Poetry-Walk in der Kunsthalle
Am vorletzten Tag der Ausstellung “Mapping the World - 50 Years of Work” von Matt Mullican sollte die Besuchenden eine Überraschung erwarten. Schon lange vor dem 7. Januar haben sich die Slämmerlämmer, junge Slammer*innen der Lübecker Bücherpiraten, in der Ausstellung umgeschaut und jeweils ein Kunstwerk ausgewählt, zu welchem sie einen Text schrieben. Vor dem jeweiligen Kunstwerk positioniert, trugen sie ihren Text auf Getränkekisten stehend vor. Es hatte eine fast schon magische Wirkung, als die Gäste langsam in die Kunsthalle kamen und aus immer mehr Ecken poetische Wortschnipsel durch die Ausstellung strömten. Eine Atmosphäre, die wir in der sonst so ruhigen und stillen Kunsthalle noch nie erlebt haben. Dabei waren alle ihre Texte vollkommen unterschiedlich. Teilweise erzählten sie eine Geschichte, die sich an dem Kunstwerk orientierte oder fingen wie Jan die Raumwirkung abstrakt ein:
Sie bauten mir ein Gedächtnis;
ich war wie im Fall, wie im Traum
unter ihren Fingerspitzen, ihr Werkzeug gab mir Form und Gestalt, in
heißem Feuer schmiedeten sie wer ich war, gossen Geschichten und Visionen,
lehrten mich Furcht mit schweren Hämmern und
schrieben mir die Stimme eines Vaters mit sanfter Feder,
destillierten Leidenschaft und webten Intelligenz, sie
gaben mir die Kraft die Welt zu verändern und sie
schlugen mich in Fesseln.
und noch immer träume ich.
Von tausend ineinander verschlungenen Maschinen, vom Fluss der Zeit, den Mühlrädern und jeder Mensch nur ein Vektor.
Jan Rahlf
Einige Texte waren minutenlang und rissen die Zuhörenden mit sich, andere waren eher kurz gehalten und lieferten spannende Denkanstöße, wie zum Beispiel der Text von Pauline:
So als wäre das Leben ein
Schachspiel
Mit viel zu harten steinern leblosen
Figuren
Niemand kann
gewinnen
Trotzdem kämpft ein jeder erbittert
weiter
Und denkt nicht einmal daran
aufzugeben
Pauline Bindemann
Im Keller präsentierten Anna und Laura zwischen Computeranimationen und Videoinstallationen ihre Texte, über ein digitales Weiterleben nach dem Tod und die Auseinandersetzung mit sich selbst. Nur eine Treppe weiter begrüßte Luise die hereinströmenden Besucher*innen mit ihrem humorvollen Text über einen Kirchenbesuch mit Liebeskummer. Zwischen Matt Mullicans Lebenswerken auf Bettlaken standen Finja und Lilly und beschrieben auf ganz unterschiedliche Weise Gefühle und Situationen, die uns alle bekannt sind und sich auch in den Werken Mullicans wiederfinden ließen.
Genauso wie die Werke durch ihre Vielfältigkeit imponierten, so taten dies auch die Texte und Vortragsweisen der Slämmerlämmer. Ob laut, dramatisch und wild gestikulierend oder eher still, sanft und mit Flüsterpassagen, die Texte boten den Gästen etliche Ansichten und Interpretationen, die oft zu nachfolgenden Gesprächen führten und Austausch über die Kunst belebte das Haus. Die Ausstellung, die 50 Jahre produktivste Arbeit aufzeigt und auf den ein oder anderen sicherlich erst einmal überwältigend gewirkt hat, wurde durch die kreativen Texte der Slämmerlämmer nahbarer.