Interview

Interview mit Rosalie Thomass (2020)

Im Rahmen des 17. Lübecker Bücherpiraten-Festivals hatten die Blaue Seite-Redakteurinnen Nike und Kathrin die Möglichkeit, die Schauspielerin Rosalie Thomass zu interviewen.

Blaue Seite: Was war die größere Ehre: Gott zu spielen oder die Verleihung des deutschen Schauspielpreises?
 
Rosalie Thomass: (lacht) Wenn es um Ehre geht, dann ist für mich dieser Preis die größere Ehre. Denn es ist ja ein sehr spezieller Preis, weil man nicht von einer Jury ausgesucht wird, wo dann vielleicht auch Politik eine Rolle spielt, sondern wirklich von Kolleginnen und Kollegen. Und das ist, finde ich, das Schönste, was man in Deutschland bekommen kann. Maria hieß ja nur Gott.
 
Blaue Seite: Meinen Sie denn, dass man durch das Schauspielern eine objektivere Sicht auf sich selbst gewinnt?
 
Rosalie Thomass: Wenn man den Beruf so betreibt, wie ich das mache, gewinnt man auf jeden Fall tiefe Einblicke in sich selbst. Das ist etwas, was ich total mag, was ich auch suche und sehr interessant finde, weil man ja immer mal wieder an Punkte kommt, an denen man sich fragt: „Warum handelt die Person so, warum verhält sie sich auf diese Art und Weise?“. Dann grabe ich herum und schaue, wo ich solche Anteile in mir habe. Man geht in der modernen Psychologie davon aus, dass wir verschiedene innere Anteile haben. Ich suche dann immer in mir nach diesem Anteil, deswegen weiß ich sehr viel über mich und vielleicht auch mehr als mir lieb ist. (lacht)

Blaue Seite: Gab es denn nie einen Moment, an dem sie daran gezweifelt haben, Schauspielerin zu werden?
 
Rosalie Thomass: So einen richtigen großen Zweifel, nein, das ist wirklich unverschämt, aber das hatte ich wirklich nicht so. Ich dachte, dass es einfach klappen muss, wenn ich alles auf eine Karte setze. Dann gibt es kein Backup, keinen Plan B, kein „Ich habe zur Sicherheit was studiert". Das hätte mich ja auch alles Energie, Zeit und Aufmerksamkeit gekostet, die mir dann wiederum gefehlt hätte, um mich so auf den Beruf zu fixieren. Ich hatte, als ich jung war, viele gute Chancen, die ich auch sehr konzentriert genutzt habe. Mir war das immer sehr wichtig. Ich habe irgendwie gedacht: „kein doppelter Boden - will ich nicht“. Das kann aber natürlich auch schiefgehen. Aber wie gesagt, ich denke immer, dass mir auch was einfallen wird, wenn es dann schiefgeht. Das ist natürlich auch die Unverschämtheit der Jugend - wisst ihr ja selber - dass man noch denkt: “Ach, alles ist möglich, die Welt liegt mir offen, das wird schon klappen”. Und dann wirst du älter und siehst um dich herum Leute, bei denen es überhaupt nicht klappt. Du realisierst: “Oh, es hätte ja auch schiefgehen können - Ist es aber nicht… bisher”.
 
Blaue Seite: Meinen Sie denn, dass sie von der Filmindustrie in eine bestimmte Schublade gesteckt werden? Also erkennen Sie ein Muster in all ihren Rollen?
 
Rosalie Thomass: Da finde ich, dass ich wirklich sehr, sehr viel Glück hatte, weil man mir sehr viel Unterschiedliches zugetraut hat. Ich glaube, gerade am Anfang, dass ich nicht in ein typisches Mädchen-Schema reinpasste. Als ich anfing, war ich schon fast 1,80 m groß. Das passt dann schon mal für vieles nicht, z.B. für viele seichtere romantische Sachen, weil die Jungs in dem Beruf relativ oft kleiner sind als ich, und das für unsere Sehgewohnheiten scheinbar immer noch unmöglich. 
Wenn es etwas gab wie eine Schublade, dann ist es eher so, dass die Figuren, die ich angeboten bekomme, sehr kraftvoll sind, sehr positiv. Kämpferfiguren, und das finde ich total schön. Das geht dann durch alle Genres, von Komödie über heftiges Drama bis zur Tragikomödie. Ich habe aber auch selbst sehr darauf geachtet, dass ich nicht noch 5mal die gleiche Rolle in mittelgut oder schlecht spiele, wenn ich einmal einen Film mit einer zerrissenen Frau gemacht habe. Ich schaue dann stattdessen: “Okay, was wäre denn dann als nächstes interessant?” und nicht: „Das kann ich jetzt, das mache ich jetzt die ganze Zeit.“  

