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Tierleid und kulturelle Aneignung - Sind die Karl-May-Spiele noch zeitgemäß?

Bevor ich diesen kritischen Bericht über die Karl-May Spiele beginne, sollte ich wohl etwas klarstellen: 

Ich bin/war großer Karl May Fan. In meiner Kindheit habe ich etliche Bücher über Winnetou, Old Shatterhand/Kara ben Nemsi und viele mehr gelesen. “Indianer und Cowboy” war ein gängiges Spiel und ich besaß eine große Kiste voller kleiner Metall- und Plastikfigürchen die Soldaten, Cowboys und indigene Menschen aus dem Wilden Westen darstellen sollten. In meiner Familie ist ein jährlicher Besuch bei den Karl-May Festspielen schon längst Tradition. Über viele Jahre hing in meinem Zimmer ein großes Plakat der Aufführung “Der Schatz im Silbersee”. Doch in letzten beiden Jahren, in welchen die Aufführungen aufgrund von Corona entfielen, rückten die Vorwürfe der kulturellen Aneignung immer mehr in meinen Fokus. Deshalb setzte ich mich beim diesjährigen, traditionellen Besuch der Freilichtbühne am Kalkberg mit kritischem Blick ins Publikum. Spoiler: Mir sind noch mehr Dinge aufgefallen, die völlig falsch laufen. Wir sprechen heute über Tierleid, toxische Männlichkeit und, wie angekündigt, über kulturelle Aneignung. 

Schauen wir uns zuallererst einmal die Geschichte der Freilichtbühne am Kalkberg an: 

Bis 1931 wird am Kalkberg Gips abgebaut, denn der Kalkberg besteht entgegen seines Namens nicht aus Kalk, sondern an der Oberfläche aus Gips. Der Kern besteht aus Anhydrit. Doch der Abbau lohnt sich nicht mehr, da der Gips aus Lüneburg qualitativ besser ist. Zurück bleibt eine große Grube. Lange Zeit liegt das Gelände brach. Bis die Nationalsozialisten kommen. Sie wollen in ganz Deutschland 400 sogenannter Thinkstätte für den germanischen Kult errichten. 

Der segeberger Bürgermeister brennt geradezu dafür, den Tagebau in einen Propaganda-Versammlungsplatz zu verwandeln. Es soll einen regelrechten Wettkampf zwischen Haithabu und Segeberg gegeben haben. 1934 beginnt der Bau. Doch es gibt einige Probleme (Die Sitzreihen halten nicht auf Gips, da dieser sich im Regen auflöst, so muss teurer Granit bestellt werden) und es kommen keine versprochenen Zuschüsse aus Berlin, weshalb die Stadt Segeberg dies aus eigener Tasche zahlen muss. Doch 1937 sind die Bauarbeiten beendet. Reichspropagandaminister Goebbels weiht die Arena unter 20.000 Zuschauern ein. Letztendlich wird die Anlage von den Nazis vergleichsweise wenig genutzt. Die Hitlerjugend nutzt sie das ein oder andere Mal für Versammlungen und Fahnenweihen.  Nach ihrem Sieg über die Nationalsozialisten feiern die Briten hier. Danach wird die Freilichtbühne unter anderem als Platz für Sportveranstaltungen genutzt. 1952 steht dann zum ersten Mal Winnetou auf der Freilichtbühne. Damals kostete die teuerste Karte zwei Mark - Heute 34 Euro. 

Dieser düstere Abschnitt in der Geschichte Bad Segebergs ist vielen völlig unbekannt. Und auch der Umgang der Kalkberg Gmbh mit diesem Thema lässt zu wünschen übrig: Zwar gibt es diverse Zeitungsartikel und eine Dokumentation, die online abrufbar sind. Auf den offiziellen Seiten der Firma, habe ich keine Erwähnung gefunden. Sieht nach ziemlich konsequentem Ausblenden und Verstecken aus…

Wenn ihr mehr über die Geschichte vom Freilichttheater erfahren wollt empfehle ich euch diese Dokumentation vom NDR

Es ist ein schönes Gefühl, wenn man im Publikum sitzt und der altbekannte Trompetensound ertönt und das Stück beginnt. Denn ab da darf jeder Zuschauer 2 Stunden lang gefährliche Stunts, humorvolle Comedy-Einlagen und  adrenalingeladene Duelle zwischen Gut und Böse genießen.

