Interview

Interview mit Jürgen Seidel

Interviewter Autor: Jürgen Seidel
Datum des Interviews: 26.Januar 2011
Interviewer: Saskia Klaus

Blaue Seite: Sie sind hier gerade bei den Lübecker Jugendbuchtagen. Wie fanden Sie die Atmosphäre bei der Lesung?

Jürgen Seidel: Total professionell. Ich durfte hinter dem Vorhang warten und dann von der Seite auf die Bühne kommen. Normalerweise sitze ich bereits, während alle reinkommen und irgendwie ist es ein fürchterliches Durcheinander. Hier ist es wirklich professionell gemacht worden, klasse.

Blaue Seite: Wie haben Sie das Publikum empfunden? Aufmerksam, interessiert,…?

Jürgen Seidel: Das Publikum war äußerst aufmerksam. Ich mache ja normalerweise Schullesungen und da bin ich ganz andere Sachen gewohnt. Bei so einem schwierigen Buch ist es manchmal ein regelrechter Durchsetzungskampf, die Aufmerksamkeit zu kriegen, weil es nicht unbedingt spannend und unterhaltsam im Sinne einer Fantasy-Geschichte ist, sondern schon eine sehr ernste Lektüre. Es wurde sehr ernst und konzentriert zugehört und ich hatte den Eindruck: Das sind kluge Leute, die sich tatsächlich auch für einen Gegenstand interessieren, mit dem sie nicht jeden Tag zu tun haben.

BS: Was soll ein Jugendlicher, der das Buch liest, jetzt dabei empfinden?

Jürgen Seidel: Meine Absicht war, dass die Jugendlichen vielleicht auch sagen: „Hoppla! Ich halte die Hauptperson Reni zwar für naiv, aber kann es sein, dass dieser Eindruck daher rührt, dass ich weiß, was aus dieser Zeit geworden ist? Wie ist es jetzt mit mir? Bin ich vielleicht auch in einer Position, wo ich noch nicht in die Zukunft gucken kann und nicht weiß, was eigentlich auf mich zukommt?“ Es geht dann darum, dass man die Gegenwart sehr sorgfältig betrachten und schauen muss, womit man sich jetzt auseinandersetzen muss, damit so etwas nicht wieder eintreten kann. Vielleicht kommt beispielsweise mein Enkelkind in 20 oder 25 Jahren auf mich zu und fragt ganz ernsthaft: „Sag mal, ihr habt doch gewusst, wie die Situation war und wie die Zukunft aussehen würde. Warum habt ihr euch nicht anders verhalten?“ Darauf werde ich nichts erwidern können.

BS: Sie haben ja eben über Recherche gesprochen. Mussten Sie viel für dieses Buch recherchieren?

Jürgen Seidel: Einige Aspekte musste ich schon sehr gezielt recherchieren, z.B. die Olympischen Spiele. Da habe ich mich wirklich bemüht, diese möglichst realistisch darzustellen. Ein anderes Beispiel sind die Erziehungsheime, die es damals gegeben hat. Ich hab mich informiert, ob es überhaupt solche Pensionate gab, und herausgefunden, dass sie schon in der Weimarer Zeit existiert hatten. Das waren jeweils kleine, versteckte, isolierte Gebäude, die eben auch von rheinischen Industriellen finanziert werden mussten. Gleichzeitig hat es auch ganz fürchterliche Erziehungsheime unter staatlicher Führung gegeben. Solche Dinge musste ich schon recherchieren, die weiß man so nicht.

BS: Waren Sie an den Orten, die im Buch beschrieben werden, zum Beispiel auf der Wasserkuppe?

Jürgen Seidel: War zwar neblig und ich habe nichts gesehen, aber ich war oben. Ich kenne diese Gegend schon so ganz gut. Recherchiert werden musste da nicht viel.

BS: Ich habe gelesen, dass Sie auch bei der Jury vom Treffen junger Autoren mitmachen. Das heißt, Sie haben auch noch mit jungen Leuten zu tun, die gerade angefangen haben zu schreiben. Würden Sie ein bisschen von Ihrer Arbeit dort erzählen?

Jürgen Seidel: Ich mache das bereits seit sieben Jahren und es macht mir sehr viel Spaß. Da kommen Texte, die hauen mich wirklich um; das könnte ich nie. Wenn ich lese, was manche mit 15 Jahren schreiben, da denke ich wirklich: „Wenn du das gekonnt hättest, da hätte richtig was aus dir werden können.“ Man kriegt dadurch ein gesundes Verhältnis zur Wirklichkeit und ich finde das immer ganz, ganz großartig.
Die Arbeit ist zwar sehr stressig, das Treffen aber ganz toll, denn es gibt Workshops und die Jugendlichen können mich den ganzen Tag lang ansprechen, ob ich mir ihre Texte durchlese und meine Meinung dazu äußere. Die Arbeit am Anfang ist es also auf jeden Fall wert.

RedakteurRedakteur: Saskia
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