Interview

Interview mit Lucy Christopher

Auf der Leipziger Buchmesse haben Kerrin Kiesbye und Freya  Schwachenwald Lucy Christopher interviewt. Die englische Autorin lebte  viele Jahre in Australien und bekam dort ihre Inspiration zu ihrem  Debütroman ich wünschte, ich könnte dich hassen.

Blaue Seite: Sie waren schon einmal in Deutschland. Wann war das und was haben Sie erlebt?

Lucy Christopher: Erst einmal- Ich liebe Deutschland! Es ist einer meiner Lieblingsorte  in der ganzen Welt. Ich war hier als ich sechszehn Jahre alt war bei  einem zweimonatigen Austausch. Ich habe in einem kleinen Ort in der Nähe  von Stuttgart gewohnt.
Es hat eine Menge Spaß gemacht. Meine Deutschkenntnisse waren furchtbar  bevor ich kam, aber plötzlich musste ich es selber sprechen. Ich begann  es zu verstehen und das war so aufregend. Außerdem war ich schon einmal  in Berlin und einigen anderen deutschen Städten. 

BS: Haben Sie Deutsch in der Schule gelernt?

LC: Ja. Ich bin in Australien zur Schule gegangen und seltsamerweise gab  es dort Deutschunterricht. In meiner gesamten Schulzeit habe ich die  Sprache gelernt. Als ich in der zehnten Klasse war, hatten wir eine sehr  lustige Deutsch-Reise. Verständlicherweise ist es sehr schwer für eine  ganze australische Klasse nach Deutschland zu fliegen. Das kostet eine  Menge Geld. Stattdessen sind wir nach Hongkong geflogen, in eine  deutsche Schule. Das war komisch. Außerdem gab es nicht genügend  deutschsprachige Gastfamilien und so bin ich in einer englischen Familie  gelandet. Ich habe nicht viel Deutsch in Hongkong gelernt. (lacht)

BS: Warum schreiben Sie?

LC: Gute Frage. Ich habe schon immer geschrieben, schon als ich ziemlich  klein war. So richtig angefangen habe ich wohl, als ich nach Australien  zog. Vorher, als ich noch in Wales lebte, habe ich nicht viel  geschrieben oder gelesen. Ich war eher ein Abenteurer, ein Mädchen das  gerne draußen war und ritt. Und plötzlich, in Australien, hatte ich viel  mehr Zeit und anfangs auch keine Freunde. Also schrieb ich eine Menge.  Seitdem habe ich immer geschrieben um die Welt zu verstehen. Ich habe  ein Tagebuch geführt. Früher habe ich Geschichten für meine Freunde  geschrieben und sie verschenkt. 

BS: Also ist das die Botschaft, die Sie mit dem Buch übermitteln wollen?

LC: Auf jeden Fall. Nichts ist immer so, wie es auf den ersten Blick scheint. 

BS: Wie viel von Ihnen selbst ist in dem Roman zu finden? 

LC: Ich denke eine Menge des Romans bin Ich. Die Art, wie Gemma über die  Wüste denkt. Die Frage, ob es nett, ob es schön, ob es schrecklich, ob  es verängstigend ist hat auch mich sehr beschäftigt. Auch in Ty steckt  ein bisschen von mir. Ich mag die Art und Weise, wie er über das Land  denkt.

 Ein kleines bisschen von mir steckt überall drin, aber die Geschichte ist natürlich eigenständig.

BS:  Was denken Sie über den deutschen Titel Ich wünschte, ich könnte dich hassen  ? Und was über den englischen Titel Stolen? ?

LC: Die beiden Titel sind sehr verschieden. Ich mag den deutschen Titel  sehr und ich denke er passt gut zu dem deutschen Buch. Im Englischen mag  ich jedoch ‚Stolen‘ lieber als eine Übersetzung des deutschen Titels,  ganz einfach deswegen, weil das Wort in Australien eine besondere  Bedeutungen hat. In der Wüste sind tatsächlich Menschen ‚gestohlen‘  worden.  Es gab einige, die gekidnappt wurden. Das Wort hat sozusagen  eine Geschichte in der australischen Wüste, anders als in Deutschland,  wo die Wüste nicht mit dem Verschwinden von Menschen assoziiert wird.

