Interview mit Floortje Zwigtman
Ort: Leipziger Buchmesse
Bücher der Autorin: „Ich, Adrian Mayfield“, „Adrian Mayfield- Versuch einer Liebe“, „Adrian Mayfield- Auf Leben und Tod“
Blaue Seite: Worum geht es in „Adrian Mayfield“?
Floortje Zwigtman: Es ist ein Roman, der am Ende des 19. Jahrhundert spielt. Adrian Mayfield ist ein Junge, der in eine arme Familie geboren ist, im Osten der Stadt London. Und wenn man damals im Osten der Stadt geboren wurde, dann blieb man für immer arm. Aber Adrian will alles anders. Er will das große Leben und die große Liebe. Aber da ist ein Problem, was es noch schwieriger für ihn macht. Er ist homosexuell und das ist am Ende des 19. Jahrhundert ein Verbrechen. Man kann dafür ins Gefängnis gesteckt werden und niemand sollte das wissen, wenn man homosexuell ist. Aber Adrian hat sich in einen Maler verliebt. Vincent Farley. Und der ist sehr reich, aber der denkt auch, dass Homosexualität eine Sünde ist und nun ist er in einen Jungen verliebt. Das kann nicht sein. Und das gibt Probleme, eine Menge Probleme und Elend und das durch 3 Bände.
BS: Warum sollte man „Adrian Mayfield“ lesen und was ist das besondere an den Büchern?
Floortje Zwigtman: Ich habe es geschrieben, weil es mir Spaß macht und wenn es dir Spaß macht in eine andere Welt zu reisen, die Welt der Vergangenheit und man Menschen entdecken will, die in dieser Zeit denken und leben und man sich auf eine romantische dramatische Geschichte freut, sollte man es lesen.
BS: Warum haben Sie ausgerechnet Adrian als Hauptcharakter gewählt und nicht zum Beispiel Oscar Wilde, der ja auch in den Büchern vorkommt und der ja wesentlich berühmter ist und durch den Adrian Zugang zu der ganzen Szene bekommt?
Floortje Zwigtman: So eine Hauptperson würde aber einem Schriftsteller weniger Freiheiten lassen. Über Oscar Wilde ist sehr viel bekannt. Es ist bekannt wie er sich kleidete und wie er redete, wo er war an einem bestimmten Augenblick. Und ich wollte da Freiheiten haben. Ich wollte nicht eine Geschichte schreiben, die es schon gibt. Und wenn ich denke, ich möchte Adrian in eine Kneipe schicken oder nach Paris, dann muss das möglich sein. Und dann muss ich nicht denken: „Aber Oscar Wilde war in dem Moment in Amerika, das kann ich nicht machen“.
BS: Warum spielt die Geschichte denn in England?
Floortje Zwigtman: Ich liebe England und finde, dass es ein so interessantes Land ist. Besonders am Ende des 19. Jahrhundert, denn da geschieht so viel. Es gab damals schon viele Dinge wie heute. Zum Beispiel Idole. Oscar Wilde war ein Idol. Er hat immer eine grüne Blume getragen und die Leute wollten wissen warum. Es war ein Zeichen der Homosexualität, aber niemand wusste das. Und es wurde immer darauf geschaut was er machte und sagte. Und man konnte schon in den Zeitungen lesen wie es in Afrika war und es gab Trends und Mode und was mich sehr erstaunt hat war, dass es damals schon Inline-Skates gab. Das war auch ein Trend von Mädchen und Jungen, die zusammen im Park auf den kleinen Rollen gefahren sind. Es ist lange her, aber so anders als heute ist es nicht.
BS: Sie waren ja auch in London und Paris für Recherchen. Was haben Sie erlebt?
Floortje Zwigtman: Was mich sehr beeindruckt hat, war ein Hospital. Ich habe einen Raum gesucht, wo operiert wurde. Das Hospital war aufgebrochen und für den Raum, in dem operiert wurde, hat man eine Mauer gebaut. Und erst in 50er Jahren des letzten Jahrhunderts hat man den Raum wiederentdeckt und wenn man da ist spürt man, wie es war da krank gewesen zu sein. Da wurde ohne Betäubung operiert und man wurde festgebunden auf den Liegen und das war schrecklich. Das war eine Inspiration für mich, weil ich das Leiden der Menschen gespürt habe und in Adrians Zeiten sagte man, dass wenn man ins Hospital geht, dort zum sterben hingeht. Wenn man dort ist spürt man die Geschichte.
BS: Adrian kennt viele homosexuelle Personen. Wie sah die Realität damals aus?
Floortje Zwigtman: Ich habe mich beim Schreiben natürlich auf eine bestimmte Gruppe konzentriert und dadurch habe ich vielleicht den Eindruck erweckt, dass es nur Homosexuelle in England gab. Sie waren aber da, aber sie waren unsichtbar. Man muss in Büchern, Geschichten und Briefen suchen, sodass man spürt wie viele Männer das waren. Das war eine richtige Clique, aber immer unsichtbar. In den letzten 10 Jahren hat es sich entwickelt und es gibt mehr Bücher über das Thema. Aber als ich im Jahr 2000 angefangen habe für das Buch zu recherchieren, war da nichts.
