Interview mit Mischa-Sarim Vérollet
Auf der Buchmesse in Leipzig im März 2013 hatten Mara, Lina und Bjarne die Gelegenheit den Poetryslammer und Autoren Mischa-Sarim Vérollet zu interviewen.
Blaue Seite: Kannst du dich und deine Texte in drei Wörtern beschreiben?
Mischa-Sarim Vérollet: Witzig, böse und charmant.
Blaue Seite: Was ist das Besondere am Poetry Slam und was liebst du daran?
Mischa-Sarim Vérollet: Da gibt es verschiedene Dinge. Zum einen ist es die Form: Es gibt keine Genregrenzen wie in anderen Wettbewerbsbereichen. Egal, ob man Lyrik macht oder Rap – oder Prosa wie ich. Jeder kann teilnehmen und jeder hat eine Chance. Das Besondere ist auch, dass es eine Alternative zur gängigen Literatur darstellt, da es basischdemokratisch zugeht. Das heißt, es gibt keine übergeordnete Instanz, die entscheidet. was gut ist und was nicht. Das tut das Publikum. Es ist eine der ehrlichsten Literaturformen. Wenn ich die letzten zehn Jahre in Deutschland betrachte, hat Slam Poetry eine ganz neue Zielgruppe an das Lesen und auch an das Schreiben herangeführt. Für mich dreht es sich hauptsächlich um das Schaffen einer Zielgruppe. Ich bin durch Poetry Slam dazu gekommen, Bücher zu schreiben. Das wäre ohne Poetry Slam nicht passiert. Und ich glaube, viele, die mich lesen, kennen mich durch Poetry Slam. Das ist so ein System im System. Es gibt immer noch genug kritische Leute aus dem Literaturbetrieb, die das mit Argusaugen betrachten. Aber es hat sich tatsächlich etabliert und eine schöne kleine, feine Nische geschaffen.
Blaue Seite: Also hast du erst durch den Poetry Slam angefangen, (Bücher) zu schreiben?
Mischa-Sarim Vérollet: Nee, ich habe schon vorher geschrieben. Aber durch den Poetry Slam bin ich gut geworden. Das hat mir sehr weitergeholfen. Beim Poetry Slam muss man sich ständig weiterentwickeln. Man trifft andere Autoren, man tauscht sich aus und im Idealfall verbessert man sich. Und das hat mir sehr geholfen. Ohne Poetry Slam wäre ich nicht da, wo ich heute bin.
BS: Und wie bist du in die Poetry Slam-Szene gekommen?
Mischa-Sarim Vérollet: Durch einen Zufall. Ich habe vorher schon geschrieben und früher ein kleines Literaturfestival in der Region Bielefeld geplant und veranstaltet. Ich habe ein paar Autoren eingeladen und ein paar von den Autoren waren zufällig Poetry Slammer. Die meinten: „Mit deinen Sachen kannst du auch mal zum Poetry Slam kommen.“ Und ich dachte: „Hä? Was? Poetry Slam? Was ist das?“ Ich habe dann einfach mal mitgemacht und bin hängengeblieben. Das war dann wirklich wie die Jungfrau zum Kinde.
BS: Erinnerst du dich, was dein erster Gedanke war, als du mit einem deiner Texte das erste Mal auf die Bühne gegangen bist?
Mischa-Sarim Vérollet: Mein erster richtiger Auftritt war sehr lustig. Das hatte ich noch selbst organisiert und war lange vor Poetry Slam. Das war 2000 oder 2001. Da hatten ein Kollege und ich ein Projekt, „Lesen für Bier“. Wir haben gesagt, Menschen können uns zu sich nach Hause einladen, uns einen Kasten Bier hinstellen und dann lesen wir vor. Wir sind auch tatsächlich einmal eingeladen worden – nach Wuppertal in ein Pfarrhaus von einem evangelischen Pfarrer. Der meinte eigentlich, es würden ganz viele Leute kommen. Im Endeffekt waren es dann nur er und seine Frau. Dann habe ich den beiden etwas vorgelesen. Das war so mein erster Auftritt und das war sehr aufregend. Mit 18 alleine nach Wuppertal fahren, das fand ich alles total Rock’n’Roll, damals.
