Interview

Interview mit Joanne Horniman und Brigitte Jakobeit

Der Roman „Über ein Mädchen“ der australischen Autorin Joanne  Horniman war für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2014 nominiert.


Die Geschichte der beiden jungen Frauen Anna und Flynn erzählt authentisch, klar und intensiv von Liebe, Leben, Trauer und Schmerz. Sie fand nicht nur  Anklang bei der Kritikerjury, sondern auch bei Rahel Schwarz,  Redakteurin der Blauen Seite.

 Rahel Schwarz traf Joanne Hornimanin in Begleitung ihrer Übersetzerin Brigitte Jakobeit auf der Frankfurter Buchmesse 2014. 

Herzlichen Dank für dieses offene und ehrliche Gespräch über den Roman, über Liebe und Beziehungen, Obsession beim Schreiben und vieles mehr.

Blaue Seite: In Ihrem Buch geht es um die beiden  Protagonistinnen Anna und Flynn. Flynn ist eine Singer-Songwriterin.  Wenn sie Lieder schreibt, dann dienen ihr eine Melodie, ein Satz, ein  Wort oder auch eine Erinnerung als Basisund Inspiration. Ich finde das  sehr interessant und habe mich gefragt, wie Sie auf Ideen für ein neues  Buch kommen?

Joanne Horniman: Da kommen eigentlich viele einzelne Dinge zusammen  und fügen sich zu einem großen Ganzen. Dieser Prozess kann lange dauern.  Bei „Über ein Mädchen“ hat es damit begonnen, dass ich zu einem Konzert  nach Brisbane gefahren bin. 

Dort habe ich ein Mädchen gesehen, das eine Straße entlang rannte und  ein Junge mit einer weißen Gitarre lief hinter ihr her. Mein Ehemann  sagte zu mir, dass das sicherlich der Support-Act sei. Nachher stellte  sich heraus, dass es tatsächlich so war. Mein Sohn ist ebenfalls  Musiker, allerdings schreibt er keine Songs — er ist Jazz-Drummer. Ich  finde den gesamten Themenkomplex über junge Menschen in der Musikszene  sehr interessant, weil ich viele junge Musiker kenne. Um nun auf den  Aspekt des Songschreibens zurückzukommen: Ich habe viel darüber gelesen,  was Songwriter über das Komponieren sagen. Es ist vergleichbar mit dem  Schreiben eines Buches. Bei beidem hat man den Kern einer Idee und  verschiedenste Dinge sammeln sich um diesen Kern herum an. Manchmal kann  es eine sehr einfache Sache sein, die dazu führt, dass man mit einer  Geschichte beginnt. Dann geht es darum, die richtigen Worte zu finden,  um sie zum Leben zu erwecken. Das Gleiche gilt auch für Lieder. Ich  nehme an, dass ich meine Erfahrungen, die ich durch das Schreiben von  Büchern gesammelt habe, in die Beschreibung des Liederschreibens habe  einfließen lassen.

BS: Wie integriert sich der Aspekt der lesbischen Liebesgeschichte in den der Musikszene?

Joanne Horniman: Die Idee mit der Musikszene war nur eine einzige  Idee. Eine Idee alleine macht noch kein Buch — man braucht viele Ideen.  Manchmal interessiert mich die Form eines Buches sehr, also der Aufbau.  Ich wollte einen simplen, eleganten Roman über eine sehr simple Idee  schreiben: über zwei Menschen, die sich ineinander verlieben. Der Roman,  den ich als Vorbild im Kopf hatte, war „The Subterraneans“ von Jack  Kerouac. Es ist ein sehr kurzer Roman, den er in sehr kurzer Zeit  geschrieben hat und es geht um eine Liebesbeziehung, die er in Amerika  mit einer schwarzen Frau hatte. Sie hat nicht funktioniert. Also habe  ich mir gedacht: „Hier ist die Idee: eine Liebesbeziehung, die nicht  funktioniert.“ Ich habe mich dafür entschieden, die Beziehung zweier  Mädchen zu schildern, da ich es mag, mit der Erwartungshaltung der Leute  zu spielen. Ich wollte damit brechen, dass der Liebhaber immer ein  Junge sein muss. Es gibt so viele junge Menschen, die sich zum gleichen  Geschlecht hingezogen fühlen, auch in meinem Bekanntenkreis. So bin ich  auf die Grundidee gekommen.