BS: Es gibt kaum heterosexuelle Jungen, die Bücher über Homosexualität lesen, dafür aber umso mehr Mädchen. Wie erklären sie sich das und was fasziniert Mädchen daran, besonders wenn es keine weibliche Hauptperson gibt?
Floortje Zwigtman: Das hat mich auch erstaunt. Ich spüre das noch mehr in Deutschland als in den Niederlanden. Es gibt sehr viele Mädchen, die über homosexuelle Jungen lesen. Es ist natürlich sexy, aber ich denke auch, dass Mädchen sich Jungen wünschen, die keine Machos sind, sondern auch Gefühle haben und vielleicht auch weinen. Es ist eine Reaktion darauf wie Jungen heutzutage denken, wie sie sein sollen.
BS: War es schwer aus seiner Sicht zu schreiben?
Floortje Zwigtman: Die Frage wird mir sehr oft gestellt und einmal habe ich gesagt: „Ich war früher ein Mann. Das ist nicht schwer.“ Aber nein, ich habe nach Gefühlen gesucht, die Adrian und ich gemeinsam haben. Die Suche nach Liebe und Sicherheit. Und ich habe probiert mir vorzustellen wie das ist ein Junge zu sein, der nicht viele Freunde hat und sehr isoliert ist, wie das für ihn ist. Aber die technischen Details?
BS: Haben Sie sich die ausgedacht?
Floortje Zwigtman: Ich habe darüber gelesen und ich habe auch homosexuelle Freunde und die habe ich dann gefragt ob das so stimmt.
BS: Gibt es eine Szene im letzten Buch, die Ihnen besonders Spaß gebracht hat?
Floortje Zwigtman: Es gibt eine, aber die war sehr gemein. Das ist die Szene als man denkt, dass Adrian stirbt. Als über Adrians Ende geschrieben wird, als er im Irrenhaus ist und er vergiftet wird. Man weiß nicht wer die Person ist, die das erzählt. Es ist ein Journalist. Irgendwer hat geschrieben: „Ich dachte, dass Adrian stirbt. Mein Herz stand still“ Und das ist echt gemein von mir, aber ich wollte diesen Effekt.
BS: Was sprach für Sie gegen ein Happyend mit Vincent und Adrian?
Floortje Zwigtman: Es ist nicht natürlich. Sie sind so anders. Sie stammen aus anderen Familien. Der eine ist reich, der andere arm und eine Liebe zwischen zwei Menschen aus so unterschiedliche Milieus, das war in den 19ten Jahrhundert eben so unmöglich wie eine Liebe zwischen zwei Männer. Ich wollte ein Happyend und nicht eins wo man die ganze Zeit weiß, dass die beiden zusammenkommen. Ich wollte eine Überraschung, aber kein unglückliches Ende, weil es so viele Romane über Homosexualität gibt, mit einem schrecklichen Ende wie Selbstmord oder Tod.
BS: Also wussten Sie am Anfang noch nicht, dass es zwischen den beiden kein Happy End geben wird?
Floortje Zwigtman: Doch, das wusste ich.
BS: Adrian hat dieses „Oh hell“ Gefühl im Buch. Wie kamen Sie darauf?
Floortje Zwigtman: (lacht) Aus meinem eigenen Leben. Ich war mehr als drei Jahre lang Lehrerin und habe gleichzeitig auch studiert. Deshalb hatte ich keine feste Schülergruppe, aber ich wurde halt immer angerufen, wenn ein Lehrer krank war und ich einspringen sollte. Das war immer sehr früh am Morgen und ich wusste, wenn ich in der jeweiligen Schule angekommen war, nicht, wo die Bücher sind und wie die Kinder sind und wie sie heißen. Es war immer sehr chaotisch. Und deshalb dachte ich, wenn ich morgens das Telefon klingeln gehört habe: Oh hell. Und das ist das „Oh hell“ Gefühl im Buch.
BS: Was haben Sie denn unterrichtet?
Floortje Zwigtman: Alles. Ich war Lehrerin in der Grundschule. Von Niederländisch über Rechnen bis Sport. Alles.
BS: Vincent und Trops sind beide Künstler. Malen Sie selber gerne?
Floortje Zwigtman: Ja. Ich malte und zeichnete schon bevor ich Schreiben gelernt habe. Ich malte immer ganze Geschichten. Aber ich meinte, dass ich nicht gut genug sei um Künstlerin zu werden und dann musste ich mich entscheiden, ob ich Romane schreiben oder Malen wollte. Ein Freund von mir hat mal ein Manuskript von mir gelesen und ich sagte zu ihm, dass er mir die Wahrheit sagen solle, ob es gut genug ist, um es zu publizieren. Denn wenn ja, wollte ich es versuchen und wenn nicht, dann würde ich versuchen, Malerin zu werden. Und er meinte, es sei gut genug. Ich habe es dann zu einem Verlag geschickt und sie haben nach zwei Tagen angerufen. Und das war so komisch! Ich war am Telefon und sagte nur „Ja“, „Oh“, „Ja“, „Natürlich“. Und ich dachte nur, ich habe keine Ahnung, wie mein Leben jetzt wird!
