Interview mit Kristin Cashore
Bei der Leipziger Buchmesse hatte Kerrin die Möglichkeit, die Amerikanerin Kristin Cashore zu ihren Romanen 'Die Beschenkte' und 'Die Flammende' zu interviewen.
Wer oder was inspiriert Sie?
Ich habe manchmal Tagträume. Neil Gaiman sagt, dass jeder Ideen hat, aber Autoren merken es. Ich glaube, dass es das ist, was passiert.
Ich habe Tagträume und denke vielleicht grade über das Buch nach, was ich zuletzt gelesen oder den Film den ich zuletzt gesehen habe. Und dann stelle ich mir die Charaktere vor und sie sind plötzlich meine eigenen Charaktere und ich denke darüber nach, was für eine Geschichte ich besser gefunden hätte, wie ich sie geschrieben hätte.
Und bevor ich es wirklich merke, habe ich diese Figuren in meinem Kopf und höre ihre Gespräche und Streitereien, wie sie miteinander kämpfen.
Sie kommen zu mir und machen es sich in meinem Kopf bequem. Ich höre ihnen zu und versuche herauszufinden, welche Gefühle sie füreinander haben.
Ich fange ein Buch mit meinen Figuren und deren Beziehungen an, dann erst beginne ich mit der Handlung. Das ist eine sehr zeitaufwendige Arbeit.
Ich versuche, die Handlung als einen Rahmen für das Buch zu gestalten, einen Rahmen, in dem ich die Charaktere besser kennen lernen kann.
Mögen Sie Ihren Job?
Oh, ich LIEBE meinen Job! Es ist der beste Job der Welt! (lacht)
Ich kann in meinem Schlafanzug arbeiten, wenn ich das Gefühl habe, dass gerade zu viel los ist, zu viele E-Mails und Anrufe, dann entscheide ich eben, dass ich heute in meinem Bett arbeite.
Ich kann in einem Raum ganz alleine arbeiten – das liebe ich! – und ich kann um die Welt reisen und viele Menschen treffen.
Ich liebe alles an meinem Job!
Haben Sie einen absoluten Lieblingsteil Ihrer Arbeit?
Die Sache, die ich am meisten liebe, ist sehr klein. Es ist der Moment, wenn ich den ganzen Tag geschrieben habe und versucht habe, einen Teil wirklich gut zu schreiben und dann merke ich, dass ich es geschafft habe und es funktioniert.
Es passiert nicht sehr häufig, dass ich dieses Gefühl habe, normalerweise habe ich immer das Gefühl, dass ich es noch nicht geschafft habe, dass es noch nicht gut ist.
Aber wenn mich dieses kleine, leise Gefühl beschleicht, ganz allein in meinem Zimmer, es ist einfach ein so tolles Gefühl, wenn man sagen kann: Ich habe es so geschrieben, wie ich es schreiben wollte.
Was für eine Atmosphäre brauchen Sie, um schreiben zu können?
Es muss still sein, manchmal trage ich deswegen Ohrstöpsel. Wenn ich in einem Café bin und überall um mich herum wird geredet stört es mich nicht. Ich kann mich konzentrieren, solange ich nicht ein konkretes Gespräch hören kann.
Ich brauche außerdem einen bequemen Stuhl und mein Notizbuch. Das sind die einzigen drei Dinge die ich brauche – obwohl, ich muss mich konzentrieren können, also brauche ich auch noch innere Konzentration.
Haben Sie einen Schreibraum oder schreiben Sie einfach dort, wo Sie gerade sind?
Ich schreibe meistens in meinem Wohnzimmer. Ich würde sehr gerne einen Schreibraum haben, aber dafür habe ich im Moment keinen Platz. Aber eines Tages vielleicht!
Ich mag es an einem Ort zu schreiben, wo es hell ist und wo ich aus dem Fenster sehen kann. In meinem Wohnzimmer habe ich außerdem alle meine Pflanzen, die ich auch sehr liebe.
Aber ich schreibe auch in meinem Schlafzimmer, in meiner Küche während ich koche, ich bin da ziemlich flexibel!
Oh, und ich schreibe in Flugzeugen, in Zügen, in Hotelzimmern...
Haben Sie besondere Gewohnheiten während Sie ein Buch schreiben?
