Interview mit Markus Köninger

Im Rahmen der Leipziger Buchmesse hatte unsere Redakteurin Clara die Chance, den Graphic-Novel-Zeichner Markus Köninger zu interviewen.

Blaue Seite: Sie bezeichnen sich auf Ihrer Website als Illustrator und Lockenkopf. Die Website heißt auch „Life in Curls“ – was kann man sich unter einem überzeugten Lockenkopf vorstellen? 

Markus Köninger: Ein überzeugter Lockenkopf? 

Blaue Seite: Der Sie ja zu sein scheinen. 

Markus Köninger: Ja, jetzt habe ich längere Haare und einen Zopf, aber sonst habe ich eigentlich Locken. Das Leben bietet immer so viele Hochs und Tiefs und Freuden und weniger Erfreuliches. Und irgendwie fand ich den Namen „Life in Curls“ so bezeichnend für dieses Auf und Ab oder diese Achterbahnfahrt des Lebens. ich habe mal gehört, dass es besser ist, der eigenen Website einen bestimmten Namen zu geben, nicht den Eigennamen. Nicht „Markus Köninger“, weil Köninger sich sowieso keiner merken kann. Jeder schreibt es falsch. Dann wollte ich das ein bisschen international, und darum eben Englisch. Deshalb „Life in Curls“. Denn ich trage Locken und das Leben ist lockig, verlockend.

Markus Köninger: Glücklicherweise habe ich von Rafik Schami selbst viele, viele Fotos geschickt bekommen und von seiner Familie, die weiterhin in Damaskus oder Syrien lebt. Da hatte ich einen ganzen Ordner voll mit tausenden von Fotos. Das war auch noch mal schwierig. Obwohl es so viele waren, habe ich die meisten Bilder nicht verwendet. Es gab wenige Fotos von Szenen, die jetzt in meinem Comic auftauchen. Es war eben nicht durch meine Augen betrachtet, sondern durch die Augen von anderen Menschen. Das hat es noch mal schwieriger gemacht, mit diesen Fotos zu arbeiten. Da habe ich gemerkt, dass ich eine Art Ergänzung brauche zu diesen Fotos. Und das hat mich dann dazu bewogen, nach Istanbul zu fliegen. Wo es weit weniger gefährlich war und ist als jetzt in Damaskus. Dort habe ich viele Fotografien geschossen. Das arabische Leben eingesaugt und erlebt und ergänzend mit dieser Erfahrung, die ich da gemacht habe, konnte ich die Fotos und den Roman, konnte ich alles miteinander vermischen. Es hat sich viel mehr angefühlt, als würde ich es aus erster Hand erzählen. 

Blaue Seite: Sie haben auch erzählt, dass Sie manchmal Szenen aus dem Buch zu einzelnen Themengruppen ordnen mussten, sodass manchmal eine monatelange Entwicklung in dem Buch, im Comic, im Graphic Novel in mehreren Tagen passiert. Hat der Comic grundsätzlich ein anderes Verhältnis zurzeit, als ein geschriebenes Buch, als Literatur?

Markus Köninger: Ich finde, Comic ist auch eine Literaturform. Darum würde ich das jetzt nicht so trennen wollen. Es ist eine andere Art und Weise, mit Literatur und Text, mit Geschichten umzugehen, als es ein Roman tut. Es gibt ja Comics, die sehr experimentell sind und mit Zeitsprüngen spielen oder mit Bildsprüngen, mit Text und Bild spielen oder Panels nur mit Bildern oder Bilder ohne Text. Das ist eine Geschmacksfrage. Mir war bewusst, dass ich an einer Romanadoption arbeite, die dem Roman auf eine gewisse Weise gerecht werden muss. Ich bin auch sehr nah am Roman geblieben, trotz meiner Entscheidung, den Roman sprichwörtlich auseinanderzuschneiden und neu zusammenzusetzen. Vielleicht habe ich den Tagebuchroman in einen „normalen“ Roman umgeschrieben und dann daraus eine Graphic Novel gemacht. 

