Interview mit Friedhelm Ptok
Im Rahmen des Kinderliteraturfestivals der Bücherpiraten hatte Kathrin die Möglichkeit, Friedhelm Ptok zu interviewen.
Blaue Seite: Sie haben ja sowohl dem Imperator als auch Ella Ihre Stimme geliehen. Mit wem können Sie sich eher identifizieren?
Friedhelm Ptok: Mit Ella. Junge bin ich nicht mehr, Mädchen auch nicht, aber die hat ja so von beidem etwas. Das sind völlig verschiedene Figuren: der eine, der sehr düster ist und die Ella, die nichts Düsteres an sich hat, sondern immer die Geschichte aufbricht und sich mit den andern irgendwas Neues einfallen lässt. Die können auch mal zugeben, dass sie nicht weiterwissen und sagen: „Was machen wir jetzt?“ Dieser Imperator, der weiß natürlich alles. Der weiß genau, wie es weitergeht, bis er dann auch an sein Ende kommt.
Blaue Seite: Der darf auch keine Fehler machen. Sind Sie eigentlich lieber Hörbuchsprecher, Synchronsprecher oder Schauspieler?
Friedhelm Ptok: Schauspieler.
Blaue Seite: Weil man besser in die Rolle findet oder einfach generell?
Friedhelm Ptok: Hauptsächlich ist es die Freude am Spielen. Sich Figuren aus literarischen Texten oder Stücken zu erlesen, sie zu finden und dann zu spielen: Das ist seit 60 Jahren meine größte Lust und Freude. Es ist weniger die Verwandlung, auch wenn das natürlich alles noch dazukommt. Am besten finde ich, dass man das kaum alleine machen kann. . Es gibt keine Figuren, die man allein auf der Bühne darstellen kann - natürlich gibt es auch den Schauspieler, der auf der Bühne allein ist, aber eben nicht ganz: ein Zuschauer oder Hörer ist da, mit dem hat er seinen Monolog als Dialog. Meistens spielt man mit anderen zusammen und das ist eigentlich das Schönste. Der Fundus, die Quelle, aus der alles andere, also der Film und das Vorlesen, kommt – ohne die Bühne, ohne das Theaterspielen, wäre ich niemals zum Vorlesen gekommen.
Blaue Seite: Wie sind Sie dann in die Hörspielszene reingerutscht?
Friedhelm Ptok: Auch für das Hörspiel braucht man Schauspieler. Nur dass man da nur ein Mikrofon hat. Vor dem Mikrofon muss man die Geschichten so auseinandernehmen und zerlegen, dass sie für den Hörer optisch sichtbar werden. Das ist das Spannende. Als ich gefragt wurde, habe ich zuerst überhaupt nicht begriffen, was für ein anderes, eigenes Medium das Hörbuch ist. Dann hab ich mir meine eigenen Gedanken gemacht und habe mir das immer mehr erschlossen. Manche Leute fanden gut, was ich tat. Andere meinten, das sei ja furchtbar, mich könne man überhaupt nicht gebrauchen, ich würde das immer viel zu laut machen könnte mich nicht aufs Mikrofon einstellen. Dann kamen wieder andere Leute, die eine andere Vorstellung von dem Medium „Hörspiel“ hatten. Zwischendurch ging´s mal besser und mal wieder schlechter. Und jetzt bin ich bei euch gelandet.
Blaue Seite: Und das ist gut so! Hatten Sie mal eine Rolle, mit der Sie sich überhaupt nicht identifizieren konnten?
Friedhelm Ptok: Ja, da waren etliche. Manchmal muss man Rollen spielen, die einem nicht liegen. Da kann man zwar rumfluchen, aber das ist ja nicht der Witz der Sache, dass die Figuren immer etwas mit einem zu tun haben müssen. Das können ja auch völlig Fremde sein, die im Gegensatz zu einem selber stehen. Und dann muss man nach Sachen in sich suchen, die vielleicht zur Geltung kommen könnten oder auch nicht. Je älter man wird, umso mehr entdeckt man, was doch für Abgründe in einem stecken. Das wirst du auch noch mal mitkriegen und dann sagen: „Oh Gott, ich hätte nie geglaubt, dass ich das in mir finde.“ Sonst könntest du nie Mörder spielen oder gar einen Selbstmörder, der an sich verzweifelt, wenn du ein fröhliches Sonntagskind bist.