Ich glaube mein einziges Ritual ist meine Tasse Tee. Ich liebe meine Tasse Tee!
Welchen Tee mögen Sie denn am liebsten?
Ich mag Schwarzen Tee. Am liebsten mag ich Englischen Frühstücks Tee, ich trinke ihn mit Milch und Zucker! (lacht)
Wann haben Sie sich entschieden, Autorin zu werden und warum?
Ich hatte schon immer das Gefühl, dass ich schreiben wollte, aber ich habe es nie wirklich gemacht. Es ist so, dass man sagt, ja klar, eines Tages werde ich ein Autor sein, aber man fängt nie wirklich an.
Ich habe Kinderliteratur in Boston studiert und mein letzter Kurs war ein Kurs in kreativem Schreiben und das hat mich dazu gebracht, zu schreiben. Ich musste ja, weil es eine Aufgabe war.
Und sobald ich angefangen hatte, zu schreiben, kam schon die Idee.
Davor hatte ich immer Angst davor, dass ich nie Ideen haben würde, aber als ich dann wirklich angefangen hatte, kamen auch die Ideen.
Ich habe sie zu Gedanken geformt und sie aufgeschrieben. Ich liebe es und jetzt bin ich glaube ich süchtig danach, obwohl es wirklich schwierig ist und während man schreibt ist es so anstrengend.
Manchmal sitze ich einfach da und frage mich, warum ich mir das jeden Tag antue.
Es ist wegen dieses einen Moments, in dem es funktioniert. Und dieser Moment, wenn du jahrelang so hart dafür gearbeitet hast und es wirklich funktioniert, das ist einfach so ein tolles Gefühl.
Wovon handelte Ihr erster Text?
Der allererste war für jüngere Kinder, für Kinder zwischen acht und zwölf Jahren, in Amerika heißt das 'middle-grade'.
Es war realitätsnah, also kein Fantasy und es handelte von einem jungen Mädchen das auf dem Land lebt, in der Nähe von dem Ort in dem ich aufgewachsen bin, in Pennsylvania und von ihrem Nachbarn, ihrem besten Freund.
Sie heißt Maddie und er JP.
Sie macht gerade eine harte Zeit in der Schule durch, weil sie nicht berühmt ist. Außerdem hat sie Fragen über ihren Glauben, sie ist katholisch und fängt zum ersten Mal in ihrem Leben an, die Dinge zu hinterfragen, die ihr eingetrichtert wurden.
JP ist ein Atheist und ein Naturwissenschaftler. Sie haben so ihre Gespräche. Er ist krank und die Dinge nehmen ihren Lauf.
Es ist kein großartiges Buch, aber ich denke, dass es Potential hat. Ich könnte es überarbeiten und dann wäre es ein Ganz-in-Ordnung-Buch. Noch ist es wirklich schlecht. Es ist mein Übungs-Buch.
Warum schreiben Sie gerade Jugendbücher?
Ich mache das nicht wirklich mit Absicht, ich fange einfach an zu schreiben und dabei kommt ein Buch heraus. Ich schreibe nicht für ein spezielles Alter. Ich schreibe einfach ein Buch, das ich selber gerne lesen möchte. Und ich bin 34!
Ich glaube, dass die Industrie und der Verlag dabei entscheidend sind.
Ich mag es gerne, über jugendliche Charaktere zu schreiben, weil es ihren Charakterzügen eine besondere Frische gibt. Sie erleben so vieles zum ersten Mal.
Es ist nicht wirklich wichtig, während ich schreibe, es ist einfach das, was dabei herauskommt.
Wie haben Sie sich gefühlt, als der Carlsen Verlag Sie nach Deutschland eingeladen hat?
Ich habe so einen kleinen Klebezettel an meinem Computerbildschirm, auf dem steht: „Never say yes unless it's HELL YES!“ (Sag niemals Ja, wenn es nicht JA, ZUR HÖLLE! ist!)
Ich werde zu so vielen Dingen eingeladen und es fängt an, stressig zu werden und ich habe mich manchmal gefühlt, also ob ich nie wieder zu Hause sitzen und schreiben könnte. Also musste ich lernen, Nein zu sagen. Aber als ich diese Einladung bekommen habe, habe ich meinem Agenten „HELL YES!“ zurückgeschrieben! (lacht)
Sind Sie Stolz darauf, dass so viele Menschen auf der ganzen Welt Ihre Bücher lesen?
