Interview

Interview mit Martin Schäuble

Auf der Leipziger Buchmesse interviewte Freya Schwachenwald den Autoren Martin Schäuble zu seinem neuen Buch Blackbox Dschihad.

Blaue Seite: Würden Sie selbst Blackbox Dschihad als ein Jugendbuch beschreiben? Und wenn ja, warum?

Martin Schäuble: Ich würde sagen, es ist ein Buch, auch für Jugendliche, weil es eine Thematik anspricht, über die auch Jugendliche viel hören. Trotzdem weiß man nicht so viel Konkretes darüber. Man hört vom Dschihad, vom heiligen Krieg, sieht die Märtyrer-Plakate, aber man kennt nie die Biografien dahinter. Warum machen das die Leute?
Aus unserer Sicht ist es immer gleich „der Terrorist“, aber das ist eine zu einfache Herangehensweise, denn diese Menschen leben auch ein Leben. Es ist auch für jüngere Leser und Erwachsene spannend, sich dieses Thema genauer anzuschauen.

Blaue Seite: Also hatten Sie beim Schreiben im Kopf, ein Jugendbuch zu schreiben?

Martin Schäuble: Ja, der Gedanke war, ein Buch für Jugendliche zu schreiben, und zwar so, dass es jeder verstehen kann. Das bedeutete, jeden Begriff zu erklären. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass bei außerschulischen Lesungen vor allem Erwachsene kommen. Die sagen sich: Jugendbuch? Ach, dann ist ja endlich mal alles so erklärt, dass ich es auch verstehe. Mit der Erfahrung, die ich auch durch das Vorgängerbuch „Die Geschichte der Palästinenser und Israelis“ gesammelt habe, bin ich auch an Erwachsene.

Blaue Seite: Viele Jugendliche sträuben sich vor Sachbüchern und Biografien. Was macht Ihr Buch besonders lesenswert?

Martin Schäuble: Bei dem Begriff Biografie denkt man häufig zuerst an eine chronologische Abhandlung. Natürlich ist „Blackbox Dschihad“ auch chronologisch, aber dadurch, dass ich mit Personen sprechen konnte, hatte ich die Möglichkeit, noch näher an das Geschehen heranzukommen. Ich konnte die Atmosphäre beschreiben, auch aus dem Grund, dass ich Vorort recherchiert habe. Dann ist es einfach mehr als ein chronologischer Abriss. Es ist eine Reportage, man spürt die Atmosphäre und hat manchmal sogar das Gefühl, dabei zu sein. Somit kann man sich die Situation besser vorstellen.

BS: Wie Sie bereits erzählt haben, gab es zahlreiche palästinensische Märtyrer. Warum haben Sie sich dann dazu entschieden, ausgerechnet Sa’ed zu porträtieren?

Martin Schäuble: Vor Ort ging es hauptsächlich darum, Vertrauen zu den Anwohnern zu gewinnen. Wer ist bereit, darüber zu sprechen, und das auch noch mit mir, einem aus dem Westen, einem Deutschen, einer der dort weder Verwandte noch Bekannte hat.
Ich bin also zu einer alten Kontaktperson gegangen, die ich noch von den Arbeiten zum letzten Buch her kannte. Diese Kontaktperson kannte sich sehr gut aus, bei den –wie wir sagen würden- Terrororganisationen, – aus palästinensischer Sicht- Widerstandsbewegungen. Er verschaffte mir den Kontakt zu einer Familie. Über ihn bin ich reingekommen. Dann hatte ich keine große Auswahl mehr. Ich habe ihm vertraut, er hat mir eine Familie vorgestellt. Die Familie hat mir vertraut, und so haben wir angefangen zu arbeiten.
Das einzige, was ich gesagt hatte, war, dass ich gerne über jemanden schreiben würde, der 1985 geboren wurde, im gleichen Jahr wie Daniel.
Bei den ganzen Unterschieden, die es zwischen den beiden Jungen gibt, wollte ich zumindest eine Konstante haben, und das war die Jahreszahl der Geburt.
Für mich war es interessant zu sehen, wie sich die jeweiligen Biografien durch Ereignisse veränderten, die nicht nur an einem Ort Auswirkungen hatten, sondern überall. Zum Beispiel der Irakkrieg. Der wird dort wahrgenommen, der wird hier wahrgenommen. Die Beteiligung der US-Soldaten in diesem Krieg wird hier von vielen Muslimen sehr kritisch gesehen. Was bewirken diese Geschehnisse? Vielleicht radikalisiert so ein Handeln aus westlicher Sicht ja auch.
Wenn man das gleiche Geburtsjahr hat, kann man auch überregionale Ereignisse in die Biografie einbauen. Ich glaube, dass diese eine wichtige Rolle spielen.

