Interview mit Jenny Jägerfeld

Maja sucht Antworten, die schmerzhafter sein können, als ein  fehlendes Stück Daumen. Sie ist die Protagonistin in dem Roman „Der  Schmerz, die Zukunft, meine Irrtümer und ich“, für den die schwedische  Autorin und Psychologin Jenny Jägerfeld 2010 den August-Preis erhalten  hat, die wichtigste literarische Auszeichnung in Schweden.

Redakteure der Blauen Seite trafen sie auf der Leipziger  Buchmesse 2014. Rahel Schwarz dankt Jenny Jägerfeld für das informative,  lebhafte und teils sogar zweisprachige Gespräch auf Englisch und  Deutsch.

Blaue Seite: Sie haben 2010 den August-Preis gewonnen. In der  Begründung hieß es, dass Sie eine sehr scharfe Feder haben, dass Sie  Galgenhumor verwenden und dass sie ein sehr glaubwürdiges  psychologisches Porträt kreiert haben. Was macht das Buch aus Ihrer  Sicht so besonders?

Jenny Jägerfeld: Ich habe vorher ein anderes Buch geschrieben. Es  heißt „A hole in the head“. In Deutschland wurde es nicht  herausgebracht, aber in Schweden. Es ist ein Buch für Erwachsene.

Dann habe ich ein weiteres Buch für Erwachsene geschrieben und mein  Verlag sagte, dass es zu schlecht sei und sie es nicht ins Programm  aufnehmen würden. Meine erste Reaktion war: „Was?!“ Ich dachte, dass ich  Autorin bin und dass ich nun einfach weiterschreiben könnte. Aber es  stimmte: Es war nicht gut. Nun ist es nur auf meinem Computer und keiner  wird es jemals zu sehen bekommen. Als nächstes habe ich „Der Schmerz …“  geschrieben und der Verlag lehnte auch dieses Buch ab. Dieses Mal  wusste ich aber einfach, dass es gut war, im Gegensatz zum anderen Buch.  Bei diesem aber blieb ich hartnäckig: „Nein, es ist wirklich gut.“ Also  habe ich dafür weitergekämpft: Ich habe den Verlag um ein weiteres  Treffen gebeten. Doch sie lehnten wieder ab. Und ich dachte: „Entweder  die sind dumm oder ich bin es.“ Ich wandte mich also an einen anderen  Verlag und der hat es veröffentlicht. Einen Monat später wurde es für  den August-Preis nominiert und wieder einen Monat später hat es sogar  gewonnen. Ich hatte also das richtige Bauchgefühl. Ich bin so froh, dass  ich nicht aufgegeben habe, von wegen: „Ich habe ein Buch geschrieben  und das reicht.“ Denn es bedeutet mir sehr viel. Das Buch verkauft sich  gut, hat sehr viel Medienaufmerksamkeit bekommen. Dank dieses Buches ist  es für mich nun einfacher, als Autorin zu arbeiten. Und ich bin sehr  froh, dass es ins Deutsche übersetzt wurde.

Jenny Jägerfeld: Ich würde ihr wahrscheinlich die Frage stellen, die  Majas Vater ihrem Lehrer gestellt hat: ob sie es mit Absicht gemacht hat  oder wie es passiert ist. Ich würde sie auffordern, mir etwas darüber  zu erzählen. Vielleicht würde ich sie aber auch nicht direkt fragen. Ich  würde ihr vertrauen, wenn sie sagt, es sei unabsichtlich geschehen. Ich  habe ja viele Klienten, die sich mit Absicht selbst verletzen. Ich  arbeite mit diesen Kindern, größtenteils betrifft das Mädchen. Jungen  tun das meist auf andere Weise, z. B. indem sie sehr schnell mit ihrem  Motorrad fahren. Ich würde versuchen, gemeinsam ihren Kummer zu  erkunden, den der mangelnde Kontakt zu ihrer Mutter verursacht. Ich  würde sie dabei unterstützen, zu erkennen, wie sie ihr Leben glücklicher  gestalten kann. Was sie benötigt, um sich sicherer zu fühlen. Um das  Gefühl zu bekommen, dass sie tatsächlich mit ihren Eltern sprechen kann.  Dazu würde ich auch die Vergangenheit mit einbeziehen – also z. B. eine  Familiensitzung abhalten.

