Interview mit Sophie Zeitz
Auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2013 hatten Estelle, Linnea und Hanna die Möglichkeit mit Sophie Zeitz über ihre Arbeit als Übersetzerin zu sprechen. Sie hat bisher alle Bücher von John Green übersetzt.
BS: Hatten Sie als seine Übersetzerin auch direkten Kontakt zu John Green?
Sophie Zeitz: Da ich alle seine Bücher übersetzt habe, hatte ich schon früher zu ihm Kontakt, und ich habe ihn auch näher kennengelernt. Wir haben uns sehr gut verstanden. Es war aber nicht so, dass ich ihm während des Übersetzens Fragen gestellt hätte. Mir erschien in seinen Geschichten alles so einleuchtend, dass ich kaum Fragen hatte. Wir schreiben uns nur ab und zu E-Mails mit vielen Grüßen.
BS: War das eine Ausnahme mit John Green oder ist das öfter so?
Sophie Zeitz: Es passiert oft, dass ich den Autoren gar nicht kennenlerne. Bei John Green ist es wirklich besonders nett. Er ist zwar sehr beschäftigt und hat wenig Zeit, aber die zwei, drei Treffen, die wir hatten, waren so herzlich und vertraut – das war wirklich etwas Besonderes.
BS: Es gibt ja Bücher, für die man viel recherchieren muss, um sie übersetzen zu können. Fällt es Ihnen besonders schwer, oder geht es Ihnen leicht von der Hand, Greens Bücher zu übersetzen?
Sophie Zeitz: Das Übersetzen selbst fällt mir relativ leicht, weil mir die Sprache so vertraut ist. Aus irgendeinem Grund passt es besonders gut, und da muss ich mich nicht so verstellen. Beim neuen Buch, „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ (im Original: „The Fault in Our Stars“), musste ich natürlich auch viel Recherche betreiben, was Krebs und verschiedene Fachausdrücke angeht, um mir selbst einen Hintergrund zu verschaffen. Es war aber überschaubar. Wenn ich übersetze, versuche ich immer, mir den Hintergrund anzueignen und ein Gefühl für das Thema zu bekommen. Wie z. B. die Station im Krankenhaus heißt, ich glaube „Serologie“, musste ich erst recherchieren, da ich so etwas nicht auswendig weiß. Aber das hat mir geholfen, mich noch besser in die Figuren hineinzuversetzen. Auch den Stadtplan von Amsterdam hatte ich immer neben mir liegen, damit ich richtig beschreibe, wo die Figuren entlanggehen. Es gibt im Internet vom Anne-Frank-Haus einen richtigen Lageplan. Im Buch wird erzählt, wie er die Treppe und diese kleine klapprige Stiege hinaufsteigt. Das ist im Internet so gut dokumentiert, dass ich genau gucken und den Weg nachvollziehen konnte. Auch von der Stelle, wo sie sich geküsst haben, hatte ich so eine gute Vorstellung. Das hat mir sehr geholfen, die Stimmung dieser Situation zu verstehen.
BS: Man hört, dass Ihnen das Buch selbst auch gefallen hat. Was tun Sie denn, wenn Ihnen ein Buch, das Sie gerade übersetzen, überhaupt nicht gefällt?
Sophie Zeitz: Glücklicherweise gefallen mir die meisten Bücher, die ich übersetze. Wobei die von John Green schon was Besonderes sind, die gefallen mir am allermeisten. Ich versuche sowieso, immer die positiven Seiten zu sehen. Falls mir ein Buch weniger gefällt, macht die Arbeit weniger Spaß und dauert länger. Aber ich versuche immer, positiv zu denken, die positiven Seiten zu betrachten, und den Figuren – es hat immer mit den Figuren der Bücher zu tun –, etwas Positives abzugewinnen.
BS: Suchen Sie sich die Bücher selber aus, oder bekommen Sie Angebote?
Sophie Zeitz: Ich bekomme Angebote, und die kann ich dann annehmen oder ablehnen. Inzwischen – ich arbeite seit zehn, fünfzehn Jahren in dem Bereich – wissen die Lektoren oft schon, was gut zu mir passt. Deshalb bekomme ich zum Glück meistens Bücher, die ich sehr gerne mag.
BS: Könnte man sich auch um Aufträge bewerben?
