Interview mit Klaus Scherer
Während des 10. Bücherpiraten-Festivals im September 2013 las Klaus Scherer aus einem Klassiker von Mark Twain. Scherer war fünf Jahre Auslandskorrespondent für die ARD in den USA und hat darüber ein Buch verfasst: „Wahnsinn Amerika“, das gerade als Taschenbuch erschienen ist. Sein Film "Im Bann der Arktis" laeuft am 25. und 26.12.13 um 19.15 Uhr im Ersten. Dazu erscheint im November Scherers neues Buch "Am Ende der Eiszeit". Diese Chance ließ sich die Blaue Seite nicht entgehen und traf ihn zu einem Interview. Das Interview führte Linnea Müller.
Blaue Seite: Ist es für Sie komisch hier zu sitzen? Denn eigentlich stellen Sie immer die Fragen als ARD- Korrespondent und jetzt stelle ich die Fragen.
Klaus Scherer: Natürlich kenne ich beide Seiten des Mikrofons. Ich bin gerne als Reporter der Fragesteller, weil ich glaube, es gibt auf der Welt mehr begründete Fragen als begründete Antworten. Solange man gut daran tut sie zu stellen, bin ich gern Reporter. Da ich auch Bücher schreibe, habe ich aber gelernt, wie schön es ist, auch mal vorzulesen und ein Publikum da zu haben. Das haben wir beim Fernsehen selten, weil wir da in eine kleine Kameralinse gucken, selbst wenn wir direkt zum Publikum sprechen. Wir sehen das Publikum nicht. Bei einer Lesung ist das Publikum vor einem. Man merkt: Lachen die an der richtigen Stelle, freuen die sich, wenn eine Formulierung gut ist, kommt das an, lese ich richtig. Oder auch, wenn man die Gelegenheit hat, Fragen zu beantworten. Ich habe nach fünf Jahren, die ich Reporter und Korrespondent in Amerika war, wirklich den Wunsch gehabt, zu erzählen, was ich an Details und Hintergründen wusste. Das kam mir in vielen Berichten und auch Zeitungsartikeln viel zu kurz. Das hat mir viel Spaß gemacht, mit einem Amerika-Buch durch das Land zu reisen und zu erzählen und auch zu erklären, wie ich das Land erlebt habe. Das war nicht ein „So ist es!“, sondern sehr differenziert: viele Widersprüche und viel Spannendes und Reichhaltiges.
Blaue Seite: War es denn schon immer ihr Traum als ARD- Korrespondent oder als Korrespondent in Amerika zu arbeiten?
Klaus Scherer: Ich bin nicht gradlinig daraufhin gestürmt. Natürlich steht jeder, der Reporter ist und Korrespondent werden will, irgendwann gerne mal vor dem Weißen Haus. Das hat den höchsten Stellenwert im Beruf. Aber ich war auch fünf Jahre in Japan. Das war eine wunderbare Zeit in Fernost: ganz unterschiedliche Länder, aus unserer Sicht sehr exotisch, viel Reisen in Asien und in der Südsee. Das war genauso schön. Ich würde nicht sagen, dass alles nur die Vorstufe zu Amerika war. Amerika war klasse, aber der Reporterjob ist auch in anderen Erdteilen toll und ich will da keine Abstufungen machen.
Blaue Seite: In ihrem Buch „Wahnsinn Amerika“ schreiben Sie, dass die Presse auch bei den Wahlen immer sehr auf Attraktionen aus ist und darauf setzt. Ist es dann schwer als Reporter neutral zu bleiben und sich da nicht mitreißen zulassen? Dass man dann selber denkt: “Was der da macht ist aber auch kompletter Schwachsinn”, sondern dass man dann noch neutral darauf gucken kann?
Klaus Scherer: Unabhängig vor allen Dingen. Wir sind vielleicht ein bisschen unfair oder hart, wenn wir im Ausland sind, weil wir auf alles, was wir sehen, eine logische Antwort haben wollen. Doch die gibt es nicht immer. Wenn Fremde zu uns kommen, sagen sie auch: „Wieso ist denn hier alles so sauber? Aber ich sehe Hundehaufen auf der Straße, das passt doch nicht zusammen“. Da kann ich auch nur sagen: „Das stimmt, ich weiß auch nicht warum. Das war schon immer ein Problem, wir kriegen das irgendwie nicht in den Griff.“ Aber der Fragesteller ist damit nicht zufrieden. So sind Korrespondenten im Ausland.