BS: Werden Ihre Charaktere oder deren Geschichten von Ihren Klienten inspiriert?

Jenny Jägerfeld: Nein, weil ich der Schweigepflicht unterliege! Das  darf ich nicht machen. Einmal habe ich ein Kapitel geschrieben. Und dann  kam eine Klientin und erzählte genau das, was ich gerade geschrieben  hatte – es lag vielleicht ein Monat dazwischen. Es stimmten so viele  Details überein, dass ich das Kapitel streichen musste. Sonst hätte sie  wahrscheinlich gedacht, dass ich ihre Erlebnisse verwendet hätte. In so  einem Fall ist mir das Vertrauen meiner Klienten wichtiger! Sie sollen  nicht denken, dass ich ihnen zuhöre, damit ich später darüber schreiben  kann. Auf der anderen Seite kann man sich von allgemeinen Themen  inspirieren lassen. Also, wenn ein Kind Vertrauensprobleme hat, weil ein  Elternteil zu viel Alkohol trinkt und Versprechen und Zusagen nie  einhält.

BS: Hilft es Ihnen, sich in Ihre Patienten hineinzuversetzen, wenn Sie aus deren Sicht schreiben?

Jenny Jägerfeld: Ich schreibe nicht aus Sicht der Patienten. Aber  natürlich versetze ich mich in den Charakter, über den ich schreibe. Ich  überlege mir, wie der Vater oder die Mutter in einer bestimmten  Situation reagieren würde. Das ist wichtig, damit man das Verhalten von  Majas Mutter nachvollziehen kann –wenn sie sich z. B. ein wenig seltsam  oder nicht sehr sozialkompetent verhält. Man sollte verstehen können,  dass die Mutter aus ihrer Sicht das Beste gibt, auch wenn das für Maja  vielleicht nicht gut genug ist.

Als Psychologin versuche ich auch, meine Patienten zu verstehen. Ich  versuche zum Beispiel nachzuempfinden, wie meine Patienten in bestimmten  Situationen reagieren würden. Denn ich verhalte mich anders als sie.  Nicht besser – nur anders.

Man muss ihnen viele Fragen stellen und sie motivieren, aus ihrem  Leben zu erzählen. Dann ist es möglich, ihre Verhaltensweisen  nachzuvollziehen.


BS: Maja hat in der Geschichte viele Unfälle. Ich wüsste gerne,  ob diese Unfälle Metaphern sind für den Schmerz, den sie über ihre  Eltern empfindet, über das mangelnde Interesse, vielleicht sogar über  den Mangel an Liebe?

Jenny Jägerfeld: Die Unfälle haben verschiedene Hintergründe: Am  Anfang wollte ich einen explosiven Start, der auch Menschen, die nicht  so viel lesen, zum Weiterlesen animiert. „Was? Sie schneidet sich ein  Stück ihres Daumens ab?! Das ist ja merkwürdig!“ Ein anderer Grund ist,  dass Maja eine sehr starke Persönlichkeit hat. Ich wollte sie aber ein  wenig schwächer machen. Ohne diesen Charakterzug – diese Schwäche –  würde es von außen so wirken, als ob ihr alles egal ist und sie nichts  an sich heranlässt.  Aber du hast Recht: Es war für mich auch ein Weg,  ihr Innenleben zu erklären. Außerdem hatte ich selbst viele Unfälle in  meinem Leben und war sehr oft in der Notaufnahme. Ich habe auch Rheuma  und bin zehn Jahre lang an Krücken gegangen. Dank der Fortschritte in  der Medizin hat es sich gebessert. Ich wollte diese Gefühle in ihren  Charakter einfließen lassen, auch wenn Rheuma nicht dieselbe Art von  Schmerzen ist.

  Ich „spucke“ dann alles aus und lege es der Figur in den Mund oder  in die Gefühle oder Gedanken der Figur. Allerdings muss man den Text  später bearbeiten. Denn wenn man schreibt, während man wütend ist, dann  wird es sehr schnell pathetisch. Das gleiche gilt, wenn ich traurig bin:  Ich nutze all meine Gefühle und packe sie in den Text. Ich bringe sie  dem Leser nahe, so dass auch er fühlen kann. Manchmal gelingt mir das  und manchmal nicht.

BS: Nutzen Sie Schreiben auch als Therapiemethode für Ihre Patienten?