Blaue Seite: Wann braucht es denn in einer Graphic Novel Text und wann kommt man ohne Text aus?

Markus Köninger: Hmm ... Eher nicht. Wenn ich etwas höre, habe ich die Bilder direkt im Kopf. Ich sehe also eher die Bilder beim Hören, anstatt andersrum. Ich habe zu dem Band-Comic „Wie nennen wir uns?“ noch mal meine eigene Musik und Musik von anderen Bands gehört, und das war inspirierend. Wobei ... es kann sein, wenn ich jetzt meinen Band-Comic lese, dass ich vielleicht die Musik meiner Band höre. 

Blaue Seite: Es muss ja nicht immer Musik sein, es können auch Geräusche sein: zum Beispiel, wenn man durch Damaskus geht und es in dem Bild hört. 

Markus Köninger: Ja. Ich habe später noch eine Lesung mit dem Comic. Aber jetzt ist zu wenig Zeit, da noch Sounds zu unterlegen. Es ist schon so, dass ich den Comic lese und mir vorstelle, welche Sounds oder Geräusche stattfinden könnten. Stadtgewusel in der Bäckerei oder sonst wo. Vielleicht vermitteln die Bilder eher eine Atmosphäre als spezifische Töne. Ich glaube, dass es mehr die Atmosphäre ist, die ich dann spüre. 

Blaue Seite: Was hört man besonders viel, wenn man „Eine Hand voller Sterne“ zeichnet, liest oder vorliest? Wonach klingt es?

Markus Köninger: Doch. Hin und wieder habe ich auf YouTube oder Spotify Musik gefunden. Mit Gesang wurde es mir oft ein bisschen zu exotisch, da habe ich mir lieber die instrumentalen Klänge angehört. Für den Anfang war es auf jeden Fall inspirierend, aber dann hat es gereicht (lacht). Ich habe halt andere Hörgewohnheiten und konnte nicht die ganze Zeit syrische Musik hören. Ich bin kein Syrer – wobei ich auch keinen deutschen Schlager höre. 

Blaue Seite: Es gibt in dem Buch ein Zitat: „Ein Journalist ist ein mutiger Mensch. Er hat nur einen Zettel und einen Stift, und damit macht er der Regierung mit ihrer Geheimpolizei Angst.“ Auch ein Comiczeichner hat nur ein Papier und einen Stift. Kann auch er der Regierung mit ihrer Geheimpolizei Angst machen? 

Markus Köninger: Ja! Unbedingt und hoffentlich.

Blaue Seite: Sollte er das auch tun? Und wenn ja, wie? 

Markus Köninger: Ja. Illustrationen und Comics lassen künstlerische Freiheit zu. Aber man kann trotzdem dokumentieren oder erzählen, was passiert, also dokumentarisch arbeiten. Es gibt ja diese Quasi-Bewegung des Comic-Journalismus: Journalismus, also etwas eigentlich Ernstes, wird mit Comics verbunden. Comic hat eine freie Natur. Aber man kann es nutzen, um eine subjektive Erzählweise mit reinzubringen. Ich glaube, dass man mit Comic-Journalismus Kritik äußern kann, die vielleicht im reinem Comic, Roman oder Erzählen nicht möglich ist. Ich glaube, dass Comic Freiheit und Möglichkeiten in jede Richtung bietet – hoffentlich auch die, einer Regierung Angst zu machen. Weil man Bilder bringen kann, die man nicht sehen will. Die man als Foto nicht sehen kann, nicht sehen will, die man aber als Zeichnung deutlich genug darstellen kann.

Markus Köninger: Es ist normal, dass man fragt, ob man von Comics leben könne. Allein diese Frage zeigt den Stellenwert in Deutschland. Comiczeichner, aber auch generell Illustratoren, haben es schwer, davon zu leben. Das Gestalterische wird nicht so ernst genommen wie Berufe, bei denen am Schluss ein konkretes Produkt herauskommt, mit dem man einen Nagel in die Wand schlagen kann. Ein Comic ist, wie auch ein Roman, eher Kunst und inspirativ für die Menschen, die sich vielleicht dazu entscheiden, Bäcker oder Ingenieur werden zu wollen. 

