Interview mit Petra Hartmann
Im Rahmen der Leipziger Buchmesse hatte Korinna die Möglichkeit, Petra Hartmann zu interviewen.
Blaue Seite: Haben Sie in Richtung Literatur studiert? Ich frage das, weil ich Ihre Sprache im Buch sehr schön fand.
Petra Hartmann: Oh, danke! Ich habe Germanistik studiert und viel gelesen, das färbt wahrscheinlich ab.
Blaue Seite: Was macht am Schreiben so viel Spaß?
Petra Hartmann: Wenn es läuft und man sich so fühlt, wie Nestis, das Meermädchen. Also, der Moment, wo alles von alleine geht.
Blaue Seite: Sie schreiben ja über die Unterwasserwelt. Was fasziniert Sie daran, dass Sie darüber schreiben?
Petra Hartmann: Ich fand da alles faszinierend. Schon als Schülerin habe ich immer Bilder von Meermädchen gemalt. Ich wollte meinen Tauchschein machen, wenn ich eine Drei in Mathe bekomme – das hat aber nie geklappt. Ich habe ihn dann erst später gemacht. Ich bin viel gesegelt und muss jedes Jahr mindestens einmal nach Helgoland. Ohne Wasser könnte ich gar nicht.
Blaue Seite: Und warum genau die Nordsee?
Petra Hartmann: Das war mehr oder weniger zufällig. Ich hab die erste Nestis-Geschichte geschrieben, im November, im Urlaub auf Helgoland, als es einen furchtbaren Sturm gab. Um mich flog alles aus den Fugen und von der Düne vor Helgoland wurde der ganze Sand weggerissen. Es gab Riesenschäden und die Robbenküste war plötzlich verschwunden. Da fiel mir die Geschichte ein von einem Meeresmädchen, das sich vom Weihnachtsmann 500.000 m³ Sand wünscht, um diese Robbenküste wieder heile zu machen. So ist Nestis entstanden. Dann hat sie immer mehr und immer längere Abenteuer erlebt. Zu dem Zeitpunkt war sie dann schon in der Nordsee eingelebt, sie war dann schon Nordseeprinzessin. Sie jetzt ins Mittelmeer zu verpflanzen, das passt hier nicht mehr.
Blaue Seite: Wie bekommen Ihre Figuren einen Namen? Wie sind Sie auf Nestis, Nick, Mira usw. gekommen?
Petra Hartmann: Nestis ist ein Name einer altitalienischen Wassergöttin. Ich hatte mich zu der Zeit viel mit Empedokles beschäftigt. Das war ein Philosoph, der die Theorie vertreten hat, dass alles aus vier Elementen besteht. Und Nestis war bei ihm die Bezeichnung für das Element Wasser. Ich wollte diesen Namen unbedingt mal verwenden und so hat sich der festgesetzt. Als ich dann einen Namen brauchte, habe ich gesagt: „Das ist jetzt Nestis!“ Bei Nick war das einfach: Es gibt Meeresgötter und Meeresgeister die Neck, Nick und St. Niklas, der Patron der Seefahrer, heißen. Das war also einfach ein typischer Wassermannname. Kurzschluss, der Zitteraal, heißt so, weil er eben Strom abgibt. Es gibt viele Namen, die bei mir einfach hängen bleiben. Die muss ich einfach irgendwann verwenden. Meist sind das sehr komische Namen. Ich versuche dann, da eine Geschichte dazu zu finden. Bei Nestis war das sehr schwer, den konnte sich einfach keiner merken. Vielleicht hätte ich sie doch anders nennen sollen.
Blaue Seite: Ich kann mir den merken.
Petra Hartmann: War der Name gut? War er einfach?
Blaue Seite: Es gibt auch so ellenlange Namen, die man sich gar nicht merken kann.
Petra Hartmann: In meiner Jugend, da gab es bei Karl May Figuren, die hießen
Hadschi Halef Omar ben Hadschi Abul Abbas ibn Hadschi Davuhd al Gossarah
oder Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf. Das geht alles.
Blaue Seite: Gab es denn am Anfang nur Nestis oder sind dann auch schon gleich Nick, Mira und so weiter und der Meerkönig dazugekommen?