BS: Und beim Poetry Slam?
Mischa-Sarim Vérollet: Das war 2004 in Bielefeld, daran erinnere ich mich sehr gut. Ich war total aufgeregt und habe Gott sei Dank gewonnen, weil ich sonst wahrscheinlich nicht wiedergekommen wäre.
BS: Hast du manchmal Angst vor dem Publikum?
Mischa-Sarim Vérollet: Nein, vor dem Publikum habe ich keine Angst. Ich habe Angst vor unerwarteten Situationen und neuen Umgebungen. Wenn ich eine Lesung aus meinen Büchern in einem Club oder Theater mache, dann habe ich zwar Lampenfieber, bin aber nicht sonderlich aufgeregt. Und wenn, hat die Aufregung weniger mit dem Auftritt zu tun, sondern eher mit solchen Sachen wie: „Kommen denn genug Zuschauer?“ Allerdings: Heute, wenn man in einem Rahmen wie hier auf der Buchmesse liest, da weiß man überhaupt nicht, was einen erwartet. Dann ist einem schon ein bisschen mulmig. Aber Angst habe ich nicht mehr. Wenn ich wirklich Angst hätte, dann könnte ich das auch nicht machen. Lampenfieber habe ich immer und das finde ich gut. Es sollte niemals zur Routine werden.
BS: Du hast jetzt drei Bücher veröffentlicht, alle mit auffälligen Titeln. Wie kommst du auf deine Titel?
Mischa-Sarim Vérollet: Der Titel „Das Leben ist keine Waldorfschule“ war die Idee meines Lektors, damit hatte ich gar nichts zu tun. Das kommt zwar in einem Text vor, aber nur als Randnotiz, weil ich das nicht erfunden habe. Den Spruch gibt es schon länger. Aber mein Lektor war selber auf einer Waldorfschule und fand das prägnant. Es war auch eine gute Entscheidung, denn es hat dadurch für viel Aufmerksamkeit gesorgt.
Auch der zweite Titel war ein bisschen vom Lektor geplant. Das war ganz lustig: Wir haben über das Buch gesprochen und ich hatte überhaupt keine Idee, wie man es nennen könnte. Ich habe selten – eigentlich nie – eine Idee, wie man meine Bücher nennen könnte. Und dann meinte ich: „Es geht um Menschen. ‚Irgendetwas mit Menschen‘ fände ich gut.“ Und er sagte nur: „Ja, das ist super! Machen wir irgendwas mit Menschen.“ Und ich sagte: „Nein, den Titel ‚Irgendwas mit Menschen‘.“ Und er: „Das ist doch gut.“ Er hat das dann dem Verlag vorgeschlagen. Mittlerweile bin ich total zufrieden mit dem Titel. Es ist nicht auf Teufel komm raus komisch, aber es macht neugierig.
BS: Glaubst du, dass Buchtitel wichtig sind?
Misch-Sarim Vérollet: Ich glaube schon, dass Buchtitel wichtig sind. Es hängt aber immer von verschiedenen Faktoren ab, wie wichtig es ist. Für einen Autor wie mich ist das sehr wichtig, weil ich einfach nicht die gleiche Aufmerksamkeit habe wie Autoren, die hunderttausend Bücher verkaufen. Bei einem Dan Brown oder Frank Schätzing ist es wahrscheinlich egal, wie das Buch heißt. Es wird auf jeden Fall gekauft aufgrund seines Autors. Bei mir ist es dann vielleicht so: Die, die mich kennen, kaufen es, auch wenn das Buch einen schlechten Titel hat. Aber da ich nicht so bekannt bin wie andere Autoren, ist der Titel wichtig, da er aufmerksam machen soll.
BS: Hat sich etwas verändert in deinem Leben, seitdem du die Bücher veröffentlicht hast? Bist du vielleicht bekannter geworden?
