Interview

Interview mit Jay Asher

Anlässlich des Harbour Front Literaturfestivals in Hamburg trafen Freya Schwachenwald, Mara Ostertag und Kim Baschant am 14. September 2012 den amerikanischen Autor Jay Asher zu einem Interview. Nach seinem erfolgreichen Roman „Tote Mädchen lügen nicht“ erschien 2012 sein neuestes Buch „Wir beide, irgendwann“.

Blaue Seite: In „Wir beide, irgendwann“ geht es um zwei Jugendliche, die in den 90er Jahren ihr zukünftiges Facebookprofil im Internet entdecken. Würden Sie auch gerne mal Ihr eigenes Facebookprofil aus der Zukunft anschauen?

Jay Asher: Nein. Vor dem Schreiben des Buches hätte ich „Ja“ gesagt. Aber jetzt, wo ich bemerkt habe welche Probleme ich dadurch bekommen könnte, würde ich es nicht gerne sehen. Es wäre verlockend, aber ich könnte einfach nicht. Ich bin zufrieden, wie die Dinge gerade zurzeit laufen und bin hoffentlich auch mit meiner Zukunft zufrieden. Ich glaube nicht, dass es je möglich sein wird, sein „Zukunfts-Facebookprofil“ zu sehen. Aber jetzt, nachdem ich das Buch geschrieben habe, weiß ich, wie das sein würde, und ich hoffe, ich werde nie einen Blick darauf werfen.

BS: Wie würden Sie „Wir beide, irgendwann“ in drei Worten beschreiben?

Jay Asher: Spaß und zum Nachdenken anregend [im Englischen zwei Wörter].

BS: Wie ist Ihre Haltung gegenüber Facebook und dessen Datenschutz?

Jay Asher: Facebook kann sehr nützlich sein, um Freundschaften zu pflegen und um mitzubekommen, was bei Freunden und Bekannten so los ist. Aber man muss vorsichtig sein. Ich denke, viele User sind dies nicht. Man muss aufpassen, was man postet, denn ein vermeintlicher Chef könnte dies zum Beispiel lesen. Man fühlt sich sicher und privat, aber häufig ist das nicht der Fall. Keiner sollte etwas posten, von dem er nicht möchte, dass es jeder erfährt.

BS: Hat es sich für Sie wie eine Zeitreise angefühlt, das Buch in den 90ern spielen zu lassen?

Jay Asher: Ich selbst, und ich glaube Carolyn Mackler auch, war auf dem College zu dieser Zeit. Und es ist verrückt, denn es fühlt sich gar nicht so lange her an, aber wenn man zurückblickt, ist doch sehr viel passiert, vor allem, was die Technik angeht. Computer waren damals ganz neu, ich war tatsächlich 1996 das erste Mal online. Es war wirklich merkwürdig.

BS: Wollten Sie mit Ihrem Buch eine bestimmte Botschaft vermitteln?

Jay Asher: Wir wollten klar machen, dass man sich immer Gedanken darüber machen muss, was für eine Person man in der Zukunft sein möchte. Jede kleine, belanglose Entscheidung, die man fällt, kann Auswirkungen haben, wie wir uns entwickeln und wie wir auf andere wirken. Außerdem wollten wir vermitteln, dass man nicht die vollkommene Kontrolle über seine Zukunft hat. Man kann auch ein bisschen sorglos leben und muss die Welt manchmal einfach akzeptieren, wie sie ist.

BS: Welches ist Ihr Lieblingscover der verschiedenen Übersetzungen?

Jay Asher: Ich habe das deutsche Cover erst kürzlich gesehen und ich mag es wirklich sehr. Ich mag auch das britische Cover, denn es ist sehr lustig und farbenfroh. Das ist mein Favorit.

BS: Nun ein paar Fragen zu Ihrem Roman „Tote Mädchen lügen nicht“. Wie lange haben Sie für das Buch gebraucht?

Jay Asher: Eine vage Idee bekam ich bei einer Audio-Tour in einem Museum. Aber erst neun Jahre später war die Idee ausgereift. Und danach brauchte ich noch weitere drei Jahre zum Schreiben.

BS: Basiert die Geschichte auf einer wahren Begebenheit?

Jay Asher: Die Geschichte selbst nicht. Aber zu der Zeit, als ich die Audio-Tour machte, versuchte eine Verwandte von mir, die in meinem Alter war, Selbstmord zu begehen. Die Hauptfigur Hannah Baker basiert nicht auf ihrem Charakter, aber wurde von ihr inspiriert und daher rührt das Thema des Suizids.

BS: Denken Sie, es ist ein allgemeines Problem in unserer Gesellschaft, sich seine eigene Schuld einzugestehen?

