Interview mit Isabel Abedi (2021)
Im Rahmen eines Workshops bekamen Charlotte, Isabelle, Leo und Michelle die Möglichkeit hinter die Kulissen der Blauen Seite zu gucken und Autoren wie unter anderen Isabel Abedi zu interviewen. Das fertige Interview könnt ihr hier lesen:
Blaue Seite: Sie haben mal erzählt, dass Harry Potter Sie zum Schreiben gebracht hat. In welchem Buch merkt man das besonders?
Isabel Abedi: In keinem meiner Bücher. Es ist nicht Harry Potter, der mich zum Schreiben gebracht hat. Die Harry-Potter-Bücher haben mir eine Tür geöffnet. In der Zeit, in der ich mit dem Schreiben angefangen habe, war es noch nicht selbstverständlich, dass Kinder-und Jugendliteratur auch von Erwachsenen gelesen werden können. Für Schreibanfänger standen die Türen noch nicht so weit offen. Das heißt: Die Harry-Potter-Bücher haben mich daran erinnert, dass ich als Kind gerne gelesen habe, und dass es für Erwachsene genauso erfüllend sein kann, Kinder-und Jugendbücher zu lesen. Aber es war nicht so, dass ich gedacht habe: Oh, das ist eine Geschichte über einen Jungen, der in eine magische Schule kommt und da seine Zauberkräfte entdeckt. Das inspiriert mich jetzt zu einer Geschichte.
Blaue Seite: Sie haben schon als Kind geschrieben. Welche Art von Büchern haben Sie da geschrieben?
Isabel Abedi: Ich habe als Kind nur ein einziges Buch geschrieben. Und dieses Buch heißt „Murkels gruseligster Geburtstag“ oder „Murkel und das Spukschloss“. Das habe ich meiner Mutter gewidmet. Meine Mutter war in meiner Kindheit Werbetexterin. Als ich erwachsen war, wurde sie Buchhändlerin. Als Kind war meine Mutter immer „Maxi Murkel“ und ich war „Mini Murkel“ –und Murkel war ein Schwein. Sie war das große Schwein und ich war das kleine Schwein. Meine Mutter hat Schweine gesammelt. So wie in meinem Roman „Imago“, da kommt eine Mutter vor, die Schweine sammelt und ebenfalls in der Werbung arbeitet. „Murkel“ war das einzige Buch, das ich als Kind geschrieben habe. Ich habe ein einziges Exemplar in meinem eigenen Verlag veröffentlicht, dem Abedichen Verlag, und meiner Mutter zum Geburtstag geschenkt. Ansonsten habe ich Tagebücher und Briefe geschrieben.
Blaue Seite: An wen haben Sie die Briefe geschrieben?
Isabel Abedi: Zum größten Teil an meine Mutter. Weil ich ohne Vater aufgewachsen bin und meine Mutter Vollzeit gearbeitet hat, bin ich bei meinen Großeltern aufgewachsen. Wenn ich mit meinen Großeltern in Urlaub war, habe ich meiner Mama Postkarten oder Briefe nach Hause geschickt. Später mit sechzehn oder siebzehn habe ich als Austauschschülerin in Oregon gelebt. Damals gab es noch keine E-Mails, keine Whats-Apps, keine Kurznachrichten. Es gab ein altes Telefon, aber telefonieren war wahnsinnig teuer. Deshalb habe ich Briefe geschrieben. Diese Briefe waren immer 20 Seiten lang oder mehr. Die habe ich noch –ein Riesenstapel Briefe.
Blaue Seite: Hat Ihr Jahr in der USA Ihr Schreiben beeinflusst?