Mischa-Sarim Vérollet: Ja, klar. Aber es sind immer kleine Schritte. Es ist nicht so, dass ich über Nacht bekannt geworden bin. Es steigert sich stetig. Aber ich kann nie genau sagen, ob das mit den Bücher zusammenhängt oder mit Auftritten, Radioterminen oder Fernsehauftritten. Das spielt alles zusammen. Was natürlich dabei hilft, ist, dass man sich mit jedem Buch mehr im Literaturbetrieb etabliert. Das ist schwer genug. Das sind alles kleine Schritte. Da helfen Bücher mit Sicherheit.
BS: Gestaltest du die Cover selbst?
Mischa-Sarim Vérollet: Beim letzten Buch habe ich das Cover selbst gestaltet. Das war so viel Arbeit, dass ich es diesmal nicht gemacht habe. Aber ich habe ein Mitspracherecht. Ich sollte dem Verlag ein paar Bilder schicken. Da war unter anderem das jetzige Cover zu „Irgendwas mit Menschen“ dabei. Und ich fand die Idee vom Verlag gut, das einfach freizustellen und eine Signalfarbe darunterzuknallen. Mittlerweile bin ich eher dafür, die Dinge sehr simpel zu halten. Ich bin total zufrieden mit dem Cover. Ich habe ein paar Ideen eingebracht, aber gestaltet hat es der Verlag.
BS: Also bist du zufrieden mit dem Pink?
Mischa-Sarim Vérollet: Ja, es gab auch noch Orange und Blau. Ich persönlich war ursprünglich für Blau, aber so fällt es tatsächlich auf. Deswegen finde ich es gut und ich habe auch kein Problem mit Pink.
BS: Möchtest du manchmal das Schreiben ganz aufhören und lieber „Spießer“ werden?
Mischa-Sarim Vérollet: Es gibt immer wieder die drei bis vier Sekunden, in denen man sich fragt, warum man sich das immer noch antut. Und wenn das nicht bald alles besser und erfolgreicher würde, hinge man alles an den Nagel und werde Versicherungsvertreter. Das sind aber tatsächlich immer nur so drei, vier Augenblicke, in denen man so fühlt. Man kann auch als Autor Spießer sein, wenn man genug verdient. Für mich ist es so: Ich suche mir nicht aus, dass ich schreiben möchte. Es ist zwar schon eine Entscheidung, aber ich muss einfach schreiben. Es muss alles raus.
BS: Ist das vielleicht vorherbestimmt?
Mischa-Sarim Vérollet: Ja, könnte man so sagen. Auch wenn ich nicht an Schicksal glaube. Aber nun bin ich so und wäre sehr unglücklich, wenn ich etwas Anderes machen würde. Es gehört für mich einfach dazu, zu schreiben. Deswegen stellt sich die Frage für mich natürlich nicht. Aber wenn mal wieder ein Monat kommt, in dem du nichts verdienst und nicht weißt, wie du deine Miete bezahlst, dann denkst du schon. „Wäre es nicht schön, einfach nur einen ganz normalen Job zu haben, in dem du dir keine großartigen Gedanken machen musst?“
BS: Wenn man deine Texte hört und liest, kann man sich gar nicht vorstellen, dass man solche Dinge erleben kann. Sind die Texte autobiografisch?
Mischa-Sarim Vérollet: Ist das denn wichtig? Ich finde die Frage insofern schwierig, dass man den Texten damit auch einen gewissen Zauber nimmt. Andererseits ist es aber auch amüsant, dass man mir ein so aufregendes Leben zutraut. Es ist natürlich vieles erfunden, das ist bei allen Sachen so. Was Lesebühnenliteratur ausmacht, ist, dass sie immer einen wahren Kern hat. Da ist immer eine Beobachtung, die man gemacht hat. Ein Erlebnis, das man gehabt hat. Eine Geschichte, die man von jemand anderem gehört hat. Das ist immer der Ursprung. Man versucht immer, eine Übertreibung zu finden, die andere unterhält. Letztendlich sind humoristische Texte Übertreibung. Natürlich gibt es Geschichten, die passiert sind. In“Irgendwas mit Menschen“ gibt es eine Geschichte mit einer Gummipuppe als Beifahrer. Diese Geschichte hat einen absolut wahren Kern. Was ich daraus gemacht habe, ist dann eher meine Erfindung. Eigentlich ist es immer anders.