Blaue Seite: Journalist werden zu wollen ... 

Markus Köninger: Journalist werden zu wollen ... Ich glaube, diese Ernsthaftigkeit wünschen sich wohl alle Künstler oder Designer, alle Kreativberufe. Ein bisschen mehr Anerkennung. Aber solange wir alle weitermachen, denke ich, dass es immer besser wird. 

Blaue Seite: Sie sagen immer wieder, in Deutschland sei das so. Gibt es Gegenbeispiele? 

Markus Köninger: In Frankreich ist das sehr viel besser angesehen. Blaue Seite: Was macht Frankreich anders? 

Markus Köninger: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass es viel mehr Förderprogramme als in Deutschland gibt. Allerdings habe ich auch mal einen französischen Comiczeichner getroffen, der meinte, dass es vor allem den französischen Comic-Superstars momentan toll gehe. 

Blaue Seite: Ah, ok. 

Markus Köninger: Für den Neuling in Frankreich ist es genau so schwierig, an Gelder zu kommen, oder an Verlage zu kommen, davon leben zu können. In Japan gibt es auch eine riesige Masse an Comics. Wobei: Da ist es noch mal ein bisschen anders. Die arbeiten ja nahezu 24/7 an ihren Mangas, die haben riesige Industriebänder, an denen sie an Comics arbeiten, tagtäglich. Einer zeichnet Hintergründe, einer zeichnet Hauptfiguren, ein anderer zeichnet die Nebenfiguren und wieder ein anderer macht die Panels. Das ist wieder eine ganz andere Herangehensweise. Ich habe auch mal gehört, dass durch den Zweiten Weltkrieg viel Kunst im Allgemeinen in Deutschland zerstört wurde. Doch zuerst wurden die handfesten Berufe gefördert, um Deutschland wieder aufzubauen. Kunst war erst einmal zweitrangig. Und Comic ist halt auch eine Art Kunstform. Das müssen wir uns erst wieder erobern. Vielleicht auch durch Comic-Journalismus. Das wäre eine schöne Symbiose aus ernstzunehmendem Beruf und dem freieren.

Blaue Seite: Könnten die unterschiedlichen Stile, die sich gemischt haben, dabei eine Barriere sein? Gibt es einen deutschen Comicstil, einen französischen Comicstil, einen japanischen Comicstil? 

Markus Köninger: Ja. Manchmal doch, es gibt schon so einen gewissen französischen Stil, auf jeden Fall. Wenn man so die alten Vorbilder sieht, wie Tim und Struppi und die ganzen franko-belgischen Comics, also Lucky Luke und Asterix usw. Man sieht immer so ein bisschen, aus welchem Land das kommt. Der deutsche Stil? Weiß ich nicht. Bei Japan natürlich Manga. 

Blaue Seite: Mangas sehen anders aus, das sieht man auch. 

Markus Köninger: Meistens sind das die großen Augen, oder ... Eigentlich sind es immer größere Augen. Ich glaube, dass in die Mangas große Augen gezeichnet wurden, weil sie sogar europäischen Einfluss hatten. Jedenfalls kann man mindestens japanische Comics und europäische Comics von einander unterscheiden. Und dann nochmal USA mit ihren Superheldencomics. Da sieht man auch wieder: Das muss aus Amerika kommen. 

Blaue Seite: Ist es die Kultur, die da aus dem Comic spricht? 

Markus Köninger: Auf jeden Fall, ja. Ich kenne zwar nicht die Ursprünge, warum es in Amerika ausgerechnet Superhelden sind. Vielleicht haben sie schon immer den Wunsch gehabt, die Stärksten der Welt zu sein. Ich glaube, dass Superman der erste Superheld war. Und danach kamen ja immer mehr Superhelden. In Europa kenne ich jetzt keinen Superheld. Es ist hier ein bisschen menschlicher, vielleicht mehr Kultur? (lacht) 

Blaue Seite: (lacht) Längere Geschichte vielleicht? 

Markus Köninger: Ja.

Nach oben scrollen