Doch Festspiele haben ein ziemlich großes Problem: Sie vermitteln ja grundlegend richtige Werte, wie Freundschaft, Frieden usw. nur leider im völlig falschen Kontext und können sich dabei nicht von Vorurteilen, eines weißen, heterosexuellen Cis-Mannes, aus dem Ende des 19. Jahrhunderts lösen, denn es sind ja immer noch die “Karl May Spiele”. Ein anschauliches Beispiel dafür ist eine Szene aus dem diesjährigen Stück: Alexander Klaws (Schauspieler von Winnetou) steht vor der vollen Tribune ( 11.500 Plätze) und plädiert für Umweltschutz. Ich zitiere sinngemäß: “Wer die Natur vernichtet, tötet am Ende nur sich selbst”. Schöne Botschaft. Nur leider steht Alexander Klaws da im “Indianerkostüm” und redet sehr metaphorisch und grammatikalisch falsch, was wohl den Sprachstil indigener amerkanischer Völker imitieren soll. Unterstrichen wird dieses kleine Plä­do­yer mit einem Schrei (“Huu!” oder so ähnlich, soll auf jeden Fall nach “Indianer” klingen.). All das wirkt ja schonmal ironisch: Sich für Umweltschutz einsetzten, indem man kulturelle aneignung begeht. Doch es wird noch deutlich ironischer, wenn einem bewusst wird, dass die Kalkberg Gmbh. Winnetou und Co. maximal kapitalistisch ausschlachten. Überall auf dem Gelände werden einem Plastikgewehre mit Platzpatronen, Einweg-Federschmuck und Fast-Food aufgedrängt. Aber es wird noch ironischer: Am Ende jeder abendlichen Vorstellung gibt es ein großes Feuerwerk, bei welchem unendlich viel Müll entstehen muss, wenn man bedenkt, dass es ca. 30 Abendvorstellungen mit Feuerwerk gibt. Die Zuschauer scheinen nicht zu realisieren, dass die Tiere die eben noch auf der Bühne waren, nicht weit weg von den meterhohen, bunten Fontänen und lauten Knallen entfernt sein können. Das Feuerwerk am Ende wir leider wohl kaum das schlimmste sein, was sich die Tiere in über 70 Vorstellungen über sich ergehen lassen müssen. Kommen wir zu Punkt 1: 

Tierleid


Die diesjährigen Festspiele werben damit, dass dieses Jahr besonders viele Tiere dabei sind. Unzählige Pferde, zwei Esel, zwei Schafe, zwei Ziegen, elf Gänse und jeweils einen Adler und Falken. Gleichzeitig wird mit den Spezial-Effekten geworben.Feuerfontänen, Schüsse und Explosionen. Bei so manchen Schuss zuckt das Publikum zusammen. Überall sind große Lautsprecher, aus denen die lautesten Knälle ertönen und dann gibt es da noch das lautstark applaudierende Publikum. Fluchttiere, wie Pferd, Esel, Ziege und Schaf haben deutlich bessere Ohren als wir Menschen. Pferden können zwar diverse, gewohnte Geräusche ausblenden - Aber diese Geräusche müssen auch erstmal zur Gewohnheit werden.  

Erschreckend ist da der Fakt, dass Pferden äußerst sensibel auf Stress reagieren und in kürzester Zeit Magengeschwüre entwickeln. Diese Geschwüre wachsen oft in wenigen Tagen stark an und sind in vielen Fällen schlecht bemerkbar. 

Und noch ein recht schrecklicher Fakt, wie ich finde: Die beiden Esel sind Mutter und Sohn. Wobei der kleine “August” erst drei Monate alt ist! In einer Szene blieben die Esel stehen und gingen offensichtlich nicht in die Richtung, in die die Schauspielerin mit ihnen gehen wollte. Ich bin sehr froh, dass nicht versucht wurde die Tiere durch Gewalt (Peitsche o.ä.) zu bewegen, sondern dass man einfach vor Ort stehen geblieben ist, was anscheinend für den weiteren Verlauf der Szene akzeptabel war. Ob es richtig war, die beiden Esel dann voll mit Leckerlies zu stopfen ist fragwürdig.

Abgesehen von den Pferden, dem Falken und dem Adler werden die Tiere für das Stück vom Filmtierland Sickte ausgeliehen (Sie verleihen ihre Tiere unter anderem auch für (Musik-)videos). Der Besitzer vom Filmtierland und ehemaliger Zirkusdirektor sagt:”Unsere Anlage mit den Gehegen und Tierhäusern sieht aus wie ein Zoo”. Den, ansatzweise im Tierschutz bewandelten Menschen lässt das Wort “Zoo” schaudern. 

Dann gibt es da noch die beiden Greifvögel:

Das Sakernfalkenweibchen ist aus einer Eventfalknerei geliehen und der Afrikanische Schreiseeadler kommt von einer Greifvogelstation.

