noch von Tintenherz weiß. Irgendeins fehlt immer, bei anderen wird das  Copyright zum Problem, oder die Übersetzung. Ich habe die meisten auf Englisch gesucht und oft war keine deutsche Fassung zu finden oder, was schlimmer ist, eine sehr schlechte. Manchmal bekommt man die Rechte für ein Zitat auch nicht und ...man sucht wieder! Also...viel Arbeit, aber ich finde, es lohnt sich.

Blaue Seite: Trennen Sie den Mal- von dem Schreibprozess? Oder findet das gleichzeitig statt?

Cornelia Funke: Ich habe Notizbücher, in denen ich nicht nur die erste Fassung des Buches schreibe, sondern auch zeichne. Ich habe zum Beispiel alle Affen gezeichnet, bevor ich sie beschrieb oder entschied, welche von ihnen Helden meiner Geschichte werden. Also, wie sieht ein Gibbon aus? Das lässt sich wesentlich gründlicher herausfinden, wenn man ihn zeichnet.  Makaken, Fauläffchen... ich hatte keine Ahnung, wie die Unterschiede sind. Diese Zeichnungen waren alle farbig und wir haben zuerst überlegt, ob wir sie im Buch übernehmen, aber das wird sehr teuer, und ich wollte nicht, dass das Buch zu teuer wird. Aber es ist wunderbar, wenn ein Verlag sich so etwas überhaupt vorstellen kann. Vielleicht machen wir es irgendwann mal in einer Geschenkausgabe. Was die Schwarzweisß-Illustrationen betraf, so habe ich dieselbe Technik verwandt wie beim ersten Buch, Feder und Tinte. Eiegntlich arbeite ich inzwischen lieber mit Bleistift, wie in Reckless, aber ich wollte nicht, dass die beiden Drachenreiter-Bücher sich da unterscheiden.

Blaue Seite: Verändern sich die Zeichnungen dann auch noch mal, wenn man zum Beispiel merkt: „Okay, der Affe hat jetzt doch eher einen anderen Charakter.“?

Cornelia Funke: Ja, absolut. Ich habe die Greife am Anfang gezeichnet, weil ich mir einfach vorstellen wollte, wie sie ungefähr aussehen würden. Während ich dann schrieb, wurde es immer deutlicher, dass sie doch ein bisschen anders aussehen. Zum Beispiel, dass Shrii fleckig ist, ein bisschen wie eine Marmorkatze. Das ist erst später gekommen. Einige Sachen haben sich sehr verändert.

Blaue Seite: Und wie sind Sie auf den Namen MÍMAMEIƉR [Unterschlupf für Fabelwesen in Norwegen, Anm. d. Red.] gekommen? Wir haben es auf Wikipedia nachgeschlagen und es ist wohl ein mythologischer Baum ...?

Cornelia Funke: Ja. Das ist ein mythologischer Baum aus dem skandinavischen Mythos, unter dem man Schutz suchen kann. Ich fand ihn perfekt als Namen für diese Zuflucht.

Blaue Seite: Welche Fabelwesen würden Sie am liebsten ins echte Leben holen?

Cornelia Funke: Drachen. Immer schon Drachen. Das ist der eine Wunsch in meinem Leben, der mir wohl nicht in Erfüllung gehen wird: dass ich einen Drachen im Garten habe. Das war immer schon mein Traum. Und das ist auch immer die Antwort, wenn Leute mich fragen, welche Figur ich aus einem Buchherauslesen würde: Natürlich den Drachen. Dann würde ich auf dem fliegen, statt im Flugzeug ...

Blaue Seite: Glauben Sie denn an Drachen?

Cornelia Funke: Na ja, glauben ist so eine Sache. Ich hoffe, dass es sie irgendwo gibt. Ich fürchte, auf diesem Planeten im Moment nicht. Aber ich würde nicht sagen, dass es sie gar nicht gibt. Weil ich glaube, dass es alles, was wir uns vorstellen können, auch irgendwie gibt. Und natürlich kann es sein, dass diese Erinnerung, die wir haben, von den Dinosauriern kommt. Dass wir uns im Grunde an irgendetwas in uns erinnern.  ... Es gibt dieses schöne Zitat eines Physikers: Wir sind alle aus Sternenstaub gemacht. Das heißt, jedes unserer Moleküle hat es schon mal gegeben. Also wer weiß,  Vielleicht erinnern wir uns tatsächlich an die Dinosaurier.

Blaue Seite: Viele Menschen haben ja eine „natürliche Abneigung“ gegen Ratten. Wieso haben Sie Ratten genommen und nicht zum Beispiel Mäuse?