BS: Sie sind nicht nur Autorin, sondern auch Lehrerin. Wie  Sie bereits anmerkten, gibt es viele homosexuelle Frauen und Männer. Wie  haben Sie es im Schulalltag erlebt: Werden Mädchen und Jungen, die sich  zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen, diskriminiert?

Joanne Horniman: Ich bin Lehrerin, allerdings habe ich in meinem  Hauptunterrichtsfach „Kinderliteratur“ nie viel unterrichtet.  Stattdessen bin ich als Autorin an die Schulen gegangen. Man muss dazu  sagen, dass ich bereits vor Über ein Mädchen in einer Erzählung, die zu  einer Sammlung von Kurzgeschichten gehört, über gleichgeschlechtliche  Beziehungen geschrieben hatte. Oft haben Lehrer eben diese Geschichte  benutzt, um über das Thema zu sprechen, da es an den Schulen viel  Homophobie gab. Das Interessante ist, dass Jungen homophober sind als  Mädchen. Die Mädchen fanden es eher in Ordnung. Wahrscheinlich glauben  Jungen oder auch Männer oft, dass sie ihre Männlichkeit beschützen  müssten. Mädchen sind in dieser Beziehung offener.

BS: Auch Anna und Flynn haben eine sehr komplizierte  Beziehung. Flynn scheint Anna fortzustoßen. Später erfahren wir, dass  der Grund eine Person ist, die in ihrem Leben eine wichtige Rolle  gespielt hat. Während ich das Buch gelesen habe, fragte ich mich, ob  nicht ein Charakter hätte auftreten sollen, der Flynn einen Ratschlag  gibt, um die Beziehung zwischen ihr und Anna zu retten. Könnten Sie  diesen Part übernehmen und einen Ratschlag formulieren?

Joanne  Horniman: Ich bin kein Mensch, der anderen Ratschläge erteilen möchte.  Ich denke, dass man Anna und Flynn so akzeptieren muss, wie sie sind,  also auch jede Nuance ihres Charakters. Das sollte generell für  Beziehungen gelten, ob lesbisch oder nicht: Manchmal wollen sich Leute  auf jemand anderen einlassen, manchmal sind sie voneinander angetan und  manchmal nicht. Ich habe das selbst erlebt — und es ist schwierig  (lacht). Ich wollte einfach über eine Beziehung schreiben, die nicht  funktioniert, denn das ist oft aus vielerlei Gründen der Fall. Flynn  weiß nicht, was sie von dieser Beziehung halten soll. Das hat meiner  Meinung nach nicht nur etwas mit dem Aspekt der Homosexualität zu tun.  Es liegt einfach an ihrem Charakter.

BS: Die Geschichte wäre also nicht anders ausgegangen, wenn  die Liebesgeschichte sich zwischen einem Mädchen und einem Jungen  abgespielt hätte?

Joanne Horniman: Nein, sie hätte nicht anders geendet.

BS: Wie war die Resonanz zu Ihrem Buch an Schulen? Wurde es im Unterricht gelesen?

Joanne Horniman: Das nehme ich an. Dieses Buch war in Australien als  Jugendbuch des Jahres nominiert. Ich weiß aber, dass manche Schulen es  aufgrund der Thematik nicht lesen wollten. Tatsächlich wurde ich von dem  Schulleiter einer religiösen Schule ignoriert, als ich ein Jurymitglied  für einen Poetry-Award war. Zu diesem Zeitpunkt war Über ein Mädchen  schon für den Preis in Australien nominiert. Seine Reaktion hat mich  nicht weiter gekümmert, denn ich mochte ihn auch nicht besonders.

BS: Wo wir gerade über Nominierungen sprechen: Sie waren für  den Deutschen Jugendliteraturpreis 2014 nominiert. Wie haben Sie sich  angesichts der Nominierung gefühlt?

Joanne Horniman: Ich fand es großartig. Es ist klasse von Deutschland, Bücher aus anderen Ländern zu nominieren.

BS: Was ohne das Zutun „Ihrer“ Übersetzerin nie möglich gewesen wäre.

Joanne Horniman: Absolut. Übersetzungen sind sehr wichtig. Beim  Übersetzen selbst muss die Seele des Buches gefunden und übertragen  werden.

[Zu Brigitte Jakobeit]: Aber das weißt du sicher besser als ich.