BS: Also hat es tatsächlich solche Entführungen wie in dem Buch  beschrieben gegeben. Beruht der Grundgedanke der Geschichte auf einer  wahren Begebenheit?

LC: Das Buch basiert nicht auf irgendeiner wahren Geschichte, aber es gab  einige Entführungen in der australischen Wüste. Als ich eine  Jugendliche war, reisten zwei Rucksacktouristen durch ebendiese Wüste  und ein Mann stoppte sie, entführte sie und brachte den Mann um. Die  Frau konnte fliehen. Die Nachrichten berichteten eine Menge über diesen  Vorfall und ich erinnere mich gut daran. Daher denke ich auch, dass  dieses Erlebnis mich beeinflusst hat. 

BS: Was waren Ihre weiteren Gedanken beim Entstehen des Romans?

LC: Ich wollte wirklich über die Wüste schreiben und war mir für einige  Zeit nicht sicher mit der Entführungsgeschichte. Tatsächlich habe ich  sogar versucht, ein anderes Buch, das in der Wüste spielt, zu schreiben,  aber das habe ich nach einiger Zeit verworfen. Es war immer mein  Wunsch: Ein Wüsten-Buch zu schreiben.

 Außerdem hatte ich immer den ersten Satz in meinem Kopf: ‚Du hast  mich gesehen, bevor ich dich gesehen habe‘. Zuerst habe ich diesen Satz  gar nicht im Zusammenhang mit dem Wunsch nach einem Wüsten-Buch gesehen.  Trotzdem habe ich ihn einfach aufgeschrieben und dann immer weiter und  weiter geschrieben. Und irgendwann dachte ich Was, wenn dies die Wüsten-Geschichte ist, die ich schon immer schreiben wollte?. 

BS: Und wann kam die Idee, die Geschichte in Form eines Briefes an den Entführer zu erzählen?

Es war nicht sofort klar. Erst, nachdem ich mit dem Weiterschreiben  des ersten Satzes begonnen hatte, merkte ich, dass der Text ein Brief  war. Das gefiel mir sofort. Ich schreibe gerne Briefe. 

BS: Hatten Sie ein Bild von Ty im Kopf, als Sie über ihn schrieben?

LC: Ja. (lacht)  Ich hatte zwei Bilder von Ty in meinem Kopf und  diese waren ziemlich ähnlich. Eines meiner Vorbilder war ein  australisches Model, dessen Bild an der Wand hing, während ich schrieb.  Das sah toll aus. Das andere Bild von ihm ist ein australischer Sänger,  den ich einmal singen gesehen hatte. Er ist ein großer, australischer  Mann, sehr tough, mit verrückten blonden Haaren, sehr wütend, und mit  sehr blaue Augen. 

Ty ist also ein irgendwie wütender Mann, aber auch sehr australisch und schön. 

BS: Und was ist mit Gemma?

LC: Auch bei Gemma hatte ich meine Bilder im Kopf. Ich habe Gemma in  London gesehen, als ich auf die U-Bahn gewartet habe. Am Bahnsteig war  eine Gruppe von Schulmädchen mit hübscher, grünbrauner Schuluniform. Ich  achte immer sehr auf die Schuluniformen, weil ich selbst eine  furchtbare tragen musste. Es war bestimmt die schlimmste Uniform auf der  ganzen Welt.
Als ich also diese Gruppe Mädchen sah, dachte ich: Deren Schuluniform ist eindeutig besser als meine.

Und dann bemerkte ich, dass eines der Mädchen etwas abseits von den  anderen stand und mich anschaute, wahrscheinlich fragte sie sich, warum  diese Frau sich so genau die Uniformen anschaute. Sie hatte lange,  dunkle Haare und grüne Augen, und ich wusste: Das ist Gemma. So sieht  sie aus. Sie sieht aus wie dieses Mädchen dort. 

BS: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

Ich brauche auf jeden Fall etwas mehr Freizeit (lacht) ! Ich  habe ein Pferd, um dass ich mich kümmere und auf dem ich oft reite. Der  Name des Pferdes ist ‚Topas‘. Aber ich reite nicht so gut, wie ich es  gerne könnte. Da muss ich wohl noch ein bisschen üben. 