Petra Hartmann: In der Nordsee gibt es keine Zitteraale, aber ich brauchte halt unbedingt jemanden, der für Strom zuständig ist. Deshalb habe ich die Geschichte erfunden, dass der Meerkönig Elektrizitätswerke gründen wollte und deshalb Zitteraale aus Südamerika importiert hat. Das ist auch gar nicht so abwegig, denn es sind schon Piranha-Verwandte an den deutschen Küsten gefunden worden. Obwohl das eigentlich Süßwasserfische sind und die auch aus Südamerika kommen. Also könnte ein Zitteraal vielleicht überleben, aber nicht gut.
Blaue Seite: Ich fand die Idee mit dieser Ölpest-Musik gut, speziell in diesem Buch. Haben Sie dazu bestimmte Melodien im Kopf?
Petra Hartmann: Ich bin absolut unmusikalisch, aber ich kann sie mir sehr laut, rockig und fetzig vorstellen. Trotzdem könnte ich da nie etwas zu komponieren oder vorsingen.
Blaue Seite: Mögen Sie diese Musik?
Petra Hartmann: Ich mag sehr gerne rockige Musik, aber manchmal auch sehr leise. Abhängig davon, wie der Text ist. Ich brauche Musik, die eine Geschichte erzählt. Das kann eine Oper sein oder ein Liedermachertext oder auch viele Rocksongs aus der Achtzigern.
Blaue Seite: Was hören Sie denn am liebsten für Musik?
Petra Hartmann: Sehr unterschiedlich. Im Moment höre ich im Autoradio gerade Achim Reichel, davor Juliane Werding. Meine Magisterarbeit habe ich über Mozarts „Don Giovanni“ geschrieben. Also eigentlich querbeet alles durcheinander. Mit Rap kann ich nicht viel anfangen, aber das ist wahrscheinlich eine Gewohnheitsfrage. In meiner Jugend gab es die Neue Deutsche Welle. Die fand ich grottenschlecht, aber inzwischen mag ich sie. Das dauert immer ein bisschen.
Blaue Seite: Wie beim Essen: Am Anfang ist es eklig und später isst du es doch und dann ist es das Beste.
Petra Hartmann: Es schmeckt nach Kindheit in der Zeit, wo es mir noch gutging.
Blaue Seite: Wenn Sie jetzt in diesem Buch mitspielen würden: Wer wären sie dann?
Petra Hartmann: Vielleicht ein kleiner Tollpatsch wie Otto, der dazugehören will, aber nichts auf die Reihe kriegt. So cool wie Nick bin ich auch nicht. Ich glaube, ich wäre ganz gern wie Tom: ein ruhiger, zurückhaltender Typ, der aber ziemlich genau weiß, was er tut.
Blaue Seite: Ist es Absicht, dass die Großmutter so böse wirkt?
Petra Hartmann: Ne, böse ist sie eigentlich nicht. Sie hat halt nur wirklich im Schloss die Hosen an. Ich denke, sie ist in diese Rolle hineingeraten, da Nestis Mutter nicht da ist. Sie muss dann die Erziehung übernehmen, weil der Meerkönig nicht als Erzieher taugt. Der ist ja selber noch ein großer Junge. Sie ist diejenige, die sich denkt: „Ok, einer muss die Verantwortung übernehmen, dann mach ich das mal.“ Aber sie ist eigentlich nicht böse. Vielleicht ein bisschen reizbar, wenn sie aus dem Mittagsschlaf gerissen wird, weil jemand laute Musik hört.
Blaue Seite: Was mag die Großmutter an dieser Ölpest-Musik nicht?
Petra Hartmann: Sie ist laut, sie ist furchtbar laut, das ganze Schloss bebt. Wenn sie noch ein bisschen älter wird, kann sie vielleicht ihr Hörgerät ausschalten, aber jetzt bekommt sie das noch mit. Es ist unordentlich, es ist laut, es macht den Kindern Spaß und sie kann es nicht kontrollieren. Was hörst du denn gerne?
Blaue Seite: Das ist auch ganz unterschiedlich. Nightcore, Filmmusik, aber auch so was wie Ölpest-Musik. Also eigentlich auch alles durcheinander.
Ich habe mich auch mal mit jemandem darüber gestritten, ob Dvorak oder Tschaikowski besser ist.
Petra Hartmann: Eindeutig Tschaikowski!
Blaue Seite: Habe ich auch gesagt.
Petra Hartmann: Obwohl die ungarischen Tänze von Dvorak echt schön sind. Was der aus dem Brahms rausgekitzelt hat ...
Welche Figur aus dem Buch mochtest du am liebsten?
Blaue Seite: Eigentlich alle – natürlich nicht den Kapitän vom Öltanker. Der war ja total blöde, aber sonst fand ich eigentlich alle gut.