Isabel Abedi: Ja, später. Das habe ich damals nicht gewusst. Damals habe ich in den Briefen nur von meinen eigenen Erlebnissen geschrieben. Ich habe verschiedenste Briefe geschrieben –auch meinen Freundinnen und an den Freund meiner Mutter. Ich würde rückwirkend sagen, dass das, was ich da erlebt habe, mich geprägt hat. Einige meiner Geschichten haben Los Angeles als Schauplatz. Dort habe ich nach meinem deutsche Abitur ein weiteres Jahr verbracht. Ich bin eng mit Cornelia Funke befreundet und habe sie oft in L.A. besucht. Das alles hat mein Schreiben beeinflusst. Manchmal habe ich überlegt, ob ich eine Geschichte mit einem Au-pair-Mädchen oder einer Austauschschülerin als Protagonistin schreibe. Das habe ich aber bis jetzt noch nicht gemacht.
Blaue Seite: Hat etwas Besonderes Sie beeinflusst, wie zum Beispiel das Meer?
Isabel Abedi: Das Meer hat mich auch beeinflusst. Ich habe meinen Jugendroman „Lucian“ in Los Angeles fertiggeschrieben. Ich habe ich mir ein Häuschen mit Blick aufs Meer gemietet, in Venice Beach. Dort war ich früher Praktikantin in einer Filmproduktion. Was ich da gelernt habe, ist auch in einige meiner Bücher eingeflossen.Das Meer kommt in „Lucian“ vor. Jetzt, wo du es sagst: Das Meer hat mich stark beeinflusst.
Blaue Seite: Was bedeutet Schreiben für Sie?
Isabel Abedi: Schreiben ist meine Leidenschaft und in der Leidenschaft steckt auch das Leiden. Schreiben ist kein Hobby, bei dem ich nur Spaß habe. Beim Schreiben leide ich auch. Zum Teil, weil ich mitfühle, was ich schreibe. Wenn die Figur im Buch traurig ist, muss ich –und will ich –diese Traurigkeit mitfühlen, um Sie zu beschreiben. Mir hat eine Schauspielerin gesagt, das sei beim Schreiben noch stärker als beim Schauspielen. Schauspielerinnen und Schauspieler haben die Möglichkeit, es zu spielen –ich habe diese Möglichkeit nicht. Ich muss sehr genau beschreiben, was da passiert und was da vor sich geht. Das kann manchmal sehr schmerzhaft sein. Andererseits ist Schreiben mein Spielzimmer. Die Welt in einem Buch ist ein Paralleluniversum, in das ich immer wieder eintauche –beim Schreiben und beim Lesen. Wenn ich einen Roman oder eine Geschichte schreibe, lebe ich in dieser Geschichte –auch wenn ich nicht schreibe. Insofern würde ich sagen: Mein Leben ist durch das Schreiben geprägt. Seitdem ich Autorin bin und weiß, dass das, was ich schreibe, gelesen wird, ist Schreiben auch mit Druck verbunden. Ich muss beim Schreiben die Anteile wegdrücken, die sich vor Fragen fürchten wie: „Oh, was werden jetzt die Leserinnen und Leser sagen?“, „Oh, was wird der Verlag sagen?“ oder „Oh, wird das gut sein?“ Vielleicht habt ihr schon mal geschrieben und euch Sorgen gemacht, ob das ankommt. Das wird nicht einfacher, wenn die Bücher verlegt und veröffentlicht werden. Für mich jedenfalls nicht.
Blaue Seite: Hören Sie beim Schreiben Musik?
Isabel Abedi: Manchmal, in besonderen Situationen. Musik ist in all meinen Büchern vorhanden. Die Musik ist fast wie eine eigene Figur in meinen Büchern. Es gibt bestimmte Szenen, in die versetze ich mich mit Musik hinein. Ich setze Kopfhörer auf und fahre mit dem Fahrrad auf einer verkehrssicheren Strecke oder durch den Wald und höre Musik. Ich stelle zu meinen Büchern einen Soundtrack zusammen. Wie bei Filmmusik gibt es den Score, die Melodie, die sich durchzieht. Und es gibt Songs, die einzelne Szenen untermalen. Es gibt einzelne Figuren, die ein musikalisches Thema haben. Es gibt Musik für bestimmte Szenen –in „Isola“ gibt es eine Szene in einer Höhle, bei der ich God is a DJgehört habe. Da habe ich nachts in meinem Schreibzimmer beim Schreiben immer wieder dieses Lied gehört. In der Regel schreibe ich aber ohne Musik. Doch ich habe die Musik immer bei mir und tune mich damit ein.
