Interview mit Tobias Elsäßer
Daria Hartmann hat auf der Leipziger Buchmesse den Autor Tobias Elsäßer zu seinem neuen Buch "Für niemand" interviewt.
Blaue Seite: Wie bist Du überhaupt darauf gekommen, etwa über Selbstmord zu schreiben?
Thorsten Elsäßer: Ich bin auf die Thematik gekommen, weil ich viele Workshops gebe. In solchen Workshops werden die immer offener in den Texten, die sie schreiben und ich hatte wirklich viele Fälle, wo auch Jugendliche Sinntexte geschrieben haben, also über den Sinn des Lebens und dann auch zwangsläufig auf die Frage gekommen sind: Lohnt es sich denn überhaupt zu leben? Was ist die letzte Option, die einem bleibt, wenn man keinen Ausweg mehr sieht? Bei den ganzen Workshops ist Selbstmord ein Thema, auch wenn seltsamerweise in unserer Gesellschaft nicht offen darüber gesprochen wird. Ich finde, es gibt ganz wenige Momente – wie zum Beispiel damals den Selbstmord von Robert Enke – wo plötzlich über Selbstmord in den Medien gesprochen wird. Da hieß es auch, man will dieses Thema offener machen, damit man solche Fälle verhindern kann. Das ist auch meine Meinung. Wenn man darüber redet, kann man meines Erachtens fast jeden davon abbringen sich umzubringen. Ich glaube aber nicht, dass es funktioniert hat. Ich merke es jetzt auch an den Reaktionen in der Lesung. Die Leute sind sehr betroffen und anstatt zu diskutieren, gehen sie auseinander und schauen im nächsten Moment nach Zerstreuung.
BS: Der Erzählstil unterscheidet sich von dem in Deinen anderen Romanen erheblich. Vor allem sind dabei der Perspektivenwechsel und der häufige Gebrauch von Ellipsen zu nennen. Stand da eine bestimme Absicht dahinter?
Thorsten Elsäßer: Ich wollte, dass alles in hoher Geschwindigkeit abläuft, und habe dann überlegt, wie man die höchste Geschwindigkeit beim Leser erzeugen kann. Das Buch ist ja nicht chronologisch erzählt und es verrät auch erst am Ende, wie alles sich auflöst. Es hat manchmal solche Berührungspunkte wie die Adoptiveltern oder wie auch den S-Bahnführer, aber ich wollte eigentlich, dass man das auch teilweise in Höchstgeschwindigkeit drüber liest, weil ich mir sicher bin, dass man die zentrale Aussage, die dahintersteht, am Ende kapiert. Die größte Angst von mir war, dass der Leser am Ende denkt:Was habe ich denn jetzt mit diesen blöden Adoptiveltern zu tun? Was ist denn das jetzt für ein doofes Kapitel? . Deshalb wollte ich wirklich eine hohe Geschwindigkeit haben, damit es sich am Ende im Kopf zusammenbaut und man erkennt: Das ist jetzt also das Ganze. Dies war also immer der Gedanke bei dem Ganzen, weil ich wirklich die Befürchtung hatte, dass man die Leute aus dem Lesefluss rauswirft, wenn man dann die Vergangenheitsform verwendet, zu viel beschreibt oder die Sätze zu lang macht. Der Rhythmus war für mich ganz schnell. So schnell wie unsere Zeit auch ist, irgendwie.
BS: Persönlich fand ich das Buch streckenweise sehr deprimierend, in die Richtungen gehen ja auch die Reaktionen vom Publikum. War es das, was Du bewirken wolltest?
Thorsten Elsäßer: Ich muss dazu ganz klar sagen, dass, wenn ich Bücher schreibe, ich sie nicht unbedingt mit dem Hintergedanken einer Moral schreibe. Dafür mag ich die Jugendliteratur dann auch teilweise nicht, weil ich finde, dass immer noch zu sehr nach Moral und nach Pädagogik gefragt wird. Das ist generell das, was mich an der Jugendliteratur dann manchmal auch stört. Ein Buch ist eine Geschichte und vorallererst ist es eine Geschichte, die auch spannend sein soll. Ich möchte eigentlich, dass der Leser das Buch liest und eine Geschichte hat, die er interessant findet. Ich denke jetzt nicht daran, ob ich will, dass die Moral mitschwingt, dass die beiden sich umbringen können, weil es für sie keinen anderen Ausweg gibt und die eine hat es ohnehin nicht ernst gemeint. Das liegt mir fern. Ich schreibe meine Bücher ohnehin nicht mit einem Plan vorne weg, sondern ich schreibe sie einfach so, wie es mir in den Sinn kommt, nacheinander und da spiegelt sich natürlich unter anderem auch meine eigene Stimmung manchmal in so einem Buch wieder. Das heißt aber nicht, dass ich von Anfang an denke: Aber am Ende des Buches brauche ich jetzt ein Happy End, weil ich mit denen auf jeden Fall mit der Faust sagen möchte – mit der Faust aufs Auge – ihr braucht ein Happy End und es lohnt sich zu leben. Es ist mir wichtig, dass ich meine Figuren ernst nehme und sie ernst zu nehmen bedeutet auch manchmal sie – sozusagen - sterben zu lassen.