Jenny Jägerfeld: Das mache ich manchmal, weil es Patienten manchmal  schwerfällt, sich auszudrücken. Es tut ihnen nicht gut, einfach nur zu  sitzen und zu reden. Ich habe Klienten, die mir in der Zeit zwischen den  Therapiesitzungen schreiben. Dann sprechen wir später über das, was sie  geschrieben haben. Ich habe auch eine Klientin, die mir während einer  Therapiesitzung gegenübersitzt und mir schreibt, da es ihr  Schwierigkeiten bereitet, zu reden. Wir schicken über den Computer  Nachrichten hin und her, obwohl wir in einem Raum sind. Über den  Computer kann sie sich aber sehr gut ausdrücken. Sie ist es einfach  nicht gewöhnt, über Gefühle zu reden. Also versuche ich, sie dazu zu  bringen. Jede Methode ist gut, solange sie funktioniert.

BS: Sie haben in diesem Buch über das Asperger-Syndrom  geschrieben und in einem anderen über ADHS. Ich habe mich gefragt, ob es  dafür einen tieferen Grund gibt, oder ob es nur an Ihrem Beruf als  Psychologin liegt.

Jenny Jägerfeld: In diesem Buch wollte ich darüber schreiben, wenn  man eine Mutter hat, die nicht wie all die anderen Mütter ist. Ich bin  selber Mutter – ich habe zwei Töchter – und es gibt so viele Regeln, die  dir sagen, wie du sein sollst, wenn du eine Mutter bist. Bei den Vätern  genügt es, wenn die in ihrem kleinen Aufgabenbereich gut sind – jeder  findet das dann toll.

Es gibt so viele Vorgaben dafür, wie Mütter sein müssen. Ich wollte  herausfinden, wie es ist, wenn man so eine Mutter nicht hat. Es hat dann  gut gepasst, das mit dem Asperger-Syndrom zu verbinden: Auf der einen  Seite ist Asperger wie Freiheit, weil es dich nicht kümmert, was andere  Leute denken. Aber in manchen Momenten solltest du dich damit befassen,  denn du lebst in einer Gesellschaft. Wenn z. B. alle dich hassen, dann  wäre das Leben sehr kompliziert. Also muss man auf andere eingehen  können. Aber Majas Mutter hat diese Fähigkeit nicht. Sie weiß nicht  wirklich, wie man diese kleinen Gespräche führt, z. B.: „Oh, es ist so  schönes Wetter heute“, oder: „Wie war dein Urlaub?“ „Was macht dein  Auto?“ Aber auf der anderen Seite stellen wir oft solche Fragen, obwohl  uns die Antwort nicht wirklich interessiert. Majas Mutter hingegen fragt  nur das, was sie tatsächlich wissen will. Es ist eine Freiheit, aber es  ist natürlich auch eine soziale Inkompetenz.

Diesen Charakterzug sollte Maja auch ein bisschen haben, aber nicht  so ausgeprägt wie ihre Mutter. Also ist sie durchaus von der Umgebung  beeinflusst, in der sie aufgewachsen ist – und natürlich auch von  anderen Teenagern.

Ich habe viel mit Menschen mit Asperger-Syndrom oder ADHS gearbeitet.  Vielleicht fällt es mir deswegen leicht, darüber zu schreiben

ADHS ist außerdem die Diagnose, die ich am besten nachempfinden kann. Da ich selber unruhig  bin, bereitet es mir Schwierigkeiten, länger an einem Ort zu sein. Das  war schon immer so. Da ich Leute treffen und Dinge unternehmen will,  muss ich dem entgegenwirken.

BS: Denken Sie nicht, dass wir alle Züge des  Asperger-Syndroms aufweisen, weil wir alle unsere Tagesabläufe haben und  Dinge, auf die wir uns mehr konzentrieren, als auf andere?

Jenny Jägerfeld: Sehr gute Frage! Eure Fragen sind so viel besser als  die meisten Fragen, die ich sonst gestellt bekomme. Ich bin  beeindruckt. So viel dazu (lacht).

Asperger-Syndrom ist eine Diagnose, die ein großes Spektrum betrifft,  mit vielen Auffälligkeiten, die auftreten können. Ich denke, wir haben  ein bisschen von allem. Wenn du in die „Bibel der Diagnosen“ schaust,  dann kann man sagen: „Ich habe ein bisschen von dem und ein bisschen von  dem. Manchmal fühle ich mich so oder so.“ Du hast Recht: Manche Leute  brauchen mehr Organisation und Ordnung als andere, sie brauchen mehr  direkte Kommunikation. Und manche können sagen: „Ich stelle das jetzt  einfach hier hin.“ Ich kann das total nachvollziehen.