Blaue Seite: Sie haben gesagt, dass Sie manchmal in den Wald gehen und Musik hören. Verreisen Sie auch für Bücher?
Isabel Abedi: Ja, jetzt zum Beispiel: Gerade bin ich verreist. Ich bin ein Mensch, der gerne an Orte zurückkehrt. In der Corona-Zeit haben wir viel darüber gesprochen, was es für uns bedeutet, nicht mehr reisen zu können. Für mich war es sehr schön, dass ich Deutschland und die Welt vor meiner Haustür entdecken konnte. Die Orte, die in meinen Büchern Schauplätze sind, sind meistens Orte, die ich schon sehr, sehr lange kenne. Insofern fahre ich selten an einen Ort, um zu recherchieren. Es sind eher Orte, die ich in „roman“-tischer Erinnerung habe. Aus dieser Erinnerung heraus schreibe ich. Der Ort in Umbrien, wo ich mich gerade aufhalte, ist ein Sommerort für mich. Hier finden Workshops statt. Menschen machen Urlaub oder arbeiten hier. Ich mache hier meine Übersetzungen. Ein Teil dieses Ortes ist Schauplatz im Roman „Die längste Nacht“, der eigentlich in der Toskana spielt. Im Roman kommt auch diese alte Villa vor, in der ich gerade bin. In der Geschichte scheint es, als würde sie dicht bei dem italienischem Dorf, in dem die Haupthandlung stattfindet, liegen. In Wirklichkeit liegen etwa 150 km dazwischen. In diese Villa reise ich immer wieder, weil es sehr schön hier ist und ich viele Eindrücke an diesem Ort gesammelt habe. Zum Beispiel diese Zikaden (man hört Zikaden-Geräusche).Oder Kröten –ich habe nicht gewusst, dass Kröten bellen! Ja, Kröten bellen! Ich liege nachts in meinem Zimmer und höre sowas wie eine Orgie im Brunnen und zwischendurch bellt es. Ich dachte, es wären Hunde. Aber nein: Es waren wirklich nur die Kröten. So etwas kann ich mir nicht ausdenken. Das erfahre oder erlebe ich beim Reisen. Das macht die Romane reicher. Insofern ist das Reisen wichtig für mich. Aber wenn ich an einem Roman schreibe, ist ein geschützter Raum zum Schreiben das Wichtigste. Ich könnte hier in Italien auch an einer Geschichte schreiben, die an einem anderen Ort spielt. Aber ich muss diesen Ort gut kennen.
Wir: Was tun Sie, wenn Sie eine Schreibblockade haben?
Isabel Abedi: Das kommt drauf an, wie groß sie ist, wie lange sie dauert und wie hartnäckig sie ist. Auf jeden Fall bin ich schwer auszuhalten, wenn ich eine Blockade habe. Da kommen wir wieder zur Frage: „Was macht das Schreiben mit mir?“ Es macht so viel mit mir, dass ich mich total zerlegt und wertlos fühle, wenn es nicht klappt. Dann bröckelt alles in mir zusammen und das bekümmert auch mein Umfeld, weil sie mir helfen wollen. Aber mir ist eigentlich gar nicht zu helfen. Ich muss es aushalten. Und die, die um mich herum sind, müssen es mit aushalten. Manchmal kann es eine kleine Stelle im Roman sein, die nicht stimmt. Dann kann ich spazieren gehen. Baden hilft mir. Ich gehe tatsächlich unter die heiße Dusche, damit ich locker werde und die Gedanken weggespült werden. Ich gehe spazieren, ich fahre Rad, ich spreche mit meiner Lektorin, spreche mit vertrauten Menschen um mich herum. Ich gehe zurück in den Text, oder ich lese einen anderen Text. Wenn es eine sehr hartnäckige Blockade ist, dann gucke ich, ob die Geschichte mir was sagen will. Dann merke ich, an der Geschichte stimmt etwas nicht. Ich versuche mich mit den Figuren zu unterhalten. Wenn es eine SEHR hartnäckige Blockade ist, lege ich manchmal das Buch zur Seite, binde eine rote Schleife drum und sage: „Ich komm wieder, wenn es sich gelockert hat“ Gut gemeinte Ratschläge helfen mir gar nicht weiter. Bei mir funktioniert es zum Beispiel überhaupt nicht, einfach weiter zuschreiben –das geht gar nicht. Ich gehe kreativ damit um und versuche, zuversichtlich zu bleiben, dass schon kommen wird, was kommen will. Aktives Warten: nicht aufgeben, sondern warten und vertrauen, dass es wiederkommt. Auf diese Frage wird euch garantiert jede Schriftstellerin und jeder Schriftsteller eine andere Antwort geben. Meine Freundin Cornelia Funke sagt zum Beispiel: „Es gibt keine Schreibblockaden.“ Ich sage: „Doch, es gibt Schreibblockaden.“ Für mich gibt es die.