Aber so müssen sie auch sein, weil sie vieles sehen, was die Einheimischen als Betriebsblinde gar nicht mehr erkennen. Die sind möglicherweise näher an der Wahrheit, als die, die glauben das Land besser zu kennen. Dazu gehört das, was gerade aus unserer Sicht in Amerika anders ist als bei uns. Dazu gehören große Teile der Medien auch im Wahlkampf. Solche, die den Wahlkampf nicht kritisch begleiten, abklopfen, wo ist Substanz, wo sind nur Worthülsen, sondern ihn mit veranstalten. Die nicht nur Werbespots senden und damit Geld verdienen, sondern endlos Debatten veranstalten und natürlich hochfeuern. Das war mir manchmal zu hohl und das fand ich auch nicht gut. Da ging es nur noch darum, dass die Kandidaten ständig aufeinander losgehen. Das war ein ständiger Showdown, ein ständiges Duell. Viele Medien haben dann vergessen zu sagen: „Da war nichts dahinter! und Da war Substanz!“ Sie wollten natürlich, dass es nicht zu früh aufhört.
Blaue Seite: Sie haben unter anderem davon berichtet, wie Sie in der Wüste von Arizona waren und die vielen Toten gesehen haben, die alle mit dem gleichen Namen in Listen eingetragen waren, nur männlich und weiblich getrennt. Macht einen das irgendwie wütend? Als ich das gelesen habe, dachte ich, warum lassen Menschen so etwas zu? Ich könnte mir vorstellen, dass es da für einen Reporter eine ziemlich schwere Situation ist, wenn man darüber berichten muss.
Klaus Scherer: Wir wollen ja berichten. Wir wollen natürlich Dinge zeigen die wichtig sind. Aus welchen Gründen auch immer: weil es viele Leute betrifft. weil es uns interessiert oder interessieren sollte, weil es uns wütend macht oder Mitleid erregt oder wir das Gefühl haben, das sei nicht gerecht oder nicht fair. Genau das sind solche Themen. Da geht es um Leben und Tod, da geht es um arm und reich, da geht es um Grenzen und Flüchtlinge, die gerecht oder ungerecht behandelt werden können.
Natürlich, wenn wir in das Leichenschauhaus gehen und ein Arzt zeigt uns Knochen, von Menschen und sagt, wie die zu Tode gekommen sind, da schnürt sich mir auch die Kehle zu. Was mir da immer geholfen hat, ist: Ich bin Reporter. Ich habe als Reporter diese Rolle. Ich muss da nicht weinen und zergehen, sondern ich mache meinen Beruf. Das geht meistens, aber manchmal hört auch das auf.
Zu unserer Ausbildung gehören zum Beispiel auch Krisenseminare. Da heißt es dann, stell dir vor du kommst in ein Kriegsgebiet oder in ein Bürgerkriegsgebiet und plötzlich ist da eine Grenze, ein Checkpoint und dann stehen da Rebellen oder Regierungstruppen oder irgendwas dazwischen. Die halten dich an und wollen Geld und sagen: „Die Frauen bleiben hier! Du musst los und das Geld holen.“ Und das kannst du eigentlich nicht machen. Solche Situationen haben wir geübt und ich hab gemerkt, eben warst du zu frech. Jetzt hat der dich mit in den Wald genommen und wenn das jetzt das richtige Leben wäre, dann wärst du vielleicht nicht mehr am Leben. Das ist keine Rolle mehr. Und du sagst dir: „Lass es lieber gar nicht so weit kommen.“
Oder ein anderes Beispiel: Ich war in Nordkorea als Asien-Berichterstatter und wusste nicht, stimmt das jetzt, was die mir zeigen oder machen die dir nur was vor? Ich wusste nicht recht, wo die Wahrheit ist. Es war auch keiner da, den ich fragen konnte.
Oder in Amerika: Wir hatten eine große Ölpest im Golf von Mexico vor ein paar Jahren. Wenn du dann merkst, wie dir Dinge vorenthalten werden, wie die Antworten nicht stimmen, wie schön geredet wird, da bin ich auch mal wütend.
Umgekehrt habe ich in der Nacht, als Obama zum Präsidenten gewählt wurde, auch über Emotionen berichtet. Da standen mir ein Kameramann und eine Tonfrau gegenüber. Beides Amerikaner. Und die weinten. Die waren so ergriffen und gerührt, dass es der schwarze Präsident geschafft hat. Da hatte ich auch nasse Augen. Das war nicht mein Land und nicht mein Präsident. Es ist dann nicht meine Aufgabe mitzuweinen. Aber ich habe dann schon gesagt: „Wenn Sie sehen könnten, was ich sehe, könnten sie einen weinenden Kameramann sehen und Sie würden schon daran merken, dass das ein historischer Moment ist”. Die Rolle als Reporter stützt, aber man kann sie nicht keimfrei oder steril machen, natürlich sind das manchmal ergreifende, beängstigende und aufwühlende Themen, über die wir berichten. Das versuche ich dann mit zu vermitteln.
