Kalle Jahrgang 2007 Redaktion Lübeck
hat 5 Sterne vergeben

In einem Deutschland der nahen Zukunft lebt Britta. Britta ist desillusioniert, pragmatisch und nihilistisch. Früher war sie Demokratin, doch mindestens seit die rechtsnationale Besorgte-Bürger-Bewegung (kurz: BBB) an die Macht gekommen ist und langsam aber sicher die Demokratie abschafft und Trump und Putin sich verbrüdert haben, hat sie den den Glauben an eine bessere Zukunft verloren. Schuldgefühle hat sie deswegen aber keine. Sie ist die Gleichgültigkeit in Person. 

Britta liebt Sauberkeit, Ordnung und Klarheit. Mit ihrem Mann Richard und der gemeinsamen Tochter Vera wohnt sie in einem Betonklotz. Graue glatte Flächen, gerade Kanten, rechtwinklige Ecken und einen Studenten der das Haus sauber hält.

"Wenn man keine Lust hat, sich selbst etwas vorzumachen, ist polierter Beton eben das, was man heutzutage noch lieben kann"

Dann gibt es da noch die Familienfreunde Janina, ihren Mann Knut und deren gemeinsame Tochter Cora.  Janina und Britta haben sich, mit ihren jeweiligen Töchtern, beim Babyschwimmen kennengelernt und treffen sich seitdem regelmäßig getroffen, damit sich die Mädchen untereinander beschäftigen können. Dadurch ist sowohl zwischen Britta und Janina, als auch zwischen Vera und Cora eine innige Freundschaft entstanden.  Janina ist fast das komplette Gegenteil von Britta. Sie hat den Traum in ein versifftes, gemütliches Haus auf dem Land zu ziehen, interessiert sich für Politik, hat kaum Geld und ist trotzdem rundum glücklich. 

Zusammen mit ihrem Geschäftspartner Barak hat die das Start-Up “die Brücke” gegründet. Was nach außen total harmlos erscheint ist eigentlich brandgefährlich. Die Brücke ist eine Art psychatrische Einrichtung die Menschen mit suizidalen Gedanken vor dem Selbstmord bewahrt. Zumindestens die große Masse. Den Rest, die Unheilbaren, rät die Brücke sich für eine “größere Sache” zu opfern. So werden die Selbstmordgefährdeten an radikale Organisationen vermittelt, die mit deren Tode Aufmerksamkeit erregen und bestimmte Ziele verfolgen. 

“Wer heutzutage einen Attentäter braucht, muss nicht mehr auf verblendete Djihadisten mit narzisstischer zurückgreifen, nicht auf halbe Kinder mit Waffen-Fetisch oder Psychopathen, die Ausländer und Frauen hassen. Sondern bekommt einen professionell ausgebildeten ausgebildeten, auf Herz und Nieren geprüften Märtyrer, der für eine höhere Sache sterben will.”

Seit Jahren läuft die Brücke einwandfrei. Sie hat Britta und Barak reich gemacht und bringt jedes Jahr noch mehr Umsatz ein. Bis eines Tages ein Anschlag auf den Leipziger Flughafen versucht wird. Zwei Attentäter stürmen den Flughafen und wollen sich selbst und alles um sie herum sprengen. Der Plan scheitert: Der eine Attentäter wird direkt vor Ort getötet, der andere erhängt sich später im Gefängnis. 

Doch was Britta und Barak so aus der Bahn wirft: Sie haben nichts mit dem Anschlag zu tun. Die beiden Attentäter wurden vor einiger Zeit von ihrem Algorithmus als nicht suizidal eingestuft und daher gar nicht erst in das Programm aufgenommen.


SPOILERWARNUNG 


Es scheint Konkurrenz entstanden zu sein. Die Gruppe nennt sich “Empty Hearts” nach einem fiktiven Song, welchen eine gewisse Molly Richter im Jahr 2025 als ihr Debüt herausbringt und den auch Britta immerwieder hört.


“Full Hands Empty Hearts 

It's a Suicide World 

Baby”


Die “Empty Hearts” arbeiten, im Gegensatz zu der Brücke, überhaupt nicht sorgfältig. Ihnen geht es darum möglichst schnell möglichst viele Attentäter auszubilden. 

Dabei sind ihnen alle Mittel recht: Sie brechen in die Praxis von Britta und Barak ein und rauben wichtige Daten von ihrem Algorithmus. Sie schrecken auch nicht davor zurück einen engen Geschäftspartner von der Brücke zu ermorden. So sind Britta und Barak gezwungen unterzutauchen. 

Die Empty Heart haben nur ein einziges Ziel: Sie wollen mit einer Armee aus Selbstmörder einen Putsch gegen die BBB durchführen und Angela Merkel zurück in ihr Amt als Bundeskanzlerin heben. 


SPOILERWARNUNG ENDE


Ich habe Leere Herzen auf einer sehr langen Zugfahrt gelesen und war von diesem Buch absolut begeistert. Der Politthriller stellt provokante und aktuelle Fragen. Und gibt Antworten. 


Wer ist Schuld an der zunehmenden politischen Radikalisierung in Deutschland (und anderen EU-Staaten)?


Juli Zeh sagt: Es sind nicht (nur) die Wähler und Mitglieder populistischer Parteien, sondern vor allem die Demokraten, denen ihr Wahlrecht unwichtig bis egal, weil selbstverständlich, erscheint und die vor ihrer Angst und Wut fliehen und kein politisches Engagement gegen die jeweiligen radikalen Gruppierungen zeigen. All jene die in die Gleichgültigkeit flüchten  um Schlechtes besser zu ertragen. All jene die wie Britta sind.


 Wir müssen alle tagtäglich dafür kämpfen in einer Demokratie leben zu dürfen und nicht gegen Extremisten etc. verlieren. Sonst geht die Demokratie unter und wir mit ihr. 


 Es ist Juli Zeh unglaublich gut gelungen aktuelle und provokante Fragen in eine spannende Story zu verpacken. 


Ein wenig gestört hat mich, dass Juli Zeh z.B. den Rücktritt von Angela Merkel sehr genau beschrieben hat. Inzwischen ist Angela Merkel zurückgetreten und es war (logischerweise) nicht so, wie Juli Zeh vorhergesehen hat. Das hat dem Buch etwas an Realismus genommen. Im Grunde wäre das aber auch nur das Tüpfelchen auf dem I und das Buch ist auch so großartig. 

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