Sophie Zeitz: Ja, könnte man machen. Es ist allerdings so: Wenn der Lektor mit einem bestimmten Übersetzer zufrieden ist und kein Grund für einen Wechsel besteht, belässt man es bei der eingespielten Kombination aus Autor und Übersetzer. Denn dann sind Stileigenarten und Erzählstimme schon etabliert. Bei Krimiserien ist es z. B. oft so, dass ich schon genau weiß, wie sich die Polizistin immer verhält und wie ihr Großvater heißt. Auch die ganze Recherche zu manchen Fachbegriffen: Ob es Revier oder Polizeiinspektion heißt, ist nämlich wichtig, damit bei so einer Serie alles aus einem Guss ist. Wenn z. B. die ganze Zeit von Orangensaft gesprochen wird und dann plötzlich von Apfelsinensaft, irritiert das die Leser. Deshalb will man meistens den gleichen Übersetzer für einen Autor – wie bei den Synchronstimmen im Fernsehen auch. Es kann aber auch ein Buch eines Autoren bei einem anderen Verlag erscheinen. Die suchen dann vielleicht jemand anderen. Es kommt auch vor, dass der Übersetzer gerade keine Zeit hat. Dann kann sich jeder darum bewerben.
BS: Wie sind Sie denn zum Übersetzen gekommen?
Sophie Zeitz: Ich habe mich für Sprachen interessiert und habe dann angefangen, Spanisch und Englisch zu studieren. Englisch konnte ich schon, weil ich mit 16 ein Jahr in Amerika war. Spanisch konnte ich noch gar nicht richtig. Ich musste mir immer selber Wort für Wort die spanischen Lehrbücher übersetzen, weil ich sie sonst nicht verstanden hätte. Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich das zu meinem Beruf machen wollte.
BS: Haben Sie feste Arbeitszeiten, oder teilen Sie sich das selbst ein?
Sophie Zeitz: Also, bis vor drei Jahren war ich sehr frei. Ich habe dann manchmal später angefangen und dann bis abends gearbeitet. Oder früh angefangen und früh aufgehört. Das Schöne ist natürlich, dass man sich auch mal einen Tag freinehmen kann, wenn etwas Wichtiges anliegt, und dafür am Wochenende nacharbeitet. Früher habe ich viel am Wochenende gearbeitet. Aber seit drei Jahren habe ich eine kleine Tochter. Jetzt muss ich mich nach den Kindergartenzeiten richten. Meist fange ich um neun an und arbeite bis um halb vier, wenn ich meine Tochter abhole. Wenn mein Mann die Tochter abholt, kann ich bis halb sechs arbeiten. Man braucht eben Ruhe. Wann immer man Ruhe findet, kann man arbeiten.
BS: Fesseln Sie die Bücher überhaupt noch, wenn Sie immer alles Stück für Stück übersetzen?
Sophie Zeitz: Gute Bücher fesseln mich von Anfang bis Ende. Bei John Green ist es auch so. Ich übersetze immer in einem Rutsch durch. Danach überarbeite ich es noch mehrere Male. Immer wieder muss ich an der gleichen Stelle weinen oder lachen. Bei Krimis ist es so, dass ich an der gleichen Stelle immer wieder Angst bekomme. Ich versetze mich so in die Personen hinein, dass es jedes Mal wieder aufregend ist. Wenn die Bücher fertig übersetzt sind, lese ich sie aber nie wieder. Dann habe ich genug.
BS: Lesen Sie auch gerne in Ihrer Freizeit?
Sophie Zeitz: Ja, sehr gerne.
BS: Lesen Sie eher die deutschen oder die englischen Bücher?
Sophie Zeitz: Ich habe früher immer versucht, die englischen Bücher im Original zu lesen. Jetzt habe ich festgestellt, dass ich auch sehr gerne Übersetzungen lese. Ich finde, eine gute Übersetzung ist auch ein großes Lesevergnügen. Die deutsche Sprache ist eine schöne Sprache. Und wenn ich spät abends lese, fällt es mir manchmal auch leichter, das Deutsche zu lesen. Beim Englischen schlafe ich schneller ein.
BS: Kommt es vor, dass Sie mit jemandem gemeinsam übersetzen? Wie läuft das in so einem Fall ab? Fällt es schwerer oder leichter?
Sophie Zeitz: Ich habe verschiedene Erfahrungen gemacht. Einmal war Zeitnot, und ich habe versucht, mit einem nicht sehr erfahrenen Übersetzer zusammen zu übersetzen. Das war schwierig, weil jeder seine Sprache durchsetzen wollte. Ein anderes Mal war es eine Bekannte von mir, die eine sehr gute, sehr professionelle Übersetzerin ist. Mit ihr habe ich mich zusammengesetzt. Ich habe die erste Hälfte des Buches übersetzt und sie die zweite. Wir haben uns ausgetauscht, gegenseitig quergelesen und korrigiert. Das hat sehr gut geklappt. Bei vielen Worten ist es super, wenn man zu zweit über sie nachdenkt und wenn man sich gegenseitig sagen und darüber entscheiden kann, was besser klingt. Zu zweit hat man mehr Ideen. Wenn man einen guten Übersetzer an seiner Seite hat, macht das gemeinsame Übersetzen Spaß und bringt einen weiter.