BS: Hast Du dann Recherche betrieben, um das noch anschaulicher und so wirklich wie möglich darzustellen?
Thorsten Elsäßer: Das meiste an Recherche hat im Internet stattgefunden und ich habe auch paar jugendliche Probeleser gehabt. Die haben mir zum Beispiel erzählt, was ihnen in Chatrooms begegnet und passiert ist. Für mich ist das Schockierendste bei dem Thema immer, dass es im Internet unglaublich viele Foren gibt, in denen das Thema Suizid eine Rolle spielt, aber dass man wenig wirkliche Hilfe findet, sondern oft in einer Art über dieses Thema gesprochen wird, bei der man am besten nur noch gleich eine Email schickt, wie er es tun soll. Man stachelt sich an und man weiß ja auch nicht, wie ernst die Leute es am anderen Ende meinen. Internet ist für mich mittlerweile wirklich wie eine zweite Welt. Das war auch das Spannendste an der Geschichte. Wer steckt hinter dem Pseudonym? Was ist der wahre Mensch dahinter? Was ist die Sprache, die er im Internetchat benutzt und was ist die Realität? Was ist die wahre Figur, die im Alltag bestehen muss?
Ich fand das auch sehr spannend herauszufinden, wer wer ist, weil das ja nicht von Anfang an gegeben ist. Aber nochmal um auf das Thema Internet zu sprechen zu kommen, ich denke, es holt manchmal das Schlimmste im Menschen heraus.
Ich glaube das auch. Ich finde, das Internet ist wirklich eine Schattenwelt. Da gibt es ein wunderbares Sprichwort. Ich habe zwar jetzt vergessen, von wem genau es ist, aber mir hat das auf jeden Fall ein Journalist letztens beim Interview gesagt. Ich bin gar kein Freund von Sprichworten, aber das fand ich sehr schön:Gib einem Menschen eine Maske und er zeigt dir sein wahres Gesicht. Das Internet als Maske zu verstehen, finde ich, passt total gut als Metapher, weil ich glaube, dass es wirklich so ist. Menschen leben teilweise ihre andere Seite im Internet aus. Eine Seite, die sie niemals im Alltag zeigen würden. Das ist eigentlich schockierend und faszinierend zugleich.
BS: Gab es Stellen im Buch, die für Dich schwierig waren zu schreiben?
Thorsten Elsäßer: Es gab viele Stellen, vor allem am Ende, als mir klar wurde, welches Schicksal alle drei ereilen würde – also wer sterben wird. Das war für mich schon irgendwie schwierig, weil mir die Figuren schon ans Herz wachsen. Mit Nidal und Marie habe ich schon mitgelitten. Das mache ich eigentlich immer und dann fand ich es schon schwierig, trotzdem zu sagen: Aber für mich ist es die logische Konsequenz, dass die Geschichte so ausgehen muss. Also ich glaube, dass manche Leute bestimmt gerne ein anderes Ende gehabt hätten, aber ich kann ihnen nur dieses ehrliche Ende bieten oder besser zu sagen, was ich für ehrlich halte. Es ist nur immer eine Option.
BS: Warum sollte man dieses Buch auf jeden Fall lesen?
Thorsten Elsäßer: Ich glaube, weil es einen anstacheln kann, sich mal Gedanken zu machen, was in der Welt passiert und auch, sich für den anderen zu interessieren. Ich finde, dass man durch Facebook & Co denkt , dass man sich für den anderen interessiert und mit ihm verbunden ist, aber ich glaube, dass die Zahl der Freunde und der Leute, die man wirklich kennt, genauso groß ist wie vor 50 Jahren. Das sind wahrscheinlich wirklich nur 2 oder 3 Menschen. Ich habe immer mehr Angst, dass man so ein bisschen die Eigenschaft verliert, als Mensch auf den anderen einzugehen und ihm zuzuhören - länger als ein Chatprotokoll - und wirklich zu hinterfragen, wie es ihm geht, und das nicht nur als Floskel von sich zu geben.
BS: Wie bist Du überhaupt zum Schreiben gekommen?