BS: Wie sehr hat Sie das Thema während Ihrer Arbeit verfolgt? Haben Sie sich tatsächlich in die beiden Jungen einfühlen können?

Martin Schäuble: Zu "Blackbox Dschihad" gibt es nicht nur die Sachbuch-Fassung, sondern auch noch eine wissenschaftliche Fassung, meine Doktorarbeit. Mein Doktorvater, Hajo Funke, hat damals zu mir gesagt: Pass auf bei dem Thema, was es aus Dir macht.
Man neigt schnell dazu, während der Recherche und den Dialog mit den Betroffenen, dass man selbst auch zum Nachdenken kommt. Man beginnt, immer mehr Dinge zu entdecken und Parallelen festzustellen. Die Frage, was das Buch aus mir, macht hat mich schon verfolgt. Irgendwann beginnt man, Zusammenhänge zu verstehen, die man zuvor nicht so wahrgenommen hat. Das sorgt nicht dafür, dass man gut findet, was die Jungen gemacht haben, aber es sorgt dafür, dass man sagt: Man kann und darf nicht so schnell urteilen. Man muss wirklich sehen, was da vorgefallen ist.
 In Daniels Fall sieht man, dass in Kindheit und Jugend viel schief gelaufen ist. Heute kann man nicht sagen, dies würde alles keine Rolle spielen. Unsere Kindheits- und Jugenderlebnisse spielen eine sehr große Rolle.


BS: Für wie lange haben Sie für die Recherchearbeiten vor Ort gelebt?

Martin Schäuble: Das ist schwer zu sagen. Viele Informationen und Eindrücke konnte ich von dem letzten Buch weiterverarbeiten. Insgesamt habe ich von den drei Jahren Arbeit jeweils mehrere Monate im Palästinensergebiet und in Saarland verbracht.

BS: Was für eine politische Bedeutung messen Sie ihren Büchern bei?

Martin Schäuble: Die Themen Nahostkonflikt und Dschihad sind sehr wichtig, da sie uns noch lange begleiten werden. Auch gerade jetzt bei aktuellen Geschehnissen wie dem Atomkraftunglück in Japan, wo eine katastrophale Situation herrscht, ausgelöst durch ein Erdbeben. Da flammt hier bei uns die Diskussion auf, ob unsere Atomkraftwerke gegen Terroranschläge geschützt sind. Was passiert eigentlich, wenn ein Flugzeug in ein Kraftwerk reinfliegt?
Die Atomlobby ist natürlich davon überzeugt, dass so ein AKW das schon aushält. Ich als Buchautor hingegen, frage mich, wie es wäre, wenn ein Angriff mit zwei Flugzeugen oder mit drei Flugzeugen stattfinden würde.
Die Terrorgefahr ist ein aktuelles Thema in Deutschland, eines, das überall präsent ist.
Man muss sich auch die Menschen näher angucken. Was bringt sie dazu, was motiviert sie? Wenn wir immer nur sagen „Das ist ein Terrorist, der gehört ins Gefängnis“, dann haben wir überhaupt nichts gelöst. Wir müssen anfangen, die Menschen ernst zu nehmen. Davon bin ich wirklich überzeugt, auch noch nach der Recherche. Niemand sprengt sich in die Luft aus Langeweile oder ohne Grund. Da ist immer Verzweiflung dabei. Es gibt Gründe und Ursachen.
Wenn wir diese Menschen nicht ernst nehmen, dann werden wir ein großes Problem haben. Wir müssen uns fragen Warum machen sie so etwas?, um uns dann zu überlegen, wie man ihnen helfen und gegen den Terrorismus vorgehen kann.
Daher rechne ich meinem Buch eine deutliche politische Bedeutung bei. Aber ich sehe auch, dass der Nahostkonflikt nicht das Lieblingsthema vieler Schülerinnen und Schüler ist und man Möglichkeiten finden muss, dieses Thema spannender zu machen.

