Interview

Interview mit Mischa-Sarim Vérollet

Auf der Buchmesse in Leipzig im März 2013 hatten Mara, Lina und Bjarne die Gelegenheit den Poetryslammer und Autoren Mischa-Sarim Vérollet zu interviewen.

BS: Und wie bist du in die Poetry Slam-Szene gekommen?

Mischa-Sarim Vérollet: Durch einen Zufall. Ich habe vorher schon geschrieben und früher ein kleines Literaturfestival in der Region Bielefeld geplant und veranstaltet. Ich habe ein paar Autoren eingeladen und ein paar von den Autoren waren zufällig Poetry Slammer. Die meinten: „Mit deinen Sachen kannst du auch mal zum Poetry Slam kommen.“ Und ich dachte: „Hä? Was? Poetry Slam? Was ist das?“ Ich habe dann einfach mal mitgemacht und bin hängengeblieben. Das war dann wirklich wie die Jungfrau zum Kinde.

BS: Erinnerst du dich, was dein erster Gedanke war, als du mit einem deiner Texte das erste Mal auf die Bühne gegangen bist?

Mischa-Sarim Vérollet: Mein erster richtiger Auftritt war sehr lustig. Das hatte ich noch selbst organisiert und war lange vor Poetry Slam. Das war 2000 oder 2001. Da hatten ein Kollege und ich ein Projekt, „Lesen für Bier“. Wir haben gesagt, Menschen können uns zu sich nach Hause einladen, uns einen Kasten Bier hinstellen und dann lesen wir vor. Wir sind auch tatsächlich einmal eingeladen worden – nach Wuppertal in ein Pfarrhaus von einem evangelischen Pfarrer. Der meinte eigentlich, es würden ganz viele Leute kommen. Im Endeffekt waren es dann nur er und seine Frau. Dann habe ich den beiden etwas vorgelesen. Das war so mein erster Auftritt und das war sehr aufregend. Mit 18 alleine nach Wuppertal fahren, das fand ich alles total Rock’n’Roll, damals.

BS: Und beim Poetry Slam?

Mischa-Sarim Vérollet: Das war 2004 in Bielefeld, daran erinnere ich mich sehr gut. Ich war total aufgeregt und habe Gott sei Dank gewonnen, weil ich sonst wahrscheinlich nicht wiedergekommen wäre.

BS: Glaubst du, dass Buchtitel wichtig sind?

Misch-Sarim Vérollet: Ich glaube schon, dass Buchtitel wichtig sind. Es hängt aber immer von verschiedenen Faktoren ab, wie wichtig es ist. Für einen Autor wie mich ist das sehr wichtig, weil ich einfach nicht die gleiche Aufmerksamkeit habe wie Autoren, die hunderttausend Bücher verkaufen. Bei einem Dan Brown oder Frank Schätzing ist es wahrscheinlich egal, wie das Buch heißt. Es wird auf jeden Fall gekauft aufgrund seines Autors. Bei mir ist es dann vielleicht so: Die, die mich kennen, kaufen es, auch wenn das Buch einen schlechten Titel hat. Aber da ich nicht so bekannt bin wie andere Autoren, ist der Titel wichtig, da er aufmerksam machen soll.

BS: Hat sich etwas verändert in deinem Leben, seitdem du die Bücher veröffentlicht hast? Bist du vielleicht bekannter geworden?

Mischa-Sarim Vérollet: Ja, klar. Aber es sind immer kleine Schritte. Es ist nicht so, dass ich über Nacht bekannt geworden bin. Es steigert sich stetig. Aber ich kann nie genau sagen, ob das mit den Bücher zusammenhängt oder mit Auftritten, Radioterminen oder Fernsehauftritten. Das spielt alles zusammen. Was natürlich dabei hilft, ist, dass man sich mit jedem Buch mehr im Literaturbetrieb etabliert. Das ist schwer genug. Das sind alles kleine Schritte. Da helfen Bücher mit Sicherheit.

BS: Gestaltest du die Cover selbst?

Mischa-Sarim Vérollet: Beim letzten Buch habe ich das Cover selbst gestaltet. Das war so viel Arbeit, dass ich es diesmal nicht gemacht habe. Aber ich habe ein Mitspracherecht. Ich sollte dem Verlag ein paar Bilder schicken. Da war unter anderem das jetzige Cover zu „Irgendwas mit Menschen“ dabei. Und ich fand die Idee vom Verlag gut, das einfach freizustellen und eine Signalfarbe darunterzuknallen. Mittlerweile bin ich eher dafür, die Dinge sehr simpel zu halten. Ich bin total zufrieden mit dem Cover. Ich habe ein paar Ideen eingebracht, aber gestaltet hat es der Verlag.

BS: Kannst du über dich und deine Texte selber lachen? Findest du sie selbst witzig oder sind das nur die Anderen, die das lustig finden?

Mischa-Sarim Vérollet: Ich kann sehr gut über meine Texte lachen, weil ich solche Texte darauf hinschreibe, dass sie witzig sind. Ich hoffe dann einfach, dass andere Leute das auch witzig finden. Das ist eher so, dass ich mich frage, ob andere Leute darüber lachen können. Was aber immer wieder vorkommt, ist, dass gerade bei Lesungen Menschen an Stellen lachen, die ich gar nicht witzig fand. Dass es also eine unbeabsichtigte Pointe gab. Das ist dann immer schön. Es kommt auch vor, dass man was geschrieben hat und sich innerlich totlacht und denkt, das sei der Knaller. Und der verpufft völlig, interessiert niemanden. Dafür lachen die über was Anderes. Schreiben ist eben Lotterie. Und es macht Spaß.