Ich bin verblüfft. Ich bin wirklich schockiert. Ich glaube, ich habe noch nicht genug Zeit gehabt, um es wirklich sacken zu lassen und stolz zu sein, ich kann es noch nicht ganz fassen. Aber ich glaube, dass meine Familie sehr stolz ist.
Sind einige Figuren in Ihren Büchern Menschen in Ihrem wirklichen Leben ähnlich?
Nein, ich forme eine Figur nie nach dem Vorbild eines Menschen, den ich kenne, weil ich finde, dass die Figur ihre eigene Persönlichkeit haben muss.
Wenn ich während des Schreibens über eine wirkliche Person nachdenke, mache ich mir Sorgen. Die Charaktere über die ich schreibe sind wie ein Flickenteppich, zusammengesetzt aus Teilen von vielen Menschen.
Ab und zu passiert es, dass mich eine Figur in einem Buch an eine wirkliche Person erinnert – das, was jetzt kommt ist wirklich vollkommen lächerlich – wenn man das Buch 'Die Flammende' gelesen hat, kennt man Fires Pferd 'Small'. 'Small' erinnert mich an meinen Vater! (lacht)
Er ist sehr lieb und sanftmütig.
Aber ich habe gar nicht über meinen Vater nachgedacht, während ich über 'Small' geschrieben habe.
Ich habe diese Ähnlichkeit erst später bemerkt.
Mein Vater hatte einen Teil des Buches gelesen und sagte, dass er 'Small' sehr mochte und ich sagte, dass das kein Wunder sei, weil die beiden sich sehr ähnlich sind.
Nun haben wir ein paar Fragen über Ihren ersten Roman 'Die Beschenkte':
Wann haben Sie die Entscheidung getroffen, 'Die Beschenkte' zu schreiben?
Das war – lass mich überlegen – 2005, als ich in Austin, Texas gelebt habe.
Es war kurz nachdem ich mit meinem Übungs-Buch fertig war und prompt kamen die ersten Charaktere zu mir: Katsa, Bo und Raffin.
Sie kamen alle auf einmal und hatten diese Kraft. Von Anfang an kämpften sie miteinander auf diese unmögliche Art und Weise, also wusste ich, dass es eine Fantasy-Geschichte werden würde.
War es schwierig, einen Verleger zu finden?
Ich habe mich nicht wirklich darauf versteift, ich habe das Buch an einen Verlag geschickt und sie damit einen Monat in Ruhe gelassen und währenddessen weitergeschrieben, 'Fire' geschrieben.
Es ging ziemlich schnell, ich hatte ein paar Absagen bekommen und dann endlich die richtigen Agentin gefunden. Viele Leute haben sich die Geschichte angesehen und gesagt „Ja, ich sehe das Potential darin“ oder „Ja, das Buch wird sich gut verkaufen“ aber man möchte die Person finden, die das Buch wirklich liebt, die Person, für die man es geschrieben hat.
Ich hatte großes Glück, ich hatte die Geschichte an eine Agentin gesendet, die diese Person war.
Wir haben einen Vertrag gemacht und sie schickte die Geschichte an etwa zehn Lektoren und wir hofften auf die Person, die es liebte.
Die meisten sagten ab und eine liebte es.
Erinnern Sie sich an die erste Person, die Ihr Buch gelesen hat?
Ja, das war meine Schwester Catherine.
Warum haben die Beschenkten verschiedene Augenfarben?
Ich erinnere mich nicht daran, woher diese Idee kam.
Aber ich erinnere, dass ich nachts in Austin über einen Golfplatz lief und um mich herum leuchteten Glühwürmchen und plötzlich hatte ich die Idee für Bos Augen, die silber und golden gesprenkelten Augen. Vielleicht kommt die Idee daher, aber ich bin mir nicht sicher?
Haben die Namen eine Bedeutung?
