Interview

Interview mit Eva Siegmund

Durch die Jugendbuchtage 2017 hatte unsere Redakteurin Rina die Chance Eva Siegmund mit Fragen zu ihrem Buch „Pandora“ zu löchern.

Blaue Seite: Und wer, glauben Sie, wäre Ihr größter Gegenspieler?  
 
Eva Siegmund: Wenn ich aus dem Hinterhalt agiere, wäre mein größter Gegenspieler derjenige, der den Hinterhalt sofort bemerkt. Nur wirklich kluge Menschen, die ihre Augen offenhalten, können kleinste Veränderungen bemerken. Derjenige, der die Wahrheit sieht, wäre demnach mein größter Gegenspieler.  
 
Blaue Seite: Das ist gut nachvollziehbar. Wenn Sie selbst jetzt entdecken würden, dass Sie eine Zwillingsschwester hätten – haben Sie eine?  
 
Eva Siegmund: Nein, ich habe keine.

Blaue Seite: Aber wenn Sie von einer Zwillingsschwester erfahren würden, würden Sie sich eher wie Sophie von innen verschließen oder wie Liz die Fassung verlieren und für einen kurzen Moment alles um sich herum vergessen?  
 
Eva Siegmund:
Ich wäre wahrscheinlich wie Sophie eher die Stillere, würde mir aber wünschen, so wie Liz ausrasten zu können. Denn hinterher würde es mich wahrscheinlich unglaublich aufregen. Ich würde mich fragen: „Warum hast du dieses oder jenes nicht gesagt? Du hättest so cool und geistreich sein können!“ Aber tatsächlich leide ich sehr stark unter dem Eisstatuen-Syndrom, oder dem Fisch-aufdem-Land-Syndrom. In einem Streit weiß ich oft nicht, was ich sagen soll. Ich versuche immer, höflich zu bleiben, damit der Streit nicht eskaliert.
 

Blaue Seite: Das ist ja nicht immer etwas Schlechtes. Ich habe eine weitere Frage an Sie: Wer ist auf dem Cover zu sehen? Liz, Sophie, oder soll es jemand ganz anderen darstellen?  

Eva Siegmund: Das Cover wird ja immer vom Verlag ausgesucht. Ich muss zugeben, dass ich auch ein bisschen irritiert war. Ich sage mir, auf dem Cover ist  Sophie zu sehen. Sie ist die mit den langen blonden Haaren, und es gibt eine Szene, in der sie im Traum ein Kleid wie auf dem Cover trägt. Deshalb ist es nicht ganz unpassend. Ich finde auch, dass das Kleid die Farben eines Sonnenaufgangs hat, was man ja auch mit Träumen assoziiert. Im Moment gibt es ja viele Cover, die so aussehen … Ein Freund meinte, dass die Werbung in den Träumen auch mit Bekanntem spielt und dem Träumer Dinge vorgaukelt. Deswegen ist das Cover – um die Ecke gedacht – perfekt für ein Buch, in dem auch Menschen manipuliert werden.  

Blaue Seite: Ist das auch etwas, dass Sie antreibt: das Streben nach Macht?  
 
Eva Siegmund: Nein, gar nicht. Auf keinen Fall. Dann wäre ich vielleicht Anwältin geworden. Ich wäre froh, wenn ich alleine in meinem Zimmer schreiben dürfte, und mich alle in Ruhe ließen. Mit Macht habe ich nichts am Hut.  
 
Blaue Seite: Daraus schließe ich jetzt mal, dass Sie sich eher nicht so mit dem Sandmann identifizieren können. Wie sieht es denn mit den anderen Figuren aus?  
 

Blaue Seite: Wenn Sie die Wahl hätten, würden Sie lieber mit Liz tauschen oder ein Leben bei den Wächtern von Pandora wählen, also beim Widerstand?  
 
Eva Siegmund: Das ist eine schwierige Frage. Denn wenn jemand reich ist und alles hat, gibt es keinen Grund, in den Widerstand zu gehen. Aber wenn ich über alles Bescheid wüsste, was für Widerstand spricht, dann hoffe ich natürlich, dass ich tatsächlich in den Widerstand gehen würde und das Geschehen schreibend aus dem Hintergrund heraus verändern könnte. Ich finde es cool, dass Pandoras Wächter den Blog wirklich als Mittel benutzen, Einfluss auszuüben, zu mahnen und aufzurütteln.
 

Blaue Seite: Wie ist denn Ihre persönliche Beziehung zu den Wächtern von Pandora beziehungsweise generell der Sage von Pandora?  
 
Eva Siegmund: In der Geschichte impliziere ich ja, dass die Technik in der Büchse der Pandora war. Die Technik ist also das Übel – das sage ich jetzt überspitzt – das über die Welt gekommen ist. Die Überwachung ist immer weiter fortgeschritten, der gläserne Mensch sozusagen, und ich glaube, es wird noch schlimmer. Das war die Grundidee für den Titel. Dass die Technik und die Chips und diese ganzen Sachen in der Büchse waren. Das Buch war erst fünf, sechs Seiten lang, als ich das Dokument Pandora genannt habe, und dabei blieb es dann auch.  
 

Blaue Seite: Träumen Sie manchmal, obwohl Sie ja wahrscheinlich keinen Port im Gehirn haben, auch von Werbung? Es gibt ja manchmal Clips, die sich ins Gehirn einschleichen und dann vielleicht auch in den Träumen auftauchen?  
 
Eva Siegmund: Ich habe keinen Fernseher. Deswegen bin ich davon wohl verschont. Aber ich träume schon manchmal Alltagsquatsch. Ich merke dann, dass Erlebnisse oder anstehende Ereignisse sich einschleichen. Deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass sich auch Werbung oder Produkte einschleichen könnten.
 
