Interview mit Emmy Abrahamson

Interview

Am 20. September 2013 hatte ich, Rahel Schwarz, die Gelegenheit, auf dem Harbour-Front-Festival in Hamburg mit der schwedischen Autorin Emmy Abrahamson über ihren autobiografischen Roman „Widerspruch zwecklos oder: Wie man eine polnische Mutter überlebt“ zu sprechen.
Nach einer moderierten Lesung mit der Schauspielerin Fritzi Haberland, die bereits das Hörbuch eingelesen hat, interviewte ich Emmy Abrahamson im Hause des Gruner + Jahr-Verlags.

Blaue Seite: Wenn Sie die Möglichkeit hätten, sich mit Alicja (das jugendliche Alter Ego der Autorin) oder auch mit Ihrem jüngeren „Ich“ zu unterhalten, was würden Sie ihr raten?

Emmy Abrahamson: Ich würde Alicja sagen: „Relax, es ist nicht so schlimm, wie du denkst. Andere Leute haben auch peinliche Eltern. Du bist nicht alleine. Versuch, darüber zu lachen, und alles wird viel, viel, viel leichter. Mit Humor kann man wirklich alles überleben, sogar eine polnische Mutter.“

BS: Während der Lesung und basierend auf den Fragen der Moderatorin haben Sie gesagt, dass in Ihrer Familie nicht wirklich über das Buch gesprochen wird. Denken Sie, dass Ihre Kinder das Buch irgendwann lesen und vielleicht auch sagen werden: „Mama war ja auch so!“ oder „Da gibt es Ähnlichkeiten zu Beata!“ (Beata ist im Roman Alicjas Mutter.)?

Emmy Abrahamson: Ja, wahrscheinlich. Ich hoffe, dass sie nicht sagen werden, dass ich wie die Beata im Buch bin. Ich versuche wirklich so wenig wie möglich wie Beata zu sein. Aber jetzt, da ich Kinder habe, ist alles ganz anders, als ich mir das zuvor gedacht habe. Aber ich hoffe, hoffe, hoffe, ich werde anders.

BS: Alicja bekommt sehr viele Lebensweisheiten und Ratschläge mit auf den Weg, und einige davon wird sie ganz sicher nicht umsetzen: z.B., dass sie sich ihr Gesicht mit Urin waschen soll, um Pickel zu verhindern. Aber gibt es eine Lebensweisheit oder einen Ratschlag, der aus Polen kommt und den Sie auch heute noch befolgen?

Emmy Abrahamson: Ja, das würde ich sagen. In einem Kapitel sagt die Mutter zu Alicja: „Sei nicht so schwedisch.“ Und das ist ein guter Rat. Denn ich glaube, Schweden brauchen immer Sicherheit. Sie lieben Ordnung, sie hassen Chaos, sie mögen keine großen Überraschungen. Aber das Leben kann sehr langweilig werden, wenn man so lebt. Ich glaube, das Beste ist eine Kombination von polnisch und schwedisch: Ein bisschen Chaos und ein bisschen Ordnung. Und ich glaube, von allen Ratschlägen ist das der einzige, dem Alicja folgen sollte.

BS: Demnächst erscheint die sogenannte „London-Trilogie“. Der Leser begleitet Filippa, die Hauptfigur, während sie sich in London an der besten Schauspielschule zur Schauspielerin ausbilden lässt. Auch diese Bücher werden autobiografisch sein. Ist die Hauptfigur vielleicht an Alicja angelehnt?

Emmy Abrahamson: Ja, das ist sie. Filippa ist vielleicht nicht so cool wie Alicja. Am Anfang ist sie sehr scheu, und sie weiß nicht, wie sie sich verhalten soll. Aber sie ist wirklich lustig. Filippa hat mehr Humor als Alicja, die manchmal ein wenig zu ernst ist. Mit Filippa hat man sehr viel zu lachen.

BS: Alicja empfindet ihr Leben oft als eine einzige große Peinlichkeit, als Problem. Denken Sie, dass es für sie irgendwann möglich wäre, auch einfach loszulassen? Den Schritt in diese Richtung hat sie ja schon zum Ende des Buches gemacht, als es auf der Hochzeit eskaliert und sie ihrer Mutter ihre Meinung sagt. Denken Sie, dass es für sie möglich sein wird, auch schöne Erinnerungen zu sammeln?

Emmy Abrahamson: Dadurch, dass Alicja am Ende losgelassen hat, kann sie das Leben mehr genießen und ihre Mutter besser schätzen. Ich glaube, dass Alicja ihre Mutter wahrscheinlich nie zu 100 Prozent akzeptieren wird. Aber sie wird schon lockerer sein und mehr Spaß haben. Das jedenfalls hoffe ich als ihre Schriftstellerin. Wenn man jung ist, dann kann man viele Dinge zu ernst nehmen. Daher ist Humor für mich so wichtig. Man kann lernen, über Dinge zu lachen. Auch wenn man nicht damit geboren wurde, kann man wirklich lernen, ein bisschen lockerer zu sein und über alles zu lachen.

BS: Alicja möchte Polizistin werden. Wollten Sie das auch?

Emmy Abrahamson: Ja, das wollte ich. Aus dem Grund, weil meine Mutter so viele illegale Dinge gemacht hat. Wirklich! Sie ist eine richtige Kriminelle gewesen, und das war mir immer sehr peinlich. Daher habe ich immer gedacht, dass ich Ordnung will, dass ich sehr schwedisch bin, dass ich Ordnung in meinem Leben brauche. Es war immer ein Traum von mir, Polizistin zu werden. Weil es da Ordnung gibt und ich dann die „Bad Guys“ in das Gefängnis werfen könnte. Außerdem finde ich die Uniform sehr schön. Für mich war das immer ein cooler Job. Ich bin mir sicher, dass es eigentlich ein schrecklicher Job ist, und ich bewundere alle Polizisten.

BS: War der Abschluss des Buches „Widerspruch zwecklos“ für Sie eine Art Schlussstrich unter Ihre Jugend?

Emmy Abrahamson: Das ist eine sehr gute Frage. Ich dachte, dass ich mich besser fühlen würde mit dem, was ich erlebt habe. Dass es wie eine „psychologische Reinigung“ wäre. Aber so war es nicht. Das ist ein bisschen schade, weil ich wirklich gehofft hatte, dann eine Tür schließen zu können. Aber die Tür steht immer noch offen. Es gab keine „Reinigung“. Das einzig Positive ist, dass ich mit meinen Erlebnissen Geld verdiene.

RedakteurRedakteur: Rahel
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