BS: Manchmal haben Sie von Reisen geschrieben, die Sie in Amerika gemacht haben um etwas zu drehen, als Sie zum Beispiel die Männer gesucht haben, die auch George W. Bush heißen. Wofür haben Sie das produziert, denn das war doch wahrscheinlich nicht in den Tagesthemen oder der Tagesschau?
Klaus Scherer: Wir beliefern verschiedene Sendungen. Die Tagesschau ist natürlich sehr verengt auf wichtige Ereignisse und Entwicklungen, die in relativ kurzer Form dargeboten und reportiert werden. Dann haben wir die Tagesthemen. Da kann man mehr Hintergrundinformationen hinzu packen, einen neuen Aspekt aussuchen oder eine Entwicklung beschreiben, oder man porträtiert jemanden.
Das war bei den Bush-Namensvettern nicht der Fall, die hatten nicht den Nachrichtenwert. Aber wir haben Sendungen, wie den Weltspiegel, wo die Korrespondenten im Ausland sieben oder acht Minuten Zeit haben, eine Geschichte zu erzählen. Eine, die es nicht in die Nachrichten schafft, aber trotzdem einen Blick auf das Land wirft. Diese Geschichte war einer der ersten, die ich für den Weltspiegel gemacht habe. Die Männer hatten etwas Lustiges, weil es drei Leute waren, die wie der damalige Präsident hießen. Was erleben die jeden Tag? Die melden sich im Hotel an und die Rezeption sagt, dass kann nicht sein, der Präsident kommt? Oder sie wollen eine Pizza bestellen und der Pizzabäcker sagt: „Du willst mich wohl verarschen! Dann bin ich der Kaiser von China!” Das guckt sich das Publikum an und lacht erst einmal. Dann sind zwei Minuten des Berichts vorbei. Aber ich habe die Möglichkeit, danach noch mehr zu zeigen - über die Pointe hinaus. Wie ging es den Leuten im Lauf der Präsidentschaft von George W. Bush? Von anfänglichem Stolz - “Hey, ich heiß so wie der Präsident” - bis zum Ende, als sie sich für den Namen geschämt haben. Was war dazwischen? Wann drehte sich das? Wann haben sie selber gesagt, das ist jetzt nicht mehr der, dessen Name ich gerne trage. Bei dem einen war es der Irakkrieg, bei dem anderen war es die Innenpolitik. Aber jeder hatte so einen Punkt, mehr oder weniger früh und das wiederum spiegelte dann wieder eine Situation in dem Land - dieser Werdegang oder die politische Wertschätzung eines Präsidenten oder eben nicht. Das ist dann ein Bericht, der nett und überraschend anfängt, weil da einer Bush heißt, aber wenn man das Gesicht sieht, ist es doch ein Anderer als angenommen. Aber später hat darüber hinaus doch den Eindruck, man hat noch etwas mitgekriegt, was man vorher noch nicht wusste.
Das ist eigentlich immer unser Ziel. Nicht: „Halt, ich informiere euch jetzt über irgendwas mit erhobenem Zeigefinger“ sondern man kann auch auf andere Weise hinterher mehr wissen als vorher. Das kann unterhaltsam daherkommen.
BS: Das heißt, Sie finden es auch wichtig, dass die Menschen in Deutschland gut über die USA informiert sind? Denn für uns ist es ja doch ziemlich weit weg und manche verstehen auch nicht, was da passiert. Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, wollen Sie auch aufklären?