Rosalie Thomass: Ich habe gemerkt, dass ich überhaupt nicht mit seinen Büchern aufgewachsen bin. Den 35. Mai kannte ich zum Beispiel nicht. Pünktchen und Anton schon, aber ich bin mit ganz anderen Figuren aufgewachsen und habe ehrlicherweise jetzt auch nicht gedacht: "Oh nein, das habe ich verpasst als Kind!" Als Mädchen kommt man im 35. Mai ja nun so gar nicht vor. Es gibt die Petersilie und das war´s. Das hat meine Mutter echt gut gemacht. Ich bin mit viel Astrid Lindgren und anderen tollen Mädchengeschichten aufgewachsen. Vielleicht hat mich Erich Kästner deswegen auch nicht so erwischt.
 
Blaue Seite: Hatten Sie denn auch immer ihre Vorbilder in den Büchern?
 
Rosalie Thomass: Also in den Kinderbüchern fand ich Ronja Räubertochter toll. Und Pippi Langstrumpf finde ich immer noch, auch zum Vorlesen selber, schön. Später kam dann “Die Triologie um den goldenen Kompass” von Philip Pullman, was auch heute noch eines meiner absoluten Lieblingsbücher ist. Da geht es um eine kindliche Heldin, die einen Krieg gegen das Universum führt, gegen andere Welten und höhere Mächte. Das fand ich damals unfassbar spannend. Ich habe das als erwachsene Frau wieder gelesen und es reißt mich immer noch vom Hocker. Ich bin ansonsten überhaupt kein Fantasy Fan, aber diese Bücher sind großartig. Die Menschen darin haben ihre Seele in Form eines „Dämon“, eines lebendigen Tieres, dabei - das fand ich als Kind eine schöne Vorstellung. Diese mutige Heldin Lyra hat mich damals so beeindruckt, dass ich mir damals immer geschworen habe, meine Tochter mal Lyra zu nennen. Das habe ich dann aber doch nicht gemacht, weil ich das später doch irgendwie doof fand. (lacht) Namen, die so stark behaftet sind, die eine so klare Assoziation mit sich bringen, das stell ich mir für ein Kind irgendwie blöd vor. 

Blaue Seite: Bleibt dann auch manchmal was zurück?
 
Rosalie Thomass: Bleibende Schäden? (lacht) Hmm, ich glaube schon. Es bleibt die Geschichte. Zum Beispiel gibt es einen total intensiven, schönen Fernsehfilm, den ich gemacht habe. Der heißt “Eine unerhörte Frau”. Da geht es um eine Frau, und ihr Kind - es ist auch eine wahre Geschichte - keiner glaubt ihr, dass ihr Kind krank ist. Sie rennt von Arzt zu Arzt, von Krankenhaus zu Krankenhaus, es dauert ewig, bis ihr jemand glaubt. Schließlich hatte das Kind einen Hirntumor. Es ist schon kurz vor knapp, als sie es endlich feststellen. Und da bleibt schon was haften. Du lernst diese Frau kennen, die ihre Geschichte aufgeschrieben hat, bekommst die ganze Wucht dieses Dramas mit. Wenn der Film rauskommt, bekommst du ganz viele Nachrichten von Leuten, die sagen: “Wir haben ähnliches erlebt, danke für diesen Film, er hat mich getröstet.” Du hörst diese vielen Geschichten und klar bleibt da dann auch etwas zurück. Vielleich schaust du dann, wenn dein Kind krank ist, ob du dem Arzt oder der Ärztin wirklich vertraust. Oder als ich in Fukushima war, wo wir „Grüße aus Fukushima“ gemacht haben, mitten im Katastrophengebiet: natürlich nimmst du davon etwas mit nach Hause. Ich war auch vorher schon öko und gegen Atomkraft, aber nach so etwas bleibt ein ganz tiefes Gefühl der Dankbarkeit, weil wir in einem Land leben, wo es zufällig fast nie Naturkatastrophen gibt. Das ist Zufall. Dafür können wir nichts. Das ist einfach Glück. Da kann man einfach dankbar sein und es genießen. Das sind sehr starke Eindrücke, die ich auch nicht vergesse. Es bleibt manchmal auch eher etwas von dem Drumherum hängen, als von der Geschichte selbst. 
 