Blaue Seite: Hat dann eine Rolle auch Einfluss auf Ihr Leben, Ihre Freizeit?
Friedhelm Ptok: Ja.
Blaue Seite: Wie machen Sie das, wenn Sie sich mit einer Rolle überhaupt nicht identifizieren können?
Friedhelm Ptok: Bei so einer Figur gucke ich nach, wo es Überschneidungen mit mir selber gibt. Ich fange an, das aufzudröseln, und lass mich auf das ein, was passiert. Ich hatte mal einen Regisseur, der ist inzwischen verstorben, der nie wollte, dass man immer gut spielt oder das alles stimmt. Der hat bei den Proben immer gesagt: „Mach das doch mal falsch, spiel doch mal völligen Mist!“ Dabei entdeckt man manchmal neue Facetten. „Streck die Zunge raus, zieh die Schuhe aus, schmeiß was durch die Gegend und sag mal, du hast keine Lust. Und dann sag mal was von dem Text.“ Das hat gewirkt. Das hat in mir einen Zorn erregt: Der ist doch verrückt, wie kann der das verlangen? Aus dieser Wut heraus hab ich dann gedacht, ich muss so viel Blödsinn machen, dass der nach Hause geht und sagt: „Mit dem arbeite ich nie wieder!“ Da bin ich manchmal auf Sachen gekommen, die ich so nie ausprobiert hätte. Der Regisseur hat dann gesagt: „Das ist völlig richtig, mach das so.“
Blaue Seite: Sie haben ja viele Hörbücher gesprochen: von Kinderbüchern über Kriminalromane bis zu philosophischen Schriften. Gibt es ein Genre das Sie besonders gerne mögen?
Friedhelm Ptok: Gedichte zum Beispiel, Lyrik. In Berlin ist momentan das internationale Literaturfestival und da war ich gestern Abend. Da waren ein Engländer, ein Australier und eine Slowakin mit ganz seltsamen, eigenartigen Gedichten. Und wenn sie die selber lesen, sagt man sich: „Das verstehe ich schon, aber irgendwie ist das langweilig.“ Wenn man aber selber die Gedichte nimmt, auseinander pflückt und sie erst Wort für Wort, dann in Satzzusammenhängen und mit Pausen für die Zuhörer spricht, dann entstehen ganze Welten aus so einem Gedicht. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist das eigentlich einfache aber wunderschöne Lied „Der Mond ist aufgegangen“. Da fängt jeder an, das in dieser typischen Melodie zu sprechen. Man kann es schon gar nicht mehr hören. Wenn man die Melodie weglässt und sich stattdessen vorstellt, was da passiert und genügend Pausen macht, entsteht eine völlig andere Welt. Dann sagt man: DER MOND - man stockt, wenn der Mond plötzlich da ist, was ist mit ihm, ist er gekommen, gegangen? - AUFGEGANGEN - dann kommen hinzu - STERNLEIN - und was tun die? - PRANGEN AM HIMMEL -. Und dann der Wald - DER STEHT, SCHWARZ - und ist stumm - SCHWEIGET - und langsam senkt sich ein Schleier über alles - UND AUS DEN WIESEN ------ STEIGET -----
DER WEISSE NEBEL ----- WUNDERBAR.
Ich versuche, das Hinfließen der Verse anzuhalten, um die Steine, die Sträucher an denen sie vorbeifließen sichtbar zu machen; das gelingt nur durch Pausen.
Es bleibt immer noch bei dem Gedicht, dem wunderbaren, wie ich finde, aber es klingt anders. Und so sollte man mit allen Sachen umgehen.
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Blaue Seite: Was war bis jetzt Ihre Lieblingsrolle?
