Interview

Interview mit Rosemarie Eichinger

Auf der Leipziger Buchmesse hatte die Blaue Seite am 15. März 2013 die Gelegenheit, die österreichische Autorin Rosemarie Eichinger zu treffen. Das Interview zu ihrem Debut-Roman „Alles dreht sich“ führte Rahel Schwarz.

Blaue Seite: Ich habe mir zu Ihrem Buch „Alles dreht sich“ ein paar Fragen überlegt.  Zunächst möchte ich Sie bitten, Ihr Buch in ein bis zwei Sätzen zu beschreiben.

Rosemarie Eichinger: Mein Buch ist eine Geschichte über das Leben und was den Anstoß dafür geben kann, etwas zu verändern, wenn man nicht zufrieden ist.

BS: Was ist bei Ihren Figuren der Knackpunkt, der sie dazu bewegt hat, ihr Leben zu ändern?

Rosemarie Eichinger: Bei einer Figur [Linda] ist es ein Hirntumor. Der Junge [Max] hat das Mädchen im Krankenhaus kennen gelernt. Er selber ist Patient in der Psychiatrie und soll sich, um mehr Lebenswillen zu entwickeln auf einer Station umschauen, auf der es den Leuten noch schlechter geht. Er mag das Mädchen und will deswegen etwas mit ihr zusammen machen. Bei Lindas Freundin Pia ist der Knackpunkt, dass ihre beste Freundin krank ist und sie Zeit mit ihr verbringen möchte.

BS: Die Hauptfiguren Linda, Max und Pia sind sehr verschieden. Mit welcher dieser drei Figuren können Sie sich am besten identifizieren?

Rosemarie Eichinger: Ich denke mit Pia, weil ich weder einen Tumor noch eine psychische Störung habe. Max ist der Initiator und Anstifter und eine meiner Lieblingsfiguren.

BS: Die Geschichte beginnt mit dem Erstellen der Liste von Max und Pia. [Es handelt sich um eine Liste der Dinge, die die beiden Jugendlichen vor Lindas Tod gerne noch machen wollen.] Wenn Sie eine solche Liste erstellen müssten oder wollten, was würde dann auf dieser Liste stehen?

Rosemarie Eichinger: Also bis jetzt habe ich keine Liste, weil ich kein Mensch bin, der nach einer Liste lebt. Bei mir passieren die Dinge spontan. Wenn ich eine hätte, würde dort ganz oben stehen: „Ein Buch auf der Leipziger Buchmesse veröffentlichen“ – und dahinter wäre jetzt ein Haken. Das habe ich vorher noch nie gemacht, aber es ist eine schöne Erfahrung. Außerdem würde wohl obenan stehen, auf Finnisch zählen zu können, weil es einfach lustig klingt. Ich glaube, dass vor allem Unsinn oben auf der Liste stehen würde, weil ich versuchen würde, das Leben zu genießen. Dinge, die die Welt nicht braucht, aber die man mal gemacht haben muss.

BS: Die Jugendlichen führen verschiedenste Aktionen durch, die von ihren Gegnern teils auch als „kriminell“ bezeichnet werden. Würden Sie eher Ihren Kleiderschrank entrümpeln oder ein Bauvorhaben vereiteln?

Rosemarie Eichinger: Meinen Kleiderschrank habe ich im Laufe der Jahre schon entrümpelt und ich kaufe mir auch nur sehr wenig Kleidung. Außerdem habe ich in den letzten Jahren darauf geachtet, was ich mir kaufe. Ich kaufe mir weniger, denn wenn man darauf achtet, was man kauft, ist es auch teurer. Beim Einkaufen generell, also auch beim Essen. Ich esse schon lange kein Fleisch mehr, ich achte darauf also schon länger. Wenn ich einen Tumor hätte und denken würde, ich hätte nichts mehr zu verlieren, dann würde ich wohl noch mehr tun. So überlegt man immer, welche Konsequenzen etwas haben könnte.

