Interview

Interview mit Patrick Ness und Jim Kay

Auf der Frankfurter Buchmesse 2012 hatten Ilka und Kim von der Blauen Seite die Gelegenheit, Patrick Ness und Jim Kay zu interviewen, die noch am selben Tag von der Jugendjury für ihren Roman „A monster calls“ = „Sieben Minuten nach Mitternacht“ mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurden.

Blaue Seite: Wir kommen von der Blauen Seite, einem  Online-Literaturmagazin für Jugendliche. Unsere erste Frage lautet:  Haben Sie von Monstern geträumt, als Sie jung waren?

Patrick Ness: Wie ist es mit dir?

BS: Nein nicht von Monstern, eher von anderen Dingen.

Patrick Ness: Es ist lustig, dass du das fragst, weil ich nicht  wirklich von Monstern geträumt habe, aber Träume sind seltsam und  ergeben keinen Sinn. Ich kann mich erinnern, dass ich, nachdem ich  „Jurassic Park“ gesehen hatte, ständig von Dinosauriern geträumt habe,  weil die Saurier im Film so lebendig, realistisch und groß dargestellt  wurden. Die Dinosaurier tauchten in meinen Träumen auf, aber ich hatte  keine Angst vor ihnen. Sie waren einfach nur da mit ihrem „Rarrrar“.  Naja, vielleicht hatte ich doch ein kleines bisschen Angst …

BS: Nein.

Patrick Ness: Dann hast du ein Herz aus Stein! [lacht]
Den Ton und Stil für diese Geschichte habe ich früh gefunden. Es war so,  dass ich recht schnell sagen konnte und wusste, dass das Buch  funktionieren würde. Es ist die Art und Weise, wie das Buch zu dir  spricht und erzählt. Wenn ich diesen Ton nicht gefunden hätte, dann  hätte ich das Buch vermutlich nicht schreiben können, aber so hat es  sich von Anfang an richtig angefühlt.
Und was das Schreiben von traurigen Dingen angeht, da habe ich eine  Theorie: Wenn du eine Komödie schreibst und dabei selbst nicht lachst,  dann ist sie nicht lustig. Wenn du Witze schreibst und sie selber nicht  lustig findest, wird auch sonst niemand darüber lachen können. Und wenn  du etwas Trauriges schreibst, und du wirst selber beim Schreiben nicht  traurig, wird auch niemand anders traurig sein. Das ist nicht so leicht,  man muss darauf achten, genug von der Wahrheit zu erzählen, dass man  auch selber traurig wird.

BS: Als Sie angefangen haben, das Buch zu schreiben, wussten Sie da schon, dass Jim Kay die Bilder machen würde?

Patrick Ness: Ich wusste, dass dieses Buch – im Unterschied zu meinen  früheren Büchern – Illustrationen haben würde, aber ich wusste zu dem  Zeitpunkt noch nicht, wer die Bilder machen würde. Ich hatte die  Geschichte zu Ende geschrieben und meine Lektorin sagte: „Wie wäre es  mit Jim?“ Jim hat die Bilder zu „Bugs“, einem Insektenbuch gemacht, aber  er hatte nie zuvor ein ganzes Buch illustriert. Also haben wir ihm das  Buch geschickt und er zeichnete ein Bild. Er hat dieses gemalt [zeigt  das Bild]. Ich denke, dass dieses Bild das Beste ist, es ist ein  großartiges Bild. Er hat von Anfang an alles richtig gemacht, und wir  sagten: „Er ist unser Mann. Er ist der Richtige für diesen Job.“

BS: Wie gefallen Ihnen die Bilder?

Patrick Ness: Naja, sie sind ganz in Ordnung [lacht]. Nein, sie sind  großartig, fantastisch, total tolles Zeug! Dieses Bild auf Seite 105,  ein einziges großes Bild, ist einfach nur toll. Wie oft sieht man so  etwas schon in Büchern? Ich liebe es.

BS: Wie würden Sie beide Ihren Kindern erklären, dass Sie Krebs haben?

Patrick Ness: Na ja … Oh Gott!