Jay Asher: Ja, und zwar auf der ganzen Welt. Das Buch erschien in über 30 Ländern und so habe ich mit vielen verschiedenen Menschen gesprochen und fast alle sagten das Gleiche: Die meisten Leute spielen schon mal mit dem Gedanken, aber in unserer Gesellschaft spricht man nicht offen über Selbstmord und das macht es für Leute, die diesen Gedanken haben, besonders schwer. Es wäre toll, wenn man über dieses Thema sprechen würde.

BS: Wie war es, dieses Buch zu schreiben?

Jay Asher: Es war anders. Alles was ich davor geschrieben hatte, war lustig. Daher war es sehr schwierig, aber wegen meiner Verwandten wusste ich, dass es wichtig war, darüber zu sprechen. Während des Schreibens war es meine Aufgabe, so ehrlich wie möglich zu sein. Aber es war nicht einfach, weil dieses Thema kein Spaß ist. Drei Jahre habe ich an dem Buch gearbeitet und es war wirklich kein erheiterndes Thema. Glücklicherweise habe ich zur selben Zeit an witzigeren Büchern geschrieben, das heißt, ich hatte manchmal eine gedankliche und seelische Pause.

BS: Warum haben Sie in Ihrer Geschichte Kassetten verwendet und nicht etwas Modernes wie CDs?

Jay Asher: Es klingt seltsam, aber ich habe Kassetten verwendet, damit das Buch modern bleibt. Denn hätte ich die neueste Form der Aufzeichnung verwendet, würde das bereits in ein paar Jahren überholt sein. Und da die Charaktere darüber sprechen, wie ungebräuchlich und veraltet Kassetten heute sind, lässt genau das das Buch modern wirken.

BS: Wie war Ihre eigene High-School Zeit?

Jay Asher: Aufgrund des Buches mögen viele Leute vielleicht denken, dass ich eine sehr deprimierende Zeit hatte, aber so war es nicht. Sie war sehr normal. Ich habe mich für Rockbands interessiert und spielte Gitarre. Ich wollte Rockstar werden, doch ich bin kein guter Gitarrenspieler. Aber ich wünschte, ich hätte in der High-School Sport gemacht. Aber ich habe meine Nachmittage mit meiner Band verbracht. Ich dachte, ich wäre cooler, als ich es eigentlich war.

BS: Wie ist es, für den wichtigsten deutschen Jugendliteraturpreis nominiert zu sein, [d.i. der Deutsche Jugendliteraturpreis]?

Jay Asher: Das war unglaublich. Ich war schon in den Vereinigten Staaten nominiert und auch in anderen Teilen der Welt. Als ich das Buch geschrieben habe, dachte ich nicht daran, dass es in andere Sprachen übersetzt werden würde, geschweige denn, dass es für Preise nominiert werden würde. Als genau das passierte, war es sehr aufschlussreich zu sehen, dass egal, wo die Menschen leben, alle die gleichen Interessen und Leidenschaften haben. Das ist ein schöner Gedanke. Es ist eine sehr große Ehre, das zu wissen und Teil davon zu sein.

BS: Was würden Sie sagen, wie viel Ihres Leben wird in Ihren Büchern repräsentiert?

Jay Asher: Nicht viel. Es gibt bestimmte Stellen, meistens kleine witzige, die aus meinem Leben stammen. Aber es geht meistens nur um die Charaktere. Ich schreibe und dabei passiert, was passieren soll und was das Beste für die Geschichte ist. Obwohl ich versuche, nicht viel aus meinem Leben einfließen zu lassen, gibt es bestimmte Szenen, in denen es doch passiert. Zum Beispiel eine Stelle aus dem ersten Buch [„Tote Mädchen lügen nicht“], bei der sich Clay und Hannah zum ersten Mal auf der Party treffen. Er kann dort seine Schuhe nicht zubinden, weil seine Hände zu kalt sind. Das ist mir auch passiert, als ich das erste Date mit einem Mädchen hatte. Sie hat mir sogar angeboten, sie für mich zu binden, das war schon sehr peinlich. Ich dachte, es wäre nett, dass so etwas auf einer wichtigen Party passiert.

BS: Was hat für Sie eine „Blaue Seite“?

Jay Asher: In den Vereinigten Staaten gibt es die „Gelben Seiten“, das sind unsere Telefonbücher. Wenn das jetzt jemand sagen würde, würde ich denken, dass „Blaue Seite“ eine Seite im Internet ist, wo man Internetadressen nachschauen kann. Also denke ich dabei an das Computer und das Internet.

BS: „Facebook“ ist auch blau.

Jay Asher: Ja, genau. Ich weiß nicht, ob ihr das kennt aber es gibt etwas, das die Leute „The blue screen of death“ (Der blaue Bildschirm des Todes) nennen. Das ist eine Bezeichnung dafür, wenn euer Computer „einfriert“, also abstürzt und euer Bildschirm blau wird. Daran habe ich bei „Blaue Seite“ auch gedacht.

BS: Vielen Dank für das Interview.

RedakteurRedakteur: Freya, Mara, Kim
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