Cornelia Funke: Ja, das frage ich mich im Nachhinein auch, muss ich zugeben. Ich glaube, es hatte mit der Größe zu tun. Ich kann leider nicht behaupten, dass ich ein Rattenfreund bin. Ich hatte so viele Ratten in meinem Garten in Los Angeles, dass ich den Rattenmann kommen lassen musste, nachdem sie  Nester in meinem Garten-Sofa bauten. Ich habe auch Ratten in meinem Hühnerstall in Hamburg gehabt, die die Mäuse gefressen haben. Aber.... von allen Spezies auf diesem Planeten sind uns die Ratten am ähnlichsten. Sie kümmern sich um ihre Alten und Kranken, das tun die meisten Tiere nicht. Und wenn ihr zwei Rattenstämme auf einer Insel aussetzt, rotten die sich gegenseitig aus. Wie unseresgleichen es auch gern tut. Wir sind den Ratten soähnlich, dass wir sie zu ihrem Unglück deshalb auch so häufig für Tierversuche benutzen. Je mehr ich mich für den Umweltschutz engagiere, desto mehr stelle ich fest, wie wenig ich über die Tiere weiß, die ich in meinen Geschichten vorkommen lasse und wie oft man Klischees verwendet. wie  sehr wir sie idyllisieren und romantisieren, weil wir sie nicht wirklich kennen.

Ich war gerade in Neuseeland, wo es ursprünglich keine Raubtiere gab, was nun den Premierminister hat verkünden lassen, dass Neuseeland bis 2020 alle Raubtiere töten wird - ein meiner Ansicht nach sehr problematischer Naturschutzansatz. Aber Neuseeland verliert 70 000 einheimische Vögel pro Nacht. Was ist da richtig? Wird menschliches Eingreifen es erneut nur schlimmer machen? Mit all diesen Fragen beschäftige ich mich gerade intensiv.. Der Wolf schläft eben nicht neben dem Lamm, und wir sollten unseren Kindern dieses romantisierte Naturbild nicht vermitteln. So funktioniert unser Planet nicht. Aber es ist interessant, dass wir als Menschen davon träumen - obwohl wir selber nicht so sind und das Lamm ja selber fressen.

Blaue Seite: Wieso haben Sie das Cover von dem Buch nicht selbst gezeichnet?

 Cornelia Funke:
Weil ich gerade an den 108 Zeichnungen saß und dachte: „Oh Gott, wie soll ich jetzt auch noch das Cover schaffen?!“ Daraufhin habe ich Jin Zeng meine Zeichnungen von Shrii gegeben und von TerTaWa. Sie ist eine fantastische amerikanisch-chinesische Illustratorin, mit der ich in LA auch schon für die Reckless-App und die neuen Reckless-Umschläge gearbeitet habe. Ich war so glücklich über die zwei Cover, die sie für Drachenreiter und den Greif gemacht hat;, und sie macht das in drei Tagen! Das ist unglaublich. Als nächstes möchte ich mit ihr ein Bilderbuch machen, weil sie einfach so unglaublich ist.

Blaue Seite: Wissen Sie schon, worum es in dem Bilderbuch gehen wird?

Cornelia Funke: Ja, es ist eins, das in Deutschland schon erschienen ist. Es heißt „Der verlorene Engel“ und spielt in LA. Kerstin Meier hat es wunderbar illustriert, aber auf comicartige Weise und ich möchte es jetzt noch einmal von Jin fast filmisch illustrieren lassen , sodass man Los Angeles wirklich darin sieht. Es geht um einen Jungen namens Dash, der einen Schutzengel hat, Grant, benannt nach Cary Grant. Dash ist sicher, dass seiner besten Freundin Paula der Schutzengel abhanden gekommen ist, weil ihr andauernd schlimme Sachen passieren. Also macht er sich auf die Suche nach dem Engel. In Los Angeles sitzen all die Schutzengel, die überanstrengt von ihrer Arbeit sind, natürlich auf dem Hollywood Zeichen. Ausserem habe ich selbst mein erstes Bilderbuch geschrieben UND illustriert. Es heißt „Das Buch, das niemand las“. Es geht um ein kleines Buch in einer unglaublich eleganten Bibliothek. Ich habe den Büchern die Gesichter von Schriftstellern gegeben, von Robert Louis Stevenson, Günter Grass, Toni Morrison, Victor Hugo und Shel Silverstein, vielen meiner Helden. Und das kleine Buch ist Maurice Sendak. Der will einfach gelesen werden. Aber die anderen sind alle so vornehm, wollen keine Fingerabdrücke in den Büchern und so weiter. Deshalb flieht er aus der Bibliothek. Und findet einen Leser..

Blaue Seite: Und wissen Sie schon, in welche Richtung das neue Reckless geht?

Cornelia Funke: Japanische Märchen. Und es heißt „Die Inseln der Füchse“. Denn in Japan gibt es einen sehr mächtigen Fuchsmythos, den Kitsune. Der Kitsune sieht aus wie ein Fuchs, hat mehrere Schwänze und ist meist eine Frau. Im Mittelalter glaubten die Menschen sogar, dass die mächtigsten Adeligen viele Füchse hatten, die ihnen dienten und dadurch sehr gefährlich waren. Noch heute kann man sich in japanischen Schreinen einen kleinen Tonfuchs holen und mit nach Hause nehmen. Den füttert ihr und wenn er euch euren Wunsch erfüllt hat, bringt ihr ihn zurück in den Tempel. Es ist natürlich fantastisch, mit diesem Motiv zu arbeiten, da ich eine Figur wie Fuchs habe, die man in Nihon, wie Japan hinter den Spiegeln heisst, leicht für einen Kitsune halten wird. Ich habe 150 Seiten geschrieben.

RedakteurRedakteur: Theo, Hangzhi
FotosFotos: Celina
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