Thorsten Elsäßer: Zum Schreiben bin ich durch Zufall gekommen. Ich wollte nie Bücher schreiben. In deinem Alter habe ich auch nicht viel gelesen und nur Sport gemacht. Zum Schreiben bin ich wirklich deshalb gekommen, weil ich mich beim Handballspielen verletzt habe. Musik habe ich schon immer gemacht und dann habe ich die Bücher für mich entdeckt und angefangen zu lesen. Wenn man normalerweise schreiben will, braucht man auch eine Geschichte, die man erzählen will und die erste Geschichte, die ich zu erzählen hatte war die peinliche Episode meiner Boyband. Ich war mal vor etwa 15 oder 16 Jahren in einer Boygroup. Diese peinliche Geschichte war das erste, was ich aufgeschrieben habe. Das war mehr so ein Bericht. Als ich aber das Buch geschrieben habe, habe ich bemerkt: Schreiben ist ja voll cool. Dann kam das zweite, Für Niemand ist das fünfte und jetzt kann ich mir kaum noch was anderes vorstellen. Ich komme aus keinem Haushalt, in dem das Buch eine große Rolle gespielt hat. Bei uns Zuhause hat Geld eine viel größere Rolle gespielt als Kunst oder so etwas. Deswegen glaube ich habe ich erst später den Zugang zur Literatur gefunden. Für mich beinhaltet das Schreiben auch viel Arbeit auf sprachlicher Ebene. Ich versuche jedes Buch anders zu erzählen und versuche, dass auch mir sprachlich wirklich Mühe zu geben und nicht zu sagen: Jetzt habe ich das eine Buch in diesem Stil so geschrieben und jetzt bleibe ich mir treu. Ich finde, dass ist manchmal eher eine Ausrede und schaue deswegen auch, was man für einen Stil braucht. Ich finde Sprachen ungeheuer interessant. Vielleicht liegt es auch daran, dass meine Mutter Französin ist und dass ich einfach auch diese Sprache kenne. Diese Vermischung beider Sprachen hat dann in der Grundschule zu einer 5 in Deutsch geführt.
BS: Hast du in diesem Zusammenhang vielleicht auch noch ein paar Tipps für junge Autoren?
Thorsten Elsäßer: Fangt mit Kurzgeschichten an, das ist mein erster Tipp und seid nicht so kritisch mit dem, was ihr tut. Schreibt lieber erst mal 20 Seiten, bevor ihr die erste Seite korrigiert. Ich habe viele Workshops auch mit Erwachsenen und die sagen nämlich, dass sie eine tolle erste Seite oder einen tollen ersten Satz haben. Die Problematik an solchen tollen ersten Seiten ist, dass einfach der Rest fehlt. Deswegen lieber mal eine schlechte Geschichte über 10 Seiten, die aber schon eine zusammenhängende, geschlossene Geschichte ist oder auch eine längere, dann hat man was. Wenn man sich immer nur am ersten Satz aufhält oder der ersten Seite, dann entsteht kein Buch daraus. Man sollte auch das Schreiben nicht gleich versuchen, als Beruf bzw. Berufswunsch zu betrachten, sondern sich vielleicht erst die Zeit nehmen, nach seiner eigenen Stimme zu suchen und sich auch nicht wie hier auf der Messe zu orientierten. Man sieht, dass im Jugendbereich gerade zum Beispiel Romantik immer noch sehr beliebt oder genau eine Mischung aus Fantasy und romantischer Liebesgeschichte ist gerade unglaublich über allem. Das ist einfach nur ein Trend. Man sollte wirklich versuchen, seinen eigenen Stil zu finden und die Geschichte, die man erzählen will.
BS: Kommst Du privat überhaupt noch zum Lesen?
Thorsten Elsäßer: Na klar. Ein Autor der nicht liest, das wäre ja schlimm. Ich lese alles querbeet außer Fantasy. Ich hab mit Fantasy noch nie was am Hut gehabt und ich mag oft realistische Bücher, die auch einen gewissen Zynismus haben und an den Tag legen. Das finde ich ganz schön, aber ich kann mich nicht auf nur einen Autoren festlegen. Auf meiner Homepage steht zwar was - man schreibt da mal was drauf-, aber ich merke, dass es wirklich so wahnsinnig viele Bücher gibt. Das sieht man dann auch auf den Buchmessen und da wird mir klar, dass es fast ungerecht wäre, sich auf einen Autor festzulegen. Ich denke manchmal, die tollsten Bücher der Welt schreibt vielleicht irgendjemand, der in der Südsee hockt, und keiner kriegt es mit. Es gibt einfach zu viele tolle Sachen.
BS: Zum Abschluss: Was hat eine Blaue Seite für Dich?
Thorsten Elsäßer: Urlaub. Danach sehne ich mich gerade ein bisschen.