Blaue Seite
: Würden Sie sich, obwohl Sie sich ja der Folgen bewusst wären, trotzdem einen Port (ein computerähnlicher Chip im Kopf, der über die Netzhaut mit dem Benutzer kommuniziert, Anm. d. Red.) zulegen?

Eva Siegmund: Auch eine interessante Frage. Ich habe die ganze Zeit gedacht: „Nein!“ Dann habe ich neulich eine Dokumentation gesehen über Cyborgs – über Leute, die das jetzt schon tun. Ein Forscher hat gesagt, dass Menschen, die sich dieser Technik verweigern, irgendwann nicht mehr an der Gesellschaft teilnehmen können. So ähnlich wie die Leute, die sich anfangs gegen das Internet gesträubt haben. Irgendwann soll es mit den Chips und den künstlichen Teilen wie mit dem Internet sein: Wenn du es nicht nutzt, bist du außen vor. Ich kann mir also schon vorstellen, dass der Druck so hoch wird, dass ich es mache. Und dann versuche, so verantwortungsvoll wie möglich damit umzugehen – dann vielleicht scheitere und es bereue.
 

Blaue Seite: Ich wollte auch auf die Cyborgs zu sprechen kommen: Würden Sie sich denn mit einem Port als Cyborg betrachten? Der Port ist ja schon fest im Körper verankert.  
 
Eva Siegmund: Genau. Die Menschen, die das jetzt schon machen, bezeichnen sich selbst als Cyborgs. Rein nach der Definition ist es so, dass du ein Cyborg bist, sobald du ein Computerteil in deinem Körper oder eine künstliche Hüfte hast.  Ich denke ohnehin, dass man immer das ist, wofür man sich selber hält. Einer von ihnen hat sich das sogar in den Pass eintragen lassen, ein Brite, der hat eine Antenne am Kopf. Hast du von ihm gehört?

Blaue Seite: Glauben Sie, dass derzeit jemand an solchen Chips arbeitet, wie Sie sie in ihrem Buch erfunden haben? Wenn ja, dann eher Microsoft, Apple oder Google?  
 
Eva Siegmund: Ja, ich denke schon und tippe auf Google. Ich gehe fest davon aus, dass zu dem Thema geforscht wird. Ich weiß auch, dass es schon eine paar Chips gibt, die in die Köpfe eingesetzt wurden. Es gibt Anti-Epilepsie-Chips, es gibt AntiAlkoholiker-Chips, die wurden jetzt getestet. Die wurden tatsächlich Alkoholikern eingesetzt, um mit Elektroimpulsen den Drang nach Alkohol unterdrücken. Google ist schon bei den Google Glasses und die werden mit Sicherheit weitergehen.  
 

Blaue Seite: Und denken Sie, Microsoft und Apple sind noch nicht so weit?  
 
Eva Siegmund: Ich glaube, dass die nicht dieses Datenvolumen haben, das die Sache attraktiv machen würde. Bei Google wäre es folgerichtig: was das Unternehmen bereits an Daten über so viele Nutzer gesammelt hat: das Suchverhalten usw.  Ich glaube, dass eben genau diese Kombination aus Internetchip und nutzerbasierten Werbeclips bei Google besonders gut funktionieren könnte. Die haben sich ja schon manchmal als sehr unmoralisch erwiesen haben, vor allen Dingen als sehr datenschutzrechtsignorant. Aber vielleicht lehne ich mich da jetzt auch ein bisschen zu weit aus dem Fenster. Ich habe Freunde, die in dem Bereich arbeiten. Wenn ich mich mit denen unterhalte, kapiere ich nur ein Drittel von dem, was sie sagen. Deswegen ist wohl nur mein Bauchgefühl gegenüber dem, was Google bisher gemacht hat.  
 

Blaue Seite: Haben Sie Angst vor einer Zukunft, in der praktisch jeder ein Cyborg ist, auch wenn es diesen Sandmann nicht gäbe?  
 
Eva Siegmund: Angst ist ein zu großes Wort. Ich glaube nur, dass es sehr komplex wird. Es wird ja jetzt schon immer komplexer. Seit ich auf der Welt bin, wurde alles schon so viel komplizierter. Man muss so viel mehr beachten, es gibt so viel mehr Infos. Wenn das so weiter geht, muss man sich auch immer stärker schützen, und an immer mehr denken. Meine Mama musste daran denken, dass man die Mülltonne rausstellt und Essen gekocht wird und dass sie beim Einkaufen das Klopapier nicht vergisst. Ich muss daran denken, dass ich die Mails beantworte, an Instagram, an Facebook – alles wichtig. An die Eigenwerbung, dass das Handy aufgeladen ist, dass ich alles in die Cloud hochlade und so weiter. Das alles würde noch viel schlimmer werden und auch gefährlicher. Ich traue vielen Leuten zu, damit vernünftig umzugehen. Ich traue mir auch selbst ein Stück weit zu, mich gut zu schützen, aber das würde nicht allen so gehen. Angst vor der Zukunft finde ich merkwürdig, denn Zukunft ist auch immer spannend, egal, was passiert. Außerdem will man ja weiterleben, deshalb ist die Zukunft etwas, was schöner ist, zu erreichen als nicht zu erreichen. Aber sie ist auch immer ein bisschen angsteinflößend – und diese Version der Zukunft ist auch angsteinflößend,
ja. Aber nur potenziell, nicht für mich persönlich.

RedakteurRedakteur: Rina
FotosFotos: Clara
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