BS: Moral ist auch ein Punkt in Ihrem Buch. Der erste Satz auf dem Klappentext stammt von Max und lautet: „Moral wird überbewertet, ganz klar.“ Was ist Ihre Definition von Moral?

Rosemarie Eichinger: Jeder hat eine andere Definition von Moral. Moral ist für mich auch, nicht auf Kosten anderer zu leben. Die drei Jugendlichen haben ihre eigene Moral. Sie sagen: „Okay, vielleicht ist es unmoralisch Dinge kaputt zu machen, aber das interessiert mich nicht, das ist mir wurscht. Ich gehe meinen eigenen Weg, weil mir das und das wichtig ist.“

BS: Wollten Sie mit dem Schreiben dieses Romans irgendetwas bewirken?

Rosemarie Eichinger: Eigentlich nicht, denn wenn ich anfange zu schreiben, ist es ein bisschen wie Lesen. Ich weiß nicht, wie es weiter geht, ich habe kein Konzept. Ursprünglich war Max auch krank, dann habe ich aber gemerkt, dass der Fokus damit zu sehr auf der Krankheit lag. Deshalb hat sich mit der Zeit einiges verändert. Natürlich freue ich mich, wenn mein Buch etwas bewirkt. Wenn es positiv aufgenommen und nicht als Belehrung empfunden wird. Denn darum ist es mir mit dem Buch nicht gegangen.

BS: Sie sagten, Sie hätten beim Schreiben quasi kein Konzept. Gab es etwas, was Ihnen beim Schreiben besonders viel Freude oder Schwierigkeiten bereitet hat?

Rosemarie Eichinger: Nein, wenn ich einmal die Idee im Kopf habe, dann schreibe ich los und merke nach drei bis vier Kapiteln, ob es geht oder nicht. Dann höre ich entweder auf oder schreibe weiter. In diesem Fall ging es weiter. Die Figur von Max mochte ich schon sehr, die fand ich irgendwie spannender als die anderen. Die Figur macht mehr Spaß, weil er irgendwie anarchistischer ist als die beiden anderen.

BS: Sie sagten, Sie bekämen Ideen, wenn Sie auf dem Sofa sitzen und Dokumentationen sehen. Im Klappentext des Buches steht, dass das Badezimmer für Sie ein guter Ort zum Ausprobieren erster Sätze ist. Sind die ersten Sätze dieses Buches auch in einem Badezimmer entstanden?

Rosemarie Eichinger: Zum Teil sicher. Wir haben eine Altbauwohnung und da zieht es manchmal. Vor allem im Winter. Wenn es auf der Straße auch noch laut ist (ich wohne ja mitten in Wien) und ich das Gefühl habe, dass ich mich nicht richtig konzentrieren kann, dann gehe ich ins Bad. Dort gibt es ein Buntglasfenster zum Gang und es ist relativ dunkel. Es gibt dort einen großen Heizkörper, es ist also sehr warm. Ich sitze dann an den Heizkörper gelehnt. Wenn es dunkel ist, kann ich gut abschalten, dann funktioniert auch das Schreiben gut. Ich schreibe dann mehr oder weniger blind, aber immer erst mit der Hand.

BS: Warum erst mit der Hand?

Rosemarie Eichinger: Ich weiß nicht, das habe ich von Anfang an so gemacht. Ich skizziere erst alles mit der Hand. Das erste Eintippen ist dann schon eine Überarbeitung. Ich lasse manches weg oder ändere die Formulierung. Ich könnte das nicht zuerst mit dem Computer machen. Da zieht sich meine Hand zusammen und ich kann nicht schreiben.

BS: Viele Autoren, z.B. John Green oder Jenny Downham, behandeln das Thema Krebserkrankungen bei Jugendlichen. Bei Ihnen ist es auch Thema, aber Sie wollten es nicht in den Fokus stellen. Was denken Sie, macht das Thema so interessant für die Autoren und die Leser?