BS: Adrian ist unter anderem ein Stricher. Damit verdient er teilweise sein Lebensunterhalt. Aber er glaubt trotzdem noch an die wahre Liebe. Ist es bei Ihnen genauso?
Floortje Zwigtman: Ob ich auch ein Stricher war? (lacht)
Achso, ob ich an die wahre Liebe glaube! Ja, ich denke schon. Es ist für mich sehr wichtig. Vielleicht nicht bewusst. Aber, dass man einen Seelenverwandten hat und Dinge auf die gleiche Weise erlebt und fühlt, das ist für mich sehr wichtig. Und ich bin nicht sehr oft verliebt gewesen. Ich kann nicht halb verliebt sein, nur immer zu hundert Prozent. Wenn es vorbei mit meinem Freund ist, ist es nicht so, dass ich denke: Okay, ich brauche schnell einen anderen.
BS: Adrian leidet sehr, weil er in eine arme Familie geboren wurde. Und dadurch wurde seine Berufswahl automatisch eingeschränkt. Wenn sie genug Geld hätten und nie wieder arbeiten müssten, würden Sie dann trotzdem noch Schreiben?
Floortje Zwigtman: Ich werde immer schreiben. Ich habe schon immer erzählt. Ich war ein kleines Kind, zwei oder ein und halb, und ich konnte kaum sprechen, aber ich erzählte ganz viele Geschichte. Ich bin dafür geboren. Es gibt andere Leute, die sind geborene Fußballer oder Sänger. Und ich bin geboren, um Geschichten zu erzählen.
BS: Wie war es für Sie, als Sie den dritten Band abgeschlossen haben? Waren sie traurig?
Floortje Zwigtman: Erleichtert. Der dritte Band war sehr schwierig. Ich wusste genau, was da passieren sollte, aber ich wusste auch, dass der zweite Band von den Kritikern nicht sehr gut bewertet worden war. Und ich wollte es allen zeigen, wie gut ich bin. Ich war sehr motiviert, vielleicht übermotiviert. Und darum war es sehr schwer zu schreiben, denn ich war nicht frei. Ich merke, dass meine neuen Romane anders sind. Sie sind wieder so, wie in den Jahren wo ich angefangen habe zu schreiben. Ich mache, was ich selbst will und denke nicht daran, was andere davon halten. Das ist gut.
BS: Werden in Deutschland denn demnächst noch andere Bücher von Ihnen entscheiden?
Floortje Zwigtman: Das weiß ich noch nicht. Man muss immer wieder anfangen, einen neuen Verlag zu finden. Deshalb ist das sehr unsicher.
BS: War die „Adrian“- Trilogie denn erfolgreich in Deutschland?
Floortje Zwigtman: Mhm… es könnte besser sein. Die Leute, die sie gelesen haben, sind sehr begeistert von ihnen. Aber es ist schwierig, mehr Leute zu finden, die das lesen wollen. Es gibt verschiedene Faktoren, die es nicht einfach machen, das Buch zu verkaufen. Es sind dicke Bücher und das Thema ist auch ein bisschen tabu, denke ich.
BS: Eine Frage, die nichts mit dem Buch zu tun hat. Was ist das letzte, was sie sich gekauft haben?
Floortje Zwigtman: Ich habe zwei Bücher gekauft. Ich habe ein Buch gekauft, das ich als Kind sehr gerne gelesen habe. Es ist von Astrid Lindgren „Ronja die Räubertochter“. Ich habe ein sehr altes Exemplar, das ist ganz kaputt und es ist auch mal ein Teller Suppe darüber gekippt, deshalb wollte ich ein neues haben. Und ich habe auch noch ein ganz anderes Buch gekauft. Ich weiß nicht, wie es auf Deutsch heißt. Es ist von einem französischen Autor und es handelt von einem Kampfkommandanten im zweiten Weltkrieg. Das Buch hat verschiedene Preise gewonnen, aber es auch sehr umstritten, da es ziemlich grausam ist.
BS: Jeder Mensch hat ja seine eigenen Macken und Fehler. Welche würden Sie denn nicht stören?
Floortje Zwigtman: Also das ist ein Fehler, den ich selber mache, aber auch viele andere Menschen. Ich achte zu viel auf das, was andere über mich denken. Denn wenn mir jemand sagt, dass ich eine tolle Schriftstellerin bin, glaube ich das – aber auch, wenn jemand das Gegenteil zu mir sagt. Und ich sage immer zu anderen Leuten, dass sie selbstständig denken und eine eigene Meinung haben sollen. Aber ich mache es selber auch nicht…
BS: Was hat für Sie eine blaue Seite?
Floortje Zwigtman: Die Luft. Die endlose See und die endlose Weite. Und das sind Bücher ebenfalls. Bücher sind endlose Welten. Alles, was man im Leben nicht erlebt, kann man in Büchern erleben.