Ich lese auch eine Menge Bücher. Außerdem habe ich immer noch eine  Menge Freunde, und meine Familie natürlich, die in Australien leben. In  meinen Ferien fahre/fliege ich oft dorthin. 

BS: Was ist Ihr Lieblingsbuch?

Ich habe eine Menge Lieblingsbücher. Ein Buch, dass mir sehr wichtig war, als ich jünger war, ist ‚Tomorrow when the war begun‘ (dt. ‚Morgen war Krieg‘) von  John Marsden. Der Autor ist Australier und er ist sehr bekannt dort. Es  geht um eine Gruppe Jugendlicher, die einen Camping-Urlaub im Outback  machen. Während sie dort sind, wird ihr Land angegriffen und ein Krieg  bricht aus. Als sie zurückkommen, müssen sie sich plötzlich entscheiden,  ob sie gefangen werden oder kämpfen. Für mich war dieses Buch wirklich  aufregend, weil es um diese Gruppe von Jugendlichen geht, die zusammen  sind, die cool sind. Es sind wirklich starke Personen und erleben diese  Abenteuer. ‚Morgen war Krieg‘ ist also, wenn nicht mein Lieblingsbuch,  doch auf jeden Fall das wichtigste Buch für mich. 

BS: Was für Träume hatten Sie im Alter von zehn Jahren?

Zehn war das Alter, in dem ich mit meinen Eltern nach Australien zog.  Meine Träume veränderten sich. Mit zehn Jahren im Vereinigten  Königreich war mein größter Traum wohl mein ganzes Leben lang zu reiten,  aber nach dem Umzug dann träumte ich vor allem davon, zurück nach Wales  zu ziehen (lacht) ! Aber ich wollte auch nach Australien gehören und lernen, das Land zu lieben.

BS: Was würden Sie wohl tun, wenn Sie keine Autorin wären?

Ich habe lange Zeit in einem Naturschutzgebiet gearbeitet. Mein Job  war, junge Menschen in das Reservat zu nehmen und ihnen die Natur und  die Vögel zu zeigen. Ich wollte ihnen zeigen, dass es Spaß macht,  draußen zu sein und die Umwelt zu schützen. Ich mochte diese Arbeit  sehr. Wahrscheinlich würde ich so etwas immer noch tun. Etwas, wo man  draußen ist, wo man mit jungen Menschen zu tun hat.

BS: War das in Australien oder in der UK?

Das war in der UK. Als ich in Australien war, habe ich es einige Zeit als Schauspielerin versucht, aber ich war schrecklich (lacht). 

BS: Was sind Ihre Pläne für die Zukunft? Wie sehen Sie sich in 20 Jahren?

Ich hoffe, dass ich viele Bücher veröffentlicht habe (lacht) . Es wäre schön, wenn einige meiner Bücher verfilmt werden würden. Das  wäre sehr aufregend. Ich würde gerne Abenteuer erleben und verschiedene  Ländern besuchen, um ganz verschiedene Menschen kennen zu lernen.  Außerdem würde ich gerne eine Kreativ-Schreiben-Schule irgendwo in  Afrika gründen. Das wäre ein Traum. 

BS: Welche Schauspieler würden Sie für eine Verfilmung von Ich wünschte, ich könnte dich hassen auswählen?

Es gibt tatsächlich einige, die an einer Verfilmung des Buches  interessiert sind, auch einige Schauspieler und Schauspielerinnen. Der  Schauspieler, der Ty spielen würde, heißt Ryan Kwanten. Er ist  Australier und spielt bei ‚True Blood‘ mit. Er ist großartig und sieht  genau aus wie Ty.

BS: Und unsere allerletzte Frage: Was hat für Sie eine blaue Seite?

Gute Frage. Das Bild, das mir sofort in den Kopf kommt, ist ein Buch  bei Mondlicht zu lesen, und die Seiten erscheinen blau wegen des  Mondlichts. Aber trotzdem kann man nicht aufhören zu lesen und liest in  der Dunkelheit weiter. 

RedakteurRedakteur: Kerrin, Freya
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