BS: Kannst du über dich und deine Texte selber lachen? Findest du sie selbst witzig oder sind das nur die Anderen, die das lustig finden?
Mischa-Sarim Vérollet: Ich kann sehr gut über meine Texte lachen, weil ich solche Texte darauf hinschreibe, dass sie witzig sind. Ich hoffe dann einfach, dass andere Leute das auch witzig finden. Das ist eher so, dass ich mich frage, ob andere Leute darüber lachen können. Was aber immer wieder vorkommt, ist, dass gerade bei Lesungen Menschen an Stellen lachen, die ich gar nicht witzig fand. Dass es also eine unbeabsichtigte Pointe gab. Das ist dann immer schön. Es kommt auch vor, dass man was geschrieben hat und sich innerlich totlacht und denkt, das sei der Knaller. Und der verpufft völlig, interessiert niemanden. Dafür lachen die über was Anderes. Schreiben ist eben Lotterie. Und es macht Spaß.
BS: Probierst du deine Witze vorher aus? Erzählst du sie vorher jemand Anderem, bevor du sie einbaust?
Mischa-Sarim Vérollet: Nein, überhaupt nicht! Weil ich immer paranoid bin und denke, das klaut mir jemand. Bei Texten weniger. Aber man sammelt immer Pointen, wenn man schreibt. Dann gibt es natürlich auch Ausschussware, und man denkt „In die Geschichte passt das nicht. Das poste ich also als Witz bei Facebook.“ Manchmal erzählt man das auch der Partnerin. Aber in der Regel behalt ich’s für mich und probiere es am lebenden Objekt aus. Ich bin Mitglied der Lesebühne „LMBN“. Das sind die Orte, an denen ich meine Texte ausprobiere.
BS: Ist das einmal wöchentlich?
Mischa-Sarim Vérollet: Einmal im Monat. In Dortmund und in Köln.
BS: Fällt es dir schwer, auf einen Zeitpunkt hin etwas zu schreiben und zu wissen, dass du für einen bestimmten Termin etwas fertig haben musst?
Mischa-Sarim Vérollet: Ja, auf jeden Fall! Ich hasse das sogar. Im Moment ist es vor allem schwierig, weil ich gerade an einem Roman arbeite. Der frisst eigentlich meine komplette Zeit und ich habe gerade keinen Kopf dafür, irgendwelche witzigen Sachen zu schreiben. Aber es ist eine Verpflichtung. Man macht das ja auch gerne. Das ist dann auch eine Herausforderung. Aber das Publikum ist sehr gütig bei uns. Die verzeihen es auch mal, wenn man nur dabei ist, wenn die Texte mal nicht so gut sind. Nicht, dass das bei mir jemals vorkommen würde! Also theoretisch …
BS: Was machst du gegen Schreibblockaden?
Mischa-Sarim Vérollet: Mich aufregen. Ich werde dann total verzweifelt und zerlege die Wohnung. Ich kann mit Schreibblockaden überhaupt nicht gut umgehen. Dann habe ich schlechte Laune. Aber wenn ich es formal betrachte, sind es weniger Schreibblockaden als Tage, an denen man einfach nicht die richtigen Worte findet. Eigentlich weiß ich genau, worüber ich schreiben möchte. Der Roman ist in meinem Kopf schon fertig und ich habe tausend Notizen. Aber ich habe den Anspruch, immer den perfekten Satz zu finden. Das sind dann eher Tage, an denen man den perfekten Satz nicht findet. Da reg ich mich auf. Ich habe also keine Ahnung, wie man mit Schreibblockaden richtig umgeht.
BS: Und wie bist du darauf gekommen, statt Kurzgeschichten jetzt einen Roman zu schreiben?