BS: Ist Ihr Buch die Aufforderung, mit Menschen mit Asperger-Syndrom und anderen Diagnosen normal umzugehen?

Jenny Jägerfeld: Ich denke, ich will, dass es nicht einfach nur  dieses komische große Ding ist. Wir alle haben Angewohnheiten, die nicht  ganz normal sind. Ich möchte, dass die Leute offener gegenüber  Einschränkungen jeder Art sind.      Wenn man über solche Dinge redet,  dann senkt das auch die Scham. Als ich an Rheuma erkrankte, konnte ich  nur 100 Meter laufen oder ich musste die ganze Zeit Krücken nutzen. Ich  habe mich in einer seltsamen Art und Weise dafür geschämt. Ich habe mich  gefragt, warum ich mich schäme. Schließlich konnte ich nichts dafür, es  war nicht mein Fehler oder der Fehler von irgendjemand. Leute fragten  mich, ob ich Fußball gespielt habe und im Winter, ob ich Ski gefahren  bin. Ich musste dann immer sagen: „Nein, ich habe Rheuma.“ Wenn Menschen  offener über diese Dinge reden könnten, wäre es einfacher. Jeder kennt  jemanden, der jemanden kennt, der irgendeine Diagnose hat. Wenn du es  selber nicht hast, dann hat es vielleicht dein bester Freund – z. B.  eine Essstörung oder so etwas.

BS: Anders zu sein ist ein großes Thema in Ihrem Buch und ich  habe gelesen, dass die falschen Leute in Therapie sind – unser Problem  sind die Normalen. Wie denken Sie darüber?

Jenny Jägerfeld: Das kann stimmen. Es ist normal, Probleme zu haben.  Wenn du glaubst, dass dein Leben immer ein „High Life“ und immer  glücklich sein muss, dann wärst du so enttäuscht von allem. So  funktioniert es einfach nicht. Manchmal ist man glücklich und wenn das  so ist, dann ist das toll – dann kannst du sagen: „Ich habe Glück.“ Aber  im Leben gibt es immer beides.

Ich nehme an, heutzutage glauben Leute wegen Instagram oder Facebook,  dass es der Normalzustand ist, glücklich zu sein. Aber so ist es nicht –  der Normalzustand ist, dass wir manchmal froh und manchmal traurig  sind. Das ist etwas anderes. Dein Leben wird niemals immer nur glücklich  sein. Wenn die Leute versuchen würden, dass zu verstehen, dann wäre es  einfacher. Es werden ständig Vergleiche gezogen. Wenn man z. B. andere  Leute in den sozialen Netzwerken sieht, dann denkt man, dass jeder so  ein schönes Leben hat wie auf den Bildern, die sie dort einstellen. „Ich  sitze hier glücklich mit einem Glas Wein und meinen Kindern in der  Sonne.“ „Hier sind wir baden am See.“ Und man denkt, dass jeder so ein  gutes Leben hat und man selbst der einzige ist, der einen Streit mit der  Freundin oder dem Freund hat oder dessen Eltern seltsam sind.

BS: Es scheint so, als ob Sie sich beim Schreiben sehr auf  Teenager konzentrieren. Ich würde daher gerne wissen, was für Sie das  Interessanteste an Teenagern ist.

Jenny Jägerfeld: Ich denke, dass es ein Lebensabschnitt ist, in dem  so viel passiert – man kann es mit einer TV-Serie vergleichen, die im  Krankenhaus spielt: Er hat eine Herzkrankheit, er wiederum wurde ins  Bein geschossen.