Blaue Seite: Wie oft denken sie denn noch an Fukushima und die Dreharbeiten dort? Das war ja ein Film, der ganz anders war als viele andere.

Blaue Seite: Stichwort "ekliges Essen": Was waren die intensivsten Eindrücke, als Sie zurückkamen?
 
Rosalie Thomass: Als ich zurückkam, fand ich es einfach krass, dass es keine Erdbeben gibt. In den sechs Wochen, in denen wir dort waren, habe ich fünf Erdbeben erlebt. Eine völlig neue Erfahrung für mich, ich fand das wirklich richtig spooky. Die Japaner und Japanerinnen aus dem Team zucken da nicht mit der Wimper. Beim Mittagessen saßen wir einmal in einem kleinen Restaurant, und plötzlich ging es damit los, dass die Schüsseln zitterten. Und ich dann *panisches Atmen* "Was ist nochmal der Leitfaden? Was muss man nochmal machen?” Ich hatte mich - weil ich ja nicht drüber nachdenke, was schlimmes passieren könnte- damit nie wirklich beschäftigt. An den japanischen Handys summen die Alarmapps. Die Japaner und Japanerinnen essen aber einfach stur weiter, weil sie wissen, dass das Beben “nur” Stärke soundso hat.
Und dann gab es eins in Tokio, wo wir im Auto waren und ich auch einen richtigen Schreck bekommen habe. Ich hatte extreme Angst wegen dieser hohen Häuser, aber die sind ja so gebaut, dass sie nicht gleich umfallen. Wenn du nicht damit aufwächst, fehlt dir die Routine damit. Als ich zurückkam, fand ich es irre, zu wissen: “Ah, hier bebt die Erde nicht“. 
 
Blaue Seite: Wie wurde das Erdbeben im Film eigentlich gedreht? Wurde dann einfach darauf gewartet?

Blaue Seite: Wie haben Sie sich in diesem speziellen Fall weiter eingearbeitet?
            
Rosalie Thomass: Ein Teil besteht gerade bei historischen Figuren darin, dass ich lese, um zu recherchieren. Das mache ich gerne. Das habe ich auch schon immer gerne gemacht, auch als Jugendliche. Es gibt zum Beispiel auch ein Buch über Henriette von Schirach. Außerdem arbeite ich mit einem Coach, der darauf spezialisiert ist, mit Schauspielern und Schauspielerinnen Wege zu finden, die Figur in der Tiefe zu verstehen. In diesem Fall war es schon sehr wichtig, mit ihm zu arbeiten, weil ich gemerkt habe, dass ich sozusagen nicht alleine in diesen finsteren Keller gehen will. Da ist es gut, dass jemand dabei ist, der aufpasst, dass man nicht verrückt wird.
 
Blaue Seite: Hatten Sie schon mal Albträume?
 