Jim Kay: Also, meine Mutter hatte Krebs und mein Vater musste es mir  sagen, weil sie Angst davor hatte, anderen Leuten Kummer zu bereiten.  Die Leute, die ich kenne, die Krebs haben – und ich kenne viele –,  machen sich seltsamerweise mehr Sorgen um die Leute in ihrer Umgebung  als um sich selbst. Es ist wie in dem Buch, sie hinterlassen sehr viele  traurige Leute und sie fühlen sich dafür verantwortlich, das ist schon  für sich alleine betrachtet traurig, weil sie doch eigentlich diejenigen  sind, die krank sind und um die man sich Sorgen machen sollte. So habe  ich es erlebt, als mir das damals von meinem Dad mitgeteilt wurde.

BS: Wie sind Sie mit dem Thema Krebs umgegangen, haben Sie viel recherchiert, um sich auf das Schreiben vorzubereiten?

Patrick Ness: Ich habe medizinische Recherchen angestellt, da ich  nichts falsch machen wollte und ich habe eine Onkologin gebeten, also  eine Ärztin mit dem Fachgebiet Krebs, das Buch auf die Fakten hin zu  prüfen, also sicher zu stellen, dass die medizinischen Dinge richtig  sind. Auf der einen Seite sollten diese Dinge richtig und exakt sein,  aber auf der anderen Seite wollte ich auch nicht, dass sich die Handlung  nur darum dreht. Ich wollte, dass sich dieser Teil eher im Hintergrund  hält. Was die Gefühlsebene angeht war meine Idee, dass nicht jeder die  Erfahrung gemacht hat, jemanden zu verlieren, aber jeder hat schon mal  Angst davor gehabt, jemanden zu verlieren. Jeder hat sich schon einmal  gefragt, was passieren würde, wenn er die Person verlöre, die ihm am  wichtigsten ist, wenn diese Person krank würde. Ich denke, dass jeder  auf der Welt dieses Gefühl kennt. Es ist ein Buch über den Verlust, aber  es handelt auch davon, dass man fürchtet, jemanden zu verlieren. Und  dieses Gefühl kenne ich sehr gut. Für mich ist es also mehr ein Buch  über Angst, weniger über Verlust.

BS: Waren Sie derjenige, der den Titel „A Monster calls“ ausgesucht hat?

Patrick Ness: Ja, weil es sich richtig angefühlt hat. Ich habe es „A  monster calls“ genannt. Im Englischen hatte mein vorheriges Buch den  Titel „Monsters of Men“, das heißt, dass ich zwei Bücher hintereinander  geschrieben habe, die das Wort „Monster“ im Titel haben, obwohl es in  keinem der beiden wirklich um Monster geht – das ist schon irgendwie  verwirrend. Aber der richtige Titel ist nun mal richtig, daran ist  nichts zu machen.

BS: Wir haben jetzt noch eine letzte Frage. Was hat für Sie eine blaue Seite?

Patrick Ness: Das allererste, was mir gerade in den Sinn kam, ist,  das, was im Englischen „The Endpapers“ [= Vorsatzpapier] genannt wird.  Sie sind das letzte, über das bei der Frage des Designs eines Buches  entschieden wird, wenn alles andere an einem Buch schon fertig ist. Es  ist alles fertig organisiert, also auch das Cover und die Illustrationen  sind fertig, das letzte, über das entschieden werden muss, ist das. Das  scheint nur eine Kleinigkeit zu sein, aber es ist sehr wichtig, denn  diese Seiten sind die ersten, die vom Leser gesehen werden, sie  vermitteln die Stimmung des Buches. Wenn ich an „Blaue Seite“ denke,  dann denke ich an diesen Teil eines Buches, dieser Teil, den du glaubst  nicht wahrzunehmen, den du aber trotzdem immer wahrnimmst. Also spielt  es eine wichtige Rolle. Das war mein erster Gedanke.

BS: Und wie steht es mit Ihnen?

Jim Kay: Ich dachte an etwas Gegenteiliges, ich dachte an „Blue  Prints“ [= Bauplan]. Sie sind das erste, an dem ein Architekt arbeitet,  wenn er eine Idee für ein neues Gebäude hat. Das ist ein blaues Papier  mit weißen Markierungen. Ich dachte also eher an den Anfang einer  Arbeit, einer Idee.

Patrick Ness: Du denkst an den Anfang und ich ans Ende, von A bis Z.

BS: Vielen Dank für das Interview.

RedakteurRedakteur: Kim, Ilka
FotosFotos: Freya
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