Mischa-Sarim Vérollet: Wenn man schreibt, dann ist das irgendwann zwangsläufig, dass man Lust hat, einen Roman zu schreiben. Ich bin jetzt an einem Punkt, an dem ich nicht immer nur witzig schreiben möchte. In der Kurzform finde ich es gut, denn ernste Kurzgeschichten liegen mir gar nicht. Aber in der langen Form liegt mir das Ernste einfach mehr. Der neue Roman wird auch definitiv ernster. Der ist nicht auf Pointe geschrieben, aber auch nicht unlustig. Da ist eher der Humor etwas subtilerer Art und nicht über eine Pointendichte zu definieren. Aber ich habe einfach unglaublich viele Geschichten im Kopf und die müssen raus. Eine dieser Geschichten ist eben dieser Roman.
BS: Wovon handelt der Roman?
Mischa-Sarim Vérollet: Verrate ich noch nicht. Da bin ich abergläubisch. Ich rede nicht gerne über ungelegte Eier. Solange er nicht fertig ist, rede ich da ungern drüber. Aber es wird eine Liebesgeschichte. Die Handlung an sich ist relativ konventionell. Aber die Figuren sind sehr außergewöhnlich und das, was passiert, ist relativ außergewöhnlich. Ich glaube, dass Menschen, die meine bisherigen Bücher kennen, durchaus überrascht sein werden, wenn es dann erscheint. Positiv oder negativ, in beide Richtungen.
BS: Also bist du noch nicht sehr weit mit dem Buch. Wie lange brauchst du noch?
Mischa-Sarim Vérollet: Ich hoffe, dass ich im Sommer fertig bin. Ich habe schon sehr viel geschrieben, ich bin jetzt bei 470.000 Zeichen. Aber das sind erst drei Viertel der Geschichte.
BS: Dann lohnt es sich wenigstens auch. Kurze Bücher hat man immer viel zu schnell ausgelesen!
Mischa-Sarim Vérollet: Ja, das ist bei Kurzgeschichten vielleicht anders, weil man da eh anders liest. Aber bei Romanen geht es mir auch so, ich lese lieber etwas Längeres.
BS: Gerade bei Romanen hat man oft das Gefühl, dass da gespart oder zu viel gekürzt wurde.
Mischa-Sarim Vérollet: Ja, genau.
BS: Was war das schlechteste Buch, das du je gelesen hast?
Mischa-Sarim Vérollet: Da muss ich jetzt wirklich überlegen. Das ist auch immer ein bisschen schwierig, weil man nie weiß, welche Autoren man noch kennen lernt. Da steht ein Leben lang im Internet, dass man das Buch scheiße fand. Irgendwann trifft man den vielleicht und dann ist das awkward. Ich muss mal überlegen … Das ist ja auch alles relativ: Das Buch kann schlecht geschrieben sein oder die Geschichte ist einfach scheiße. Ich weiß es ehrlich gesagt gerade nicht. Ich bin überfragt.
Das ist jetzt populistisch, aber ich war nicht so überzeugt von Büchern wie „Feuchtgebiete“. Aber das lag nicht daran, dass die Autorin nicht schreiben kann. Sie kann super schreiben, wenn sie das möchte. Die Geschichte hat mich einfach überhaupt nicht interessiert. Und ich lese derzeit einfach sehr wenig. Denn wenn man selber in so einem Schreibprozess drinsteckt, kommt man überhaupt nicht zum Lesen.
BS: Was hattest du für eine Deutschnote?
Mischa-Sarim Vérollet: Keine so gute … Weil ich mich früher für Rechtschreibung und Grammatik gar nicht interessiert habe. Ich konnte mir das alles nicht merken. Deswegen habe ich in Diktaten immer eine Vier geschrieben.