Rosemarie Eichinger: Für mich ging es um die Frage, was passieren muss, damit man etwas verändern will. Es ging darum, dass eine lebensverändernde Diagnose dazu führen kann, dass man etwas tut, ohne an die Konsequenzen zu denken. Nicht um den Umgang mit einer solchen Diagnose. Ursprünglich spielte das Thema sogar eine noch geringere Rolle. Mir wurde erst später bewusst, dass es einiges zum Thema auf dem Buchmarkt gibt. Aber es ist eben das, was ich schreiben wollte.

BS: Das Ende des Buches ist offen, es endet damit, dass Linda beschreibt, dass sich alles gedreht hat, selbst die Kloschüssel. Können Sie sagen, was passiert wäre, wenn Sie an dieser Stelle keinen Schnitt gemacht hätten. Was meinen Sie, wie würde das Leben weitergehen?

Rosemarie Eichinger: Ich wünsche mir für Linda, dass sie überlebt, etwas von diesem Geist mitnimmt und nicht in alte Muster zurückfällt. Für Max wünsche ich mir, dass er sich sozial besser fühlt, Freundschaften schließen kann und sich nicht mehr die Haare ausreißt.

BS: Und wie waren Sie als Jugendliche?

Rosemarie Eichinger: Ich war nicht auffällig. Ich war oft Klassensprecherin, weil ich immer den Mund aufgemacht habe. Ich war aber niemand, der irgendetwas kaputt gemacht oder besonders schlimm war. Ich war mittelmäßig in der Schule, musste mich nicht anstrengen. Es war ganz witzig, aber ich glaube, ich war relativ unauffällig. Es gab keinen Zwang bei uns zu Hause und es bestand für mich nie die Notwendigkeit zu lügen oder etwas heimlich zu machen.

BS: Sie beschreiben auch kurz das Verhältnis zwischen Pia und ihrer Mutter. War es mehr ein Zufall, dass sich bei Pia und ihrer Mutter im Zuge von Lindas Krankheit und ihren Aktionen etwas verändert?

Rosemarie Eichinger: Ja, das war ein Zufall. Das Verhältnis zwischen Pia und ihrer Mutter war von Anfang an ein bisschen angespannt. Für mich war es normal, dass sie sich schwer tun mit Nähe. Das hat sich aber so entwickelt.

BS: Das Cover ist sehr auffällig, da es in den Farben blau und gelb gehalten ist. Haben Sie daran mitgewirkt?

Rosemarie Eichinger: Ich hätte das Cover natürlich ablehnen können, aber ich finde es eigentlich ganz schön. Es ist sehr knallig und ich dachte mir, dass es passt.

BS: Hat eine der Dokumentationen, die Sie angesprochen haben, Ihnen einen besonderen Input gegeben?

Rosemarie Eichinger: Ich rege mich immer besonders auf, wenn es um Lebensmittel geht. Bei uns wird die Fleischproduktion so stark gefördert, wodurch z.B. in Afrika die Märkte ruiniert werden. Ich finde das einfach nicht in Ordnung. Es geht nicht, dass wir viel mehr Fleisch produzieren, als gegessen wird und das Futter für die Tiere zum Teil in Gegenden angebaut wird, wo die Menschen selbst nicht genug zu essen haben. Das ist ein Punkt, über den ich nicht hinwegsehen kann. Auch bei der Kleidung frage ich mich, ob es wirklich sein muss, dass die ArbeiterInnen so wenig verdienen, dass sie nicht einmal ihr Leben bestreiten können.

BS: Die Jugendlichen im Buch gestalten Etiketten mit Texten, durch die sie anderen Konsumenten bewusst machen wollen, unter welchen Bedingungen z.B. T-Shirts gefertigt werden, die wir dann für 5 Euro kaufen können. Diese Etiketten haben sie dann in Läden auf die Textilien geklebt. Wie sind Sie auf die Texte für die Etiketten gekommen?