Um Vögel für eine Show einzusetzen, müssen sie vorher (logischerweise) gefügig gemacht werden. Man muss ihren Willen von klein auf brechen und sie auf die Menschen fehlprägen und sie von ihnen abhängig machen, damit sie immer zurückkehren. Um das zu erreichen gibt es viele Möglichkeiten. Die verbreitetste Methode ist allerdings, den Vogel an den Handschuh so festzubinden, dass er nicht wegfliegen kann. So lange, bis er es nicht mehr versucht. Immer wieder. 

Auch die Haltung der Vögel ist höchst bedenklich: Die meiste Zeit werden viele Greifvögel an einen Holzpflock gebunden. 

Es war für mich nicht ersichtlich wie die Greifvögel für die Festspiele gehalten und trainiert werden, doch die aufgeführten Methoden sind, durch ihre weite Verbreitung hier durchaus realistisch und wahrscheinlich. 

Mir ist völlig bewusst, dass man ohne Pferde sehr sehr schlecht Karl May inszenieren kann. ABER: Man kann das Publikum bitten nicht zu applaudieren - Man kann die Explosionen, Brände und Schüsse unterlassen, wenn sich Pferde auf der Bühne befinden - Man kann die Auftritte der Pferde maximal reduzieren und ganz ehrlich: Die Schauspieler von Winnetou und Co können ihre Ehrenrunden unter tosendem Beifall auch zu Fuß und nicht auf dem Pferd drehen. Die Statisten schaffen das schließlich auch!

Und alle anderen Tiere von Gans über Ziege bis Adler sind keine wichtigen Bestandteile des Stückes. Man hätte sie einfach streichen können. Der deutsche Auswandertreck muss nicht unbedingt mit einem halben Bauernhof durch die Gegend stiefeln (Besonders nicht mit einem dreimonatigen Esel Jungen!). Winnetou und Old Shatterhand finden bestimmt auch irgendeine Taktik ihre Fesseln zu lösen, ohne das ein Adler vorbeikommt und diese entzweit. Ein verstecktes Messer oder ähnliches ist eh realistischer…

Wusstet ihr das bis vor ein paar Jahren dem 100000. Besucher der Karl-May Spiele ein Pferd geschenkt wurde? 

Kommen wir zu meinem nächsten Kritikpunkt: 

Toxische Männlichkeit

 

Obwohl es thematisch passen würde, fiel der Spruch “Ein Indianer kennt keinen Schmerz” zum Glück nicht. Leider gab es trotzdem zwei Szenen, die äußerst bedenklich sind. Beide Male erzählt die deutsche Siedlerin Rosalie Ebersbach (Gespielt von Katy Karrenbauer) ihrem Partner, dass Winnetou und Old Shatterhand (ich zitiere sinngemäß)  “echte Männer seien, an denen er sich ein Beispiel nehmen solle!” Man könnte jetzt natürlich sagen, dass das Ironie war und so weiter. Schön und gut. Für die Erwachsenen. Die Zielgruppe ist aber ganz offensichtlich Familien mit jüngeren Kindern, die den Begriff “toxische Männlichkeit” wahrscheinlich noch nie gehört haben. Und doch werden sie dadurch maximal beeinflusst. Denn ein Besuch in der Freilichtbühne ist definitiv ein Erlebnis was man im Kopf behält. Und wenn man Jungen immer wieder einredet, dass Männer stark, mutig sein müssen und sich miteinander prügeln, wird irgendwann einiges mit diesem Menschen schief laufen. Früher oder Später wird er merken, dass er nicht er selbst ist, sondern nur versucht die Erwartungen der  Gesellschaft zu erfüllen. Ich verspreche euch: Es wird schief gehen. Ihr könnt diesen Kindern eure Ideale aufdrängen, aber dann beschädigt ihr ihre Psyche. 

Es sind zwei Sätze. Zwei kleine Sätze, die man so einfach streichen kann - die aber Schäden anrichten, die man nicht einfach “streichen” kann. Es gibt gar keinen ersichtlichen Grund, warum diese Sätze überhaupt im Stück vorkommen, denn sie sind völlig irrelevant für den weiteren Verlauf vom Stück.