Klaus Scherer: Das ist unsere Aufgabe. Deswegen gibt es Korrespondenten. Man weiß nie alles über alles. Wir reduzieren, sonst kommen wir gar nicht zurecht. Natürlich haben wir Klischees, die sich bewahrheiten. Und über Amerika wissen wir noch relativ viel, wir glauben es zumindest. Über Afrika, Südamerika, Asien wissen wir in der Regel noch viel weniger. Dann ist es umso wichtiger, dass Leute dort sind, die nicht nur eben hinfliegen und dann das erzählen, was sie vorher auch schon zu wissen glaubten und sich das dort nur abholen. Sondern das, was ihnen vielleicht vor die Füße fällt. Nach dem Motto: Das wussten wir ja noch gar nicht! In Asien wusste ich, das ist exotisch und anders und auf den zweiten Blick war es dann gar nicht so anders. In Amerika dagegen dachte ich zuerst, es ist so wie bei uns und auf den zweiten Blick habe ich gesehen, dass es doch anders ist, dass die anders ticken, dass die sich anders benehmen, dass die lockerer sind, dass die mehr lachen, dich mehr angucken. Das fiel mir nach fünf Jahren dann wieder auf, als ich nach Hamburg zurückkam. Morgens in der U-Bahn oder im Bus. Jeder guckt woanders hin, alle gucken auf die Füße, keiner redet was, bis in den Aufzug hinein. Das wäre mir vorher nie aufgefallen und du gewöhnst dich auch wieder daran. Aber das ist das Schöne, wenn ein Korrespondent dann auch mal aus seinem Alltag, aus seinem Leben erzählen kann und vielleicht sogar daran zeigen kann, dass auch das etwas mit der Kultur und der Politik zu tun hat.
BS: Gab es denn irgendwann einen Punkt, wo die Amerikaner Sie alle nur noch genervt haben und wo Sie dann keine Lust mehr hatten weiter in den USA zu leben?
Klaus Scherer: Ansatzweise, aber nie so, dass ich hinschmeißen wollte oder wieder nach Hause wollte. Natürlich gibt es Nerv-Tage. In Japan hat mir ein Kollege mal gesagt, es gebe Hass-Tage, an denen schreibe er nicht, weil er dann unfair schreiben würde. Mir ging das im Ausland oft mit der Bürokratie so. Du hast ein Problem und willst die Fluglinie, die Bank oder das Gaswerk anrufen und immer ist die Warteschleife am Computer dran. Dann weißt du irgendwann, die wollen deine Frage nicht beantworten, die wollen dich , die dich umflöten, bis du den Vertrag unterschrieben hast und danach kümmern sie sich nicht mehr um dich. Das ist das gleiche Prinzip. In Japan ging es mir oft gegen den Strich, dass man nicht Klartext geredet hat. Da war immer so eine Wortwolke unaushungern. In solchen Fällen denkst du: „dieses blöde Land”, weil man so einen Satz schnell sagt. Nur bin ich irgendwann wieder nach Hause gekommen und habe dann das Gleiche hier auch vorgefunden. Telefongesellschaften, Banken, Autoverleiherd ganz selten kam mal ein Nein oder eine konkrete Antwort. Da war alles immer nett und verpackt, aber man hat manchmal gegen Gummi geboxt. Das ist deren Kultur, aber es ist unsere Aufgabe das zu beschreiben und zu erklären. Manchmal muss man sich einfach eine Pause gönnen. Aber es gab noch nicht einen Tag, an dem ich gesagt hätte, ich will jetzt hier weg. Überhaupt nicht.
BS: Das heißt, Sie würden auch jederzeit wieder ins Ausland gehen?
Klaus Scherer: Man muss irgendwann auch wissen, wo man hingehört und wo man seinen Kindern sagen will, das ist das Zuhause oder die Heimat. Ich bin schon viel unterwegs gewesen. Ich bin jetzt seit siebzehn Jahren beim NDR und zehn davon war ich im Ausland. Meine Kinder sind im Ausland aufgewachsen und sind Weltbürger. Die haben nicht wie ich ihre Wurzeln irgendwo in der Pfalz oder in Bayern. Das macht sich schon bemerkbar. Das ist eine andere Form von Wurzeln, eine andere Form von Heimat. Insofern kann es sein, dass wir noch mal gehen, aber es ist nicht so, dass ich es mir vorgenommen hätte. Das ist offen.
BS: Gibt es denn irgendwas, was Sie in Deutschland aus den USA vermissen?
Klaus Scherer: Die Alltagsherzlichkeit der Amerikaner. Wenn du in den Supermarkt kommst und die Kassiererin sagt: „Hey sweety!“ Eine, die du gar nicht kennst, und die sagt “Hello sweety” oder “darling”. Ich dachte am Anfang, habe ich was vergessen? Was will die denn jetzt von mir? Oder meine Tochter war vier und sagte: “I’m Marie, I’m not your darling”. Wir haben das am Anfang belächelt, dass die Amerikaner solche Smalltalker sind. So nach dem Motto „Es ist nichts dahinter”. Trotzdem fängt man den Tag anders an, wenn man anderen Leuten begegnet, die freundlich sind, die mal ein Wort fallen lassen, auch wenn sie nur über das Wetter reden oder darüber, dass du schöne Schuhe hast oder dass dein Kind süß ist. Das ist dann ein schöner Anfang! Ich finde, dass das eine sehr schöne Eigenschaft ist, die mir hier oft fehlt.
