Interview mit Susanne Orosz
Bei den 6.Lübecker Jugendbuchtagen interviewte Ilka Bartsch die Autorin von „Spur der Angst“ Susanne Orosz.
Blaue Seite: Wie sind Sie auf die Idee ihres Buches „Spur der Angst“ gekommen?
Susanne Orosz: Ich hatte selbst einen Freund im Wendland, der aus der Anti-AKW-Bewegung kommt und den ich dort oft besucht habe. Dieser hatte tatsächlich ein altes Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert. Als ich dort übernachtet habe, fand ich das immer sehr gruselig. Ich war auch oft im Herbst dort und dann ist es schon so, dass man da nicht tot über dem Zaun hängen möchte. Die Sache ist, dass dieser Freund wirklich so ein Schicksal hatte wie Lynns Vater. Er hat einen Sohn verloren und die Familie war dadurch in einer bestimmten Weise traumatisiert. Das und das Szenario, das ja alljährlich wiederkehrt - die Atomtransporte, die Einlagerung in Gorleben – hat mich inspiriert.
BS: Also waren Sie selbst schon einmal bei diesen Protesten dabei?
Susanne Orosz: Ja, aber das ist schon länger her. Das war zu der Zeit, als ich diesen besagten Freund immer besucht habe. Da war ich dabei und habe mir da auch den Hintern abgefroren. Ich finde das ist eine ganz tolle Arbeit oder ein speziell toller Einsatz von nicht nur jungen Leuten, von Leuten quer durch die Altersklassen, die jedes Jahr hinfahren und etwas unternehmen.
BS: Wie lange haben Sie gebraucht um „Spur der Angst“ zu schreiben?
Susanne Orosz: Ungefähr ein dreiviertel Jahr. Nun kannte ich aber schon viele der Motive, ich musste nicht extra noch hinfahren und recherchieren. Vieles war gleich präsent. Ich wusste, wie es da aussieht und welche Bilder in den Zimmern hängen.
Ist das generell ihre Arbeitsweise, dass Sie etwas an eigene Erlebnisse anknüpfen?
Das ist unterschiedlich. Im Fall „Spur der Angst“ war es zum Großteil so. In „Wächter des Schlafs“ weniger, weil das eine zu obskure Geschichte mit phantastischen Elementen ist.
BS: Haben Sie für einen der Charaktere eine besondere Abneigung oder Zuneigung entwickelt?
Susanne Orosz: Ich mag alle, es gibt ja keinen absolut Bösen. Sie haben alle ihre Geschichte und diese Geschichte hat die Charaktere irgendwie auch deformiert. Ich denke, das Spannende beim Schreiben ist auch, dass ich mich in negative Charaktere hineinversetze, auch wenn es Mörder sind, wie zum Beispiel in „Wächter des Schlafs“. Das ist kein richtiger Lustmörder, eher ein stark traumatisierter Mensch, der getrieben wird. Diese böse Seite, die man so in sich hat, in der Phantasie auszuleben, finde ich reizvoll. Sonst gäbe es ja auch keine Schauspieler, die gern böse Rollen spielen.
Warum schreiben Sie nur für Jugendliche und Kinder und nicht für Erwachsene?
Mir ist noch kein Stoff eingefallen, der ausschließlich Erwachsene interessieren könnte. Vielleicht ist es auch so, dass ich zu meiner Kinder- oder Jugendseele am meisten Zugang finde.
BS: Wobei dieses Buch ja schon an der Grenze ist. Könnte man sich Lynn nicht einfach zehn Jahre älter vorstellen?
Susanne Orosz: Das wäre möglich. Aber mir fallen als Figuren eben eher Jugendliche ein, die diese Welt erobern und ihre Grenzen ausdehnen. Mich interessieren Leute, die sich selbst entdecken und bestimmte Bereiche der Welt für sich beanspruchen.
BS: Warum schreiben Sie also lieber Thriller und Krimis?
Susanne Orosz: Das fällt mir irgendwie leichter. Ich habe jetzt zwei Thriller geschrieben und ich habe das sehr genossen. Ich mag das Medium, weil es darin um Angst geht und ich glaube Angst ist in unserer Gesellschaft ein sehr zentrales Thema. Wenn man sich mal überlegt, was alles aus Angst passiert. Aus Angst geschehen die meisten Dinge und mit Figuren, die Angst haben, lässt sich spannend erzählen. Spannung ist mir wichtig beim Schreiben. Ich liebe es auch, ein Buch zu nehmen und es von Anfang bis Ende in einem Rutsch durchzulesen.
BS: Haben Sie bevor Sie anfangen zu schreiben irgendeinen Plan oder lassen Sie sich von spontanen Einfällen leiten?
Susanne Orosz: Ich habe einen Plan. Erst mal habe ich eine ungefähre Vorstellung, welche Szenen wo spielen. Beim Thriller sind die Handlungsorte sehr wichtig, weil die immer ein bisschen gruselig sein müssen. Dann überlege ich mir genau, welche Figuren was machen, welche Nebenfiguren mitspielen, wie die Geschichte der Nebenfiguren ist und so weiter. Und dann fange ich an zu schreiben und im Moment des Schreibens lasse ich meine Pläne wieder fallen. Sonst hätte ich nicht ja nicht mehr die Möglichkeit, etwas Spontanes mit reinzubringen. So viel Platz sollte aber immer sein. Das ist also so eine Art grobmaschiges Netz, das ich mir da häkle und beim Schreiben kommen noch ungeplante Sachen dazwischen.