Dafür hatte ich in Aufsätzen immer eine Eins. Ich erinnere mich noch an die 6. Klasse: Da mussten wir einen Auszug aus einem Roman weiterschreiben. Wir sollten vier Seiten weiterschreiben – ich habe 20 geschrieben. Und es wurde dann zu einem Banküberfall mit Toten und einer Geiselnahme. Da hat meine Klassenlehrerin tatsächlich meine Mutter angerufen und gefragt, was denn zu Hause los wäre. Aber am Ende habe ich eine Eins gekriegt. Allein schon für meinen Fleiß, glaube ich.
BS: Hast du deine Deutschlehrerin in letzter Zeit noch mal getroffen?
Mischa-Sarim Vérollet: Leider nicht. Wir haben uns verpasst, als ich in Bielefeld war. Aber wie ich von einer ehemaligen Klassenkameradin mitbekommen habe, verfolgt sie wohl mit Interesse meinen Lebensweg.
BS: Was hältst du von E-Books?
Mischa-Sarim Vérollet: Da hat sich meine Meinung in den letzten Jahren geändert. Am Anfang war ich strikt dagegen. Ich fand einfach scheiße, dass das keine richtigen Bücher sind. Mittlerweile denke ich: Es ist einfach eine Realität, mit der man sich auseinandersetzen muss. Ich bin mit meinen 30 Jahren ein alter Sack, was Bücher angeht. Ich denke, die Zehnjährigen heute werden damit wesentlich entspannter umgehen.
Was ich persönlich super finde, sind solche Varianten, die es jetzt bei Carlsen gibt. Das finde ich wirklich total geil. Da gibt es das Buch und das E-Book einfach dazu. Das kann man sich dann herunterladen. Ich habe auch auf meiner Facebook-Seite explizit darauf hingewiesen, dass man das nutzen kann, um zum Beispiel das E-Book zu verschenken oder das E-Book zu behalten und das andere Buch zu verschenken. Ich glaube, das ist tatsächlich die Zukunft. Mein Lektor sieht das alles wesentlich unentspannter als ich. Er meinte, E-Books würden irgendwann alles übernehmen.
Ich glaube, es wird irgendwann fünfzig-fünfzig sein. Manche Bücher werden ausschließlich als E-Books veröffentlicht werden. Aber ich denke, es wird trotzdem weiterhin analoge Bücher geben.
BS: Ich finde Mischformen schön: ein Buch, das ich zu Hause ins Regal stellen kann, für unterwegs dann ein E-Book, damit ich kein Buch mitschleppen muss.
Mischa-Sarim Vérollet: Ja, absolut! Das ist genau der Punkt. Das Leseverhalten wird sich ändern: Man lässt das Buch auf dem Klo und nimmt das E-Book mit zur U-Bahn, wenn man zur Uni fährt:
BS: Was ist dein Lieblingswort?
Mischa-Sarim Vérollet: Die Frage höre ich immer wieder. Ich weiß es nicht. Das Problem ist: Ich war noch nie jemand, der sich kurz fassen kann. Ich denke nie in einzelnen Wörtern, sondern immer in Satzkonstrukten. Ich hatte immer wieder mal Wörter, die ich mochte. Ich lebe ja mittlerweile in Österreich. Momentan liebe ich das Wort „Blunzengröstl“. Das ist eine Blutwurst im Blutwurstauflauf. Klingt einfach super. Das ist ein großartiges Wort. Also behaupte ich jetzt einfach mal: Im Moment ist mein Lieblingswort „Blunzengröstl“.
BS: Hast du das schon mal gegessen?
Mischa-Sarim Vérollet: Nein. Ich finde nur das Wort schön, die Bedeutung eher ziemlich eklig.
BS: Und zum Schluss unsere typische letzte Frage: Was hat eine blaue Seite für dich?
Mischa-Sarim Vérollet: Blau ist eine melancholische Farbe. Melancholie ist eine gewisse Wehmut und ich glaube, jedes Buch hat auch seine blauen Seiten. Jedes Buch kann wehmütig machen – Bücher sollen vielleicht sogar wehmütig machen. Bücher können und dürfen eine Sehnsucht wecken. Diese Sehnsucht nach etwas, das man sucht oder haben möchte: Das ist die blaue Seite.