Bei Teenagern ist es wahrscheinlich so, weil so viele Dinge zum ersten Mal passieren: 

Vielleicht wirst du zum ersten Mal geküsst, vielleicht machst du zum  ersten Mal eine Reise, vielleicht findest du zum ersten Mal einen Job.  Es gibt so viele Sachen, die du tatsächlich zum ersten Mal machst. So  wird alles intensiver, weil du niemanden mehr im Hintergrund hast, auf  den du dich zurückfallen lassen kannst. Man erlebt das zum ersten Mal  und fragt sich, wie man zurechtkommen und wie das Leben verlaufen wird.  Außerdem sammelt man viele Erfahrungen. Man beginnt z. B. einen neuen  Job und stellt fest, dass der nicht so ist, wie man sich ihn vorgestellt  hat. Am Anfang eines neuen Jobs hatte ich immer das Gefühl, dass ich  nichts kann und dass alles so schwierig ist. Da kommt man drüber hinweg.  Man hat einen Job und zu einem späteren Zeitpunkt hatte man neun andere  – nach einer Weile stellt man fest, dass einer dieser Jobs gut ist. Ich  mag diesen Lebensabschnitt einfach, wegen all dem, was passiert. Du  fühlst dich so stark – ich fühle mich immer noch stark aber auf eine  andere Art.

BS: Und wenn Sie das von der psychologischen Perspektive betrachten?

Jenny Jägerfeld: Ich glaube, das habe ich gerade getan: Du musst  deine eigene Identität entwickeln und herausfinden, wer du bist.  Vielleicht hast du auch andere politische Ansichten als deine Eltern.  Deine Clique – deine Freunde – werden so viel wichtiger. Aus all dem  entwickelst du deine Identität.

BS: In Ihrem Buch gibt es Zitate von Songs. Ich habe mich  gefragt, ob diese eine Funktion haben, wie ein Soundtrack in einem Film.

Jenny Jägerfeld: Maja mag Musik der Achtziger. Das ist etwas, was ich  von mir übernommen habe, weil ich diese Musik auch mag und es auch zu  dem Charakter passt. Wenn ich z. B. einen traurigen Abschnitt schreibe,  dann versuche ich, etwas Trauriges zu hören. Das funktioniert nicht  wirklich mit Musik mit schwedischen Texten. Aber ich höre mir etwas in  einer anderen Sprache an, um in die richtige Stimmung zu kommen. Das ist  mir sehr wichtig. Ich mache es auch, weil Songtexte wie Gedichte sind –  nur mit Musik unterlegt. Es ist auch schön, wenn ich mich den Worten  anderer bedienen kann und darf, was nicht immer der Fall ist. Wenn die  Person es besser ausdrücken kann als ich, dann freue ich mich.

BS: Um nochmal auf den filmischen Aspekt zurückzukommen, glauben Sie, dass Ihr Buch für die Leinwand geeignet ist?

Jenny Jägerfeld: Das hoffe ich. Ich bin bei einer schwedischen  Literaturagentur und diese versucht es an verschiedene Produktionsfirmen  zu vermitteln. Im Moment wirft eine große Firma einen Blick darauf.  Aber es haben bereits vier andere Produktionsfirmen geprüft und  abgelehnt. Ich setzte allerdings Hoffnung in die große Firma. Es würde  mir viel bedeuten, das Buch auf der Leinwand zu sehen. Außerdem würde  ich gerne das Skript schreiben, damit ich in naher Zukunft hauptsächlich  vom Schreiben leben kann. Es macht schon einen großen Teil meines  Einkommens aus, allerdings arbeite ich noch als Psychologin, veranstalte  Lesungen und viele, viele andere Dinge. Es wäre schön, mehr schreiben  zu können.

BS: Es gibt in dem Buch einige Anmerkungen zu Deutschland. Gibt es eine besondere Verbindung zwischen Ihnen und Deutschland?

Jenny Jägerfeld: Mein Vater kommt aus Deutschland. Er zog nach  Schweden, weil er dort Arbeit gefunden hatte und dort traf er meine  Mutter. Meine Großeltern wohnen in der Nähe von Hannover. Ich bin da  vielleicht einmal pro Jahr. Ich versuche, Deutsch zu lernen. Zu Hause  haben wir niemals Deutsch gesprochen, nur Schwedisch. Schließlich lebten  wir in Schweden. Mein Vater spricht sehr gut Schwedisch: Wenn ich eine  Frage zu der schwedischen Sprache habe, dann frage ich ihn. In den  Siebzigern dachten die Leute, dass man nicht mit zwei Sprachen  aufwachsen sollte, weil das negativen Einfluss auf die Sprachentwicklung  hat. Darum wurde entschieden, bei uns nur Schwedisch zu sprechen. Heute  glaubt man das nicht mehr.