BS: Wollten Sie schon immer Schriftstellerin werden oder, was Sie vorher gemacht haben, Journalistin?
Susanne Orosz: Ich wollte überhaupt nicht Schriftstellerin werden. Es gab in meiner Familie nur sehr wenige Bücher. Deshalb bin ich auch immer ganz beeindruckt von schreibenden Menschen, die erzählen: „Ich habe meinen ersten Ionesco mit zehn Jahren gelesen.“, oder „ich kenn die ganze Lindgren-Reihe auswendig.“ Bei mir war das nicht so. Aber was ich sehr gerne gemacht habe war Fernsehen zu gucken, soweit das möglich war. Ich habe dann immer bei Fernsehserien die kommenden Folgen im Voraus erfunden. Ich wollte nicht so lange warten bis die nächste Folge kam. Außerdem musste ich auch immer sehr viel Hausarbeit machen und um dieses Schicksal ein bisschen zu mildern, habe ich mir dabei Geschichten ausgedacht. Komischerweise habe ich lange nicht daran gedacht, aus dem Geschichten erfinden einen Beruf zu machen und Drehbücher und später Jugendbücher zu schreiben.
BS: Schreiben Sie lieber Drehbücher oder „normale“ Bücher?
Susanne Orosz: Bücher schreibe ich lieber. Bei Drehbüchern ist das so, dass der Sender ganz genau festlegt, was in den Drehbüchern vorkommen soll. Es reden ganz viele Leute mit: Die Leute aus der Filmproduktion und die Leute beim Fernsehender. Die bilden ihre Meinung durch Quoten und das bedeutet für Autoren oftmals Malen nach Zahlen. Ich glaube, dass man als Drehbuchautor nur überleben kann, wenn man für Serien schreibt.
BS: Beeinflusst das Ihre Schreibweise bei den Romanen, dass sie auch Drehbücher für Filme schreiben?
Susanne Orosz: Ja! Ich liebe Dialoge, das hat man bei der Lesung wahrscheinlich gemerkt. Ich liebe es auch, zu beobachten, wie Menschen durch ganz kleine Handlungen, wie sie z.B. eine Zigarette halten oder einen Regenschirm aufspannen, ausdrücken, was sie fühlen. Das zu beobachten, lernt man beim Drehbuch schreiben. Man sieht ja den Film beim Schreiben schon vor seinem eigenen geistigen Auge und das beeinflusst ganz stark das Dialogische und das Szenische. Diese „Methode“ wende ich auch beim Bücher schreiben an. Was ich beim Spielfilm schreiben ebenfalls gelernt habe ist, mit Spannung umzugehen. Ich übernehme viel Spielfilmdramaturgie für meine Romane.
BS: Was machen Sie, wenn Sie gerade nicht schreiben?
Susanne Orosz: Da beschäftige ich mich damit, einen Garten anzulegen. Ich wohne seit kurzem in einem Wohnprojekt in der Nähe von Ahrensburg und da habe ich 150 m2 Gartenfläche, die ich zusammen mit meiner Lebensgefährtin bepflanze. Es gibt dort auch jede Menge Kinder, das Zielpublikum ist also in direkter Nähe. Neben der Gartenarbeit laufe ich viel - bin auch schon mal einen Marathon gelaufen.
BS: Sie sagten ja, es leben viele Kinder in ihrer Nachbarschaft. Lesen diese Ihre Bücher auch mal Probe?
Susanne Orosz: Ich schreibe gerade ein Buch für Vorschulkinder. Das sind viele kleine Geschichten über Lebensmittel. Das werde ich auf jeden Fall testlesen lassen. Ich möchte sehr gerne eine Kinder-Crew zusammenstellen, denen ich öfters was zur Probe vorlese.
BS: Was sind Ihre Lieblingsbücher oder Autoren?
Susanne Orosz: Das wechselt ständig. Aber ich empfinde Kirsten Boie als Leitbild für mich, weil sie sehr vielschichtig ist, auch den Grenzbereich zur erwachsenen Literatur überschreitet. Und ich habe gerade eine Autorin für mich neu entdeckt: Eva Ibbotson. Ihr Buch „The Star of Kazan“ ist eines der großartigsten Bücher, die mir in den letzten Jahren untergekommen sind. Ich lese allgemein sehr viele Kinder-und Jugendbücher.
BS: Wie hat Ihnen die Arbeit hier bei den Jugendbuchtagen gefallen?
Susanne Orosz: Davon war ich wirklich sehr beeindruckt und begeistert. Erst mal vom Engagement mit dem die Jugendlichen arbeiten und das alles hier zustande kriegen. Und dann von diesen wunderschönen Räumen und davon, wie es euch gelingt, sie mit solch einer Magie zu füllen. Dafür möchte ich euch wirklich gratulieren.
BS: Was hat für Sie eine Blaue Seite?
Susanne Orosz: Ein Buch mit Gute-Nacht-Geschichten hat für mich eine blaue Seite.