BS: Was erleben Sie auf Ihren Fahrten in den Nahen Osten? Was sind Ihre persönlichen Eindrücke?

Martin Schäuble: Mich bewegt sehr zu sehen, wie die Menschen den Alltag meistern, in einer Region, in der eigentlich ein permanenter Ausnahmezustand herrscht. Aus der Sicht der Bewohner ist es keiner, aber aus unserer Sicht schon. Permanent Gewalt auf der Straße, überall sieht man Militärfahrzeuge und Soldaten. Man sieht Demonstrationen.
Für mich war es so, als würde man das Gefühl haben, mitten drin zu sein und viel zu lernen.

BS: Was meinen Sie, ist das weitverbreitetste Vorurteil über den Nahen Osten?

Martin Schäuble: Es gibt nicht ein Vorurteil, sondern gleich zwei.
Auf der einen Seite ist die pro-palästinensische Meinung und auf der anderen die pro-israelische. Bei meinem letzten Buch wurde mir bei manchen Lesungen und auch in E-Mails vorgeworfen, sehr pro-israelisch zu schreiben. Daraufhin habe ich immer gekontert: Interessant, vor ein paar Wochen noch wurde mir vorgeworfen, zu pro-palästinensisch zu sein. Man kann ein Buch immer so lesen, wie man selbst es lesen möchte. Das ist auch eine gewisse Gefahr, da man immer bereit sein sollte, die andere Meinung auch wahrzunehmen, um dann sagen zu können, ob die eigene Meinung richtig ist oder nicht. Das machen die meisten Leser auch so. Aber man hört auch immer wieder von jenen, die sich zu einseitig positionieren.
Man sollte immer offen sein und alle zu Wort kommen lassen.
Bei meinem Buch „Palästinenser und Israelis“ war das der Fall. Es haben Zeitzeugen berichtet, die vorher noch nie ein Interview gegeben hatten. Keine Wissenschaftler, keine Politiker, sondern Leute, die einen Anschlag überlebt haben, oder die aus einer Familie eines Attentäters kommen. So findet man einen völlig neuen Zugang zu dem Thema.

BS: Sehen Sie eine Möglichkeit, wie sich die Lage im Nahen Osten entspannen könnte?

Martin Schäuble: Ich sehe eine Möglichkeit, aber ich sehe nicht, dass diese Möglichkeit die Personen wahrnehmen, die entscheiden können. Wenn man auf beiden Seiten nicht bereit ist, den unabhängigen Staat des anderen zu akzeptieren, einen unabhängigen israelischen Staat und einen unabhängigen palästinensichen Staat, mit der gemeinsamen Hauptstadt Jerusalem, mit Grenzen, die von beiden Seiten anerkannt sind, mit der Lösung von Flüchtlingsfragen. Wenn man dazu bereit ist, sehe ich eine große Chance, wenn man dazu nicht bereit ist, so, wie es momentan der Fall ist, dann wird es wohl so weitergehen wie bisher. Leider.

RedakteurRedakteur: Freya
FotosFotos: Daria
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