BS: Gibt es denn auch irgendetwas, wo Sie denken, das werde ich nie verstehen bei den Amerikanern?
Klaus Scherer: Diese Ideologie von Freiheit, die immer wieder missbraucht wird. Das war vor allem in den letzten Wahlkämpfen der Konservativen so. Die sagten „Keiner darf uns vorschreiben, eine Krankenversicherung zu haben”. Dinge, die wir für selbstverständlich halten, für eine Errungenschaft des Zusammenlebens der Gemeinschaft, sodass keiner verhungert. Dass einer, der krank ist, nicht behandelt wird, würde ich nicht als Freiheit verstehen. Dass nicht alle krankenversichert sind, ist doch keine Freiheit. Oder der Waffenkult bei Vielen.
Dieses Abrufen von Formeln, ohne groß darüber nachzudenken, ob das überhaupt Sinn macht. Diese Freiheitsideologie, die ging mir schon manchmal auf den Keks. Ich habe sie nie wirklich verstanden und man konnte sie mir auch nie wirklich begründen. Ich hörte dann manchmal von ihren Vordenkern: „Wir haben das in den Genen, wir haben so ein Freiheits-Gen”. Aber ich fand es manchmal einfach bescheuert.
BS: Lernt man dann solche Sachen wie die Krankenversicherung mehr zu schätzen, wenn man wieder in Deutschland ist?
Klaus Scherer: Ja, nicht nur das, auch die kostenlosen Universitäten. Das Bildungssystem, was so schlecht nicht ist, wie wir manchmal behaupten. Das frei empfangbare, nicht durchkommerzialisierte Fernsehen, das Niveau der Nachrichten, die Unabhängigkeit der Medien. Du kannst dich informieren, ohne dass du Herzrasen kriegst. Das sind alles solche Sachen, die ich wieder zu schätzen gelernt habe. Aber auch Amerikaner sagten mir da: „Wir hätten das auch gerne, seid froh, dass ihr das habt”.
BS: Wenn ich jetzt an Amerika denke, dann habe ich so ein Klischee in meinem Kopf von dem typischen Amerikaner. Hatten Sie das auch und wenn ja, wurden die Klischees wiederlegt?
Klaus Scherer: Beides. Natürlich gibt es das, was man so als Klischee kennt. Das sieht man, aber einen Tag später trifft man das genaue Gegenteil. Dann muss man fairerweise sagen, es gibt das, aber es gibt auch das und das und das. Das gibt es nicht nur in Amerika, sondern überall. Wir machen oft den Fehler, dass wir auf das Klischee reinfallen, weil es sich schön erzählt und weil man darüber lachen kann. Aber umgekehrt erzählen die auch das Klischee über die Europäer, die alle so kommunistisch seien und wo die Leute im Wartezimmer sterben würden. Das ist auch die Aufgabe von uns Korrespondenten, meinetwegen beim Klischee anzufangen, aber dann weiter machen und sagen, jetzt zeige ich dir aber auch noch den Rest.
BS: Sie haben geschrieben, dass sie einen Mann besucht haben, der ganz viele „Wacky Labels“ sammelt, also Warnhinweise auf Produkten. Welches „Wacky Label“ war Ihr Favorit?
Klaus Scherer: Der Aufkleber auf dem Angelhacken, wo drauf stand: Bitte nicht verschlucken!
BS: Was hat für Sie eine „Blaue Seite“, was fällt Ihnen dabei ein?
Klaus Scherer: Was mir da einfällt? Im Moment schneide ich gerade einen Film, der an Weihnachten laufen wird. Dafür waren wir am Polarkreis unterwegs, unter anderem in Island. Da gibt es eine Stelle, wo sich die zwei Kontinentalplatten berühren, die amerikanische und die europäisch-asiatische. Das Wasser ist zwei Grad warm - oder kalt wie man es nimmt - und da waren wir für den Film tauchen. Da ist es blau. Man kann richtig weit gucken, aber das hat alles so eine blaue Farbe, als würde eine blaue Seite darauf liegen. Das ist so das letzte blaue Erlebnis, was ich gerade mit mir herum schleppe.
BS: Danke für das Interview.
Klaus Scherer: Aber gerne.