Der Schauplatz ist Italien. Ein sechs-jähriges Mädchen verletzt sich bei einer Skifahrt und bleibt den Rest ihres Lebens ein Krüppel. Ein sechs-jähriger Junge verliert seine Zwillingsschwester und lebt von nun an mit unerträglichen Schuldgefühlen. Zwei verschiedene Personen, denen das Schicksal bestimmt, aufeinander zu treffen. Zwei Primzahlen. Sie stehen abseits, alleine, am Rande der Gesellschaft. Während Alice sich von der Welt gemieden fühlt, meidet Mattia diese bewusst. Zu viel Schmerz verbindet die Beiden mit der Realität. Dies ist auch ein Grund warum Alice aufhört zu essen und Mattia sich selber verletzt. Als sie sich als Jugendliche zum ersten Mal begegnen, fühlen sie sich sofort zueinander hingezogen. Aber obwohl sie sich in ihrer Einsamkeit und Andersartigkeit so gleich sind, trennt sie etwas unsichtbares, hauchdünnes, weshalb sie erst nur gute Freunde werden. Sie trauen sich nicht, die feine Grenze zwischen ihnen zu überschreiten und schließlich trennen sich ihre Wege – aber nur um doch wieder zusammen zu kommen?
Ausschnitt aus Die Einsamkeit der Primzahlen:
Es waren die anderen, die zuerst bemerkten, was Alice und Mattia selbst erst viele Jahre später begreifen sollten.
Sie lächelten nicht und blickten in verschiedene Richtungen, als sie das Zimmer betraten, doch sie hielten einander fest in den Händen, und so war es, als flössen ihre Körper durch die sich berührenden Arme und Finger unablässig ineinander über. Der Kontrast zwischen Alices hellem Haar, das ihr zu blasses Gesicht umrahmte, und dem schwarzen Haar, das hingegen Mattia strubbelig in die Stirn hing und seine dunklen Augen verdeckte, wurde aufgehoben durch diesen leichten Bogen, der sie verband. So hatten sie einen gemeinsamen Raum, dessen Grenzen nicht genau markiert waren, in dem es an nichts zu fehlen schien und die Luft ruhig und ungestört zirkulierte. Alice ging ihm eine Stückchen voraus, wobei Mattias zögerlicher Schritt die Schwächen von Alices krankem Bein ausglich. Während er sich von ihr mitreißen ließ, glitten seine Füße lautlos über den Fußboden, und seine Narben lagen verborgen und beschützt in ihrer Hand.
Der Autor zieht einen roten Faden durch das Leben von Alice und Mattia, greift besondere Szenen aus unterschiedlichen Lebensabschnitten auf und stellt sie dem Leser dar, wobei er dabei gnadenlos auf Beschönigungen verzichtet. Aber auch Nebenpersonen, wie Mattias Freund Denis und die Haushälterin von Alice Familie werden berücksichtigt und gekonnt in die Geschichte eingebaut, um den Gesamteindruck zu verstärken. Der Text kommt einem vor, wie aus ein paar zufällig ausgewählten Momenten zusammengestellt, die jedoch ein deutliches Bild vermitteln. Dieser Aufbau trägt zur Verstärkung bei, das Seelebefinden der zwei Hauptpersonen für den Leser greifbar zu machen und lässt eine besondere Atmosphäre entstehen. Ein schwer einzuordnendes Buch, dessen Faszination jedoch kaum zu wiederstehen ist. Empfehlbar ab sechzehn.