Brigitte Jakobeit: Es gibt gute und nicht so gute Übersetzer. Mir  wird immer gesagt, dass ich Bücher besser mache, als sie in der  Originalversion sind. Aber es kommt immer darauf an.

Joanne Horniman: Ich wusste, dass die Übersetzung von „Über ein  Mädchen“ gelungen ist, denn Brigitte Jakobeit hat einen guten Ruf.  Außerdem habe ich Bewertungen über die deutsche Version des Buches  gelesen und hatte den Eindruck, dass sie genau wie das Original klingt.  Manche Leute mögen meinen Schreibstil nicht. Sie denken, er sei oft  „hochtrabend“ (lacht). Ich habe bei diesem Buch keine blumige Sprache  benutzt. Mir war es wichtig, es einfach und klar zu halten. Die  Charaktere standen im Vordergrund. Ehrlichkeit war mir auch sehr  wichtig—gerade im Hinblick auf die Gefühle. Ich denke, es ist mir leicht  gefallen, über Anna zu schreiben, da sie sehr ehrlich ist. Bücher  können polarisieren. Das trifft sowohl für die deutsche als auch für die  englische Version zu. Entweder die Leute lieben es oder sie hassen es.  Das haben sie selber in der Hand und es hat ausschließlich etwas mit  ihrer subjektiven Meinung zu tun.

Brigitte Jakobeit: [bezüglich der Nominierung] Leider haben wir ja nicht gewonnen.

BS: Die Nominierung war aber schon ein Erfolg.

Joanne Horniman: Da muss ich zustimmen.

BS: Wie füllen und verbringen Sie diese Auszeit? Genießen Sie jetzt einfach das Leben?

Joanne Horniman: Ja, genau! Ich genieße das Leben (lacht). Ich bin  jetzt eine „Großmutter“ (lacht laut). Es ist nicht so, als würde ich  mich nach Enkelkindern sehnen. Aber sollten meine Kinder mir welche  schenken, würde ich mich freuen.

Brigitte Jakobeit: Sie ist wirklich eine fröhliche Person.

Joanne Horniman: Ja, ich habe immer viel zu tun: Ich backe Brot, baue  Gemüse an und habe eine Katze. Außerdem lese ich jetzt sehr viel. Die  Tätigkeit von Autoren erfordert eine gewisse Obsession und das kann  ermüden. Kollegen, mit denen ich darüber gesprochen habe, empfinden das  auch so. Wenn mich zum Beispiel Freunde für den Nachmittag eingeladen  haben, musste ich ihnen leider sagen, dass ich zu müde bin und mich  ausruhen muss. Außerdem habe ich immer darüber nachgedacht, was ich am  nächsten Tag schreiben würde. Es ist keine Arbeit, bei der man  irgendwann fertig ist und dann etwas anderes macht. Wenn du an etwas  schreibst, begleitet dich das die ganze Zeit, es ist kontinuierlich da.  Ein Freund aus Australien fragte mich einmal, ob es helfen würde, ein  wenig obsessiv zu sein. Ich habe ihm geantwortet, dass es natürlich  hilft. Es macht mich aber froh, dass ich jetzt eine Weile nicht besessen  sein muss.

BS: Nun unsere traditionelle letzte Frage: Was assoziieren Sie mit der Blauen Seite?

Joanne Horniman: Oh Gott. Das ist in der Tat eine schwierige Frage.  Das erste, an was ich denke, ist eine blaue Seite. Ich verbinde damit  eine Seite, die darauf wartet, beschrieben zu werden. Blau ist eine sehr  schöne Farbe. Ich kann mir daher vorstellen, dass es toll wäre, auf  einer blauen Seite zu schreiben. Für mich ist es schon fast wie eine  schwarze Seite.

BS: Es ist davon abhängig, ob es ein helles oder dunkles Blau ist.

Joanne Horniman: Stimmt. Ich denke an eine blass-blaue Seite, die  eine beruhigende Ausstrahlung hat. Was gut passt, denn Schreiben ist  eine erholsame Tätigkeit. Ich bin mir sehr sicher, dass ich mich  entspanne, wenn ich schreibe, obwohl ich kein blaues Papier benutze.

BS: Ich bedanke mich bei Ihnen beiden für das Interview und wünsche Ihnen noch einen schönen Aufenthalt auf der Buchmesse.

Joanne Horniman: Ich habe zu danken. Das Interview war sehr schön und es war nett, dich kennengelernt zu haben.

RedakteurRedakteur: Rahel
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