Sie sind alle von irgendwoher gekommen, besonders die Namen in 'Die Flammende'. Jeder Name, Cansrel zum Beispiel: Ich hatte eine Tante, die gestorben ist, währen ich 'Die Flammende' schrieb – Ich weiß noch, wie ich mit meinem Notizbuch in einem Restaurant saß und darüber nachdachte, dass Cansrel ja irgendwie ein krebsartiger Charakter ist – ich wollte das Wort 'cancer' (zu Deutsch: Krebs) in seinen Namen einarbeiten. So ist sein Name zustande gekommen.
Ich hatte gerade 'Die Zeit der Unschuld' von Edith Wharton wieder einmal gelesen und in diesem Buch heißt eine Figur 'Archer'. Ich las das Buch und wollte irgendwie ein Buch über einen großen, gutaussehenden Mann namens 'Archer' schreiben.
Er hatte seinen Namen bevor er seine Fähigkeit hatte (Archer = Bogenschütze), ich fand, dass es irgendwie ein merkwürdiger Name sei, also habe ich entschieden, dass es ein Spitzname sein sollte.
Und jetzt weiß ich, dass dieser 'Archer'-Typ sehr gut im Bogenschießen ist!
Welcher ist Ihr Lieblingscharakter in 'Die Beschenkte'?
Hmm...Vielleicht...Naja, die Antwort ist Bitterblue, aber das ist nur weil ich gerade über sie schreibe. Ich habe Gefallen an Skye gefunden, Bos jüngerem Bruder.
Aber ich hab keinen wirklichen Lieblingscharakter in 'Die Beschenkte'.
Dafür aber in 'Die Flammende'! Ich weiß nicht warum, aber am Schluss hatte ich einen Narren an Nash, dem König gefressen. Das hatte ich überhaupt nicht erwartet.
Sie haben gerade gesagt, dass sie im Moment über Bitterblue schreiben. Wird das ein neues Buch?
Ja, Bitterblue ist achtzehn und die Königin von Monsea und erlebt viele Abenteuer!
Kommen wir nun zu 'Die Flammende':
Wann haben Sie die Idee für 'Fire' bekommen?
Ich habe die Idee für 'Die Flammende' aus einer Zeile in 'Die Beschenkte'. Eine Figur erzählt einer anderen darin von dem Ort, wo Leck herkommt und die Menschen erzählen Geschichten über dieses Land, in dem komische Kreaturen in der Luft umherfliegen.
Ich habe mir das einfach ausgedacht, weil ich wollte, dass die Geschichte von irgendetwas handelt. Aber während ich 'Die Beschenkte' weitergeschrieben habe, kam ich immer wieder darauf zurück und es störte mich, dass ich nicht wusste, wo dieser Ort war.
Und dann habe ich realisiert, dass der Ort, wo Leck herkommt, ein wirklicher Ort ist und dass ich darüber ein weiteres Buch schreiben musste!
Warum sind die Monster in 'Die Flammende' so bunt und hübsch und nicht, wie man es erwarten würde, hässlich und dunkel und schmutzig?
Mir gefiel die Idee, mit dem Wort Monster zu spielen. Manchmal nennen wir Menschen Monster und ich finde es faszinieren, so eine Idee, der so viel Negatives anhaftet zu nehmen und den Spieß umzudrehen, zu sagen, was ist, wenn ein Monster so aussieht?
Sie benehmen sich immer noch wie Monster, aber sie sehen nicht aus wie welche.
Außer vielleicht die kleinen Kätzchen, die sind ziemlich harmlos. (lacht)
Hatten Sie die Möglichkeit, mit zu entscheiden, welches Cover 'Die Flammende' in Deutschland kriegen sollte?
Nicht wirklich, sie haben es mir gezeigt, aber ich habe da keine Entscheidungskraft drüber.
Glücklicherweise ist es ein hübsches Cover, ich habe mich gefreut, als ich es gesehen habe.
Nun kommt unsere letzte Frage:
Was hat oder ist für Sie eine blaue Seite?
Das ist sehr interessant! Blau ist meine Lieblingsfarbe und ich schreibe gerade über Bitterblue, also mag ich die Farbe sehr gerne.
Ich habe dabei an den Ausdruck 'bluestocking' gedacht. Das ist ein britischer Ausdruck für eine Frau, die Bücher liebt.
Vielen Dank!
Gern geschehen!