BS: Hegen Sie sonst auch viel Kontakt zu englischsprachigen Menschen, sodass Sie vielleicht einmal Muttersprachler fragen können?
Sophie Zeitz: Ja. Ich lebe in Berlin, und in Berlin ist es schön, weil so viele Amerikaner, Engländer, Italiener usw. hier leben. Das ist wichtig für mich. Denn beim Übersetzen muss ich immer genau wissen, welches Wort im Englischen ganz geläufig und welches eine Ausnahme ist. Ich habe keine Hemmungen, Wörter nachzuschlagen - auch Wörter die mir eigentlich geläufig sind -, um auf neue Ideen zu kommen. Aber beim Nachschlagen finde ich nicht immer heraus, ob es ein ungewöhnliches oder ein gewöhnliches Wort ist. Dann frage ich bei Muttersprachlern nach, wie das gemeint ist oder wie das klingt.
BS: „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ ist von der Jugendjury für den Jugendliteraturpreis nominiert worden. Macht Sie das in gewisser Weise stolz?
Sophie Zeitz: Sehr stolz. Ich finde das ganz toll und freue mich riesig, weil ich das Buch eben auch besonders mag. Das ist ein toller, riesiger Preis und eine riesige Ehre.
BS: Haben Sie ein Lieblingsbuch von John Green, nachdem Sie jetzt alle übersetzt haben?
Sophie Zeitz: Eigentlich mochte ich alle Bücher von John Green. Eines hatte mit mathematischen Formeln zu tun. Das hat mir Spaß gemacht. Und „Margos Spuren“ (im Original: „Papertowns“) hatte mit vielen Literaturzitaten zu tun, das fand ich auch toll. Aber besonders ans Herz gewachsen sind mir „Eine wie Alaska“ (im Original: „Looking for Alaska“) und eben „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ mit Hazel und Augustus – die Figuren gehen mir so nahe.
BS: Wenn Sie jetzt noch mal auf Ihr Studium zurückblicken und dass Sie dann Übersetzerin geworden sind: Würden Sie das wieder so machen? Oder würden Sie bei einer zweiten Chance gerne etwas anderes ausprobieren?
Sophie Zeitz: Ich glaube, ich würde es wieder genauso machen. Ich bin so glücklich in meinem Beruf, und alles ist immer wieder neu. Jedes Buch ist eine neue Welt. Es macht Spaß. Es ist nicht besonders gut bezahlt, aber es hat sich etwas getan bei den Vermarktungsrechten. Mittlerweile ist es so, dass der Übersetzer ein bisschen beteiligt wird. Wenn sich ein Buch also gut verkauft, dann hat auch der Übersetzer etwas davon. Ich habe das Glück, dass ich auch erfolgreiche Bücher wie die von John Green übersetzt habe. Das hilft dann, ein normales Einkommen zu verdienen. Wenn man das nicht hat, ist es ganz schön schwer, als Übersetzer zu überleben. Da ich aber Glück hatte, würde ich alles wieder genauso machen.
BS: Wie gingen denn ihre Familie und Freunde damit um, als Sie sich die Zeit noch freier eingeteilt haben? War es schwer, sich zu verabreden, oder war es damals eher besonders leicht, Termine zu finden?
Sophie Zeitz: Eigentlich war es besonders leicht. Ich konnte mir das selbst einteilen. Alle anderen hatten weniger Freiheit als ich. Meine Mutter fand es toll: Sie musste nur sagen, wann ich sie besuchen sollte, und dann konnte ich das tun. Inzwischen ist es umgekehrt. Jetzt muss ich ihr sagen: Wenn kindergartenfrei ist, kommen wir zu Besuch – und wenn nicht, dann nicht.
BS: Dann hat Ihnen das freiere Arbeiten also besser gefallen?
Sophie Zeitz: Ich bin so glücklich über mein Kind, dass das alles aufwiegt. Ich muss aber sagen, dass ich meinen Ehemann ohne meine damalige freie Zeiteinteilung wahrscheinlich nicht kennengelernt hätte. Wir haben uns in New York getroffen. Damals konnte ich dann immer drei Monate in New York leben und meinen Computer mitnehmen. Er kam dann nach Berlin, weil er auch freischaffend ist. Das hätte natürlich nie funktioniert, wenn er Arzt und ich Anwältin oder Lektorin im Verlag gewesen wäre. Wir hätten 28 Urlaubstage im Jahr gehabt, und die hätte man dann so einrichten müssen, dass man sich öfter sieht. So lernt man sich über die weite Entfernung nicht richtig kennen. Wir haben dann drei Jahre lang immer abwechselnd in New York und Berlin gelebt. Ich verdanke eigentlich meinem freien Arbeiten meine ganze Familie.