Friedhelm Ptok: Von Shakespeare gibt es ein Drama, Heinrich V., das habe ich sehr gern gespielt. Dann noch Brendan Behan, ein irischer Autor, der hat mal ein Stück über die Auseinandersetzung zwischen England und Irland geschrieben. „Die Geisel“ heißt es. Iren nehmen einen englischen Soldaten gefangen und wollen den eigentlich umbringen. Dann zieht der aber bei ihnen ein, lebt mit ihnen und verliebt sich auch noch in ein irisches Mädchen. Dann wird er bei einem Überfall erschossen. Und am Ende des Stückes steht er wieder auf und singt: „Die Hölle läutet klingelingeling für dich, aber nicht für mich.“ Das wird heute gar nicht mehr gespielt.
Blaue Seite: Bleibt von der Rolle denn auch etwas zurück?
Freidhelm Ptok: Ja, es bleiben Situationen, an die man sich erinnert. Auch noch nach 50 Jahren.
Blaue Seite: Wie sind Sie dann vom Theater zum Film gekommen?
Freidhelm Ptok: Das ging daneben. Heute hat sich vieles geändert – ich sage nicht, ob zum Guten oder zum Schlechten. Damals gingen Regisseure ins Theater, guckten sich Stücke an, sahen Schauspieler und sagten: „Den oder die will ich haben.“ Dann lernte man sich kennen. So wurden Rollen für Film oder Fernsehen besetzt. Heute sind sie dafür viel zu faul deswegen gibt es Castings. Da tapert man dann hin.
Blaue Seite: Wenn Sie ein Skript lesen, haben Sie dann die Rolle im Kopf? Also eine Art, wie Sie sie lesen wollen?
Friedhelm Ptok: Erstmal muss ich es lesen. Und wenn man gleich sagt: „So und so muss das gehen“, wird es meistens langweilig. Aber wenn man ein Stück erwischt, bei dem man sagt: „Das würde ich gerne darin zeigen“, geht man auch kritisch damit um. „Sollte ich das jetzt zeigen oder erstmal für mich behalten?“ Beim Theaterspielen ist das Geheimnis eine wunderbare Sache, wie eigentlich in jeder Kunstform das Geheimnis eine wesentliche Rolle spielt. Alles, was du offenlegst und sichtbar machst, das konsumieren die Leute – und dann ist es weg und vorbei. Aber was du verbirgst oder was die Leute neugierig macht, damit fesselst du sie.
Blaue Seite: Viele Menschen hören ja ihre eigene Stimme überhaupt nicht gerne. Wie geht es Ihnen dabei?
Friedhelm Ptok: Na ja, das ist immer ein bisschen affektiert, wenn man sagt: „Ich kann mich nicht hören.“ Es hat komischerweise manchmal was sehr Fremdes, wenn man sich hört. Man hört dann eigentlich seine Stimme, wie ein Komponist seine Melodie hört. Oder wie ein Maler seine Farben im Bild sieht. Der sagt dann: „Das war gut, aber der Pinselstrich müsste eigentlich anders sein.“ Für den Schauspieler oder Sprecher bedeutet das, dass man an der eigenen Vorstellung arbeitet, an der eigenen Stimme. Als ich zum ersten Mal gemerkt habe: „Das bist du“, hat mir das nicht sehr behagt. Es hat mir zwar nicht Angst gemacht. Aber ich hatte eine große Distanz, es war mir eigentlich fremd.
Blaue Seite: Und das hat sich dann mit der Zeit verändert?
Friedhelm Ptok: Irgendwann gewöhnt man sich an seine eigene Stimme.
Blaue Seite: Werden Sie in der Öffentlichkeit oft von Menschen angesprochen, die Ihre Stimme kennen oder Sie als Schauspieler?
Freidhelm Ptok: Ja.
Blaue Seite: Ist das dann merkwürdig?