In den Büchern von Karl May ist toxische Männlichkeit übrigens allgegenwärtig. Hier zwei Zitate aus den Büchern: 

Wir andern freuen uns darüber, daß wir sie los sind. Wir werden in Lagen kommen, wo wir ganze Männer [sic!], aber keine Memmen brauchen können.” aus Surehand I, S. 199

Der Westen hat einen rauhen Sinn und duldet weder Zartgefühl noch Schonung; er ist den physikalischen Stürmen widerstandslos preisgegeben, kennt keine andre Herrschaft als diejenige des unerbittlichen Naturgesetzes und bietet darum auch nur Männern Raum, die ihren einzigen Halt in der eigenen knorrigen Naturwüchsigkeit suchen.” aus Surehand II, S. 177 f

Kommen wir zum letzten Kritikpunkt: 

Kulturelle Aneignung


Ich bin kein indigener Amerikaner und mir sind auch keinerlei familiäre Wurzeln richtung Amerika bewusst. Ich komme aus Deutschland und habe auch noch nie woanders gelebt, also kann ich in keiner Art und Weise für die indigene Bevölkerung sprechen, geschweige denn irgendetwas fordern oder beurteilen. Ich kann die Debatte hier nur beschreiben: 

Seit Jahren wird diskutiert ob die Festspiele kulturelle Aneignung sind - oder nicht. Es gibt sogar einen sechsteiligen Podcast vom Mdr darüber.

Diese Diskussion wird, meistens allerdings von politisch-linken, nicht betroffenen Menschen gegen die Veranstalter. Man spricht eigentlich nicht mit indigenen Menschen. Liegt vielleicht auch daran, dass die Karl-May Spiele in Deutschland weitaus präsenter sind, als bei indigenen Völkern aus Amerika. Offensichtlich ist die Darstellung der indigenen Völker bei den Karl May Spielen voller Stereotype und Vorurteile. Die Veranstalter plädieren darauf, dass sie reine Märchen erzählen würden und diese fantasievoll ausgeschmückt sein dürften. Doch sind die Geschichten von Karl May Märchen? Fragwürdig, denn Karl May wollte möglichst realistisch wirkende Berichte schreiben und es werden echte Bezeichnungen genutzt (z.B. gehört Winnetou dem Stamm der Apachen an - realitätsnah gekleidet etc. ist er aber nicht ansatzweise). Hier in Deutschland gab er sich, obwohl er nie in Amerika war, als Old Shatterhand aus, alle seine Bücher seien Abenteuer die er erlebt hätte, log er. Heute können wir sicher sagen: Alles was Karl May an Abenteuerromanen schrieb war erstunken und erlogen! Doch trotzdem gaben 34 Prozent bei einer Umfrage vom Mdr an, die Geschichten von Karl May seien “keine reine Märchen”. 38 Prozent sind überzeugt davon, dass die Darstellung der indigenen Bevölkerung realistisch ist. Das sind zwar nicht die Mehrheiten, allerdings immer noch große prozentuale Anteile. Also selbst wenn die Kalkberg Gmbh reine Märchen erzählt in welchen dann ihrer Meinung nach Stereotypen vorkommen dürften schafft sie es nicht, allen klar zu machen, dass das was sie da sehen erfunden ist. Und ob, nur weil man ein Märchen erzählt, darin ein Deutscher, im Gesicht mit rotbrauner Farbe beschminckt in einem “Medizinmann-Kostüm”, gefertigt von einem*einer Deutschen einen religiösen Tanz imitieren darf ist mehr als bedenklich. Aber diese Diskussion bringt nichts, solange nicht mit und nicht über die Betroffenen gesprochen wird. Am Ende sollten die das Letzte Wort haben, was in Ordnung ist und was nicht. Dialog ist wichtig und sollte von Seiten der Veranstalter gefördert werden. Es sollte öfter erwähnt werden das es sich nicht ansatzweise um die Realität handelt. Denn wenn der Erzähler im Fünf Minuten Takt ankündigt wann das Stück beginnt, könnte er ja wenigsten kurz erwähnen das alles was ab da an gezeigt ist nicht realistisch ist, sondern den Vorurteilen eines Mannes entspringt, der 1842 geboren wurde und nie in Amerika war. Das wäre sicher ein Schritt in eine bessere Richtung. Die Veranstalter könnten auch aufklären - Mit Infotafeln im Wartebereich und auf ihrer Internetseite. Außerdem wäre es wohl angemessen mit einen Teil der hohen Einnahmen indigene Menschen/Völker zu unterstützen. Das wünscht sich auch das Publikum: 52 Prozent gaben bei der Umfrage vom Mdr an, dass sie gerne mehr Aufklärung über die tatsächliche Geschichte der indigenen Menschen durch die Bühne erfahren würden.

Zum Schluss möchte ich dem Ministerpräsidenten von Schleswig Holstein Daniel Günther herzlichst dafür danken, dass er die Geschäftsführerin der Kalkberg Gmbh Ute Thienel mit dem höchsten Verdienstorden von Schleswig-Holstein ausgezeichnet hat. (Ja, das ist Ironie)

 

RedakteurRedakteur: Kalle
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