Interview

Interview mit Susan Kreller

Während der Leipziger Buchmesse 2012 interviewte Freya von der Blauen  Seite die Autorin Susan Kreller. Wenige Wochen zuvor war ihr erstes Buch  „Elefanten sieht man nicht“ erschienen.

Die Blaue Seite: Waren Sie schon einmal auf der Leipziger Buchmesse?

Susan Kreller: Ja, gefühlt war ich schon 200.000mal hier. Ich komme  fast jedes Jahr. Früher habe ich auch in Leipzig gelebt. Aber ich war  eher in meiner Eigenschaft als Rezensentin hier. Normalerweise mache ich  viel mit Kinder- und Jugendliteratur. Ich schreibe Gutachten  und Rezensionen, aber ich lektoriere auch. Daher bin ich eigentlich  immer bei der Leipziger Buchmesse. Ich bin auch hier, um Menschen zu  sehen und zu treffen.

BS: Wie fühlt es sich an, das erste Mal ein eigenes Buch in den Händen zu halten?

Susan Kreller: „Elefanten sieht man nicht“ ist vor vier Wochen  erschienen. Es fühlt sich sehr gut an, aber ich bin auch noch ein  bisschen verwirrt. Das ist etwas ganz Neues. Ich habe in den letzten  Jahren viele kurze Erzählungen in Anthologien oder Zeitschriften  veröffentlicht, aber so ein ganzes Buch ist schon etwas anderes. Ich  habe plötzlich Verantwortung, aber auch etwas Angst. Aber das hat wohl  jeder, wenn man plötzlich so ausgeliefert ist: Jeder darf alles zu  meiner Arbeit sagen.

BS: Was war die erste Idee für „Elefanten sieht man nicht“?

Susan Kreller: Es ging damit los, dass ich diese ganzen schlimmen  Artikel über die Kindesmisshandlungen nicht mehr aushalten konnte.  Gerade der Fall „Jessica“ in Hamburg, bei dem das kleine Mädchen  verhungert ist, hat mich sehr bewegt. Es gab in der Vergangenheit so  viele Vorkommnisse, die mit Namen verbunden waren und ich konnte das  irgendwie nicht ertragen. Immer war da der Gedanke: „Die Kinder waren  ganz allein. Die hatten einfach niemanden.“ Aber dann hatte ich auch den  anderen Gedanken: „Was hätte ich denn getan? Wie kann man überhaupt das  Richtige tun? Es ist so schwierig, da überhaupt irgendetwas zu  unternehmen.“ Diese zwei Gedanken kamen dann zusammen. Ich weiß wirklich  nicht mehr, wie ich auf die Geschichte kam. Ideen kommen bei mir in  „magischen Momenten“. Ich lebe ganz lange damit, fast wie in einer  Parallelwelt, und dann werden aus meinen Gedanken konkrete Pläne.

BS: Das findet sich ja in Teilen auch in Ihrem Roman wieder.

Susan Kreller: Genau. Gerade in einer Siedlung, in der es so wichtig  ist, gut dazustehen, ist die Ignoranz und die Verleumdung das größte  Problem. Leider wird es so wohl auch immer weitergehen. Das ist auch  eine Sache der Generationen. Die misshandelten Kinder bekommen später  selber Kinder und die Vorfälle werden in der Familie weitergegeben. Ich  komme gerade von einer Lesung in einer sogenannten Brennpunktschule. Es  war so traurig, was ich da zu sehen bekam.

BS: Was ist denn vorgefallen?

Susan Kreller: Viele der Schüler hatten noch nie ein Buch in der Hand  gehalten. Davor hatte ich ein bisschen Angst. Ich habe mir gedacht:  „Das wird diesmal die andere Seite sein.“ Nicht die Seite der „Retter“,  sondern die der Jugendlichen, die häusliche Gewalt kennen. Meine  Begleitung hatte ein ähnliches Gefühl. Sie hat sich während der Lesung  die Schüler genauer angesehen. Manche wurden ganz still. Vielleicht  haben sie sich wiedererkannt. Im Nachhinein gefällt mir dieser Gedanke. Denn wenn  vielleicht nur ein Mensch nach dem Lesen des Buches das Gefühl hat,  auch er ist es wert, gerettet zu werden, mit welchen Mitteln auch immer,  wäre das schon ein Erfolg. Er soll merken, dass es ist nicht richtig  ist, was mit ihm passiert.

BS: Wie sind Sie auf die blaue Hütte gekommen?

Susan Kreller: Meine Grundidee war: Ein Kind entführt zwei andere  Kinder, um sie zu retten. Im Kopf hatte ich schon ewig das Bild von  einem blauen Holzhaus in einem großen Getreidefeld. Irgendwann habe ich  diese zwei Einfälle miteinander verknüpft. Dort werden Max und Julia  festgehalten. Es ist so offensichtlich. Alle sehen es. Es steht genau  neben der Siedlung. Aber niemand merkt, dass dort die Kinder sind.

BS: Wie haben Sie die Charaktere von Max und Julia entwickelt?

Susan Kreller: Ich habe viel über Kinder gelesen, denen Ähnliches  widerfahren ist wie den beiden. Außerdem habe ich mich mit einer Kinder-  und Jugendpsychologin ausgetauscht und sie gefragt, ob die Charaktere  so funktionieren. Julia sollte die Früh-Erwachsene sein, die sich um  ihren Bruder kümmert und ihn ständig beschützen muss. Max ist eine  Person, die mir Leid tut. Bei ihm merkt man richtig, was die  Misshandlungen anrichten. Ich wollte nicht die Grausamkeit zeigen. Eher  wollte ich ihre Folgen schildern. Damit meine ich die sichtbaren  Verletzungen sowie die Art, wie sich die Kinder verhalten.

BS: Was halten Sie von Titel und Cover des Buches?

Susan Kreller: Das Cover ist traumhaft. Der Titel ist nicht von mir.  Mein Titel war „Das Blaue unterm Himmel“. Aber einen Tag vor der Abgabe  des Manuskripts kam ein Film mit einem ähnlichen Titel in die Kinos. Ich  konnte mir keinen Titel mehr überlegen, obwohl ich das sehr gerne  mache. Manche Geschichten schreibe ich nur wegen des Titels (lacht).  Eine Kollegin von mir hat das Buch gelesen und sich einen Titel  überlegt, der zu der Geschichte passt.

 BS: Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?

Susan Kreller: Ich habe schon in der Schule angefangen zu schreiben.  Als ich sechzehn war, haben wir Kurzgeschichten in der Nachkriegszeit  durchgenommen. Das war für mich die Offenbarung. Ich dachte mir: „So  möchtest du auch schreiben. Genau so.“ Für mich war es wichtig weiter zu  schreiben, bis ich meine Stimme gefunden habe. Noch heute suche ich  weiterhin danach. Das wird ein Leben lang dauern. Aber ich habe für mich  entdeckt, dass ich über schwere Themen nicht schwer schreiben möchte.  Viel lieber erzähle ich meine Geschichten nicht pathetisch, sondern  leicht und etwas lakonisch.

RedakteurRedakteur: Freya
FotosFotos: Kim
Nach oben scrollen