Blaue Seite:Schreiben Sie lieber Kinder-oder Jugendbücher?
Isabel Abedi:Am liebsten abwechselnd.
Blaue Seite:Und wenn Sie sich entscheiden müssten?
Isabel Abedi:Dann würde ich schummeln und ein Kinderbuch schreiben, in dem Jugendliche vorkommen. Ich würde ein Kinderbuch über Geschwister schreiben und eine Figur ist das Kind und mindestens eine anderes ist jugendlich. Ich würde hoffen, dass sich auch die Jugendlichen und die Erwachsenen angesprochen fühlen.
Blaue Seite: Haben Sie schon einmal Gedichte geschrieben?
Isabel Abedi: Ja. Das mache ich im Moment ganz gerne. Ich habe viele Gedichte geschrieben. Die Bücherpiraten sind mein Geburtsort. Hier war auch mein erster Schreibworkshop. Da war ich noch keine Schriftstellerin. Ich bin so begeistert von den Slämmerlämmern. Bei erwachsenen Slams fühle ich mich nicht so wohl. Dafür bin ich ein bisschen schüchtern. Ich mache zwar kein Poetry-Slam, aber ich schreibe Gedichte. Eher kleine, eher für mich selbst. In meinem Buch, das ich jetzt beginne, wird es einen Dichter geben.
Blaue Seite: War jemand, den Sie kennen, die Vorlage für Lola aus den Lola-Büchern? Oder hat jemand die Figur besonders beeinflusst?
Isabel Abedi: Verschiedene Menschen haben mich beeinflusst. Zum großen Teil war es meine eigene Schlaflosigkeit als Kind. Ich konnte als Kind nicht einschlafen und habe mir vorgestellt, wer ich wohl wäre, wenn ich nicht ich wäre. Meine Vaterlosigkeit hat mich beeinflusst. Ich habe der Lola einen Vater geschrieben habe, den ich selber gerne gehabt hätte. Das Familienleben mit meinen Töchtern hat mich beeinflusst, weil der Papai meiner Töchter Brasilianer ist. Optisch haben mich ein Junge und ein Mädchen beeinflusst, die jeweils eine weiße Mutter haben und einen Schwarzen Vater. Die haben beide sehr helle Haut und blonde Haare. Und zuletzt hat mich auch mein eigenes Leben beeinflusst.
Blaue Seite:In welcher literarischen Welt würden Sie gerne eintauchen, um da zu leben?
Isabel Abedi: Das ist eine spannende Frage! Ich tauche ja gewissermaßen in jede ein. Spannend finde ich aber die Welt von „Tintenherz“. Darf ich eine fremde und eine eigene nehmen?
Blaue Seite:Ja.
Isabel Abedi: Okay. Dann wäre ich gerne Mitglied der Bande von „Herr der Diebe“. Ich wäre gerne bei Bo und Prosper und Wespe und Mosca und Riccio dabei gewesen. Und bei meinen eigenen Büchern wäre ich gerne Rebeccas Freundin gewesen. Ich wäre gerne in „Lucian“ eingetaucht.