BS: Probierst du deine Witze vorher aus? Erzählst du sie vorher jemand Anderem, bevor du sie einbaust?

Mischa-Sarim Vérollet: Nein, überhaupt nicht! Weil ich immer paranoid bin und denke, das klaut mir jemand. Bei Texten weniger. Aber man sammelt immer Pointen, wenn man schreibt. Dann gibt es natürlich auch Ausschussware, und man denkt „In die Geschichte passt das nicht. Das poste ich also als Witz bei Facebook.“ Manchmal erzählt man das auch der Partnerin. Aber in der Regel behalt ich’s für mich und probiere es am lebenden Objekt aus. Ich bin Mitglied der Lesebühne „LMBN“. Das sind die Orte, an denen ich meine Texte ausprobiere.

BS: Ist das einmal wöchentlich?

Mischa-Sarim Vérollet: Einmal im Monat. In Dortmund und in Köln.

BS: Fällt es dir schwer, auf einen Zeitpunkt hin etwas zu schreiben und zu wissen, dass du für einen bestimmten Termin etwas fertig haben musst?

Mischa-Sarim Vérollet: Ja, auf jeden Fall! Ich hasse das sogar. Im Moment ist es vor allem schwierig, weil ich gerade an einem Roman arbeite. Der frisst eigentlich meine komplette Zeit und ich habe gerade keinen Kopf dafür, irgendwelche witzigen Sachen zu schreiben. Aber es ist eine Verpflichtung. Man macht das ja auch gerne. Das ist dann auch eine Herausforderung. Aber das Publikum ist sehr gütig bei uns. Die verzeihen es auch mal, wenn man nur dabei ist, wenn die Texte mal nicht so gut sind. Nicht, dass das bei mir jemals vorkommen würde! Also theoretisch …

BS: Also bist du noch nicht sehr weit mit dem Buch. Wie lange brauchst du noch?

Mischa-Sarim Vérollet: Ich hoffe, dass ich im Sommer fertig bin. Ich habe schon sehr viel geschrieben, ich bin jetzt bei 470.000 Zeichen. Aber das sind erst drei Viertel der Geschichte.

BS: Dann lohnt es sich wenigstens auch. Kurze Bücher hat man immer viel zu schnell ausgelesen!

Mischa-Sarim Vérollet: Ja, das ist bei Kurzgeschichten vielleicht anders, weil man da eh anders liest. Aber bei Romanen geht es mir auch so, ich lese lieber etwas Längeres.

BS: Gerade bei Romanen hat man oft das Gefühl, dass da gespart oder zu viel gekürzt wurde.

Mischa-Sarim Vérollet: Ja, genau.

BS: Was war das schlechteste Buch, das du je gelesen hast?

Mischa-Sarim Vérollet: Da muss ich jetzt wirklich überlegen. Das ist auch immer ein bisschen schwierig, weil man nie weiß, welche Autoren man noch kennen lernt. Da steht ein Leben lang im Internet, dass man das Buch scheiße fand. Irgendwann trifft man den vielleicht und dann ist das awkward. Ich muss mal überlegen … Das ist ja auch alles relativ: Das Buch kann schlecht geschrieben sein oder die Geschichte ist einfach scheiße. Ich weiß es ehrlich gesagt gerade nicht. Ich bin überfragt.

Das ist jetzt populistisch, aber ich war nicht so überzeugt von Büchern wie „Feuchtgebiete“. Aber das lag nicht daran, dass die Autorin nicht schreiben kann. Sie kann super schreiben, wenn sie das möchte. Die Geschichte hat mich einfach überhaupt nicht interessiert. Und ich lese derzeit einfach sehr wenig. Denn wenn man selber in so einem Schreibprozess drinsteckt, kommt man überhaupt nicht zum Lesen.

BS: Ich finde Mischformen schön: ein Buch, das ich zu Hause ins Regal stellen kann, für unterwegs dann ein E-Book, damit ich kein Buch mitschleppen muss.

Mischa-Sarim Vérollet: Ja, absolut! Das ist genau der Punkt. Das Leseverhalten wird sich ändern: Man lässt das Buch auf dem Klo und nimmt das E-Book mit zur U-Bahn, wenn man zur Uni fährt:

BS: Was ist dein Lieblingswort?

Mischa-Sarim Vérollet: Die Frage höre ich immer wieder. Ich weiß es nicht. Das Problem ist: Ich war noch nie jemand, der sich kurz fassen kann. Ich denke nie in einzelnen Wörtern, sondern immer in Satzkonstrukten. Ich hatte immer wieder mal Wörter, die ich mochte. Ich lebe ja mittlerweile in Österreich. Momentan liebe ich das Wort „Blunzengröstl“. Das ist eine Blutwurst im Blutwurstauflauf. Klingt einfach super. Das ist ein großartiges Wort. Also behaupte ich jetzt einfach mal: Im Moment ist mein Lieblingswort „Blunzengröstl“.

BS: Hast du das schon mal gegessen?

Mischa-Sarim Vérollet: Nein. Ich finde nur das Wort schön, die Bedeutung eher ziemlich eklig.

BS: Und zum Schluss unsere typische letzte Frage: Was hat eine blaue Seite für dich?

Mischa-Sarim Vérollet: Blau ist eine melancholische Farbe. Melancholie ist eine gewisse Wehmut und ich glaube, jedes Buch hat auch seine blauen Seiten. Jedes Buch kann wehmütig machen – Bücher sollen vielleicht sogar wehmütig machen. Bücher können und dürfen eine Sehnsucht wecken. Diese Sehnsucht nach etwas, das man sucht oder haben möchte: Das ist die blaue Seite.

RedakteurRedakteur: Mara, Lina
FotosFotos: Bjarne
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