BS: Sie haben selber Kinder. Glauben Sie, dass Sie vielleicht so wie Maja werden könnten?

Jenny Jägerfeld: Es wird natürlich Momente geben, in denen sie  unglücklich sind. Aber ich hoffe, dass sie mit mir reden, wenn etwas  nicht stimmt, z. B.: „Mama, ich mag nicht, wenn du so einen Witz  machst.“ So etwas können mir meine Kinder sagen. Das konnte ich  gegenüber meinen Eltern nicht. Jedenfalls nicht in diesem Maße.  Hoffentlich wird das der Unterschied in der Beziehung zu meinen Kindern  sein. Meine Kinder können mit mir über unsere Beziehung sprechen. Oder  sie können mir erzählen, dass sie keinen guten Schultag hatten, weil  niemand mit ihnen spielen wollte. Wenn sie nicht mit mir reden könnten –  und sie sind ja noch so klein –, dann wird es ihnen durch all diese  Gefühle schlechtgehen. Sie werden natürlich nicht mit allem zufrieden  sein, was ich getan habe, so ist es nun mal. Das muss ich akzeptieren,  auch wenn ich nicht immer so viel Geduld habe. Ich liebe Maja, also  hoffe ich irgendwie, dass sie so werden wie sie. Sie hat viele gute  Gedanken. Aber ich hoffe doch, dass die Beziehung zwischen mir und  meinen Kindern anders ist als zwischen Maja und ihren Eltern.

BS: Majas Mutter liest über die Bindungstheorie. Es wird  gesagt, dass die Beziehung zwischen Mutter und Kind die wichtigste ist  und  alle zukünftigen Beziehungen beeinflussen wird. Beeinflusst also  Majas Beziehung zu ihrer Mutter die Beziehung zu anderen?

Jenny Jägerfeld: Ja, das denke ich. Während des Schreibens habe ich  nicht darüber nachgedacht, aber jetzt glaube ich das schon. Ich vermute,  dass Maja vorsichtiger geworden ist, sich in eine Beziehung zu stürzen.  Denn es ist ihr bewusst, dass Leute sie tatsächlich zurückstoßen  können. Sie macht sich auch nicht so „verfügbar“. Majas Mutter weiß das  alles im theoretischen Sinne, aber sie kann es in der Praxis nicht  umsetzen. Das ist ihr Problem.

Jenny Jägerfeld: Ich weiß nicht wirklich, was das ist.

BS: Bücher von schwedischen Autoren für alle Altersgruppen  werden in dieser PDF vorgestellt. Anscheinend gibt es einen Wettbewerb,  bei dem es um die Finanzierung der Übersetzung in andere Sprachen, z. B.  ins Deutsche, geht. Die PDF hat mich neugierig gemacht, was die  Verbindung zwischen ihrer Arbeit und dem „Swedish Art Council“  anbetrifft.

Jenny Jägerfeld: Ich denke, dass man Geld bekommen kann für die  Übersetzung, aber dieses Geld bekomme nicht ich, sondern der Verlag. Ich  weiß eigentlich nichts darüber, weil ich nicht bei dem Verlag arbeite.  Der Verlag kann beim „Swedish Art Council“ Geld beantragen. Manchmal  bekommen sie es und manchmal nicht. Es soll für Bücher sein, die  literarisch sind, nicht kommerziell. Die würden ja ohnehin Geld  einbringen. Das ist vielleicht gut für den Verlag, weil sie Geld für das  Projekt bekommen, aber ich bin mir nicht sehr sicher, wie es  funktioniert.

BS: Ich habe eine letzte Frage: Was assoziieren Sie mit dem Begriff „Blaue Seite“?

Jenny Jägerfeld: Blau ist eine kalte Farbe. Es kann auch für das  „Alleinsein“ stehen. Es hat etwas Melancholisches, aber auf eine schöne  Art und Weise. Nicht auf eine schlechte Art und doch ist es ein wenig  melancholisch. In Schweden ist das Licht sehr blau – es ist ein kaltes  Licht zurzeit.

BS: Vielen Dank für das Interview.

Jenny Jägerfeld: Ich bedanke mich! Das waren spannende, intelligente  Fragen. Wenn jeder solche Fragen hätte, dann wäre ich glücklich. Doch  ich freue mich auch so immer über Interviews.

RedakteurRedakteur: Rahel
FotosFotos: Bjarne
Nach oben scrollen