Rosemarie Eichinger: Ich habe natürlich recherchiert, wie viel Wasser man braucht, um so etwas herzustellen und wie viel ein Arbeiter durchschnittlich verdient. So habe ich das zusammengestellt.

BS: Ich weiß nicht, wie alt Ihre Tochter ist, aber denken Sie, sie wird die Bücher lesen?

Rosemarie Eichinger: Meine Tochter ist zwölf und sie liest gar nicht gerne. Was sie liebt, sind allerdings Zombie-Bücher, sie hat z.B. „Untot“ [ein Jugendroman von Kirsty McKay] gelesen, das hat ihr sehr gut gefallen. Sie hat allerdings schon gesagt, dass sie meine Geschichten natürlich lesen will. Ich werde sie nicht zwingen und denke irgendwann wird sie es lesen. Vielleicht, wenn sie erwachsen ist. Zombie-Bücher machen ihr Spaß, also soll sie Zombie-Bücher lesen, denn es geht ja darum, dass sie liest und Spaß daran hat.

BS: Haben Sie sich irgendein Ziel gesetzt für die nächsten Jahre als Autorin?

Rosemarie Eichinger: Ich würde gerne davon leben können und ganz viele verschiedene Sachen schreiben. Das E-Book ist eher ein Thriller für Jugendliche. Das andere ist ein ganz ruhiges Buch für Jüngere. Das vierte ist ein Kinderbuch für die ganz Kleinen. – Einfach verschiedene Sachen machen, das macht mir Spaß.

BS: Also werden Sie sich nicht festlegen, indem Sie sagen, ich schreibe jetzt nur noch diese Art von Buch?

Rosemarie Eichinger: Meistens überlege ich mir nicht, für welches Alter ich schreibe. Der Protagonist hat ein bestimmtes Alter und die Geschichte passt dann daher besser in eine bestimmte Altersgruppe. Es kommt bei mir beim Schreiben fast nie etwas für Erwachsene heraus. Ich kann aber nicht sagen, warum das so ist.

BS: Sie sagten, Sie haben als Kind nicht viel gelesen, aber wenn Sie gelesen haben, gab es da irgendein Lieblingsbuch, was Sie vielleicht auch beeinflusst hat?

Rosemarie Eichinger: Als Kind habe ich vor allem Erwachsenen-Bücher gelesen. Mein Onkel hatte viele Kriegsbücher, die habe ich gelesen. Das Lesen selber hat mir immer Spaß gemacht und später habe ich ohnehin alles verschlungen. Ich mag gerne lustige Geschichten aber auch Krimis. Es kommt immer auf die Stimmung an. Das ist wie mit Musik, manchmal ist man in Stimmung für eine spannende Geschichte und ein anderes Mal eben für etwas anderes.

BS: Was, denken Sie, könnte jungen Autoren helfen – so als Starthilfe oder als Tipps?

Rosemarie Eichinger: Also ich kann nur sagen, egal was andere einem sagen, man soll einfach weiter schreiben. Nicht nur ein Buch und dann warten. Ich selber habe vor der Veröffentlichung von diesem fünf andere Bücher geschrieben. Außerdem sollte man viel lesen. Man sollte sich nicht beirren lassen. Natürlich sind Absagen bis zu einem gewissen Grad frustrierend, aber für mich war immer klar, irgendwann wird mein Text herauskommen. Bei mir haben sich dann plötzlich zwei Verlage gemeldet. „Einfach dranbleiben“ würde ich daher sagen.

BS: Was hat für Sie eine blaue Seite?

Rosemarie Eichinger: Als Österreicherin ist das ein bisschen schwierig, weil es bei uns eine FPÖ-Seite, also von der freiheitlichen, der rechten Partei gibt, die blau ist. Aber abgesehen davon ist eine blaue Seite für mich wie ein leeres Blatt, das man füllen kann.

BS: Vielen Dank für das Interview.

Rosemarie Eichinger: Ich danke auch

RedakteurRedakteur: Rahel
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