Rosalie Thomass: Das hatte ich, als ich jung war. Als ich 17 war, hatte ich meine erste Hauptrolle. Ein Krimi, „Polizeiruf München“. Es ging um eine junge Prostituierte, die einen Mord begangen hat. Die findet aber eigentlich, dass sie daran nicht so richtig schuld ist. Das war echt heftig. Fast der ganze Film ist so aufgebaut, dass man eigentlich weiß: Sie war es. Im Zentrum stehen die Verhöre zwischen dem Kommissar und ihr, der irgendwie an sie rankommen, die Wahrheit aus ihr herausbekommen muss. Das hat mich einfach eiskalt erwischt, weil ich erst 17 Jahre alt war und noch gar keine Technik hatte - sondern wie bei einem Köpper einfach reingesprungen bin. Ich habe in der Zeit schlecht geschlafen und wirklich richtig heftige Albträume gehabt. Ich weiß noch, dass unser Kameramann irgendwann sagte, dass er auch schlecht träumt. Das hat mich dann etwas getröstet. Er war ja wesentlich älter und erfahrener als ich und hat als Kameramann „nur zugeguckt“. Also, ich meine nicht nur zugeguckt, er hat sehr interessiert zugesehen, das spürt man, und er hat sehr viel Anteil genommen.  Aber ich dachte: wenn sogar er Albträume hat und ihn das so mitnimmt, dann ist das erst recht okay, wenn es bei mir so ist. Aber das ist inzwischen besser geworden, weil ich weiß wie ich mich schützen kann und trotzdem tief einsteigen. Also, wenn ihr es genau wissen wollt: Bei diesem Film, “Jackpot”, den ich letztes Jahr gedreht habe, hat meine Figur unglaubliche Angst, ihren Partner zu verlieren. Das passiert mir dann manchmal, dass ich plötzlich Verlustängste spüre - was ist denn, wenn meinen Liebsten was passiert? Ich muss erst realisieren: Warte mal, du beschäftigst dich gerade den ganzen Tag damit, dass du Todespanik hast, dass dein geliebter Partner stirbt. Klar macht das was mit dir. Wenn du das ein paar Wochen lang machst, dann ist es auch cool, wenn es irgendwann vorbei ist. Und dass man sich sagen kann: das ist nicht real, nur eine Vorstellung.

Blaue Seite: Dann haben wir noch immer eine Abschlussfrage, die bekommt jede Person, die bei uns interview wird, gestellt. Woran denken Sie bei einer blauen Seite?

Rosalie Thomass: Ans Meer? Ans Meer, ans Meer, ans Meer.

Blaue Seite: Das ist schön.

Rosalie Thomass: Ich kriege gleich Sehnsucht nach dem Meer...

Blaue Seite: So weit ist es ja nicht weg, nur eine halbe Stunde.

Rosalie Thomass: Ja, das stimmt. Ihr habt es hier um die Ecke. Wir haben dafür die Berge. Auch schön.

Blaue Seite: Sind Sie morgen Abend noch hier?

Rosalie Thomass: Ich fahre morgen ganz früh.

Blaue Seite: Dann müssen Sie es heute Nacht machen.

Rosalie Thomass: Das wäre natürlich schon cool. Das Blau in den Bergen gefällt mir natürlich auch gut, der Himmel in den Bergen ist unfassbar schön.

Blaue Seite: Aber wenn Sie sich entscheiden müssten, Berge oder Meer?

Rosalie Thomass: Ja, das ist eine sehr schwierige Frage. Am besten wären Berge am Meer...

Blaue Seite: In Italien soll es das geben.

Rosalie Thomass: Ich bin wirklich sehr, sehr, sehr gerne in den Bergen. Deswegen lebe ich auch wieder in Bayern, weil mir das total gefehlt hat. Ich war ja lange in Berlin. Da kannst du lange suchen, es gibt einfach keine Berge in Berlin. Ich habe es wirklich überall probiert. Das ist natürlich schon toll bei uns, weil du zwei, drei Stunden nach Südtirol fährst und das ist einfach unfassbar schön. Wenn du noch weiter fährst kommst du auch irgendwann ans Meer. Die Weite ist ja das Tolle. Auf die Berge musst du halt rauf gehen. Das mag ich natürlich, die Arbeit und die Herausforderung. Ich mag das einfach, ich mag Arbeit. Also, wenn ich etwas tun muss. Und am Meer liegst du nur rum, da werde ich nach zwei Tagen komplett gaga.

Rosalie Thomass: Ihr habt hier auf jeden Fall wesentlich interessantere Fragen gestellt als eure Kolleg*innen von den großen Medien, die dann immer fragen: “Frau Thomass, wie machen Sie das? Familie und Beruf?”
Und ich frage zurück: wie viele Männer fragt ihr das? Gar keinen! Also: Es war sehr schön, vielen Dank!

Blaue Seite: Dankeschön für das Interview!

RedakteurRedakteur: Kathrin, Nike
FotosFotos: Léa
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