Die magischen ersten zehn Seiten
„Mal die ersten zehn Seiten lesen“, ist so ein feststehender Begriff, wenn du nicht weißt, ob du ein Buch lesen möchtest.
Dabei fangen viele Bücher doch erst überhaupt auf Seite 10 an. Überhaupt, wenn denn von Anfangen die Rede sein kann. Wahrscheinlich gibt es zuerst einen Prolog voller vagen Andeutungen, die später wichtig werden, mir aber nicht bei der Meinungsbildung helfen. Wie auch, wenn ich den Charakter, den ich über hunderte Seiten begleiten soll, nicht einmal kennenlerne. Natürlich gibt es noch die alternative – die Hauptperson stellt sich direkt vor, dafür in einer so alltäglichen Situation, dass ich für den tatsächlichen Inhalt des Buches auf den Klappentaxt vertrauen muss…
Warum also, ist es so aufregend, in Bücher reinzulesen, von denen ich nie etwas gehört habe? Warum ist es oft der erste Satz, der mich elektrisiert, der mich die Luft anhalten lässt – oder eben nicht?
„Der Tod ist ein Habicht auf dem Wipfel einer Kiefer“.
Eigentlich ist es ganz einfach: Der erste Satz, die erste Zeile, der erste Gedankengang ist ein versprechen.
Vom Buch an mich.
Und Geschichten Lügen nicht. Jedenfalls nicht auf den ersten Seiten.
Und das scheint tatsächlich wahr zu sein. Nicht jede Geschichte kann die Schlagfertigkeit des ersten Aufrufs über die volle länge beibehalten, das wäre zu viel verlangt. Und trotzdem: Ist der erste Satz kryptisch, wird es auch das Buch oder die Hauptperson. Keine Geschichte, ob fantastisch oder real, kommt darum herum, im ersten Moment, auf den „ersten Zehn Seiten“ ihre Essenz preiszugen.