BS: Wie lange haben Sie denn im Schnitt Zeit, ein Buch zu übersetzen?
Sophie Zeitz: Im Schnitt drei Monate. Aber es gibt Unterschiede. Das hängt auch davon ab, wie lang ein Buch ist, oder wie schwer es zu übersetzen ist. Aber generell versuche ich, nie länger als drei Monate auf ein Buch zu verwenden.
BS: Haben Sie denn Abgabetermine?
Sophie Zeitz: Ja. Das ist immer so.
BS: Mussten Sie diesen Termin schon einmal verschieben, weil Sie es nicht geschafft haben?
Sophie Zeitz: Ich glaube, es ist ein oder zwei Mal passiert, dass ich eine Woche später abgegeben habe. Eine Woche ist allerdings nicht so schlimm bei drei Monaten. Ich achte aber sehr darauf, dass meine Arbeit pünktlich fertig wird. Denn im Verlag kommen danach noch viele Arbeitsgänge. Ein Verlag ist ja ein richtig großer Apparat und kaum flexibel. Ich habe nach dem Studium auch ein paar Jahre in einem Verlag gearbeitet und weiß deswegen, wie schwierig es wird, wenn jemand die Termine nicht einhält. Deshalb lege ich großen Wert darauf, pünktlich zu sein. Dann muss man manchmal auch mal eine Nacht durcharbeiten.
BS: Haben Sie auch schon mal gleichzeitig an zwei Büchern gearbeitet, oder machen Sie das überhaupt nicht?
Sophie Zeitz: Das mache ich ab und zu. Es ist meistens so, dass sich die letzten Seiten von dem einen mit den ersten Seiten von einem anderen Buch überschneiden. Das tut ganz gut, weil das Abwechslung bringt.
BS: Das heißt, Sie fangen kein neues Buch an, wenn Sie mal nicht weiterkommen?
Sophie Zeitz: Wenn ich mit einem Buch nicht weiterkomme, habe ich ein bisschen Angst, dass ich nach einem Wechsel gar nicht mehr an dem ersten Buch weiterarbeiten will. Aber wenn ich das Ende eines Buches absehen kann, kann ich schon mal ein neues anfangen. Aber wenn man ständig wechselt, verliert man den Faden – und das wäre schrecklich.
BS: Hatten Sie auch schon mal „Übersetzungsblockaden“? Wie konnten Sie die überwinden?
Sophie Zeitz: Der große Vorteil gegenüber Autoren ist, dass ich nie so eine richtige Blockade habe. Denn ich kann mich immer am Original festhalten. Das ist wichtig, weil es Tage gibt, an denen man schlecht geschlafen hat oder irgendwie viele andere Sachen auf einen einprasseln. Da kommt nicht viel aus einem raus. Dann ist es toll, wenn man sich an etwas entlanghangeln und trotzdem einen produktiven Tag haben kann. Es gibt immer wieder Worte, bei denen ich es nicht schaffe, innerhalb von einer Stunde oder einem halben Tag eine stimmige Übersetzung zu finden. Ich mache mir dann immer kleine Zeichen – ich arbeite am Computer, da kann man Kommentare an die Seite setzen. Das Schöne dabei: Ich arbeite weiter, und das Problem brütet im Hinterkopf weiter. Darauf kann ich immer wieder zurückkommen, und das hilft. So habe ich bis jetzt jedes einzelne Problem gelöst – einfach nur mit Zeit, Überblick und Nachfragen. Ich frage viele Leute, was sie zu einer Übersetzung sagen würden.
BS: Was hat für Sie eine blaue Seite?
Sophie Zeitz: Ich muss dann ans Meer denken. Das Meer ist die blaue Seite der Erde. Es gibt nichts Schöneres, als wenigstens einmal im Jahr am Meer zu sein. Wegzugucken von dem ganzen Wirbel und aufs Meer zu schauen. Das ist dann die blaue Seite – alles, wo man reinträumen und seinen Gefühle und seiner Fantasie freien Laufen lassen kann.
BS: Wenn Sie mal ans Meer wollen, können Sie ja auch nach Lübeck kommen, da ist auch Meer. Vielen Dank für das Interview.
Sophie Zeitz: Sehr gerne. Danke euch.