Interview mit Kathrin Schrocke
Während der Jugendbuchtage 2012 interviewte Lina Marie Ostertag die Autorin Kathrin Schrocke zu ihrem Roman „Freak City“.
Blaue Seite: Wie sind Sie darauf gekommen, eine Liebesgeschichte zwischen einer Gehörlosen und einem „Normalen“ zu schreiben?
Kathrin Schrocke: Auf das Thema Gehörlosigkeit bin ich bei einem Vortrag gekommen, der von einem Gebärdendolmetscher übersetzt wurde. Das habe ich die ganze Zeit beobachtet. Nach dem Vortrag hatte ich große Lust, auch Gebärdensprache zu lernen, denn ich hatte festgestellt, dass diese Sprache, anders als ich angenommen hatte, sehr komplex ist und man alles damit ausdrücken kann. In den Kursen habe ich ganz viel über das Leben von Gehörlosen gelernt, das war mir alles neu. Für meine Jugendbücher suche ich immer neue Themen, über die noch nicht so viel oder noch gar nicht geschrieben wurde. Mit diesem Roman wollte ich über Gehörlosigkeit informieren und das geht am besten, wenn man eine „normale“ Person mit dieser anderen Welt konfrontiert. Dieser Junge in „Freak City“ will und muss sich natürlich umfassend informieren. Dadurch konnte ich all die Informationen, die mir sehr wichtig waren, in dieses Buch aufnehmen, aber trotzdem eine unterhaltsame Geschichte schreiben.
BS: Haben Sie denn erst überlegt, welche Informationen Sie einbauen wollen und dann die Geschichte konzipiert oder andersrum?
Kathrin Schrocke: Weil ich vorher nie Kontakt zu der Welt der Gehörlosen hatte, ging es mir eigentlich ähnlich wie meiner Hauptfigur Mika. Während meinen ersten Kontakten zu Gehörlosen habe ich einfach alle meine Fragen und alles, was mir sonderbar erschien, aufgeschrieben. Ich dachte, was für mich interessant ist, ist vielleicht auch für die Leser interessant.
BS: Sie haben inzwischen die Gebärdensprache gelernt, wie haben Sie sich am Anfang mit den Gehörlosen verständigt?
Kathrin Schrocke: Am Anfang hatte ich tatsächlich Block und Stift und habe meine Fragen aufgeschrieben.
BS: War es schwer für Sie, sich in die Situation einer Gehörlosen reinzuversetzen, um das Buch zu schreiben?
Kathrin Schrocke: Ich glaube, das ist mir gut gelungen. Aber nur, weil ich mich an die Erfahrungen der Gehörlosen gehalten habe. Ich habe meine gehörlosen Freunde in ihrem Leben oft begleitet und habe so viel über das tatsächliche Leben ohne Gehör erfahren.
BS: Hatten Sie Vorbilder für Ihre Figuren?
Kathrin Schrocke: Meine Figuren sind rein fiktiv. Mir war es aber wichtig, dass sie natürlich wirken. Vor allem mit meinem Erzähler Mika sollte man sich gut identifizieren können. Weiter lag mir daran, dass das gehörlose Mädchen nicht als Opfer ihrer „Behinderung“ dargestellt wird. Ich wollte kein Buch über die Einsamkeit, die Nachteile von Gehörlosen schreiben, sondern starke Persönlichkeiten zeichnen. Vom Thema war mein Verlag ursprünglich nicht begeistert, weil die Zielgruppe nicht klar ersichtlich war.
BS: Was halten Sie vom Cover des Buches?
Kathrin Schrocke: Ich durfte leider nicht mitbestimmen. Ich hätte ein anderes Motiv gewählt. Das Bild „Menschen unter Wasser“ wird sehr oft als Symbol für Gehörlosigkeit verwendet, weil die normalerweise Hörenden unter Wasser auch gehörlos sind. So sieht das Buch aus wie eine Liebesgeschichte, obwohl es viel mehr ist.
BS: Wie würde für Sie das perfekte Cover aussehen, wenn Sie es frei gestalten dürften?
Kathrin Schrocke: Ich hatte keine bessere Idee, aber mir persönlich hat diese Lösung nicht gefallen.
BS: Wie war es für Sie, als Ihr Roman für den Jugendliteraturpreis nominiert wurde?
Kathrin Schrocke: Für mich war das unglaublich schön. Denn die Bücher, die die Jugendjury auswählt, sind oft Bücher, die eine breite Masse erreichen. Es hat mich sehr dazu motiviert, in diesem Bereich der Jugendliteratur weiterzuschreiben.
BS: Haben Sie schon eine Idee für ein nächstes Buch?
Kathrin Schrocke: Mein nächstes Buch erscheint vermutlich im Herbst 2013. Es handelt von Jungen und den verschiedenen Facetten von Sexualität, mit denen sie konfrontiert werden – z.B. Internetpornographie. Das ist eigentlich ein Tabuthema. Aber als Autorin habe ich auch die Aufgabe, gesellschaftliche Veränderungen zu spiegeln und Anreize zur Diskussion zu geben.
BS: Also auch wieder ein Buch das thematisch nicht „normal“ ist. Wie hat der Verlag auf dieses Buch reagiert?
Kathrin Schrocke: Dieses Mal war der Verlag begeistert. Nach dem Erfolg von „Freak City“ habe ich mir die Freiheit herausgenommen, ein Buch zu schreiben, ohne mir Gedanken zu machen, ob ich Leser dafür finden werde. Und der Verlag hat das Buch erst bekommen, als es komplett fertig war.
BS: Schreiben Sie mit der Hand oder am Computer?
Kathrin Schrocke: Ich schreibe nur mit dem Computer.
BS: Was steht rechts neben der Tastatur auf Ihrem Schreibtisch?
Kathrin Schrocke: Da steht eine kleine Skulptur.
BS: Kaffee oder Tee?
Kathrin Schrocke: Ich trinke nur schwarzen Tee.
BS: Was ist der Ort, an dem Sie die besten Ideen haben?
Kathrin Schrocke: Meine Ideen bekomme ich nicht an bestimmten Orten, sondern bei Begegnungen mit verschiedenen Menschen.
BS: Wir sind die Blaue Seite. Was hat für Sie eine blaue Seite?
Kathrin Schrocke: Früher gab es diese Blaupausen, die haben für mich eine blaue Seite.
BS: Vielen Dank für das Interview!