Friedhelm Ptok: Ich finde es eher erfreulich. Ich mache das ja nicht, um erkannt zu werden, sondern um den Leuten etwas zu geben. Gestern aber zum Beispiel waren da zwei Jungs, etwa in deinem Alter. Die haben sich nicht getraut. Die Gedichtlesung hatte ihnen so gefallen. Dann kam ein Älterer und meinte: „Da sind zwei, die würden gerne mit Ihnen reden, trauen sich aber nicht.“ Und die sagten dann: „Ich kenne Ihre Stimme, woher?“ Diese ganze Star-Wars-Geschichte ist für mich nicht so die große Sache, aber manche verbinden meine Stimme damit. Und sagen dann: „Das ist doch der Imperator!“ Ich habe viele andere Sachen gemacht, die ich für viel wichtiger, wesentlicher halte. Aber im Museum hat einmal der Kartenverkäufer gesagt: „Ihre Stimme kenne ich doch! Wenn ich das meinem Sohn erzähle!“ Dann fällt einem erst mal alles runter – nicht aus Eitelkeit, sondern weil das einfach nicht sein kann. Man hat es schon gemacht, damit Leute es hören. Aber manchmal sagt man sich: „Ich habe auch noch andere Stücke gemacht: Sie hätten mal ins Theater gehen sollen!“
Blaue Seite: Ich kannte Sie aus den Ella-Hörbüchern.
Friedhelm Ptok: Das ist auch einer meiner Lieblingsstoffe. Zumal der Autor selber Lehrer war. Der ist richtig in das Schulsystem und den Alltag reingegangen. Er hat beschrieben, was wirklich passiert, mit all den negativen Geschichten. Da denkt man, dass da plötzlich ein Lehrer auf der Kreuzung steht und den Verkehr anhält und dann sagt, dass Lehrer schlecht bezahlt werden. Das traut sich ja kaum jemand noch zu sagen. Der Autor hat mit Geschichten für Kinder das Schulproblem thematisiert, das Erziehungsproblem. Wie der Staat sich da raushält, anstatt sich einzumischen. Wir merken das ja! Ich weiß nicht, wie das bei euch in Lübeck ist. Aber in Berlin merkt man das. Da fehlen unendlich viele Lehrer, alle naselang ist jemand krank, es werden Ersatzstunden gegeben und es geht und geht nicht weiter. Dann kommen Inklusion und Integrationsgeschichten, die so nicht gelöst werden können. Natürlich funktioniert so etwas auch nicht komplett ferngesteuert durch Anordnungen von oben, aber man sollte mehr auf die Kinder hören, sie beobachten und entlang deren eigener Begabung lenken.
Blaue Seite: Hören Sie in Ihrer Freizeit auch gerne Hörbücher?
Friedhelm Ptok: Nein, ich lese lieber, als dass ich mir etwas anhöre. In dem Augenblick, wo ich das von jemand anderem gelesen höre, diktiert diese Person mir ein wenig die Geschichte oder sagt mir, wie ich sie zu verstehen habe. Das ist mir unangenehm, das möchte ich nicht. Da kannst du natürlich sagen, dass ich das auch mache. Stimmt ja auch. Aber ich mache das für Leute, die diesen Beruf nicht ausüben, sondern denen ich sage, wie man den Text auch noch verstehen kann. So nach dem Muster: „Der Mond ist aufgegangen“. So kann man mit Prosatexten auch umgehen.
Blaue Seite: Ich hätte das Lied so nicht betrachtet. Da kriegt man ja auch andere Seiten zu sehen.
Friedhelm Ptok: Das stimmt, aber mich würde das einengen. Mir ist das lieber, dass ich etwas lese und damit umgehe. Das breitet sich dann nach allen Seiten aus: nach vorne, hinten, rechts. So wie man selber es vielleicht gar nicht lesen würde. Es gibt Leute, die das so ähnlich betreiben wie ich, die einen dann doch sehr anregen, wenn man sie Texte vorlesen hört. Oder noch besser: wenn man sie erzählen, reden hört.
Blaue Seite: Was stellen Sie sich unter einer Blauen Seite vor?
Friedhelm Ptok: Es gibt ja das blaue Buch, blaue Briefe. Unter einer blauen Seite stelle ich mir Schlaf vor. Einschlafen. Wenn ich mir die Farbe so vorstelle, fallen mir gleich die Augen zu, bei der Vorstellung von Blau. Blaue Blumen gibt es auch, in der Romantik. Aber das Blau bringt mich eigentlich ins Schläfernde, ins Träumende. Weg aus dieser Welt, raus.